Grabarchitektur

Die Umformung des gewohnten Lebensraums eines Verstorbenen in eine Behausung für das Jenseits erfordert die Verschmelzung von Innenraum und Außenansicht eines Gebäudes. In einer unterirdischen Anlage sind naturgemäß die Außenwände nicht sichtbar, es sei denn, man errichtet ein freistehendes Gebäude in einem ausgehöhlten Raum. Diese Lösung hat die chinesische Grabarchitektur jedoch nicht weiter verfolgt. Ein Ansatz dazu fand sich im Grab des Han-Prinzen Liu Sheng siehe auch, wo in einer unterirdischen Halle ein seidenbespannter Baldachin mit Pfosten und Dach als Entsprechung eines oberirdischen Palastes aufgebaut war. Wenn also eine Abfolge unterirdischer Räume zu schaffen war, wie sie seit der Han-Zeit zur Tradition geworden war, musste die Außengestalt eines Gebäude auch im Innenraum in Erscheinung treten, wollte man dem Toten eine Umgebung schaffen, die sich seinem häuslichen Umfeld zu Lebzeiten annäherte.

Die Grabbaumeister der Fünf Dynastien-Zeit konnten sich auf diese Tradition stützen. Gleichwohl entstanden neue Varianten der Raumgestaltung, abgeleitet aus überlieferten Strukturen und zeitgenössischer Architektur. Im Machtbereich der Südlichen Tang-Dynastie (937-975) war das Erbe der Tang-Epoche noch unmittelbar wirksam. Jedoch besaßen die Herrscher bei weitem nicht die Machtfülle und die Mittel, um so gewaltige Grabstätten errichten zu lassen wie die Tang-Kaiser.

Gräber der Südlichen Tang in Jiangsu

Die Gräber des Dynastie-Gründers Li Bian und seines Sohnes Li Jing bei Jiangningxian, Provinz Jiangsu, südlich von Nanking, haben demzufolge relativ bescheidene Ausmaße: sie sind etwas über 25 Meter lang, der Grabhügel darüber ist jeweils ca. 5 Meter hoch mit einem Durchmesser von ca. 30 Metern. Nicht nur in ihren Dimensionen, sondern auch in ihrer architektonischen Abfolge stimmen die Anlagen bis auf wenige Abweichungen überein. Nach dem Eingangsportal, zu dem eine Rampe hinabführte, folgen zwei Vorkammern und der Sargraum. Von den Vorkammern zweigt auf jeder Seite ein Nebenraum ab. Der Sargraum hat im Li Bian-Grab auf jeder Seite drei Nebenkammern, im Grab des Li Jing sind es zwei. Wie in den Prinzengräbern der Tang siehe auch waren in sämtlichen Seitenkammern Grabbeigaben aufgestellt. In der Mitte der Rückwand beider Sargkammern ist eine Nische eingelassen, vor welcher das Sargpodest aufgemauert ist. Das Kopfende reicht in die Nische hinein .

Die Gräber sind aus Ziegelsteinen errichtet. Bereits in der späteren Han-Zeit wurden die alten Holzkammergräber allmählich abgelöst von unterirdischen Ziegelkonstruktionen. In der Wohn- und Palastarchitektur wurden Ziegel allenfalls für Wandfüllungen zwischen dem Holzfachwerk eingesetzt. Reine Ziegel- oder Steinkonstruktionen blieben dem Brückenbau, Festungsmauern, Toren und Türmen vorbehalten - zumindest seit der Sui- und der Tang-Zeit - und besonders den Pagoden. Baute man die Wohnungen der Lebenden aus vergänglichem Material, so gebührte den Toten eine ewige Wohnstatt, die aus haltbarem Material errichtet werden musste und deren statische Beschaffenheit dem Druck der Erdmassen standhielt. Dies erreichte man durch massiges Mauerwerk und echte Wölbungen. Alle Kammern der Li-Gräber sind so eingewölbt bis auf den Sargraum des Li Bian, zu dessen flacher Decke ein Kraggewölbe ansteigt. Die Ziegelsteinreihen sind in Richtung der Längsachse des Grabes verlegt. Auf diese Weise erreichte man optisch eine größere Raumtiefe, als sie die quadratische Kammer tatsächlich besitzt. Die Decke ist mit Sternbildern, Sonne und Mond bemalt. Entlang den purpurroten Wänden verlaufen weiß grundierte Pfeilerreihen, die z. T. mit dekorativen Mustern bemalt sind. Oberhalb der Türen zu den Nebenräumen verbindet ein Horizontalbalken die Halbsäulen. Die Pfeilerköpfe tragen dreiarmige Konsolen ähnlich einem dreiarmigen Leuchter. Sie stützen einen zweiten Querbalken, auf dem in der Freiarchitektur das Dach ruht. In den Interkolumnien ruhen oberhalb der Türen dreiarmige Konsolenkapitelle vom gleichen Typus auf dem unteren Horizontalbalken und stützen den oberen. Wandgliederung und Konsolensystem entsprechen denen der Tang-Architektur, so wie sie sich wesentlich in der Außenansicht darbot. Zwar wurde das gleiche System auch im Innenraum des Hallenbaus angewandt, jedoch war es durch die Inneneinrichtung zumeist verstellt, dadurch verunklart und nur ungenügend sichtbar.

Die Innenwandgliederung der Gräber erscheint also als Nachahmung der Außenfassade eines oberirdischen Gebäudes: Außenraum und Innenraum sind so zur Einheit gebracht.

Der in der Ziegelbauweise hauptsächlich angewandte Rundbogen, der die Oberschwelle überflüssig macht und zugleich größere statische Haltbarkeit garantiert, herrscht auch hier vor: außer in der Grabkammer des Li Bian, wo die Kragsteintechnik auch in den Türöffnungen benutzt wurde, sind alle Durchgänge in Rundbögen ausgeführt. Während die Zugänge zu den Nebenkammern zwischen den Pfeilern und unterhalb der Horizontalbalken so angeordnet sind, dass Ziegel- und Holzbauweise miteinander harmonieren, geraten die beiden Konstruktionstechniken an den Hauptportalen in Konflikt: die großen Torbögen durchbrechen den Horizontalbalken - Gewölbetechnik gegen Gerüstbau - was dessen allein optische Funktion als Blendarchitektur in den Gräbern kenntlich macht.

Die Hauptportale beider Gräber schließen die Raumflucht der hintereinander liegenden Kammern nach außen ab. Dieser Funktion entsprechend sind sie als Außenfassaden behandelt: die Torbögen sind flankiert von konsolengekrönten Pfeilern, die von den Bögen durchbrochenen Horizontalbalken tragen dreiarmige Konsolen, welche das Vordach stützen.

Die Türfront zur Grabkammer des Li Bian wird nicht von architektonischen Elementen bestimmt, sondern von skulpturalen. Auf dem Türsturz, der die gesamte Breite der Vorkammer einnimmt, schlägt von jeder Seite das Relief einer Chimäre mit ausgestreckten Krallen nach einer flammenden Glücksperle . Es sind Mischgestalten aus Felidenleib und Drachenkopf, Schutzwesen in der Tradition der dämonenabwehrenden Grabwächtertiere in den Tang-Gräbern. Der Abwehr böser Mächte dienen auch die lebensgroßen Figuren links und rechts der Eingangstür, gerüstete Krieger, die sich auf ein Langschwert stützen . In ihrer ruhigen Haltung und mit ihren pausbäckigen Gesichtern erscheinen sie harmlos im Vergleich zu den furchteinflößenden, wutschnaubenden Wächtern der Tang-Perode.

Dass die unterirdische Architektur andere Formen annahm als die freistehende, lässt sich bereits in der späteren Han-Zeit erkennen, als man aus den einfachen Grabkammern der Frühzeit Grabgebäude mit Tonnengewölben und Rundbögen aus Ziegeln entwickelt hatte. Ausgezeichnete Beispiele dieser Art sind die beiden Gräber von Wangdu, Hebei siehe auch. Während noch die Kammern und Vorhallen der Tang-Prinzengräber wie die von Qian Xian siehe auch architektonisch von relativ einfachem Zuschnitt waren, zeichnen sich die Gräber der Song-Periode durch differenzierte architektonische Gliederung aus und durch erhöhtes dekoratives Raffinement. Und zwar gilt dies nicht nur für Fürstengräber, sondern auch für bürgerliche Gräber, etwa von begüterten Kaufleuten oder Beamten. Nichts was an oberirdischen Gebäuden errichtet wurde gleicht dieser Grabarchitektur. Nur die Details schließen sich an die im Wohn- und Palastbau üblichen Konstruktions- oder Schmuckelemente an.

Gräber der Nördlichen Song in Henan und Hebei

Drei Song-Gräber, die in der Nähe von Baisha, Henan, gefunden wurden, vermitteln ein anschauliches Bild dieser Bauweise und darüber hinaus vom Leben und der Ausstattung eines großbürgerlichen Haushaltes. Sie stammen aus dem Ende des 11. und dem Anfang des 12. Jahrhunderts.

Das aufwendigste ist das Grab Nr. 1 von ca. 13 Meter Länge. Eine steile Treppe führt in den Grabhügel hinab und endet vor einem Portal. Das leicht durchhängende Vordach ist mit Ziegeln gedeckt. darunter sind die Kopfenden von Dachsparren aufgereiht. Jeweils drei dreiarmige Konsolen sind in zwei Reihen übereinander geordnet. Auch die vorstehenden Enden von Hebelarmen (ang) sind exakt ausgeführt. Die untere Konsolenreihe ruht auf einer Oberschwelle, die auf zwei Wandpfeilern aufliegt. Die Tür sitzt in einem dreistufig zurückgesetzten Rahmen. Die Flügel sind nach innen geöffnet. Sie sind an den Seitenwänden eines schmalen Korridors als Relief abgebildet, mit Nägeln beschlagen und mit Türringen versehen. Diese einzige Außenfassade des Grabes ist die getreue Nachbildung einer Holzkonstruktion und zwar der Breitseite eines Wohnhauses, wobei lediglich der Eingangsbereich als Ausschnitt dargestellt ist .

Im Inneren öffnet sich der kleine Korridor zu einer Vorhalle. Über der umlaufenden doppelten Konsolenreihe vom Typus der Außenfront verjüngen sich vorkragende Ziegelreihen stufenweise zu einer Kuppeldecke im vorderen Teil der Halle und zu einer etwas niedrigeren langgestreckten Decke im hinteren Teil. Dies verleiht der Vorhalle den Eindruck einer kleinen Kapelle mit Turm und Langhaus . Die senkrechten Wände unterhalb der Konsolen sind von Wandpfeilern gegliedert, die den Querbalken tragen, auf dem die Konsolen ruhen. In die Wandfüllungen zwischen den Pfeilern sind im Schmalteil zwei gegenüberliegende Scheinfenster mit Gitterstäben eingelassen, im vorderen Teil der Halle befinden sich zwei Wandbilder, welche die gesamte Fläche zwischen den Pfeilern füllen. Links vom Eingang sind ein Mann und eine Frau dargestellt . Sie sind zusätzlich als Relief hervorgehoben, was sie als die Bewohner und Eigentümer des Grabes kennzeichnet. Sie sitzen an einem gedeckten Tisch. Vier Dienstboten warten ihnen auf. An der gegenüberliegenden Wand musiziert ein Orchester aus elf Musikern . Wächterfiguren und anderes Hauspersonal besetzen die übrigen Wände. Auf ihnen ist nirgends eine Leerfläche zu finden: alles ist über und über mit dekorativen Mustern in lebhaften Farben überzogen, geometrischen wie vegetativen.

Der sechseckige Grundriss der Grabkammer und ihre aus sechs dreieckigen Zwickeln aufgebaute Kuppel weisen deutlich auf ihre Herkunft vom Holzbau hin . Sie ist noch reicher geschmückt als die Kuppel der Vorkammer. Außer der unteren Konsolenabfolge, welche der des Vorraums entspricht, findet sich hier neben weiterem Dekor eine Doppelreihe kleinerer Konsolen, die weiter oben die vorkragende Ziegeldecke scheinbar stützen. Es ist die konstruktive Entsprechung der meist achteckigen Holzkuppeln, wie wir sie aus zeitgenössischen Tempelbauten kennen und die gewöhnlich ein Standbild überwölben. Gegenüber der Vorhalle liegt die Grabkammer etwas erhöht, wodurch sie an einen Thronsaal erinnert. Die Wandgliederung und die dekorativen Elemente sind ebenso reich wie die des Vorraums. Auf einer Wandmalerei ist die Hausherrin dargestellt, die vor einem Spiegel Toilette macht, umgeben von ihren Dienerinnen. Haushaltsgegenstände, Gefäße, Schmuck und Waffen sind auf den Bildern genau festgehalten. In die hintere Wand der Grabkammer ist eine Tür eingelassen. Ein geraffter Vorhang ist über der Tür und an den Seiten auf die Wand gemalt. Aus dem Türsturz ragen Balkenenden hervor, die mit Reliefs floraler Motive geschmückt sind. Ein Flügel ist halb geöffnet. Aus dem Türspalt lugt scheu eine junge Bediente hervor . Sie ist vollplastisch und lebendig gegeben, obwohl nur ein schmaler Spalt ihre Gestalt sichtbar lässt.

Dieses Motiv einer halbgeöffneten Tür, aus der eine Figur herausschaut, meistens eine weibliche, findet sich in einigen Gräbern auch der Liao-, Jin- und Yuan-Zeit. Die Position dieser Tür am Kopfende der Grabkammer mag darauf hinweisen, dass dahinter eine jenseitige Welt gedacht wurde, in welche die verstorbene Person eintreten wird, erwartet von Bedienten.

Die beiden anderen Gräber bestehen nur aus dem Portal und der sechseckigen Grabkammer. Nicht ganz so reich ausgestaltet wie das Grab Nr. 1 zeigen sie die gleiche architektonische Konzeption.

Stilistisch verwandt mit diesen Grabstätten ist eine Gruppe von Song-Gräbern aus dem 12. Jahrhundert bei Jingxingxian, Hebei. Architektonisch sind sie weniger anspruchsvoll gegliedert, alle sind jedoch mit reichem Dekor und Wandmalereien versehen. Das Grab Nr. 6 besitzt ein prachtvolles Portal, dessen Front turmartig wirkt. Zwar sind hier noch die Elemente einer Hausfront erkennbar in angedeuteten Sparrenenden und Konsolen, doch sind diese Bauteile in ein dekoratives Muster verwandelt, das im Zusammenklang mit anderem Schmuckwerk - stilisierten Wolken, floralen Ornamenten - einen eigenständigen Charakter annimmt. Die Horizontalbalken haben kaum noch zum Schein konstruktive Funktion, sondern sind Träger geometrischer Muster oder von Ziernägelköpfen geworden. Die Fassade ist über dem annähernd spitzbogigen Zugang hochgezogen, so dass eine große Freifläche entsteht, die mit zwei Reihen von Ziernäglen geschmückt ist. Dieses Feld ist von einem breiten Schmuckrahmen begrenzt, in dessen beiden oberen Ecken zwei gegenständige Ungeheuerköpfe im Profil angebracht sind. Auch diese sind in reines Ornament verwandelt. Die gesamte Portalfront ist an beiden Seiten geböscht, was die aufwärtssteigende Tendenz der Fassade betont und den turmartigen Charakter hervorruft. Das Grabportal hat sich hier von der reinen Imitation einer Hausfassade emanzipiert. .

Dahinter liegt ein verengter, kurzer Korridor, auf den die quadratische Grabkammer folgt. Der Boden ist an den Seitenwänden und an der Rückwand erhöht, sodass ein umlaufendes Podest entsteht. Die Wände sind leicht geböscht, die Wandpfeiler, welche die Ecken besetzen, sind entsprechend nach innen geneigt. Die üblichen Querbalken mit den auf ihnen ruhenden Scheinkonsolen sind mit Blumenmustern und geometrischem Ornament reich bemalt, wie auch die Fläche zwischen den Konsolen. Über den scheinbaren Sparrenenden steigt die Decke zu einer vierseitigen Kuppel an, die oben quadratisch abgeflacht ist. Sie ist vollständig mit Sternbildern bemalt.

Auf drei Wänden ist ländliches und häusliches Leben abgebildet. Die Eingangswand zeigt zwei Hirten mit einer Kuh- und einer Schafherde. Auf der rechten Seitenwand sind Dienerinnen bei der Hausarbeit dargestellt: Wäsche trocknet auf einer Stange, darunter sitzt eine Figur vor einem Gefäß, von einer Frau wird ein Gefäß in einen Schrank gestellt, drei Gehilfinnen breiten ein Tuch aus, von rechts kommt eine Wasserträgerin herbei. Auf der ersten Hälfte der linken Seitenwand findet ein Gastmahl im Freien statt. Drei Figuren und ein aufwartender Diener unter einem Baum sind noch erkennbar. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches ist nur noch der Stuhl erhalten. Ein Gitterfenster nimmt den hinteren Teil der Wand ein.

In die Rückwand ist eine reich ornamentierte Scheintür eingelassen, über die ein aufgerollter Vorhang gemalt ist. Dass diese Tür ins Freie führen soll, zeigen die beiden Fenster links und rechts der Tür. Sie ist der Eingang zu einem unterirdischen Totenreich . Zwar fehlt hier die Gestalt in der Tür, wie auch in anderen Song Gräbern der Epoche , doch weisen Fenster und Tür auf die gleiche Bedeutung hin.

Von ähnlichem Zuschnitt und gleichfalls mit reicher Bemalung ist ein Steingrab der Song-Dynastie, das in Yiyang, Henan ausgegraben wurde , sowie ein Grab in Tengfeng, wo neben Szenen mit den Personen des Haushalts an der Rückwand eine Tür dargestellt ist, die nur ein Spalt geöffnet ist und aus der die Gestalt einer Dienerin zur Hälfte erscheint, welche in die Grabkammer hinein schaut als erwarte sie ihre Herrschaften in einem unbekannten Bereich jenseits der Tür .