Bambusmaler
Li Kan
Zu den bedeutenden Malern der ersten Generation unter den Yuan gehörte Li Kan (1245-1320), der wie Zhao Mengfu noch das Ende der Song bewusst erlebte. Geboren bei Peking, das damals schon unter mongolischer Herrschaft stand, trat er in den Staatsdienst und erreichte höchste Positionen: Chef der Zivilverwaltung und Geheimer Staatsrat unter Kaiser Renzong (Reg. 1312-1320). Er ließ sich frühzeitig entlassen, um sich ganz seinen Interessen und Studien zu widmen, allen voran der Bambusmalerei.
Schon im 11. Jahrhundert war das Sujet zu einem der wichtigsten in der Literatenmalerei geworden, einmal wegen seiner Symbolik - man setzte die Eigenschaften des Bambus mit denen eines Mannes von Geistesadel gleich - und dann wegen seiner Nähe zur Kalligraphie, der am höchsten geschätzten Kunstübung des Gebildeten. In der Yuan Zeit erlebte die Bambusmalerei eine glänzende Renaissance. Seit der Nord-Song Epoche hatte es keine Bambusmaler von Bedeutung gegeben. Nun traten eine Reihe von Meistern des Faches auf; gut die Hälfte aller bekannten Maler befassten sich mit dem Thema. Bambusmalerei wurde so etwas wie ein Synonym für Gelehrtenkunst. Und wie in der Song-Zeit waren es wesentlich zwei Impulse, welche den Ausschlag für diese Entwicklung gaben: die gewachsene Bedeutung des Kalligraphischen in der Malerei allgemein, als Ausdruck der Persönlichkeit - nicht zuletzt unter dem Einfluss Zhao Mengfus - und in verstärktem Maße die Symbolsprache des Bambus, welche die Möglichkeit bot, die eigene Anschauung verschlüsselt zum Ausdruck zu bringen. Hatte sich die Literatenmalerei im 11. und 12. Jahrhundert in Opposition zur Kaiserlichen Akademie entwickelt siehe auch, - und mit ihr die Bambusmalerei - formulierte diese nun den geistigen Widerstand gegen die Fremdherrschaft und die Hoffnung auf jene aufrechte Haltung des Bambus, die er wieder einnimmt, wenn er vom Druck und der Last fremder Gewalten befreit ist siehe auch.
Von Jugend an war Li Kan von den Ausdrucksmöglichkeiten des Genres fasziniert und er suchte in Praxis und Theorie seine Fähigkeiten und Kenntnisse darin zu vervollkommnen. Er tat dies so gründlich, dass er zum einflussreichsten Spezialisten des „Tuschebambus“ (mo zhu) der Yuan Zeit wurde und noch weit darüber hinaus. Auf seinen Dienstreisen suchte er jede Gelegenheit, ältere Werke zu sehen und wenn möglich zu erwerben. Darüber hinaus studierte er auf diesen Reisen alle Arten des Bambus, die in China vorkamen und die Indochinas, das er in diplomatischer Mission besuchte. Dabei analysierte und verglich er die verschiedenen Varianten bis er nach seinen eigenen Worten nicht mehr unterschied zwischen sich selbst und dem Bambus. Er tat dies, da er sich nicht darauf verlassen wollte, was über den Bambus geschrieben wurde. Aus diesen Studien entstand sein Lehrbuch über den Bambus und die Bambusmalerei: „Zhupu xianglu“ (Ausführliche Abhandlung über den Bambus). Er fasst darin zusammen, was über die Bambusmalerei bekannt war und beruft sich besonders auf Su Dongpo und Wen Tong siehe auch. Er beschreibt die verschiedenen Stilarten der Bambusmalerei, die in Farbe, wie den eigentlichen Tuschebambus bis hin zu den kleinsten technischen Details, die er mit eigenen Zeichnungen illustrierte. Die Regeln, die er in dem Traktat aufstellt und ohne die seiner Meinung nach der Studierende sein Ziel nicht erreichen könne, hatten tiefgreifenden Einfluss auf die gesamte spätere Bambusmalerei. In ihnen manifestiert sich die Neigung des chinesischen Geistes zur Systematisierung. Dennoch waren für Li Kan diese Regeln lediglich Grundlagen, wenn auch unabdingbare. Nur wer sich an sie hielt, konnte über sie hinausgelangen. Bei schwächeren Talenten mussten sie zu Manieriertheit führen.
Erst in späten Jahren bekam Li Kan ein Original von Wen Tong zu Gesicht. Von da an folgte er dessen Stil des Tuschebambus und suchte seine Vollkommenheit zu erreichen.
Bambus
Eines der seltenen Beispiele seiner Kunst ist eine Querrolle, deren eine Hälfte sich in Peking befindet, die andere in der Nelson Gallery, Kansas City. Von den beigefügten Kolophonen stammt einer von dem Maler selbst, datiert 1307, ein anderer von Zhao Mengfu, datiert 1308. Das Fragment in Kansas City zeigt zwei Staudengruppen und einen einzelnen Bambusstengel, in bravouröser Technik gemalt. Zweige und Blätter der Stauden laden asymmetrisch und dennoch vollkommen ausbalanciert nach beiden Seiten aus. Oben und unten sind sie vom Bildrand angeschnitten. Der Gegensatz zwischen der aufsteigenden Tendenz der Gewächse und dem schmalen Querformat erzeugt eine harmonische Spannung, die Ruhe zum Ergebnis hat, die Ruhe eines windstillen Tages. Das Erstaunlichste aber ist die klare optische Trennung der einzelnen Pflanzen voneinander, obwohl sie in einem Busch wachsen: er setzt über die entfernter stehenden, in verschiedenen Gradationen lavierten Blätter und Bambusrohre, tiefschwarze Blattsilhouetten und Stengel, ohne dass eine Wirkung von Wirrnis entsteht, sondern gerade dadurch eine überschaubare Ordnung, Transparenz und eine gewisse Raumtiefe. Die dunstig lavierten Partien, die ja in nächster Nähe zum Vordergrund zu denken sind, evozieren überdies die Atmosphäre eines drückenden, feucht-heißen Klimas. All dies sind Mittel, die Wen Tong bereits angewendet hat. Bei Li Kan erscheinen sie noch deutlicher herausgearbeitet und schärfer kontrastiert. Vergleicht man diese Rolle mit der Wen Tongs in Taipei, so entsteht bei aller Wesensverwandtschaft der Eindruck größerer Perfektion bei Li Kan, jedoch spannungsvollerer Lebendigkeit bei Wen Tong.
Gu An
Der zweite bedeutende Bambusmaler der Yuan Zeit, der sich an klassischen Vorbildern der Tang und der Song orientierte, war Gu An (tätig in der ersten Hälfte des 13. Jhds.). Er stammte aus Yangzhou, Jiangsu. Auch er war Beamter und wurde 1333 zum Richter ernannt. Ist bei Li Kan die Symbolsprache des Bambus als „Widerstandskunst“ nicht eindeutig zu belegen - immerhin war er ein einflussreicher Vertreter der etablierten Macht - so interpretiert man gerne Gu Ans Bambusbilder als Symbole der Standhaftigkeit gegenüber den fremden Eroberern. Denn die meisten ihm zugeschriebenen Arbeiten, mit denen er berühmt wurde, stellen Bambus im Wind dar.
Bambus im Sturm
Musterbeispiele besitzt das National Palace Museum, Taipei: „Bambus im Sturm“ . Hinter einigen kräftig dunkel lavierten Steinen, zwischen denen einige Grasbüschel wachsen, steigen drei Bambusstauden in spannungsvoll gestrafften Kurven empor. Während auf Li Kans Querrolle die Stämme hinter dem Spiel von Blättern und Stengeln fast verschwinden, sind sie hier in ganzer Länge zu verfolgen. Ihr zielstrebiger Anstieg verkörpert geradezu das Wachstum der Pflanze: wie in Li Kans Lehrbuch beschrieben, sind die unteren Segmente stärker und kürzer, nach oben hin, mit der Verjüngung der Stämme, werden sie länger und machen so das beschleunigte Wachsen des Bambus anschaulich. Darüber hinaus gelingt es dem Maler, die Sturmböen optisch fassbar zu machen. Die Blätter sind von einer heftigen, flatternden Dynamik erfasst. Die, welche gegen die Sturmrichtung wachsen, biegen sich in spannungsgeladenen Bögen mit dem Wind. Die schlanken Bambusstangen aber, anstatt sich ebenfalls in Richtung des Windstroms zu beugen, stemmen sich ihm entgegen in zäher, biegsamer Elastizität.
Auch Gu An gelingt es, die Blattgruppen und Stauden optisch voneinander zu trennen durch verdünnte Lavierung der hinteren Partien. Seine Pinselführung ist dabei von äußerster Präzision. Trotz der starken Bewegtheit und Komplexität des Motivs bleibt die Ordnung des Ganzen durchschaubar, ohne dass seine Regelhaftigkeit die erlebte Lebendigkeit überspielt.
Wu Zhen
Mutet die Betrachtungsweise des Bambus bei Li Kan und Gu An noch so an, als sei von ihnen Objektivität angestrebt, so ist die Bambusmalerei des reifen Wu Zhen (1280-1354) erfüllt von subjektiver Schau und Poesie. Er wurde in Jiaxing, Zhejiang, geboren und lebte dort bis zu seinem Tod. Er verkörperte sozusagen das Ideal des Literatenmalers der Yuan Zeit: er lebte zurückgezogen in bescheidenen, ja wahrscheinlich ärmlichen Verhältnissen. Obwohl von weitläufiger Bildung, nahm er niemals ein Amt an, sondern fand sein Auskommen als Astrologe und Orakeldeuter nach der alten Lehre des Ijing. Seine Lebensweise entsprach seinen Anschauungen: Daoist aus tiefer Überzeugung, gab er sich den Beinamen (hao) „Pflaumenblüten-Daoist“ (Meihua daoren), mit welchem er auch signierte. Der Name weist daraufhin, dass in der Pflanzenmalerei seine Liebe neben dem Bambus auch der Pflaumenblüte gehörte. Dies sicherlich nicht nur wegen der künstlerischen Möglichkeiten des Tuschespiels, welche diese Motive bieten, sondern auch wegen ihrer vielschichtigen Bedeutungen siehe auch.
Erst mit neununddreißig Jahren soll er begonnen haben zu malen. Ebenso wie in seinen Landschaften siehe auch, worin er die gleiche Meisterschaft erreichen sollte wie in seinen Pflanzenbildern, folgte er zunächst den frühen Song-Meistern. In der Bambusmalerei waren es Wen Tong und Su Dongpo, denen er nacheiferte. Aber erst in hohem Alter scheint er jene Größe und Freiheit erreicht zu haben, deretwegen spätere Generationen ihn zu den „Großen Vier“ der Yuan Zeit zählten.
Aus jener späten Phase stammen einige Albumblätter und Rollen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von ihm stammen, denn außer der für ihn typischen freien Malweise tragen sie Inschriften in einer offenbar schnell geschriebenen Kursivschrift, die schwer zu imitieren ist und welche seinen ungebundenen, schwer entzifferbaren Schreibstil zeigt. Diese Arbeiten demonstrieren vollständige Unabhängigkeit von den ehemaligen Vorbildern. Aus dem unmittelbaren Niederschreiben der Empfindung, mit welcher das Naturwesen, der Bambuscharakter, intuitiv erfasst wird, erwächst ein spontaner Ausdruck und eine erstaunliche Lockerheit und Freiheit im Umgang mit dem geliebten Motiv: er nannte es ausdrücklich „Tuschespiel“, „mo xi“. Solche Bilder entstanden in einem Zustand unbewussten Schöpfens: „Wenn ich zu malen beginne, vergesse ich mich selbst; mit einem Mal weiß ich nicht mehr, dass ich einen Pinsel halte …“. Dieses meditative Sich-Loslassen rückt die Kunst des Daoisten Wu Zhen in Methode und Ergebnis in die Nähe der großen Chan Meister.
Bambussprossen
Ein Albumblatt des Britischen Museums, „Bambussprossen“, könnte vom Motiv her kaum bescheidener sein: aus einem scheinbar von Moos und Pilzen bewachsenen Stein (das Gegenständliche ist nur zu erahnen) wachsen einige Bambussprossen hervor . Allein Malweise und „Pinselkraft“ sind es, die dem kleinen Blatt seine Einmaligkeit verleihen, wobei die spannungsvoll gegliederte Leerfläche eine ebenso wichtige Rolle spielt wie die Tuschestriche und -flecken. Die asymmetrisch nach beiden Seiten ausschwingenden Blattgruppen sind jeweils nur mit einem Blatt vom Bildrand angeschnitten, was bereits hinreicht, die Komposition in das fast quadratische Bildformat einzuspannen, sodass sie nicht zufällig wirkt oder gar auseinanderfällt. Dem größeren Blattbüschel, der die Mitte und die rechte Bildhälfte einnimmt, wird links ein Gegengewicht aus einer nach links gebogenen kräftigen Sprosse gegeben und einem dünnen Stengel mit wenigen Blättern. Mit vollem, weichen Pinsel, wechselweise in ganzer Breite und dann wieder nur mit der Spitze die Tuschespur setzend, führt der Künstler in wenigen Zügen das Sprießen der jungen Pflanze vor, ohne auf Details einzugehen. Nicht einmal die Verbindung aller Pinselzüge ist vonnöten, um den organischen Zusammenhang spürbar zu machen und den Eindruck eines lebendigen Vorgangs zu erwecken. All dies geschieht mit einer selbstverständlichen Ungezwungenheit, die an Mu Qi erinnert.
Keines seiner Bambusbilder hat Wu Zhen ohne einen Schriftzug oder ein Gedicht gelassen, worin sich nicht die enge Verwandtschaft von Mal- und Schreibvorgang offenbart . Immer wieder besingt er den Adel und die Bescheidenheit der Pflanze, die er „seine einzige Liebe“ nennt. Er zitiert Gedichte Su Dongpos und ältere Lyrik über den Bambus. In seinen eigenen Gedichten sucht er dessen Wesensart immer wieder zu umschreiben. Er umkreist den Charakter der Pflanze mit stets neuen Metaphern. Es gelingt ihm dabei immer vollkommener, den Zusammenklang von Handschrift und „Malschrift“ ins Bild zu setzen. Kaum einem Meister der Yuan Zeit ist dies mit solcher Vollkommenheit geglückt, außer vielleicht Zhao Mengfu. An Spontaneität wurde Wu Zhen von keinem übertroffen.
Ni Zan
Einer der „Vier Großen“ der Yuan Zeit war Ni Zan (1301-1374). Geboren in Wuxi, Jiangsu, wuchs er wohlbehütet und ohne materielle Sorgen auf. Seine Familie besaß ausgedehnte Ländereien. Schon deshalb musste er keine Beamtenstellung annehmen, was ihm seinem Charakter entsprechend vermutlich zuwider gewesen wäre. So konnte er sich ganz seinen musischen Interessen widmen. In einem eigens errichteten Pavillon baute er eine Sammlung von Antiquitäten, Handschriften, Malerei und aller Arten von Kunstobjekten auf. Hierher lud er oft einen Kreis von Gleichgesinnten zu Wein, Rezitation und Gespräch. Seine Exzentrik wurde sprichwörtlich und es kursierten zahlreiche Anekdoten darüber. Seine Reinlichkeit hatte groteske Züge: erschien ihm ein Besucher nicht von erwünschter Sauberkeit, ließ er dessen Platz sofort reinigen, wenn er gegangen war. Ja, er ließ sogar die Bäume in seinem Garten waschen. In seiner Nähe musste sich stets ein Gefäß mit klarem Wasser befinden, woraus er sich mehrfach am Tage wusch, bevor er zu malen begann. Er verabscheute alles Triviale, Alltägliche und besonders jede Art Vulgarität. Einmal lehnte er es ab, Wein aus dem Schuh einer Tänzerin zu trinken, was ihm den Spott seiner Freunde eintrug. Die konsequente Ablehnung alles Gewöhnlichen musste ihn zum Einzelgänger machen. Er behielt diese Haltung auch bei, als er sie sich wegen seiner veränderten äußeren Lebensumstände eigentlich nicht mehr leisten konnte, denn es handelte sich dabei nicht um die Arroganz dessen, der sich nicht mit den gewöhnlichen Alltagssorgen abzuplagen hatte, sondern entsprach seinen sittlichen Überzeugungen und seinem Charakter. Auch als er schon mittellos war, lehnte er es ab, gegen Geschenke und Bezahlung zu malen, denn er habe „nie für vulgäre und prahlerische Leute gemalt“. An seine Freunde dagegen und Menschen, die er schätzte, verschenkte er seine Bilder.
1352, als die mongolische Regierung wegen der beginnenden Unruhen den Besitzenden in Südchina ruinöse Steuern auferlegte, verteilte Ni seine gesamte Habe unter seinen Verwandten und lebte von da an auf einem Hausboot, mit dem er über zwanzig Jahre lang die Flüsse und Seen seiner engeren und weiteren Heimat befuhr. Er erlebte noch den Sturz der Fremdherrschaft, aber dies hatte keinen Einfluss auf seine bescheidene Lebensweise. Sein Ruf war mittlerweile so groß, dass er an den Ming Kaiserhof geladen wurde, doch er lehnte ab. Besitzlos wie er jahrelang gelebt hatte, starb er in seiner Heimatstadt im Hause eines Verwandten. Haltung, Lebensführung und Werk, sowie die Konsequenz, mit welcher er seinen Idealen und Überzeugungen folgte, machten ihn für die Intellektuellen späterer Zeiten zum Prototyp des Gelehrtenkünstlers.
Sein Ruhm beruhte im wesentlichen auf der besonderen Art seiner Landschaftsbilder siehe auch. Eine Reihe von Bildern aber, auf welchen er Bambus dargestellt hat, zeigen ihn als einen der originellsten Maler dieses Sujets. Überwiegend erscheint der Bambus bei ihm im Kontext einer Landschaft, von Bäumen, Wasser, Bergen. Und selbst da, wo der Bambus als ein zentrales Motiv auftritt, ist er begleitet von Fels und Baum; im Grunde also ein verengter Landschaftsausschnitt. Niemals werden wir sozusagen in die Pflanze hineingeführt, wie etwa bei Li Kan. Und keinesfalls teilte er Wu Zhens Enthusiasmus, mit welchem dieser in das Wesen der Pflanze einzudringen suchte. Seine kühle Distanziertheit, seine eigenwillige und zurückhaltende Annäherung an die Gegenstände machten ihm eine solche Art der Identifikation unmöglich. Auch ist es fraglich, ob er dem Bambus die gleiche sittliche und symbolische Bedeutung zuschrieb, wie sie bei seinen Zeitgenossen so beliebt war. Dabei war sein persönliches Verhalten geradezu ein Musterbeispiel dafür: wie der Bambus bog er sich im Sturm, ohne zu brechen, das heißt, ohne seine Identität aufzugeben. Was er mit Wu Zhen gemeinsam hatte, war die Gegenposition zu der „naturalistischen“ Schule der strengen Observanz eines Li Kan und eines Gu An, nämlich das Beharren auf einer ganz persönlichen Sicht.
Die Unbekümmertheit, mit welcher er das Thema anging, spricht wenig dafür, dass er im Bambus den Träger einer inhaltlichen Botschaft sah. Wohl aber in der Art und Weise, wie er ihn darstellte. „Bei meinem Bambus zeichne ich eigentlich nur den Ausdruck der Ungezwungenheit in meiner Brust ab; wie kann man also nachprüfen, ob er ähnlich geworden ist, (was kümmert mich), ob die Blätter dicht oder locker stehen, die Zweige schräg oder aufrecht? Manchmal kleckse ich lange herum und wenn dann jemand das Bild sieht, mag er es für Hanf oder Schilf halten. Ich kann nicht darüber streiten …“. Und einmal soll er lachend festgestellt haben: „Diesem Bambus mangelt es an äußerer Ähnlichkeit, (aber gerade) das ist schwer zu machen“. Es ist der Anspruch des freien Geistes auf den Ausdruck einer inneren Sicht. Nicht als professionellen Maler sah er sich, dessen Geschicklichkeit in der Naturnachahmung liegt, sondern als Amateur, für den das Motiv Kristallisationspunkt ist, seine Empfindungen und Stimmungen auszuleben, indem er sie zu Papier bringt. Eine Anschauung, die exemplarisch ist für die Literatenmaler und in besonderem Maße zeittypisch siehe auch.
Wutong Baum, Bambus und edle Felsen
Ein hervorragendes Beispiel für Ni Zans Auffassung des Bambus im Besitz des Palastmuseums, Peking, stellt den Bambus dar zusammen mit einem Wutong Baum und einem Felsen .
Ein durchbrochener, schlanker Zierfels, der eher wie ein morscher Baumstumpf wirkt, gibt dem schmalen Hochformat Gewicht in der unteren Bildhälfte. Am Boden sprießen zu beiden Seiten junge Bambuspflanzen, hinter dem Fels wachsen zwei Stauden empor und fächern in der oberen Bildhälfte nach beiden Seiten aus, wo sie den Bildrand berühren, ohne viel weiter über ihn hinauszuwachsen. Fels und Bambusstauden bilden so das Rückgrat der Komposition. Diese symmetrische Anordnung wird aufgehoben durch den Wutong Baum, der zwischen Fels und linkem Bildrand aufsteigt und dessen Gipfel den höchsten Punkt der Pflanzengruppe bildet. Auf diese Weise ist die Bildfläche mit großer Sicherheit in einen spannungsvollen Rhythmus gegliedert und zugleich genügend Raum gelassen für die unausweichlichen Kolophone und Gedichte, die rechts und im oberen Bildteil eingesetzt wurden. Das Gedicht rechts neben dem Felsen ist eine Widmung Ni Zans an einen Freund.
Die Malweise ist überaus locker, sie reicht von saftig-satten Schwarztönen bis zu duftigen, hauchzart aufgetragenen Grauwerten, die zum Teil fast im Papier versunken sind. Über die nass aufgetragene Lavierung, die das Blattwerk des Wutong Baumes nur wolkenartig andeutet, ist mit dem halbtrockenen, vermutlich abgenutzten Pinsel, eine raue Strukturzeichnung gerissen in der Technik des „überflogenen Weiß“ (fei bai). Der Baumstamm ist offenbar auf diese Weise mit einem einzigen Pinselzug ausgeführt worden. Die Oberflächenbehandlung des Felsens zeigt zusätzlich jene für Ni Zan so typischen abgesetzten, meist Z-förmigen Horizontaltupfen, die man „gefaltete Schärpe“ nennt. Es ist ein vollendetes Spiel der „gebrochenen Tusche“ (pò mo). Die ihm zur Verfügung stehenden Mittel hat Ni Zan hier noch in ihrem ganzen Reichtum eingesetzt, im Vergleich mit der Reduziertheit seiner späteren Werke. Die abkürzende, vereinfachende Behandlung der Motive ist allerdings hier schon sichtbar. Ähnlich wie Wu Zhen hat er die Stellen, wo sich die Kerben des Bambusstamms befinden, einfach frei gelassen und lediglich mit einem kurzen „Kommastrich“ angedeutet. Und die Blätter gleichen in der Tat nicht denen der üblichen Bambusbilder, sie könnten wahrhaftig auch Schilf oder Binsen andeuten. Es sind sternenförmige Blätterbündel, die an Vögel mit hängenden Flügeln erinnern oder an im Wasser schwebende Seesterne. Aber sie sind wundervoll gemalt mit jeweils einem einzigen, souverän gezogenen Strich und in reichen Valeurs.
Die Widersprüchlichkeit zwischen realer Erscheinung und der Gestalt, die Ni Zan seinem Bambus gab, hat etwas von den paradoxen Leitsätzen zur Meditation (gong an), welche die Chan-Meister ihren Schülern aufgaben, um über die Scheinhaftigkeit und Wesenlosigkeit der Dinge zu meditieren. Die Deutung ist nicht so weit hergeholt, wie es scheinen mag: Ni Zan war Daoist mit vielfältigen Kontakten zum Buddhismus.