Kultplastik

Die bedeutenden Werke der Bildhauerkunst dieser Epoche entstammen im Wesentlichen dem buddhistischen Themenkreis. Und hier sind es neben dem Buddha zwei Gestalten, denen offenbar besondere Verehrung zuteil wurde und in deren Schöpfung den fähigsten Künstlern Meisterwerke gelangen: der Erlöserfigur des Bodhisattvas Guan yin und der asketischen Figur des Luohan.

Der Bodhisattva Guan yin

Die Beliebtheit Guan yins siehe auch scheint in dieser Zeit der des künftigen Buddha Maitreya während der Sechs Dynastien-Zeit entsprochen zu haben siehe auch. An beide Gestalten knüpften sich Erlösungshoffnungen. Die Volkstümlichkeit Guan yins und vermutlich daoistische Vorstellungen brachten es mit sich, dass dieser Bodhisattva sich im Volksglauben zu einer Göttin wandelte, der „Göttin der Barmherzigkeit“. Es handelt sich dabei um eine Verflachung des tiefen und viel komplexeren Bedeutungsgehalts dieses Wesens, ein Vorgang parallel zu der sich wandelnden Auffassung von der Bedeutung der Pagode. Im buddhistischen Verständnis steht eine Gottheit weit unter einem Bodhisattva, denn sie ist noch dem Kreislauf der Wiedergeburten verhaftet, während jener an der Schwelle des Nirvana steht. Nur um das Erlösungswerk an allen Lebewesen zu vollenden, wirkt er weiter in dieser Welt. Kein Bodhisattva ist also mit einer Gottheit gleichzusetzen. Dies war den Künstlern, die unter den Song, den Liao und den Jin wirkten durchaus bewusst. Denn keine ihrer vorgeblichen „Göttinnen“ ist als weiblich zu identifizieren.

Von den Tang wurde die indische Tradition übernommen, einen Bodhisattva als indischen Prinzen darzustellen, also mit schulterlangem Haar, reichem Schmuck, Krone, Hüfttuch und nacktem Oberkörper, nur teilweise verhüllt durch Ketten, Bänder und Schärpen. Seiner Herkunft gemäß wurde seine Erscheinung männlich aufgefasst, denn der historische Buddha war ehemals ein Prinz. Darüber hinaus konnte nach buddhistischer Auffassung keine Frau das Stadium eines Bodhisattvas erreichen, es sei denn, sie wurde zuvor als Mann wiedergeboren. Obwohl also ein Bodhisattva in männlicher Gestalt dargestellt wurde, stellte man ihn sich übergeschlechtlich vor.

Während der Song-Zeit verliehen die Maler und Bildhauer den Bodhisattvas allmählich weichere und weiblichere Züge, ohne sie je als weiblich zu kennzeichnen. Dadurch wurde einmal die Geschlechtslosigkeit hervorgehoben, zum andern mitfühlende Teilnahme eines sensiblen, mitleidsvollen Überwesens zum Ausdruck gebracht. Die vollen, fleischigen Gesichter, oft mit Doppelkinn und immer mit dreifacher Halsfalte, einem der Kennzeichen erleuchteter Wesen, erscheinen durchaus weiblich, könnten aber auch einem jungen Mann gehören. Auf einer Seidenmalerei aus Dunhuang im Britischen Museum ist Guan yin als Seelenführer dargestellt siehe auch. Er trägt hier einen feinen Schnurr- und Kinnbart. Die bedeutendsten plastischen Darstellungen sind meist Holzarbeiten, farbig gefasst. Der breitschultrige, zumeist schlanke Oberkörper ist größtenteils entblößt, die rechte Brust liegt immer frei. Sie ist stets männlich und soweit ersichtlich ohne Brustwarze, also ohne auch nur sekundäres Geschlechtsmerkmal, was die Geschlechtslosigkeit einmal mehr unterstreicht. Den an manchen Statuen sichtbaren Nabel, gehörte er einer weiblichen Figur, oder gar eine weibliche Brust öffentlich zur Schau zu stellen, widerspräche allein schon chinesischem Schamgefühl. Erst spät erscheint Guan yin in der lkonographie als weibliche Gottheit, vermutlich deshalb, weil sie mehr und mehr mit einer altchinesischen Muttergöttin identifiziert wurde.

Will man die herausragende Leistung der songzeitlichen Bildhauer gebührend würdigen, muss man sich diese Problematik vor Augen führen. Nie zuvor - und auch später nicht - ist es gelungen, einem so komplexen Wesen überzeugendes Leben einzuhauchen. Denn bei aller Hoheit erscheinen diese Gestalten lebensnah: im Kult sind sie dem Gläubigen ein Gegenüber, mit dem er Zwiesprache halten kann. Im künstlerischen machen sie eine Tendenz zum Realismus deutlich.

Bei der Behandlung des Körpers und der Gewandpartien wird ein entwickelter Sinn für Stofflichkeit sichtbar, der etwa dem barocker Skulpturen entspricht: weiche Fleischlichkeit und geschwungene, kompliziert verknotete Gewandfalten. Dieses Faltenspiel erzeugt den Eindruck lebhafter Bewegung, während die Haltung der Figuren keinerlei dramatische Aktivität zeigt, sondern ruhiges Stehen oder Sitzen.

Ein stehender Bodhisattva aus Linfenxian, Shaanxi

Die lebensgroße Figur der Nelson Gallery of Art, Kansas City, die Ende des 11. Jahrhunderts im Herrschaftsgebiet der Jin entstand, ist nicht eindeutig identifizierbar . Die hohe Krone, unter der sorgfältig geknotete Haarsträhnen auf die Schulter fallen, endet in fünf Voluten, die aufgerichteten Kobraköpfen ähneln, wie sie bei altindischen Schlangenkönigen erscheinen. Zwar fehlt auf der Leerfläche unterhalb der Voluten das kleine Bildnis des Buddha Amitabha, als dessen Emanation Guan yin gilt. Die Krone ist jedoch nahezu identisch mit der eines Bodhisattvas des Victoria und Albert-Museums, London, an welcher - zwar stark verwittert - noch eine kleine Figur mit Aureole unterhalb der Voluten zu erkennen ist. Auch könnte die Haltung der graziös gebogenen linken Hand darauf hinweisen, dass sie ehemals eine Flasche mit dem Unsterblichkeitstrank Amrita gehalten hat, ein Attribut des Guan yin. Die Rechte ist bis zur Schulter angehoben. Die elegant gebogenen Finger sind wie belehrend erhoben, doch sind sie keiner der klassischen Siegelgesten (mudra = yin xiang) zuzuordnen.

Der Bodhisattva steht locker, das Körpergewicht leicht auf das rechte Bein verlagert, ein ferner Nachklang der dreifach gebogenen indischen Haltung (tribhanga) in der abgemilderten Form der zweifachen Biegung (dvibhanga). Dabei ist der Körper nur in der Hüftpartie leicht eingeknickt, während die Schultern waagrecht bleiben. Es ist eine Mittelstellung zwischen der aufrechten Haltung in strenger Frontalsicht, wobei das Körpergewicht gleichmäßig auf beiden Beinen ruht (samabhanga) und der dreifachen Körperbiegung der Bodhisattvas, wie sie zur Tang-Zeit beliebt war. Die archaischen Heilsgestalten aus der Frühzeit des chinesischen Buddhismus treten fast durchweg in blockhafter Geschlossenheit und aufrechter Haltung ohne Körperbiegung auf, so in der Kunst der Wei, Qi, Zhou, Sui und zum Teil auch noch der Tang.

Die Blockhaftigkeit ist nun aufgegeben zugunsten fließender Durchbrüche, welche die Gestalt umspielen. Holz erlaubt es, Bänder und Tücher frei, von der Figur gelöst herabhängen zu lassen in rhythmisch verlaufenden Kurvaturen, welche die verschlungenen Windungen und Verknotungen echten Stoffes annehmen. Die Wirklichkeitsnähe der Stoffbehandlung geht bis in die feinste Fältelung und unterscheidet zwischen glattem Tuch und Brokaten, deren Muster in zart ziseliertem Relief imitiert sind. Die farbige Fassung, in der Rot-, Grün- und Goldtöne vorherrschen, erhöht die Wirkung des Stoffcharakters. Dennoch handelt es sich hierbei nicht um bloßen Naturalismus. Denn der Verlauf der Gewandbahnen ist zugleich lebendig und hochgradig formalisiert: ihr bewegtes Relief, die kontrastreiche Schattenwirkung überhängenden Stoffes und der unterschiedlich tief eingeschnittenen Falten sowie die erhabenen Stege zielen auf graphische Wirkung, die in kalligraphischem Duktus vorgetragen wird. In deutlichem Kontrast dazu sind die Körperpartien, wo sie aus ihrer Umhüllung hervortreten, plastisch gerundet: die von Bändern, Schleifen und Armreifen umschlungenen Arme, der teilweise entblößte Oberkörper, über den schwerer Kettenschmuck gelegt ist und eine Schärpe, die in einem schwungvollen Bogen von der linken Schulter zur rechten Hüfte führt, das rundliche Antlitz. Der kleine Mund mit den vollen, geschwungenen Lippen, der die Andeutung eines Lächelns zeigt, das Doppelkinn und die langen, fleischigen Ohrläppchen entsprachen einem Schönheitsideal der Zeit: Fülligkeit signalisierte Wohlstand. Zugleich waren die langgezogenen Ohren, die dreifache Halsfalte und der Edelstein, der ehemals in der Stirnmitte saß, Kennzeichen erleuchteter Wesen. Die Augen sind wie in Meditation fast völlig geschlossen, der Blick scheint nach innen gerichtet und gleichzeitig dem Anbeter zugewandt. Die weiß gefassten Hautpartien an Kopf, Brust, Armen und Füßen erhöhen im Zusammenklang mit den farbigen Tüchern den Eindruck eines lebenden Wesens.

Ein sitzender Guan yin

Die überlebensgroße Holzskulptur aus Shanxi in der Nelson Gallery of Art, Kansas City, wahrscheinlich noch unter den Song Anfang des 12. Jahrhunderts entstanden, gehört zu den vollkommensten und besterhaltenen Beispielen dieses Gestalttyps . Er ist in der Haltung des „gelockerten Sitzens“ (lalitasana) dargestellt, wobei hier das linke Bein auf den Boden gestellt ist, das andere angezogen auf den Sitz, und der rechte Arm auf dem hoch gestellten Knie aufliegt. Der linke Arm stützt mit flach aufgelegter Hand den Oberkörper ab, sodass die linke Schulter leicht angehoben wird. Die Kopfhaltung ist aufrecht und fast unmerklich zur Seite gewendet. Trotz ihrer ruhigen Sitzhaltung erscheint die Gestalt voll inneren Lebens. Vom hoch aufgesteckten Haarknoten, der von einem prächtigen Diadem gestützt wird, über die Gesichtsmitte - Nasenrücken, Mund und Kinn - über das Mittelstück des schweren Brustschmucks und den herabhängenden Zipfel eines Umhangs zum Nabel, und weiter entlang der verknoteten Schärpe bis zum Boden, führt eine „linea alba“. Ihr Verlauf beschreibt eine sanft geschwungene Kurve: die kaum wahrnehmbare Drehung der Körperachse. Sie verleiht der Figur die elastische Spannung organischer Körperlichkeit. Die farbige Fassung erhöht noch ihre außerordentliche Lebendigkeit.

Stärker noch als bei dem stehenden Bodhisattva wirken hier die Öffnungen der Skulptur dank der Eigenart ihrer Sitzhaltung. Das aufgestellte rechte Knie und der locker darauf ruhende Arm bilden mit dem Rumpf eine Öffnung, die von einem herabhängenden Schultertuch durchschnitten wird. Zwischen dem linken Arm und dem Oberkörper des Bodhisattvas, unter seinem Thron, zwischen dem auf einer Lotosblüte stehenden Fuß und den Voluten der Gewandenden - überall finden sich Durchbrüche. Sie erzeugen ein bewegtes Spiel von Negativformen, welche mit der ruhigen Unbeweglichkeit der Gestalt kontrastieren und sie dadurch hervorheben. Dabei werden die Umrisse der schlanken, breitschultrigen Figur genau definiert, sodass sich die Körperformen klar abzeichnen trotz des verwickelten Faltenspiels von Tüchern, Schals, Schärpen, Schleifen, Knoten, Volants und Bändern, zu denen noch das reiche Geschmeide, die lang herabfallenden, welligen Zöpfe treten, die ziselierten Brokatmuster und die reiche Farbigkeit, die noch großenteils erhalten ist. Die Stoffbahnen scheinen sich in ständiger Bewegung zu befinden, und ebenso dynamisch sind die Silhouetten der Figur und des Thronsitzes mit ihren ausgreifenden Vorsprüngen und einschneidenden Rücksprüngen.

Das Antlitz ist vollkommen ebenmäßig, die Wangen sind sanft gerundet aber nicht füllig. Der Mund zeigt ein feines Lächeln, die schräg stehenden Augen sind halb geschlossen, der Blick ist nach unten gerichtet. Die ehedem eingesetzten Pupillen fehlen, ebenso das Juwel, welches in die Stirn eingelassen war. In der ausgestreckten Hand, die über das rechte Knie hinausragt und weit geöffnet, mit dem Handrücken nach oben, leicht abwärts gebogen ist, lässt sich keine Siegelgeste erkennen. Auch am Kopfschmuck dieses Bodhisattvas findet sich keine Buddhafigur. Dennoch handelt es sich zweifelsfrei um Guan yin, nicht nur seiner Sitzhaltung wegen, sondern auch wegen seines Thronsitzes. Es ist der von Gras und Moos bewachsenen Felsenthron in der Grotte seines heiligen Berges, des Potala, an der Felsenküste des Südmeers. Daher stammt auch sein Beiname „Guan yin der Südlichen See“.

Sitzender Guan yin aus Shanxi

Eine verbreitete Variante des sitzenden Guan yin des Rijksmuseums, Amsterdam, zeigt ihn in der Position der „königlichen Lässigkeit“ (maharajalila) . Dabei liegt das linke Bein angewinkelt auf der Sitzfläche, das rechte ist aufgestellt und der ausgestreckte rechte Arm ruht auf dem Knie wie in der Haltung des „gelockerten Sitzens“. Auch hier stützt sich die Figur mit dem linken Arm ab.

Die Amsterdamer Skulptur wird auf den Anfang des 12. Jahrhunderts datiert. Sie weist alle erwähnten stilistischen Merkmale der späten Nord-Song-Periode auf: die bewegten Umrisse und Öffnungen, die den Leerraum im Bereich der Figur einbeziehen, der schwungvolle Rhythmus der Gewandfalten, die kontrastierend über die glatten Körperpartien gelegt sind, der reiche Schmuck und nicht zuletzt die polychrome Fassung, die den lebendigen Eindruck der Figur erhöht. Im Vergleich zu anderen Darstellungen dieses Typs ist der Faltenreichtum der Gewanddrapierung zurückgenommen zugunsten der plastischen Durchbildung seiner sich deutlich abzeichnenden Körperformen. Nur einige Stoffbahnen, die diagonal über den nackten Oberkörper führen und das Schultertuch, das in einem eleganten Bogen über den ausgestreckten rechten Arm gelegt ist, zeigen tiefe Einschnitte von Faltenbündeln, die dem Holz den Charakter echten Tuchs verleihen. Das Hüfttuch ist über den Beinen nur sparsam von Falten überzogen, sodass Ober- und Unterschenkel in vollrunder Plastizität hervortreten. Brust- und Halsfalten sind weich gerundet wie auch die Körperformen, die füllig sind, ohne dicklich zu wirken. Nur das breite Gesicht hat volle Wangen und das übliche Doppelkinn. Der milde, freundliche Ausdruck, mit dem der Blick auf den Anbeter gesenkt ist, entspricht dem barmherzigen Charakter des Guan yin wie er in allen Darstellungen der Epoche aufgefasst ist.

Ein sitzender Guan yin des Rietberg Museums

Ein Guan yin des Rietberg Museums, Zürich siehe auch zeigt beispielhaft wie die Song-Formel bis in die Yuan-Zeit fortwirkte siehe auch. Die polychrome Holzskulptur hat die gleiche Sitzhaltung der „königlichen Lässigkeit“ inne. Ihre bis auf einen schmalen Schlitz geschlossenen Augen scheinen den Blick in tiefer Meditation nach innen zu senken. Und noch in der Ming-Zeit nahmen sich Bildhauer diesen Gestalttyp zum Vorbild siehe auch.

Mit Hilfe ihres reichen Geschmeides, durch Vergoldung und Edelsteineinlagen, vor allem aber durch eine Bemalung, die auf lebensechte Wirkung zielte, erhielten diese Erlösergestalten gleichzeitig menschliche Nähe und einen wahrhaft überirdischen Glanz, der in der Umgebung eines reich geschmückten Tempelraums eine Sphäre der Verklärung und des Paradiesischen ausgestrahlt haben muss.

Jene menschliche Nähe, die Wärme und Güte dieser Erleuchteten Wesen, welche nicht in unerreichbarer Distanz verharren, ihre Maße, die menschliches Maß nur in Ausnahmen überschreiten, ihre kleinteilige, detailgenaue Bearbeitung, all dies kennzeichnet einen Zug des künstlerischen und geistigen Wesens der Epoche: die Abwesenheit jener Monumentalität, die den imperialen Tang eigen war.

Die außerordentliche Popularität Guan yins verdankt sich dem Glauben, dass allein durch seine Anrufung Heil und Rettung zu gewinnen sei, ohne die Anforderungen des schweren Weges der Selbsterlösung, den der Luohan in der Nachfolge Buddhas betrat.

Der Luohan

Schon früh wurde die Figur des Luohan siehe auch als verehrungswürdig angesehen, niemals jedoch erreichte sie die Popularität eines Guan yin, denn sie versprach dem Laien ja kein Heil, sondern zeichnete nur den Weg vor. Luohan-Skulpturen fanden in Klöstern Aufstellung, insbesondere des Chan-Ordens siehe auch, wo sie den Mönchen als Meditationshilfe dienten, eher Vorbild als Kultbild. In Tempelhallen reihten sie sich an den Seitenwänden links und rechts des Altars oder sie waren in eigenen Hallen aufgestellt. Sie wurden ihrer Herkunft gemäß oft als Inder dargestellt oder grotesk übersteigert, wobei ihnen nicht selten karikaturhafte Züge verliehen wurden, um die Individualität zu betonen, die sich mit einer starken Persönlichkeit verbindet.

Luohanfiguren aus dem „Kloster des Felsens der geistigen Kraft“ (Lingyan Si) Jinan, Shandong {#luohanfiguren-aus-dem-kloster-des-felsens-der-geistigen-kraft"-lingyan-si-jinan-shandong}

Vierzig annähernd lebensgroße Tonplastiken stellen die Ordensbrüder in lebhafter Disputation dar, was in ihren Mienen und Gesten anschaulich geschildert ist. . Jeder der Mönche ist in einer anderen Haltung dargestellt, nebeneinander sitzend auf einer langgestreckten Bank. Manche haben beide Füße auf dem Boden, andere haben ein Bein auf die Sitzfläche gelegt oder aufgestellt, das andere am Boden oder ein Bein über das andere Knie gelegt . Am vielfältigsten aber sind die Handhaltungen. Eine Hand mag auf dem Oberschenkel liegen, die andere erhoben. Einer argumentiert mit erhobenem Zeigefinger, die andere Hand hält das Gewand . Wieder andere haben beide Arme gehoben in heftiger Gestik oder zeigen mit dem Abstand beider Hände ein bestimmtes Maß .

Keine der Gesten gleicht der anderen. Die künstlerische Absicht ist auf höchste Lebendigkeit und Wirklichkeitsnähe ausgerichtet. Dem entspricht die Gewandbehandlung. In plastischen Rundungen verlaufen die Stoffbahnen der Flickengewänder, Kennzeichen von Armut und Askese. Doch die „Flicken“ bestehen aus schweren Brokaten, mit Blumen-, Wolken- oder anderen Ornamenten besticktem Gewebe in Abstufungen von Blau, Rot, Grün und Goldgelb. Die Tradition solcher Prachtgewänder reicht bis in die Sui-Zeit zurück. Doch während bislang die dekorative Farbigkeit im Vordergrund stand, um den erhöhten Rang dieser Gestalten hervorzuheben, tritt nun eine Charakterisierung des Materials hinzu, die dem Dargestellten höchstmögliche Realität verleihen soll. Die Schwere des Stoffes wird anschaulich in der wulstigen Faltenkurvatur, die über Schultern, Arme und Beine herabfällt. Zwar folgt der Faltenfluss der darunter befindlichen Gestalt, doch wird dem Stofflichen mehr Eigenständigkeit zugestanden als je zuvor.

Einen Höhepunkt erreichte die Skulptur der Epoche mit der Darstellung dieser mönchischen Gestalten in einigen wenigen erhaltenen Exemplaren, die zu den Gipfelleistungen der Keramik-Kunst zählen. Eine Gruppe überlebensgroßer Luohan-Skulpturen aus Yizhou (Yixian), Hebei, dem damaligen Herrschaftsgebiet der Liao und später der Jin, bestand aus mindestens acht Figuren, die heute in verschiedenen Museen der Welt verteilt sind. Wenn sich eine Stifterinschrift aus der Umgebung auf diese Werke bezieht, entstanden sie noch unter den Liao. Die Widmung stammt aus dem Jahr 1102 und nennt die Schenkung von sechzehn Luohan-Plastiken.

Ein Luohan aus Yizhou, Hebei

Wie alle bekannten Figuren der Gruppe ist der Luohan im Britischen Museum mit gekreuzt verschränkten Beinen sitzend dargestellt, im Meditationssitz (dhyanasana) . Ihm entsprechen die übereinander gelegten Hände mit den Innenflächen nach oben. Sie zeigen die Meditationsgeste (dhyana mudra = ding yin), allerdings in einer gelockerten Abwandlung, wobei die Handflächen etwas zum Körper gedreht sind. Der Schädel des Mönchs ist kahl geschoren. Tiefe innere Sammlung spricht aus dem jugendlichen Gesicht. Eine strenge Stirnfalte steht zwischen den Augenbrauen. Der Blick unter den gesenkten Lidern wirkt konzentriert. Der Nasenrücken ist schmal, die Nasenflügel sind leicht gebläht als atmen sie. Die geschwungenen Lippen sind geschlossen.

Das Mönchsgewand suggeriert die gleiche Stofflichkeit wie die Tücher der Bodhisattvas, doch ohne deren Üppigkeit. Die Falten sind auf das Notwendigste beschränkt, so wie von den sich deutlich abzeichnenden Körperformen vorgegeben. Zugleich erscheint das Gleichmaß ihrer Symmetrie vollkommen natürlich. Die Falten wiederholen sich nahezu spiegelbildlich an beiden Seiten. Diese symmetrische Anordnung vermittelt Ruhe und unterstreicht die bewegungslose Haltung des Meditierenden. Lediglich der Saum des Obergewandes unterbricht den symmetrischen Ablauf. Seine Faltenbahnen fallen in einem weiten Bogen von der linken Schulter herab während die rechte Schulter und der rechte Arm vom Untergewand umhüllt sind, dessen Saum senkrecht abfällt und die Brust frei lässt.

Auch im Aufbau der Figur herrscht Symmetrie vor. Der flache Sitz, dessen unregelmäßige Durchbrechungen eine Felsenplattform andeuten, bildet die Basis einer geradezu geometrisch aufgebauten Stufenpyramide, deren Schichtung bei ähnlichen Buddhabildnissen kosmischen Bedeutungsstufen gleichgesetzt werden. Eine entsprechende Symbolik ist für diese Figuren nicht belegt, jedoch auch nicht auszuschließen. Im Kompositionsaufbau folgen als nächste Stufen die flach aufliegenden Beine, die völlig vom Gewand verhüllt sind, die horizontale Schicht der Unterarme und Hände, der rechteckige, sich nach oben verjüngende Block des Oberkörpers und der Oberarme gekrönt vom Kopf als Spitze der Pyramide. Eine vertikale Mittelachse verfestigt diese Struktur. Sie führt von der Stirnfalte über den Nasenrücken hinab zur Brust und zu den Händen und über den Mittelstreifen des Gewandes zum mittleren Steg der Sitzplattform.

Höchste Lebendigkeit erhält die Gestalt durch die Dreifarbenglasur (san cai): gelbliches Inkarnat für die Hautpartien, dunkles Grün für das Untergewand, Gelb-Orange für die Mönchsrobe, die darüber getragen wurde als „Flickengewand“, Zeichen von Armut und Demut. Diese „Flicken“ erscheinen hier als grüne Doppelstreifen. Während sie über dem linken Arm diagonal verlaufen, sind sie an den Beinen senkrecht über die Faltenkurven gelegt, welche von Knie zu Knie reichen. Dadurch gewinnt der Bau der Skulptur eine weitere Betonung ihres festgefügten Charakters. Mit Hilfe dieser beschränkten Farbskala gelingt es den Keramikern, die vorherrschende Symmetrie der Modellierung zu überspielen und dadurch Farbe und plastische Form in ein spannungsvolles Gleichgewicht zu bringen: dem gelben Obergewand, das die Beine und die linke Seite des Oberkörpers überzieht, wird auf der rechten Seite und unterhalb der Brust das grüne Untergewand gegenüber gestellt.

Andere Luohan-Skulpturen aus Yizhou

Die übrigen bekannten Figuren der Gruppe sind Varianten des gleichen Grundmusters, allerdings von außerordentlicher Individualität. Tatsächlich könnte es sich um echte Porträts handeln. Ein jugendlicher Mönch der Nelson Gallery, Kansas City, ist in der gleichen Sitzhaltung gegeben wie die Londoner Skulptur, nur sind die Hände in der klassischen Meditationshaltung flach übereinander gelegt . Und natürlich unterscheiden sich auch die Züge des Luohan und die Anordnung seines Gewandes sowie die Kombinationen der Dreifarbenglasur.

Der junge Mönch des Universitätsmuseums, Philadelphia, hat den Blick nicht in Meditation gesenkt, sondern nachdenklich zur Seite gewendet und offenbar nach außen gerichtet . Die schwarzen Pupillen schauen mit geschärfter Aufmerksamkeit zwischen den schmalen Lidern hervor. Er hat den einfachen „Verschränkungssitz“ (paryankasana) inne, der rechte Fuß schaut unter dem Gewand hervor und liegt locker auf der Sitzfläche. Die rechte Hand hält den Saum des Obergewandes, die linke liegt geschlossen im Schoß. Die gesamte Haltung vermittelt den Eindruck aufmerksamen Lauschens.

Eine volle Wendung des Kopfs und des Blicks zur Seite vollzieht ein Luohan des Metropolitan Museums, New York . Sein Gesichtstypus ist nicht chinesisch, sein Ausdruck ruhig und gesammelt. Der große Kopf lässt die Gestalt schmächtig erscheinen. Die rechte Brust und die Schulter liegen frei. Der Mönch ist im Begriff, einen Gewandzipfel darüber zu werfen, den er in der Rechten hält, während er mit der Linken das Obergewand anhebt. Sein unbedeckter rechter Fuß liegt auf dem linken Knie, die Sohle nach oben gerichtet. Der Mönch ist dabei, die Sitzhaltung der Meditation einzunehmen, auf die er sich offenbar vorbereitet, eine Haltung, die auch „Lotossitz“ (padmasana = lian hua ze) genannt wird. Die erhobenen Hände bieten Anlass für ein bewegteres Faltenspiel, ohne die innere Ruhe der Gestalt zu stören.

Ein bejahrter Luohan des Metropolitan Museums zeigt die gleiche pyramidenförmige Struktur wie die meditierenden Mönche . Die asymmetrische Unterbrechung des symmetrischen Aufbaus besteht hier nicht nur aus dem von den Schultern schräg abfallenden Umhang, sondern auch in der Position der Hände. Die abgewinkelte Rechte fasst den Saum des Umhangs, die Linke ruht auf dem Oberschenkel und hält eine Sutrarolle: ein Lehrer bei der Auslegung des heiligen Textes. Der nach unten gerichtete Blick scheint sich fest auf einen imaginären Punkt zu konzentrieren, so als meditiere der Luohan über den Inhalt der Rolle. Das Antlitz ist zerfurcht, der Hals faltig - Details, welche die Wirklichkeitsnähe der Gestalt hervorheben. Ein verhaltenes Lächeln scheint sich um den Mund anzudeuten, doch ändert sich der Ausdruck je nach Lichteinfall und Standpunkt des Betrachters.

Die Schöpfer der Bodhisattvas setzten alle Mittel ein, um einem Wesen Realität und Lebenswärme zu verleihen, das zwar durch die Tradition vorgegeben war, das sie jedoch mit dem „geistigen Auge“ schauten und aus ihrer Vorstellung neu bildeten. Die Meister der Luo-han-Skulpturen nutzten die realistischen Mittel, um der individuellen Psyche wirklicher Menschen Ausdruck zu geben, deren Gemeinsamkeit in einer Geisteshaltung bestand, die auf das Transzendentale gerichtet war. Der Luohan strebt eine nicht beschreibbare Existenzebene an, der Bodhisattva tritt daraus hervor. Beide Motive, inhaltlich einander entgegengesetzt, sind mit den gleichen künstlerischen Mitteln gestaltet. Sie begegnen sich im Jenseitsbezug.

Die beiden Themenkreise besitzen eine weitere Übereinstimmung. Wie der Versuch, überirdische Wesen in menschliche Nähe zu rücken, nur gelingen konnte ohne distanzierende Monumentalität, ebenso schließt Wirklichkeitsnähe Monumentalität aus. Der realistisch schaffende Künstler sucht stets die Nähe seines Objekts. So auch hier: Gesichtszüge, Körperbau, Gewand- und Hautfalten - alles ist dem Leben abgeschaut und zeigt die Zufälligkeiten der Natur. Sie erscheinen in der porträthaften Gesichtsbildung, in den Unterschieden von Haltung und Gestik, im Ausdruck der Gesichter, in denen sich auf individuelle Weise inneres Leben spiegelt: angespannter Wille und tiefer Ernst bei den jungen Mönchen, heitere Abgeklärtheit bei den alten. Allen gemeinsam ist die Durchdrungenheit vom Geist der Askese.

Um die Erleuchtungsgewissheit dieser Männer zu verdeutlichen, haben sich die Künstler einen idealisierenden Zug gestattet, der indessen vollkommen natürlich wirkt: alle Ohren sind überlang, ein Erleuchtungszeichen wie es auch Buddhas und Bodhisattvas aufweisen. Trotz dieser Abweichung vom Naturvorbild übertrifft der Realismus dieser Köpfe alles bis dahin Geschaffene, auch den römischer Porträts. Plastische Gestaltung und farbige Fassung wirken in einer unauflöslichen Einheit zusammen, um diese niemals übertroffene Naturnähe zu erreichen.

Eine Reihe von Luohan-Köpfen ist auch in Trockenlack erhalten, davon einige besonders markante Beispiele in der Nelson Gallery, Kansas City und im Museum of Fine Art, Boston . In dieser Technik wird über einem Tonkern ein Leinengewebe mit Lack getränkt und nach dem Trocknen bemalt. Das Ergebnis ist von geradezu schockierendem Naturalismus: man glaubt, einen echten Menschenkopf vor sich zu haben.