Architektur

In ihrem Bemühen, chinesische Überlieferungen zu bewahren, um die traditionsbewusste Beamtenschaft sich geneigt zu stimmen und in Ermangelung eines vergleichbaren eigenen architektonischen Erbes, hielten sich die Mandschu eng an den Stil ihrer Vorgänger, das heißt es gab keine grundsätzlichen Änderungen. Praktisch alle Bauformen der Ming oder auch früherer Epochen wurden übernommen. Wenn es auch keine strukturellen Neuerungen in der Architektur gab, so doch im Laufe der Zeit eine allmähliche Veränderung der Dimensionen bei Holzkonstruktionen. Die Gebäude und die Bauglieder wie Stützen und Tragbalken wurden immer zierlicher, besonders in der Spätzeit. Dies lag nicht so sehr an dem verspielteren Zeitgeschmack, der wesentlich vom Kaiserhof beeinflusst wurde, als vielmehr am Holzmangel. Chinas Wälder waren so weit abgeholzt, dass das nötige Bauholz, der hauptsächliche Baustoff über Jahrtausende, bei einer schnell ansteigenden Bevölkerungszahl kaum nachwachsen konnte. Dies musste sich auch auf Repräsentativbauten und Gebäude mit künstlerischem Anspruch auswirken. So mussten beim Wiederaufbau der „Halle für die Jahresgebete“ siehe auch im Jahre 1889 die Stämme für die Säulen aus Oregon importierte werden, da die dafür geeigneten Baumriesen in ganz China nicht mehr zu finden waren.

Empfanden sich die Mandschu-Herrscher einerseits chinesischer Tradition verpflichtet, so waren sie andererseits offener für fremdländische Einflüsse als die nationalstolzen Ming, für die eine absolute Überlegenheit der chinesischen Kultur auf allen Gebieten außer Frage stand. Zwar erlaubten die Ming dem gelehrten und auch naturwissenschaftlich gebildeten Jesuiten Matteo Ricci siehe auch den Aufenthalt in Peking und ließen seine Missionierungsversuche zu, doch wohl eher, weil man ihn als „sinisiert“ ansah, denn er beherrschte die Sprache und studierte die konfuzianischen Schriften. Ebenso waren sich auch die Qing-Kaiser der chinesischen Überlegenheit gewiss, doch sie erkannten durchaus die Nützlichkeit bestimmter westlicher Wissenschaften und Techniken, vorwiegend der Mathematik, der Astronomie und der Geographie. Deshalb duldeten sie Europäer - vorwiegend Jesuiten - am Hof, die auch Einfluss auf die Malerei und die dekorativen Handwerkskünste nahmen. Europäische Architektur, von Europäern am Kaiserhof entworfen, findet sich nur in den Trümmern der Barockbauten des Sommerpalastes und in einigen neogotischen Kirchen. Dies waren Exotismen ohne Einfluss auf die traditionelle Bauweise und sie blieben die Ausnahme. Sie zeigen aber eine gewisse Offenheit nichtchinesischen Kulturen gegenüber, die sich auch in der Förderung lamaistischer Baukunst erweist. Allerdings hatte diese schon eine lange Tradition, die bis in die Yuan-Zeit zurückreichte.

Wenn sich europäischer Einfluss bemerkbar machte, dann in der Baudekoration. An Balkenwerk und Wänden setzte man gern Veduten ein mit europäischer Perspektive und Schattierung. Auch hier zeigt sich der Geschmack am Exotischen, der einher ging mit der Neigung zum Dekorativen. Man setzte auf Reichtum der Oberflächenbehandlung in Bemalung, schmückender Bauplastik, farbiger Keramik, gelegentlich exzentrisch übersteigert, ohne aber die überlieferten architektonischen Grundformen anzutasten. So ist die Architektur des Kaiserpalastes im wesentlichen ming, der Dekor weitgehend dem Qing-Geschmack angepasst. Entsprechend dieser Vorliebe für das Dekorative spielte man eigentlich nur mit architektonischen Kleinformen. Vorwiegend an den kleinen Bauwerken in den Gartenanlagen treten Mauerdurchbrüche, Türen, Fenster und Tore als Rundöffnungen auf, die „Mondtore“, oder in Form von Gefäßen, als Spitzbögen oder in Blätterform. Vielgestaltige Pavillons, die in der Qing-Zeit so beliebt waren, erschienen bereits bei den Ming. Die strukturelle Bedeutung des Konsolensystems, seine sichtbar gemachte Funktion, unter den Ming bereits vernachlässigt, geht nun vollends verloren. Die Konsolenreihen sind nun zu einem dekorativen Gesims verkümmert, das zudem noch vielfach von einem schmalen Vorhang aus geschnitzten und bemalten Wolkenornamenten überdeckt wird.