Neolithische Malerei
Die nach dem Brand aufgetragene Bemalung in den Farben grau, rot oder schwarzbraun zeigt bereits große Sicherheit der Pinselführung. Neben abstrahierten Tieren und Pflanzen fand man Beispiele konkreter Tierdarstellungen und maskenhafter menschlicher Gesichter. Von den Fundorten Banpo und Jiangzhai (Prov. Shaanxi) stammen Wasserschalen (pen), deren Innenseiten mit solchen Masken verziert sind: die ersten Darstellungen eines menschlichen Antlitzes in der chinesischen Kunst. Eine von ihnen scheint ein Hirschgeweih zu tragen. Alle sind sie von Fischen umgeben, deren Köpfe wie mit den Masken verwachsen erscheinen.
Auf dem Gefäßrand finden sich pfeilförmige Motive, die nach innen gerichtet sind. Die wie tätowiert wirkenden Gesichtsmasken mögen eine Gottheit darstellen oder eine Schamanenmaske, vielleicht einen Fisch- oder Wassergeist bzw. einen Hirschdämon, den man um einen günstigen Fang oder gute Beute anrief. Im Ritual konnte die Rolle eines solchen Geistes von einem Priester übernommen werden. Was diese Motive auch immer bedeuten mögen, mit Sicherheit hatten sie kultischen Sinn.
Die Wasserschalen, auf welche sie gemalt sind, fand man über Kinderurnen gestülpt. Das bringt sie in Verbindung mit dem Totenkult. Ein kleines Loch in der Mitte machte die Schale als Wasserbehälter unbrauchbar. Durch dieses „Seelenloch“, so war vermutlich die Vorstellung, konnte die Kinderseele ins Jenseits entweichen. Was uns als nicht zusammengehörig erscheint, ja als streng getrennte Gegensätze, war jenen neolithischen Menschen unauflösliche Einheit: Fruchtbarkeitskulte und Beschwörungen, welche der Nahrungsbeschaffung dienten, die Seite des Lebens, Jenseitsglaube und die Sorge um die Abgeschiedenen, die Seite des Todes.
Dem Jagdzauber mögen ebensolche Wasserschalen mit Hirschzeichnungen gedient haben, ehe man mit ihnen Urnen abdeckte, damit ihre Magie die Toten auch im Jenseits begleite.
Auf verschiedenen Gefäßtypen fanden sich wolf- oder fuchsartige Tierbilder, Frösche und Kröten, die zuweilen eher Käfern ähneln, allerdings mit nur vier Beinen. Auch Echsen erscheinen mit schlangenartigem Körper, vielleicht Vorläufer der Drachen , deren Verbindung mit Wasser, Wolken und Regen sie zu Fruchtbarkeit spendenden Wesen macht.
Da eine solcherart bemalte Keramik nicht alltäglichem, sondern ausschließlich rituellem Gebrauch diente, könnte es sich bei diesen zoomorphen Pinselzeichnungen auch um Totemtiere handeln, welche den Klan oder den Stamm schützten und deren Kräfte für die Lebenden wie für die Toten wirken sollten.
Im Gegensatz zu diesen klar erkennbaren Darstellungen verhüllen die abstrakt wirkenden Muster vielfach eine Bedeutung, die wir nur teilweise entziffern können. Neben floralen Motiven sind Menschen- oder Tiergestalten ablesbar, Augen oder larvenartige Gesichter , aber auch Gerätschaften wie Reusen oder Fischnetze , in einem Fall auf einer bootsförmigen Flasche. Die Frage bleibt offen, ob dieses einfallsreiche, spannungsvolle Ornamentspiel, soweit wir es nicht mit konkreten Gegenständen in Verbindung bringen können, tatsächlich allein dem Schmuckbedürfnis entsprang, ob es also so etwas wie ein reines, bedeutungsfreies Ornament gab.
Aus dieser Malerei spricht ein sicherer Sinn für rhythmische Gliederung, für großzügige Flächigkeit mit nur wenigen Farbwerten, wobei den nicht bemalten Negativflächen die gleiche Wertigkeit zukommt wie den bemalten. Dieses Gefühl für die Bedeutung der Leerfläche wird in der späteren chinesischen Malerei geradezu konstitutiv und ihre charakteristischste Eigenart darstellen. Damit soll jedoch keine unmittelbar zusammenhängende Traditionslinie von der neolithischen zur großen klassischen Malerei Chinas konstruiert werden, denn dazwischen liegen noch Epochen gänzlich andersartiger Gestaltungsprinzipien. Dennoch kann eine verwandte Grundhaltung festgestellt werden, insbesondere was die Sparsamkeit der Mittel angeht.
Die schwungvolle Kurvatur der Yangshao-Malerei verbindet sich, wesentlich in den abstrakten Motiven, mit einer Neigung zum Geometrisieren. Ihr struktiver Charakter erfüllt hervorragend ihre formale Funktion, den Aufbau des Gefäßes zu betonen und seine Wirkung zu steigern. Sie ist Teil ihres Trägers und untrennbar von ihm - formal, denn sie folgt seiner Gestalt, und inhaltlich, denn sie illustriert seinen Gebrauch dem Eingeweihten. Diese Malerei tritt noch nicht als selbständiges Medium auf, obwohl sie alle Voraussetzungen dazu besaß, wie die Könnerschaft ihrer Künstler ausweist.
Obwohl keine Belege dafür vorhanden sind, ist es denkbar, dass solche steinzeitliche Malerei an heiligen Stätten, auf Felsen oder in Höhlen ihren Platz gefunden haben könnte, ähnlich prähistorischen Wandbildern an anderen Orten. Ihren Stoff besaß sie, ihre Gestaltungsmittel beherrschte sie.