Höhlentempel
Wie alle Mächte, die Nord-China beherrschten, suchten auch die Nord-Wei die Verbindungsstraßen nach Zentralasien und Indien unter ihre Kontrolle zu bringen. 439 gelang ihnen die Eroberung eines kleinen Königreiches in West-Gansu. Die chinesische Dynastie der Nördlichen Liang hatte hier das Erbe der Han inmitten von Barbaren-Reichen aufrecht erhalten können. Wie alle Kleinstaaten entlang der Seidenstraße war auch dieser dem Buddhismus verbunden.
Die Kulthöhlen von Dunhuang
366 n. Chr. hatten die Liang begonnen, Höhlentempel aus einem Felshang meißeln zu lassen nach der Vision eines Mönchs, dem tausend Buddhas erschienen waren: die Kulthöhlen von Dunhuang, die Mogao-Grotten oder „die 1000-Buddha-Höhlen“ (Qian Fo Dong). Man folgte darin indischem Vorbild. In Indien ließen sich Eremiten in natürlichen Höhlen nieder, welche durch Stiftungen allmählich zu reich dekorierten Klöstern ausgestaltet wurden .
Die Nord-Wei ließen die Arbeiten fortsetzen, ebenso spätere Dynastien. Man zählt heute noch 492 Grotten in fünf Geschossen übereinander, verbunden durch hölzerne Treppen, Galerien und Veranden. Bereits zur Tang-Zeit waren es über tausend .
Die Höhlengruppe ist von überragender Bedeutung für die Kunst- und Kulturgeschichte Chinas. Denn sie bietet nicht allein die frühesten Zeugnisse eines eigenständigen buddhistisch-chinesischen Stils, sondern weist alle Phasen der Kunstentwicklung auf, über die klassische Tang-Zeit (7.-10. Jhd.) , bis hin zur mongolischen Dynastie der Yuan (13.-14. Jhd.) Und zwar nicht nur in den etwa 2.500 Skulpturen und einer Fülle von Wandmalereien, die 45.000 qm Fläche bedecken und die, durch das trockene Klima bewahrt, in diesem Ausmaß nirgendwo sonst in China versammelt sind, sondern darüber hinaus gab Dunhuang noch einen Schatz frei, der nicht hoch genug bewertet werden kann: über 50.000 Schriftrollen, Kleinbronzen, Gemälde und Zeichnungen auf Seide und Papier, welche die nicht architekturgebundene Malerei auf Rollbildern dokumentiert, die aus den Epochen bis zur Song-Zeit (10.-13. Jh.) größtenteils verloren sind . Unter den Funden aus einer vermauerten Kammer, die Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt wurde, befand sich einer der ältesten gedruckten Texte der Welt aus dem Jahre 868 siehe auch.
Die Schriften zeigen welch bedeutende Rolle Dunhuang in wirtschaftlicher und geistiger Hinsicht gespielt haben muss. Seine Lage an der Verzweigung der Seidenstraße in eine Nord- und eine Südroute machte es zu einem Sammelpunkt von Warenströmen, denn faktisch alle Handelskarawanen in östlicher wie in westlicher Richtung mussten Dunhuang passieren. Man fand Kaufverträge und Pfandbriefe. Die Ansammlung großer Vermögen, nicht zuletzt in den Klostergemeinschaften, erklärt die Pracht der Ausstattung und den Reichtum an Kultgegenständen.
Aber auch die geistigen Strömungen dieser Jahrhunderte fanden ihren Niederschlag. Die Handschriften behandeln historische, geographische, astrologische und medizinische Themen, besonders aber religiöse: manichäische, nestorianische und in erster Linie buddhistische. Wie die aus dem Westen stammenden Religionen weisen auch die Sprachen darauf hin, dass hier Inder und Zentralasiaten tätig waren. Neben Chinesisch fanden sich Manuskripte in Sanskrit, Sogdisch, Tocharisch, Uigurisch und Tibetisch. Vertreter dieser Völkerschaften erscheinen auch in den Wandgemälden.
Architektonisch sind die Höhlen von recht einfachem Zuschnitt, da das weiche Sandgestein keine komplizierte Ausarbeitung zuließ. Aus den gleichen Gründen handelt es sich bei den Kultplastiken um Stuck- oder Tonarbeiten, die um einen festen Kern aufgebaut sind. Zwei von ihnen, Buddhas der Tang-Dynastie, ragen über mehrere Stockwerke 26 bzw. 33 Meter empor . Ein liegender Koloss von 15 Meter Länge stellt Buddhas Eingang ins Nirvana dar . Da die Figuren Dunhuangs nicht ausgemeißelt, sondern modelliert sind, erzielten die Künstler eine hohe Verfeinerung im Detail.
Die meisten Höhlen bestehen aus einer Vorhalle und einem rechteckigen Kultraum mit einer pyramidenförmig ansteigenden Decke, die in einer quadratischen „Laterne“ endet . Einige Kulträume besitzen einen Zentralpfeiler zur rituellen Umwandlung , der zumeist reichen Skulpturenschmuck aufweist. Manche Höhlen machen den Eindruck, als sei hier stark vereinfacht das chinesische Walmdachhaus im Negativ nachgebildet. An der Rückwand befindet sich meist eine Nische oder ein Sockel mit Kultplastiken .
Was an architektonischer Gliederung fehlt, leistet die Malerei, die Decken und Wände mit einem dichten Gewebe von starkfarbigen Ornamenten und Figurendarstellungen überzieht, ebenso wie sie den Skulpturen Lebendigkeit verleiht.
Die Maler benutzten Pflanzen- und Erdfarben, die sie mit Bindemitteln auf den getrockneten Kalkputz auftrugen.
Die dekorativen Elemente dieser Malerei ahmen Holzkonstruktionen nach oder unterteilen die Flächen in Felder, auf welchen die buddhistische Heilsgeschichte erzählt wird. Dazu wurden geometrische und pflanzliche Muster benutzt, die besonders in der Frühzeit noch iranischen und hellenistischen Einfluss zeigen. Ebenso tragen die erzählenden Partien in den älteren Höhlen neben einer starken indischen Prägung den Stempel einer iranisierenden Malweise: Betonung der Flächigkeit, das Fehlen einer hervorgehobenen Umrisslinie mit einem eigenen Rhythmus, wie sie bereits die Han entwickelt hatten. Die summarische Andeutung von Bergen und Bäumen ist die frühste authentische Landschaftsdarstellung in der chinesischen Malerei und . Chinesisch sind auch die silhouettenhaften Umschreibungen von Menschen-, Tier- und vor allem Pferdegestalten, ähnlich den Han-Reliefs und -Malereien. Ebenso die Schrägstellung von Gebäuden, um eine überschaubare Raumandeutung zu erzeugen, jedoch ohne Tiefenwirkung siehe auch , und nicht zuletzt die frische Unmittelbarkeit, mit der das alles scheinbar hingeschrieben ist.
Das inhaltliche Programm betrifft Jatakas, das sind beispielhafte Begebenheiten aus den früheren Existenzen des Buddha. Buddha-Welten und -Paradiese, in deren Mitte, umgeben von den Gestalten des buddhistischen Pantheons, der jeweilige Erleuchtete dieser Himmelswelt thront; Himmelswesen und die Wundererscheinungen der Tausend Buddhas, Illustrationen der großen Sutras des Mahayana.
Verwoben in diese religiösen Themen sind Darstellungen des Volkslebens, wie ländliche Szenen, Bauern, Handwerker oder Bootsleute bei der Arbeit, Pilger, Karawanen, Jagden, Schlachten, Mönche, Heilige, Könige mit Gefolge. Stifterbildnisse, Hochzeitsszenen, Musik, Tanz und Architektur runden ein Bild ab, welches uns einen Eindruck vermittelt von den sozialen und kulturellen Gegebenheiten der Zeit.