Die Pagode. Herkunft, Symbolik und Entwicklung
Der Buddhismus brachte nicht nur eine gewaltige Bereicherung der künstlerischen Themen, sondern einen Beitrag zur Architektur, der geradezu Kennzeichen der ostasiatischen Kultur wurde: die Pagode siehe auch.
Mit dem Aufblühen der neuen Lehre war eine lebhafte Bautätigkeit verbunden, ermöglicht durch reich fließende Stiftungen. Kloster- und Tempelanlagen schossen gleichsam wie Pilze aus dem Boden. Für Luoyang allein sind Anfang des 4. Jahrhunderts 42 Tempel überliefert, im Jahre 476 etwa einhundert, um 534 waren es 1367. Um die Mitte des 6. Jahrhunderts bestanden insgesamt 30.000 Klöster. Da jeder buddhistische Tempelbezirk zum mindesten eine Pagode besaß, gab es tausende - aber nur zwei haben aus dieser Epoche nachweislich überdauert.
Es gibt kein buddhistisches Heiligtum ohne Pagode, denn sie war von Anfang an das zentrale Verehrungsobjekt des Glaubens, noch ehe das Buddha-Bildnis hinzutrat. Bis sie zu ihrer chinesischen Ausprägung fand und zur Pagode wurde, erfuhr sie zahlreiche Verwandlungen, die aus verschiedenen Quellen gespeist wurden. Ihr Sinn- und Wesensgehalt aber blieb unverändert durch alle Formen hindurch. Ihr Ursprung führt weit zurück in die indische Vorzeit.
Wahrscheinlich mit der Einwanderung indo-arischer Stämme nach Indien um die Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. entwickelte sich die Bestattung von Häuptlingen oder großen Priestern bzw. heiligen Männern in Hügelgräbern. Nach dem Tode des historischen Buddha verbrannte man den Leichnam nach altindischer Sitte. Den Anhängern wurde die Asche zur geheiligten Reliquie, die sie in mehreren Grabhügeln beisetzten. Im 3. Jh. v. Chr. ließ Kaiser Ashoka sie öffnen und die geheiligten Überreste angeblich auf 84.000 Tumulusgräber im ganzen Reich verteilen und damit die segenstiftende Ausstrahlung dieser Reliquien. Natürlich konnten nun nicht mehr alle Hügelbestattungen eine echte Buddha-Reliquie enthalten. Der Grabhügel blieb jedoch verehrungswürdig, auch wenn er nur einen Gebrauchsgegenstand des Buddha, heilige Texte oder Juwelen enthielt, die den Leib Buddhas symbolisierten. Die Heiligkeit des Inhalts übertrugen die Gläubigen allmählich auch auf den Tumulus, der nun selbst als Buddha-Leib angesehen wurde. Der Reliquienschrein wurde zum Erinnerungsmal, Verkörperung der Allanwesenheit Buddhas. Dieses Mal nannte man Stupa: „Scheitel, Gipfel, Hügel“.
Da der Stupa als Grabmal Buddhas dessen Eingang ins Nirvana manifestierte, das erstrebte Ziel eines jeden Gläubigen, wurde er zum zentralen Verehrungsobjekt und dem Symbol des Buddhismus schlechthin, wie das Kreuz zum Zeichen des Christentums wurde. Schon früh wurde er mit einem Steinmantel ummauert, wobei man ihm eine Halbkugelform gab. Aus einer einfachen Erdaufschüttung wurde Architektur. Bestimmten Baugliedern verlieh man zugleich eine kosmische Symbolik. Einige dieser Elemente sollten in der späteren Pagode erhalten bleiben und trotz ihres Gestaltwandels ihren grundsätzlichen Sinngehalt bewahren.
Die Halbkugel des Stupa wurde als Weltei angesehen, als Schoß der Welt, dem alles Gewordene entsprang. Die Kuppelrundung wurde mit dem Weltall gleichgesetzt, die quadratische Basis, die später hinzutrat, mit der Erde. Die den Stupa tragenden Stützmauern waren quadratisch, radial oder konzentrisch angelegt und beschrieben ebenfalls ein kosmisches Diagramm, das nach den Kardinalpunkten ausgerichtet war. Auf dem Scheitel der Kuppel saß ein quadratischer Steinkasten oder ein Gitterzaun, die als Reliquienbehälter bezeichnet wurden, jedoch keine Reliquien enthielten. Aus deren Mitte erhob sich ein Mast mit mehreren tellerförmigen, sich nach oben hin verjüngenden Scheiben, anfangs drei, später an Zahl und Dichte zunehmend. Sie verkörpern die Ehrenschirme, welche über Herrscher und Heilige gehalten wurden, künden also von der Anwesenheit eines Großen. Der Mast mit den Ehrenschirmen war die Spitze eines Pfeilers, der durch den massiven Baukörper hindurchführte. Er galt als Achse der Welt. Unter diesem Pfeiler, manchmal an anderer Stelle im Zentrum, wurde die Reliquie in kostbaren Behältern beigesetzt. Der symbolische Buddha-Leib wurde so identisch mit der Weltmitte.
Allmählich erhöhte man den Unterbau des Stupa, vermehrte die Bauglieder, zog die Spitze mit vervielfachten Ehrenschirmen in die Höhe, bis die Kuppel, glockenförmig oder zur Eiform eingeschnürt, nur noch ein Architekturteil unter vielen wurde. In diesem Stadium war aus der archaischen Halbkugel eine turmartige Struktur entstanden. Dies geschah, um der Helligkeit des Reliquienschreins immer größere und auch weithin sichtbare Bedeutung zu verleihen. Gewiss aber auch unter Einfluss des neu erstarkenden Hinduismus und in Konkurrenz mit ihm.
Seit dem 5. Jahrhundert nahm der brahmanische Tempelbau einen Aufschwung, in dem sich ebenfalls eine Symbolarchitektur ausbildete. Als zentrales Bauglied des Tempelkomplexes entwickelte sich der brahmanische Tempelturm. In Nordindien wurde er ursprünglich mit quadratischem Grundriss angelegt, der sich jedoch durch Vermehrung von Vorsprüngen mit der Zeit der Rundform näherte. Seine hochgezogene Ovalsilhouette war in horizontale Geschosse gegliedert.
Die chinesischen Pilger, die auf ihren jahrelangen Reisen in die Heimat ihres Glaubens unvorstellbare Entfernungen zurücklegten, sahen diese Bauformen und beschrieben sie. Auch brachten sie kleine Votiv-Stupas nach China, die den dortigen Baumeistern als Anregung dienten, die jedoch niemals getreu kopiert wurden.
Aus den Sanskritbegriffen dhatu = Reliquie und garbha = Schoß, also Schoß der Reliquie = dhatugarbha, hat sich in Sri Lanka das Wort Dagoba entwickelt. Für die Bezeichnung Pagode, die im Westen Anwendung auf das zentrale Heiligtum des Buddhismus in Ostasien gefunden hat, gibt es verschiedene Erklärungsversuche. Aus Dagoba könnte Pagoda entstanden sein. Oder aus dem Sanskritwort für göttlich = bhagavat. Eine dritte eher unwahrscheinliche Ableitung stammt aus dem Iranischen: but-kadah = Haus der Idole siehe auch siehe auch.
Die Pagode des Song Yue si
Die älteste erhaltene Pagode Chinas weist deutlich auf die indischen Vorbilder, ist aber bereits verwandelt im Sinne chinesischen Gestaltempfindens. Es ist die Ziegelpagode des Tempels Song yue si im Songshan-Gebirge, Provinz Henan, 523 unter der Nördlichen Wei Dynastie fertiggestellt . Der ca. 45 Meter hohe Turm ähnelt mit seiner Parabol-Silhouette eher dem Turm eines nordindischen Hindu-Tempels, als einem Stupa. Er besitzt einen äußerst seltenen Grundriss. Seine zwölffache Abkantung ist bis zur Spitze durchgehalten. Während das erste Untergeschoss schmucklos blieb, ist das zweite von reichem „indischen“ Reliefschmuck gegliedert. An den Ecken springen fünffach abgekantete Halbsäulen vor. Die Interkolumnien sind mit einstöckigen Pagodenreliefs besetzt deren Rechteckstruktur wahrscheinlich dem damals verbreitetsten Pagodentypus entspricht. Sie tragen Rundbogennischen mit einer Scheintür. Ähnliche Darstellungen finden sich nämlich zahlreich auf Felswänden und Stelen der Epoche. An den Kardinalseiten befinden sich vier Tore, deren Hufeisenbögen von der indischen Chaitya-Halle, dem buddhistischen Gebetsraum, abgeleitet sind. Dieses Geschoss ist betretbar. Die vier Zugänge zu dem achteckigen Innenraum wirken höhlenartig, da sie durch dickes Ziegelmauerwerk führen.
Über den beiden Untergeschossen erheben sich fünfzehn mit kleinen Scheinfenstern versehene Geschosse dicht übereinander. Ihre vorspringenden Gesimse betonen die Horizontale mit größerer Klarheit und Konsequenz, als der indische Tempelturm. Da die zwölf Kanten des Grundrisses nach oben hin in jedem Geschoss enger beieinander liegen, entsteht die Wirkung einer Rundform, sodass der Pagodenturm die Form eines hochgezogenen Bienenkorbs annimmt. Auf diese Weise entstand eine in der gesamten chinesischen Architektur einmalige Gestalt. Die Ehrenschirme auf der Spitze sind zu einem ähnlichen Gebilde zusammengewachsen, gekrönt vom buddhistischen Juwel. Diese Form der Pagodenspitze sollte im wesentlichen beibehalten werden.
Die Si men ta
Die andere Pagode, die aus dieser Epoche erhalten ist, befindet sich in Shandong, am Fuß des Taishan. Es ist die „Pagode der vier Tore“ (Si men ta) im Shentong Tempel, 544 vollendet, die älteste Steinpagode Chinas . Sie entspricht der Pagodenform, die auf der Pagode des Song yue si dargestellt ist. Über ihrem würfelförmigen Unterbau, der an jeder Seite ein Rundbogenportal aufweist, steigt ein pyramidenförmiges Dach bis zur Dachnadel an. Sie trägt die eng aufeinander gestapelten Schirmringe und wächst aus einem kastenartigen Gebilde hervor. Es ruht auf einer stufenförmigen Basis, während seine Deckplatten wiederum in Stufen vorspringen. An den Ecken erheben sich vier horngestaltige Akrotere. Es ist der Typus eines Reliquiars, das auf den altindischen Kaiser Ashoka zurückgeht. Die Dachnadel mit den Ehrenschirmen und der symbolische Reliquienschrein werden von einem quadratischen Pfeiler im Inneren der Pagode getragen. Wie die Song yue si Pagode und im Unterschied zum indischen Stupa kann sie betreten werden. Diese Tatsache, sowie die aus Kragsteinschichten bestehende Dachkonstruktion, welche dem Dach den Charakter einer Stufenpyramide gibt, deuten auf einen anderen Bautyp als Vorbild: auf den einheimischen, ziegelgedeckten Holzpavillon mit Zeltdach. Seine Übersetzung in Stein bedingt die schwere Massigkeit des Bauwerks. Obwohl also eine Holzkonstruktion eine der Quellen dieses Gebäudes gewesen sein mag, fehlt hier der dekorative Schmuck, der in solchen Fällen Holzarchitektur imitiert. Der gesamte Bau macht den Eindruck eines riesenhaft vergrößerten Harmikas, des symbolischen Reliquienkastens, der den indischen Stupa krönt. Der quadratische Unterbau und die in fünf Stufen vorspringenden Dachtraufen entsprechen den Harmikas älterer Stupas aber auch denen des zeitgenössischen Gupta-Stils, während das Pyramidendach eine chinesische Hinzufügung ist. Nicht der halbkugelförmige Stupa also war hier Vorbild, sondern seine Bekrönung, der Reliquienschrein. Und dies entspricht ganz der Funktion des Bauwerks, symbolisch und real. Symbolisch als ein Behältnis des Buddha-Wesens, ob es eine echte Reliquie enthielt oder nicht; real, weil es einen Innenraum besitzt wie ein Schrein.
Nachbildung der Holzarchitektur: die Stockwerkpagode des Yungang
Zweifellos wurde der überwiegende Teil der Pagoden schon damals in der traditionellen Holzbauweise errichtet, worauf wiederum bildliche Darstellungen und vor allem die alten Texte hinweisen. Offenbar waren die indischen Vorbilder nicht in jedem Falle bindend, solange alle architektonischen Elemente vorhanden waren, welche die sakrale Funktion des Bauwerks gewährleisteten. Holzpagoden aus dieser Zeit sind in China nicht mehr erhalten. Allein anhand der ältesten japanischen Holzpagoden aus dem 7. und 8. Jh. können wir uns eine reale Vorstellung machen - trotz zahlreicher Veränderung im Detail - von den chinesischen Vorbildern des 6. Jahrhunderts.
Ein gutes Beispiel der zeitgenössischen Stockwerkpagode findet sich in der Höhle 39 von Yungang, Provinz Shanxi siehe auch . Es handelt sich um einen freistehenden Monolithen, der so aus dem Fels geschlagen wurde, dass er die rituelle Umwandlung erlaubte. Er stellt eine fünfstöckige Pagode dar von quadratischem Grundriss und mit überstehenden Traufdächern in jedem Geschoss, sowie dem genau ausgearbeiteten Pfosten-, Tragbalken- und Konsolensystem des Holzbaus. Im Grunde sind es fünf übereinander gesetzte Pavillons, die sich nur dadurch unterscheiden, dass sich ihre Dimensionen in jedem Geschoss verringern. Die direkte Herkunft von den Türmen der Han-Zeit ist augenfällig.
Eine zweite Quelle, die für die chinesischen Bauherrn die Turmgestalt der Pagode rechtfertigte, sind indische Turmbauten. Heute noch vorhandene Vorbilder sind etwa der Mahabodhi-Tempel von Bodhgaya oder die Ecktürme des Tempels 3 von Nalanda, der einst größten buddhistischen Lehrstätte Asiens. Diese Türme hatten ebenfalls quadratischen Grundriss, waren in Stockwerke gegliedert und verjüngten sich nach oben. Allerdings waren sie aus Ziegeln errichtet, gewöhnlich mit einer Steinummantelung, und im Grunde nichts anderes, als Unterbauten des Stupa, der sie krönte. Der einzige Holzbau aus dem indischen Bereich, von dem berichtet wird und bei dem es sich um einen Stupa gehandelt haben soll, war der dreizehnstöckige Turm des Kushan-Herrschers Kanishka (2. Jh.) in seiner Hauptstadt nahe dem modernen Peshawar. Für die chinesischen Pilger, die solche Bauwerke sahen, waren dies „ta“-Türme, vermutlich entstanden aus der chinesischen Aussprache für stupa = „ta pua“ siehe auch siehe auch.
Die mit Buddhas besetzten Nischen des Pagodenpfeilers von Yungang haben abgeflachte Bögen oder waagerechte Sturzbalken, die an beiden Seiten von kleinen Konsolen gestützt werden. Die Umrahmung besteht meist aus einem Spitzbogen. Diese Elemente, die im Wei-Stil variantenreich als Dekorformen erscheinen, entstammen ebenfalls indischem Formenrepertoire.
Die Stellung der Pagode
In den Grottenheiligtümern dieser Zeit sind zahlreiche Versionen des Stupa bzw. der Pagode dargestellt. Es scheint, als habe in dieser ersten Phase des Buddhismus in China die Sakralarchitektur einem Experimentierfeld geglichen, auf dem man die vielfältigsten Einflüsse zu verarbeiten suchte. Für ein bedeutsames Problem jedoch fand man schnell und wie selbstverständlich eine Lösung: für die Stellung der Pagode im Tempelkomplex.
Als Mittelpunkt des Kosmos war der Stupa in Indien auch Zentrum der Klosteranlage. Im idealen Lageplan wurden alle Gebäude konzentrisch um ihn gruppiert. Die axiale Süd-Nord-Ausrichtung als Idealgrundriss von Wohn-, Palast-, Grab- und Tempelanlage war so tief im kosmischen Denken der Chinesen verwurzelt siehe auch siehe auch, dass sich andere Lösungen, als die Pagode auf die Zentralachse des Tempels zu stellen, geradezu zwangsläufig ausschlossen. Eine Art Zentrum konnte dadurch entstehen, dass man symmetrisch angeordnete Nebengebäude links und rechts der Hauptachse und im Abstand von der Pagode errichtete und hinter ihr eine Gebetshalle mit Altar und Buddha-Standbildern. Eine Versammlungshalle der Mönche für die Sutrenlesungen schloss den Tempelbezirk ab. Dies war das Grundschema, wie es in den ältesten koreanischen und japanischen Klöstern trotz mancher Veränderungen noch deutlich erkennbar ist. Eine solche Anlage konnte auf ihrer Hauptachse beliebig erweitert werden.
In den folgenden Epochen nahm der Tempelbau auf diesen Grundlagen eine gewaltige Entwicklung. Die verschiedenen Quellen der Pagodenarchitektur flossen zusammen zum breiten Strom der klassischen Baukunst der Tang-Zeit.
Es war also wesentlich der Buddhismus, welcher der stürmischen und gärenden Sechs-Dynastien-Zeit ein neues geistiges Gepräge verliehen hat. In Nord- und Südchina gleichermaßen hatte er sich durchgesetzt. Er schuf damit nicht zuletzt eine der Grundlagen für die erneute Reichseinigung.