Tiere und Pflanzen

Wang Fu

Von den Malern, welche die Yuan-Traditionen in die frühe Ming-Zeit hinein fortführten, war Wang Fu (1362-1416) der bedeutendste. Er stammte aus Wuxi, Jiangsu, dem Heimatort Ni Zans, dessen Werke er vermutlich schon früh kennenlernte. Er war zwölf Jahre alt, als Ni Zan starb. Wie dieser entwickelte er sich zum „Gentleman-Maler“ und wie dieser liebte er lange Reisen, auf welchen er auch Nord-China kennenlernte. Er verfasste Gedichte in altertümlichen Formen und schrieb eine meisterhafte Kalligraphie, worin er sich auch am höchsten einschätzte. Zurückgekehrt in den Süden, lebte er einige Jahre ein Eremitendasein in den „Neun-Drachen-Bergen“ (Jiulongshan), was ihm den Beinamen „Einsiedler der Neun-Drachen-Berge“ eintrug. Wegen seiner Fähigkeiten als Kalligraph wurde er als Sekretär an die Hanlin-Akademie berufen. Die Malerei betrieb er aus Freude daran und nur, wenn er in Stimmung dazu war, zum Beispiel wenn er getrunken hatte. Er verschenkte seine Bilder, war jedoch sehr kritisch in der Auswahl der Beschenkten. Bot ihm jemand Geld für seine Kunst, so sah er dies als Beleidigung an.

In Haltung und Lebensweise entsprach er vollkommen der Vorstellung von einem Literaten-Künstler, ebenso in seiner Liebe zur Antike, zur alten Poesie und Malerei. Seine eigene Malweise war völlig ungekünstelt, unprätentiös und ungezwungen. Er stand damit in absolutem Gegensatz zur Malerei der Akademie, die dem kaiserlichen Geschmack entsprechend - und später unter dem Einfluss von Xie Huan siehe auch - keinerlei Tendenzen zuließ, die eine gewisse Freiheit im persönlichen Ausdruck zu erkennen gaben, also die Literatenkunst und die Nachfolge der großen Yuan-Meister. Es wiederholte sich einmal mehr die klassische Konstellation, wie sie sich seit den Zeiten Mi Fus immer wieder formierte: auf der einen Seite die offizielle Kunst der Akademie, in ihrer Grundtendenz repräsentativ, technisch ausgefeilt und dekorativ, auf der anderen Seite die private Kunst unabhängiger Geister, denen handwerkliche Geschicklichkeit nichts galt, die auf die „Pinselkraft“, auf persönliche Handschrift setzten, denen die Malerei im wahrsten Sinne Muße war. Beide Parteien beriefen sich dabei auf alte Vorbilder.

Es waren die von der Akademie abgelehnten Yuan-Meister, mit denen sich Wang Fu auseinandersetzte, allen voran Wang Meng und Ni Zan, deren Landschaften er in seiner Weise interpretierte, indem er Wang Mengs komplizierte Strukturen vereinfachte und Ni Zans klare und zarte Kompositionen saftiger und mit vollerem Strich variierte. Zuweilen erreichte er die modellierende Kraft und scheinbar selbstverständliche Einfachheit eines Wu Zhen. Als ein Maler des Übergangs stand er zwischen den Yuan-Meistern und der Wu-Schule. Es ist denkbar, dass sein Werk dazu beitrug, Shen Zhou und seinem Kreis die Yuan-Meister nahe zu bringen. Über seinen Schüler Xia Chang (1388-1470) reichte sein Einfluss weit in die Ming-Epoche hinein, denn Xia war ungewöhnlich erfolgreich als Bambusmaler. Sein Stil unterschied sich nur in Nuancen von dem seines Meisters.

Als Bambusmaler gehörte Wang Fu in die große Traditionslinie dieses Genres seit Wen Tong. Er wird als der letzte überragende Bambus-Meister angesehen.

Zehntausendfach Bambus am Fluss

Auf einer langen Querrolle der Freer Gallery of Art, Washington, „Zehntausendfach Bambus am Fluss“ erscheinen Büschel von Bambusblättern in locker formierten Intervallen, zwischen ihnen verstreut Gruppen von Bambusstämmen . Sie bilden eine Art durchbrochenen Vorhang aus saftig-dunklen Tuschetönen vor einem dunstigen Hintergrund. Auf der vorderen Ebene entwickeln sich am Ufersaum Gräser, Schilf oder Riedgras und Felsen, die an einigen Stellen von oben ins Blickfeld hängen, als stünde der Betrachter unmittelbar unter ihnen. Die entfernteren Bambusstangen und -blätter sind in blasseren Valeurs abgetönt, ein Mittel, das bereits Li Kan angewendet hat, um eine atmosphärische Wirkung zu erzielen und zugleich eine gewisse Distanz anzudeuten. Am erstaunlichsten ist jedoch der Blickwinkel, von dem aus uns die Motive vor Augen geführt werden. Der Maler bringt uns nahe ans Flussufer heran, gewissermaßen ins Gestrüpp der Uferböschung, indem er die Bambusstauden und die Felsen teils oben und teils unten abschneidet. Zwar findet sich dieses Kompositionsprinzip schon früher, wie etwa bei Li Kan oder Zou Fulei, aber dort wird eine einzelne Pflanze so dargestellt, dass sie in ihrem organischen Zusammenhang erhalten bleibt. Wang Fu zeigt eine ganze Welt im Ausschnitt, Bambuspflanzen in ihrem Umfeld, wobei er mit ungewöhnlicher Freiheit Blätter und Stämme unabhängig voneinander gruppiert. Er zeigt nicht eindeutig, wo die Zweige aus den Knoten wachsen und welche Blätter zu welchem Stamm gehören. Und dennoch erscheint ihr Zusammenhang natürlich. Gerade das Fragmentarische dieser Rolle mutet den modernen Betrachter vertraut an; es verleiht dem Motiv einen hohen Grad an Abstraktion. Höchst lebendig scheinen die Blätter zu flattern, zu wippen, zu vibrieren. Der Maler spielt souverän mit dem beschränkten Formenrepertoire und arrangiert es in freien Rhythmen. Locker und ungezwungen demonstriert er dabei die absolute Beherrschung des Pinsels. Jedes Bambusblatt ist in einem einzigen Zug mit voller, satter Tusche hingesetzt, wie wir es von den großen Meistern des Tuschebambus kennen und was dieses Genre ja so sehr in die Nähe der Kalligraphie rückt.

Beide Disziplinen erfordern Selbstkontrolle, die Charakterstärke verrät. In China galten sie daher immer als Ausweis eines adeligen Geistes. Wang Fu wurde diesem Anspruch in hohem Maße gerecht. Auch darin stand er in der Tradition der großen wenren-Künstler.

Bian Wenjin

Vorwiegende Domäne der höfischen Kunst seit der Song-Zeit war das Tier- und Pflanzenthema. Die frühen Ming-Kaiser verlangten von ihren Hofmalern die Nachahmung des Akademiestils der Song, so wie sie ja auch die staatlichen Institutionen nach Song-Vorbildern wieder errichtet hatten. Es ging bei dieser Stilvorgabe nicht allein um die Betonung einer nationalen Identität, um den Anschluss an eine der glanzvollsten Perioden der chinesischen Kultur, sondern nicht zuletzt um Darstellung kaiserlichen Glanzes ganz im Sinne des Dynastienamens. Prachtentfaltung sollte - und dies gilt vor allem für den Dynastie-Gründer - offenbar auch gewisse Defizite überdecken wie die niedere Herkunft des ersten Kaisers und sein Mangel an profunder Bildung im klassischen Sinne. So haftet der offiziellen Ming-Kunst gewöhnlich etwas Auftrumpfendes an, ein „Etwas-zu-viel“. In der höfischen Malerei drückt sich dies unter anderem in dekorativer Farbenpracht aus, die sich besonders gut in Blumen- und Vogelbildern entfalten ließ. Es ist auch kennzeichnend, dass solche Motive, welche die Song-Akademie-Maler gern auf Fächern und Albumblättern darstellten, also sozusagen in intimen Formaten, von ihren Ming-Nachfolgern in Großkompositionen von zum Teil erheblichen Dimensionen zu Repräsentationskunst gemacht wurde. Fast zwangsläufig fehlt diesen Werken zumeist jene Einfühlung in die Kreatur, die wir von vielen Tier- und Pflanzendarstellungen der Song-Zeit kennen. Es mag sein, dass manche Maler diesen Mangel spürten und ihn durch Fülle zu ersetzen suchten - wozu allerdings auch schon das vom Auftraggeber gewünschte Großformat einlud. Kaum einer der am Ming-Hof tätigen Maler konnte diesem Dilemma entgehen. Die Besten erreichten das Höchstmögliche auf ihrem Gebiet dank hochentwickelter Sicherheit im Ästhetischen und äußerster technischer Brillanz.

Dies trifft in erster Linie auf Bian Wenjin zu (tätig ca. 1400-1440), den ersten bedeutenden Blumen- und Vogel Maler am Ming-Hof. Er stammte aus Shaxian, Fujian. Sein Ruf als Maler drang bald bis zum Kaiserhof, und so wurde er gegen Ende der Yongle-Ära (1403-1424) nach Peking berufen, wo er in der „Halle der Militärischen Tapferkeit“ (Wu jing dian) Dienst tat. Hier arbeiteten die Hofmaler nicht zuletzt auch an historischen Werken, die den Ruhm der Dynastie und der alten Kaiserreiche kündeten. Diese Halle, wie auch die „Halle der Tugend und des Wissens“ (Ren zhi dian), war so etwas wie der Sitz der Akademie, die es ja als eigenständig organisierte Institution wie während der Song-Zeit nicht gab. Bian Wenjin wurde nicht nur der Rang eines Daizhao verliehen, sondern er galt zu seiner Zeit auch als einer der größten Maler, als eines der „Drei Genies der Akademie“. Auch schätzte man seine Bildung und seine Poesie. Er war noch bis zum Ende der Xuande Periode (1426-35) am Hof tätig.

Hundert Vögel zwischen Pflaume, Kiefer und Bambus

Ein typisches Werk, das überwiegend als von seiner Hand stammend anerkannt wird, ist die große Hängerolle „Hundert Vögel zwischen Pflaume, Kiefer und Bambus“ im Nationalen Palastmuseum, Taipei . Sie ist signiert und trägt das Datum 1413. Aus einer Bodenwelle wachsen zwei Bambusstämme leicht schräg geneigt empor. Obwohl nach links versetzt, bilden sie das Rückgrat der Komposition. Zu ihren Füßen biegt sich ein junger Bambustrieb von links zur Bildmitte, und ein knotiger Pflaumenast ragt von links oben ins Bild hinein. Er überschneidet den Bambus und spreizt seine dürren Zweige aus, die erste Blüten treiben. Parallel zu der Bodenwelle windet sich der knorrige Stamm des Pflaumenbaums nach links aus dem Blickfeld. Oben schließen Kiefernnadeln das Bild ab, wiederum von links hinein wachsend. Das Übergewicht einer Bildseite erinnert an den Eineckstil der Süd-Song. Dabei bilden die Bodenwelle und der Baumstamm, die in der unteren linken Bildecke annähernd ein Dreieck bilden, eine wesentliche Rolle. Ausbalanciert wird dies durch einen Felsblock, der im Zentrum der unteren Bildhälfte der Komposition einen Schwerpunkt verleiht, sowie durch die Pflaumenzweige, die sich am rechten Bildrand hinneigen. Es scheint, als sollte hier dem Kompositionsprinzip der Süd-Song, Vorbild für die Landschaftsmaler der Ming-Akademie, ein gewisses „klassisches“ Gleichgewicht verliehen werden. Die relativ gleichmäßige Verteilung der Strukturelemente führt dabei zur Aufhebung der Spannung, welche den meisten Süd-Song Kompositionen eigen ist.

In diesem Bildgerüst verteilt der Maler nun Schwärme von Vögeln und eine Reihe hervorstechender Einzelexemplare so, dass sie ein höchst dekoratives Muster ergeben. Während alle Pflanzen im Stile des Fünf-Dynastien-Meisters Huang Quan sorgfältig konturiert und mit Farbe ausgefüllt sind (gou li), wurden die Vögel mit feinstem Pinsel in der „knochenlosen“ Technik (mei gu, mu gu tu) gemalt, das heißt ohne Konturlinien. Die Delikatesse der Ausführung, worin scheinbar jedes Federchen akribisch erfasst ist, reicht sehr wohl an die technische Bravour der Akademiemaler Huizongs heran. Aber im Gegensatz zu den besten Vogeldarstellungen der Song, bei welchen man den weichen Flaum und die Rundung des Tierkörpers zu spüren vermeint, wirken die meisten dieser Vögel merkwürdig flach. Wesentliche Ursache dafür ist ihre prägnante Schärfe und Betonung ihrer Silhouetten vor dem gelbbraunen Seidengrund. Und obwohl sie in den verschiedenartigsten Bewegungen, Wendungen und Haltungen vorgeführt werden, wirken sie eigenartig erstarrt. Man fühlt sich bei den meisten an eine ornithologische Sammlung ausgestopfter Exemplare erinnert. Vergleicht man diese Vögel beispielsweise mit den Sperlingen des Han Ruozhuo siehe auch wird ihr Mangel an Lebendigkeit offenkundig.

Bei aller Genauigkeit kann hier von Realismus keine Rede sein, dazu sind die Vögel viel zu kalkuliert auf ihre farbige Wirkung und ihre interessantesten Ansichten hin arrangiert. Abgesehen davon, dass sich in der Natur eine solche Vielzahl verschiedener Vogelarten an einem Ort niemals zusammenfindet. Dem Künstler ging es nicht einfach um die Darstellung eines Naturausschnitts, sondern um die ästhetische Aufbereitung von Natur. Dass es ihm darüber hinaus um einen allegorischen Sinngehalt ging, bezeugen schon die Pflanzen: es sind die „Drei Freunde der kalten Jahreszeit“ (sui han san you) siehe auch. Kiefer und Bambus behalten im Winter ihre Blätter, Zeichen des Beharrens in Zeiten der Not, von Widerstandskraft und Charakterfestigkeit. Der Pflaumenbaum treibt seine Blüten schon früh im Jahr, wenn noch die Frostnächte hereinbrechen. So trägt das Bild eine glückverheißende Botschaft: zusammen mit seinen drei Vorboten begrüßen die Vögel den Frühling.

Kaiser Xuanzong

Malerei wurde am Minghof nicht nur von den professionellen Künstlern betrieben, sondern auch von Adeligen, kaiserlichen Prinzen und Prinzessinnen und den Kaisern selbst. Wenn es sich dabei auch um Liebhaberei handelte, um Amateurmalerei, so folgten die Hofkreise natürlich nicht den Intensionen der Gelehrtenmaler, welche Malerei ja ebenfalls nicht berufsmäßig ausübten. Für die adeligen Laienmaler war der Stil der Song-Akademie Vorbild und ihr vorwiegendes Interesse galt dem Tier- und Pflanzengenre. Es ist offenkundig, dass es einem Laien nur bei außerordentlicher Begabung gelingen konnte, die technische Perfektion eines Akademiemalers zu erreichen.

Einer der wenigen, die dies zustande brachten, war Kaiser Xuanzong (Regierungsperiode Xuande 1426-1435), der wohl talentierteste unter den malenden Ming-Kaisern. Dank seiner Förderung gedieh die akademische Hofkunst wie nie zuvor. Nur noch in den Perioden Chenghua (1465-1487) und Hongzhi (1488-1505) nahm sie einen vergleichbaren Aufschwung. Der Kaiser beteiligte sich an Ausstellungen seiner Hofmaler, führte Kunstgespräche mit ihnen und suchte zweifellos dem Song-Kaiser Huizong gleichzukommen. Seine bevorzugten Motive waren Tiere, meist Haustiere, zwischen blühenden Pflanzen oder Bambus. Sein Geschmack und seine Auffassung von Malerei übten selbstredend einen nachhaltigen Einfluss aus auf die höfische Kunst. Bei aller Genauigkeit der Beobachtung haben seine Tierdarstellungen nichts von der gleichsam „naturwissenschaftlichen“ Schärfe der Bilder Huizongs, sondern sie wirken atmosphärischer.

Zwei afghanische Jagdhunde

Ein gutes Beispiel ist das kleine Querformat des Fogg Art Museums, Cambridge, Massachusetts, „Zwei afghanische Jagdhunde“ . Sie sind in Seitenansicht gezeigt und bewegen sich nach links. Der hintere hat die Nase am Boden, wo einige genau hingetupfte Blümchen sprießen. Der vordere hat den Kopf erhoben. An seinem Halsband trägt er eine türkisfarbene Quaste, die sich als delikater, dekorativer Akzent vom lohfarbigen Fell der Hunde abhebt. Es ist mit solcher Zartheit hingestupst, dass es geradezu impressionistisch wirkt. Dabei ist der anatomische Aufbau der Tierkörper anschaulich herausmodelliert, ohne dass sie von einer Konturlinie umrissen sind. Dies erhöht noch den Eindruck der Duftigkeit des Fells. Lediglich Augen, Schnauzen, Pfoten und einige Gelenke sind mit äußerst knappen, aber präzisen Linien angegeben. Das Charakteristische am Erscheinungsbild und in den Bewegungen der Tiere ist treffend erfasst. Während dieses Hauptmotiv etwas nach links versetzt ist, leiten zwei sparsam, aber genau gezeichneten Pflanzengruppen rechts die Komposition ein. Sonst gibt es keinerlei Hinweis auf ein landschaftliches Umfeld. Die Andeutungen genügen jedoch, „Garten“ zu assoziieren. In dem kleinen Bild erweist sich der Kaiser als ein Künstler von verfeinertem Geschmack und malerischer Ökonomie, ohne jedoch über das äußere Erscheinungsbild seines Sujets hinauszudringen.

Lin Liang

Zu den Vogel- und Pflanzenmalern am Minghof, die durch eine gewisse Eigenart herausragten aus dem Durchschnitt der Hofkünstler, gehörte der aus Guangdong stammende Lin Liang (ca. 1416-1480). Er wurde vermutlich um 1460 an den Kaiserhof berufen und diente in den Perioden Tianshun (1457-1464) und Hongzhi (1488-1505). Damals erhielt er den Rang eines Offiziers der Kaiserlichen Garde. Nach Beschreibungen seiner Malerei scheint er durchaus auch in einem farbigen, dekorativen, jedoch lockeren Stil gemalt zu haben, dem höfischen Geschmack vermutlich eher entsprechend, als die heute bekannten und als typisch geltenden Bilder. Es sind vorwiegend Tuschmalereien, welche der Zhe-Schule näher stehen, als der Hofmalerei. Ihrer kühlen, genau beobachtenden, um Detailtreue bemühten Art setzt er eine freiere Malweise entgegen, in welche auch eine stimmungsbestimmte Komponente einfließt. Seine vorwiegenden Motive sind Raubvögel - oft im Flug ihre Beute jagend - und Wasservögel. Auch eine phantasievolle Darstellung des Vogels Phönix (feng) ist von ihm bekannt im Shokokuji, Kyoto.

Adlerpaar

Seine Fähigkeit, einerseits einen psychologischen Ausdruck durch Haltung oder Bewegung der Vögel zu vermitteln, andererseits mit dynamischem Pinsel die stoffliche Beschaffenheit des Gefieders oder von Pflanzen zu suggerieren, zeigt die Hängerolle „Adlerpaar“ im Nationalen Palastmuseum, Taipei . Auf einem knorrigen Ast, der von links ins Bild ragt, sitzen die beiden mächtigen Vögel, die Köpfe beutesuchend nach verschiedenen Richtungen gewandt. Der vordere ist in Rückenansicht gezeigt, der hintere, etwas höher sitzend und von seinem Partner überschnitten, in Brustansicht. Zwar drehen sie ihre Köpfe einander zu, wodurch beide das typische Adlerprofil zeigen, doch gehen ihre Blicke aneinander vorbei ins Weite. Durch diese Wendungen entsteht eine Bewegung, welche die beiden Tierkörper zu einer Spirale vereint. Es scheint, als würden sie sich in jedem Augenblick in die Lüfte erheben. Obwohl sie sitzen, ist ihre Haltung voller Dynamik. Die erhobene Kralle des hinteren verstärkt diesen Eindruck. Die in die Ferne gerichteten Blicke erwecken, zusammen mit dem leeren Seidengrund, die Vorstellung eines weiten Raumes, in welchen die Vögel eintauchen könnten, obwohl keinerlei Raum dargestellt ist. Ein zweiter Ast, der von links oben herabhängt, betont die weite Leere des Hintergrunds und ergibt zugleich ein Gegengewicht zu den Adlern.

Locker, flüssig, mit verdünnter Tusche in nuancenreichen Abstufungen gemalt, verblüfft die gleichzeitige Schärfe und Präzision, womit jede Feder dargestellt zu sein scheint, obwohl sie doch nur aus einem genau und scharf abgesetzten Fleck besteht. Das Brustgefieder des hinteren Adlers ist so duftig angelegt, als liege ein feiner Dunstschleier darüber, so, wie in der Bambusmalerei die entfernteren Pflanzen dargestellt werden. Auf diese Weise kommt etwas Atmosphärisches ins Bild, wie es die Süd-Song-Maler liebten und das der Betrachter unwillkürlich auf den unbemalten Bildgrund überträgt, ihn also als dunstige Ferne wahrnimmt. Und ebenso wie die Maler des Tuschebambus wendet Lin Liang eine skizzenartige Technik ohne Konturen an (xie yi). Die Äste gleichen flüchtig hingeschriebenen Schriftzeichen, die Blätter sind nicht näher definiert, sondern nur als Flecke hingetupft.

Bei aller Lockerheit, ja scheinbaren Flüchtigkeit, gibt der Maler mehr, als eine visuelle Oberfläche. Es geht etwas Bedrohliches von den Adlern aus: der intensive Blick, die scharfen Hakenschnäbel, die dolchartigen Klauen, die gespannte, angriffsbereite Haltung. Lin Liang ist es gelungen, etwas vom Wesen und Charakter seiner Modelle zu erfassen.

Lu Ji

Ihren Höhepunkt erreichte die dekorative Hofmalerei mit dem Werk Lu Jis (1477-1521). Er stammte aus der Hafenstadt Hangzhous, Ningbo, Zhejiang, einer traditionellen Malerstadt. Lu Ji erlernte sein Handwerk nach Vorbildern der Tang- und der Song-Zeit und entwickelte eine ungewöhnliche technische Geschicklichkeit. Später setzte er sich mit den Arbeitsweisen Dai Jins und Lin Liangs auseinander. 1497, in der Hongzhi-Periode, kam er an den Kaiserhof, wo er in der Ren zhi-Halle diente. Auch er erhielt Offiziersrang in der Kaiserlichen Wache, der Brokatkleidgarde.

Er malte sowohl Landschaften wie Figuren, spezialisierte sich aber auf Blumen und Vögel. Werke, die seinen Namen tragen, sind relativ verbreitet, doch halten nicht viele dem Qualitätsmaßstab stand, den Lu Ji mit einigen heute noch bekannten Arbeiten gesetzt hat. Das liegt einmal an der Beliebtheit seiner Produktionen und ihrer leichten Verständlichkeit, die Kopisten anlockte, zum anderen daran, dass er eine Werkstatt unterhielt. Die Konzeption seiner Bilder war einfach nachzuahmen, die hohe Qualität der Ausführung bedurfte der Hand des Meisters, denn alles hing von der malerischen Delikatesse ab. In seinen Kompositionen brachte er die Genauigkeit der Nord-Song-Akademie in der Vogel- und Pflanzendarstellung zusammen mit dem asymmetrischen Bildschema der Süd-Song und deren stimmungshafte Atmosphäre. Die kraftvolle, kantige Konturierung von Felsen und Bäumen mancher Bilder erinnert an Dai Jin.

Winter

So auch die Hängerolle „Winter“ im Nationalmuseum, Tokyo, das zu einem Jahreszeitenzyklus gehört . Ein Wildbach beherrscht das Bild. Eingezwängt in eine enge Felsenkluft tritt er hinter einer Felswand hervor, windet sich um Vorsprünge, wird rechts angeschnitten und ergießt sich nach links unten fast in voller Bildbreite aus dem Blickfeld. Wenige parallel gelagerte Kurvaturen geben dem Gewässer eine erstaunliche Dynamik. In merkwürdigem Gegensatz dazu wirkt es zugleich wie erstarrt, als sei es eine erkaltete Lavamasse. Dies rührt von der plastischen Modellierung her, die mit Hilfe einer zarten Lavierung erreicht ist und dem Strom eine konvexe Wölbung verleiht. In der gleichen artifiziellen Manier sind grotesk gewundene Baumäste und in die Felsen gekralltes Wurzelwerk, Gräser, Bambus, Blätter, Blüten und Gestein behandelt: alles ist scheinbar wild und verworren, jedoch in Anordnung und Farbwirkung genau kalkuliert, auf das Sorgfältigste konturiert und mit feinen Tupfen strukturiert ohne handschriftliche Verve. Dynamik und Wildheit liegen nicht im malerischen Vortrag, sondern sind mit großem Raffinement inszeniert. Trotz ihrer Plastizität werden die Gegenstände mit Hilfe des ornamentalen Liniengerüsts in der Fläche gehalten. Aus dem Spalt eines überhängenden Felsens wächst von links ein knorriger, tief herabhängender Pflaumenbaum, der mit seinen verdrehten Ästen eine Brücke über den Wildbach bildet. Seine äußeren Zweige treiben winzige weiße Blüten, die in der oberen rechten Bildecke locker verteilt sind. Unterhalb der Bildmitte setzt eine kleine Blütentraube einen weiteren Akzent. Weiß erscheint auch als fein getupfte Höhung auf Ästen und Felskanten: der Schnee des Neujahrstages. Denn auf Neujahr weisen rote Kamelien und Berberitzen. Wie die Frühling und neues Leben ankündigenden Pflaumenblüten sind sie in der oberen rechten Ecke massiert und ergeben zusammen mit dem Grün ihrer Blätter eine höchst dekorative Wirkung. Die farbige Betonung an dieser Stelle verdeutlicht die Tendenz zum asymmetrischen Bildaufbau. Doch wird er in fein empfundener Balance gehalten durch ein Fasanenpaar, das in der Diagonalen unten links auf einem Felsvorsprung sitzt. Die langen Schwanzfedern des Männchens setzen die Diagonale zur unteren linken Bildecke fort. Sein peinlich genau gemaltes Gefieder entspricht dem Stil der Nord-Song-Vogelmaler. Und die Farben des Gefieders sind die gleichen wie die der Blumen und Blüten rechts oben. Die Gelb- und Brauntöne aber finden sich wieder im Gefieder von vier winzigen Finken, die oben rechts versteckt zwischen den Blüten sitzen.

Das Bild verkörpert die besten Qualitäten, welche die akademische Hofmalerei zu erreichen imstande war: einen hochentwickelten Sinn für dekorative Werte, einen ausgeklügelten Bildaufbau, bei aller Verfeinerung und Modellierung eine kraftvolle Liniensprache, ein Stimmungsmoment und eine brillante Technik. In unzähligen Nachahmungen verlor die Blumen- und Vogelmalerei die meisten dieser Eigenschaften. Es war diese Art Malerei, welche, in den Imitationen der Qing-Zeit verflacht, als Tapetenmuster Einzug in die Boudoirs des europäischen Rokoko hielt.

Wen Zhengming

Neben Shen Zhou war Wen Zhengming (1470-1559) die überragende Gestalt der Wu-Schule, ein beispielhafter Vertreter der Gelehrtenkunst und einer der „Vier Großen“ der Ming-Zeit. Geboren in Souzhou, genoss er als Sohn einer führenden Adelsfamilie eine ausgezeichnete Erziehung. Bereits mit acht Jahren erhielt er Unterricht in Kalligraphie bei einem berühmten Schreibmeister. Er studierte die klassische Literatur und wurde als junger Mann Schüler Shen Zhous. Aus seiner Familie waren seit Generationen Beamte hervorgegangen; sein Vater war Gouverneur von Wenzhou in Zhejiang. Der Familientradition entsprechend strebte auch er eine Beamtenlaufbahn an, doch trotz seiner Begabung scheiterte er immer wieder an den höchsten Staatsprüfungen. Mit unerhörter Ausdauer versuchte er es über einen Zeitraum von fast dreißig Jahren, jedoch ohne Erfolg. Mit dreiundfünfzig Jahren wurde er durch die Protektion eines Gouverneurs, der seine Talente schätzte, als Daizhao an die Hanlin-Akademie berufen. Doch diente er nicht als Hofmaler, sondern arbeitete mit an einer Geschichte der Yuan-Dynastie. Zu seinen Pflichten gehörte auch die Auslegung der Klassiker für den Kaiser. Offenbar unbefriedigt von seiner Tätigkeit, bat er um Entlassung und kehrte 1527 in seine Heimat zurück. Hier nun, mit fast sechzig Jahren, begann er seinen eigenen und eigentlichen künstlerischen Weg. Er lebte ganz seinen Neigungen, schrieb Essays, dichtete, schuf Kalligraphien, die zu den besten der Ming-Zeit gehören, und malte. Er führte das typische Leben eines Literaten, verkehrte mit den hervorragenden Geistern seiner Stadt, liebte Geselligkeit und war geschätzt wegen seiner moralischen Integrität. Er verschenkte Bilder an bedürftige Freunde und hielt sich fern von den politisch Mächtigen. Sein Leben war erfüllt bis zur letzten Minute. Es heißt, dass er fast neunzig Jahre alt war, als er eine Schrift vollendete, den Pinsel niederlegte und starb.

Dem wen ren-Ideal folgend, fand er unweigerlich in den Meistern der Yuan-Zeit seine Vorbilder. Und wie bei diesen war es die Landschaft, welche das Hauptgewicht seines Oeuvres ausmachte. Anfangs noch unter dem Einfluss seines Lehrers Shen Zhou, fand er später einen ganz persönlichen Stil der Auseinandersetzung mit den Alten. Und obwohl sie stets den Stempel seiner Ausdrucksweise tragen, scheint bei vielen Werken deutlich hindurch, mit wem er sich darin befasst. Dies lässt sich besonders von seinen Bambus-, Felsen- und Blumenbildern sagen: ähnlich sind Zhao Mengfu und andere das Thema angegangen. Ohne unmittelbare Vorbilder und von unübertroffener Meisterschaft jedoch sind seine Gestaltungen alter Bäume. Trotz einer jahrhundertealten Tradition der Baumdarstellung - es gibt nur ganz wenige chinesische Landschaftsbilder ohne Bäume - gelingt es ihm, das Thema auf ganz eigene Weise anzupacken. Unter seinen unzähligen Baumschilderungen ragt eine hervor, die zum besten gehört, was in der Kunst zu diesem Thema jemals ausgesagt wurde. Wäre nichts anderes von ihm bekannt, allein mit diesem Werk würde Wen Zhengming sich unter die Großen der Ming-Zeit einreihen: „Die sieben Wacholderbäume von Qinchuan“ (Academy of Art, Honolulu) aus dem Jahre 1532 .

Die sieben Wacholderbäume von Qinchuan

Die 3,62 Meter lange Querrolle zeigt nichts als sieben dieser immergrünen Bäume ohne landschaftlichen Hintergrund. Jedoch gibt der Maler sie nicht in ihrer vollen Größe und in einer dem Wachstum entsprechenden Vertikaltendenz, sondern er wendet ein Mittel an, das wir von der Bambusmalerei kennen, etwa bei Wang Fu siehe auch: er schneidet die Stämme unten und die Spitzen der Baumkronen oben ab. Dadurch erreicht er eine ungewöhnliche Spannung im Bildablauf, da die Wachstumskräfte über die Bildränder hinausdrängen. Er betont die Neigung dieser Baumart, sich in die Breite zu entwickeln und verflechtet sie zu einem horizontalen Rhythmus von überaus kraftvoller Dynamik. Die grotesk gewundenen Äste umschlingen einander, streben auseinander und überschneiden sich wieder. Ihre Bewegungen geben jedoch nirgends Raumtiefe an, sondern laufen parallel zur Bildfläche ab. Und auch die Gradationen der Tusche ergeben keine Tiefenwirkung, wiewohl etwas entfernter gedachte Bäume und Äste heller gegeben sind, ebenso wie in der Bambusmalerei. Auch dieser nuancierte Kontrast von hellerer und dunklerer Tusche dient der Gliederung und Akzentuierung des flächenhaften Ablaufs. Die Blätter sind getupft, die Stämme mit halbtrockener Tusche gerissen, was die rissige Oberfläche der Rinde überzeugend wiedergibt. Dabei bilden die Strukturbahnen organische Windungen und formen Astlöcher, die Tieraugen gleichen. Tatsächlich erinnern die gespaltenen Stämme, die gewundenen Äste und die wie Krallen gekrümmte, spitz auslaufenden Zweige an ineinander verschlungene, miteinander kämpfende Tierleiber. In einem langen Gedicht am Ende der Rolle spricht Wen aus, was das Bild vermittelt. In den Ästen sieht er die Gestalten von Tigern und Drachen in einen elementaren Kampf miteinander verstrickt: die ewige, unauflösliche Antinomie von Erde und Himmel. Die Phantasie, einmal auf diese Spur gesetzt, kann darin alle Arten von phantastischen Wesen sehen: Tiere mit Flügeln, Schnäbeln, aufgerissenen Rachen, Hörnern, Nüstern, Krallen und Klauen.

Trotz dieser Gemeinsamkeiten und ihrer engen Verflechtung hat Wen Zhengming Baumindividuen geschaffen, Baumcharaktere wie einst Li Cheng siehe auch, denn keiner der alten Bäume gleicht dem anderen. Sie tragen die Spuren des Schicksals. Ihre Verwindungen, Spalten und Narben zeugen von ihrer Zähigkeit, ihrem Widerstand gegen Sturm und Trockenheit, Hitze und Kälte. Sie zeugen vom Ringen mit dem unvermeidlichen Geschick, von Beharren und Standhaftigkeit gegen Zeit, Verfall, Absterben und Tod. Trotz ihres hohen Alters sind sie durchpulst von Lebenskraft: noch immer treiben sie Blätter. Es ist eine Art ethisches Selbstporträt. Ohne Frage beschreibt Wen hier eine Ethik des Alters. Immergrüne Bäume, wie ja auch Kiefern und Zedern, standen bei den Chinesen schon immer in hohem Ansehen. Man verband mit ihnen Tugenden der Reife und des Alters, wie Aufrichtigkeit, Integrität, Prinzipientreue.

Wen Zhengming ist der Struktur seiner Naturvorbilder nachgegangen, hat ihnen jedoch die eigene Vorstellung, den persönlichen Ausdruckswillen aufgeprägt. Aus den gewiss schon bizarren Gestalten seines Vorwurfs hat er den Charakterausdruck seiner Bäume destilliert. Er hat damit in Gehalt und Form eine der gültigsten Pflanzendarstellungen geschaffen, welche die chinesische Kunst hervorgebracht hat.

Xu Wei

Der extremste Vertreter einer individualistischen Kunstauffassung, ein äußerster Gegenpol der höfischen Pflanzen- und Tiermalerei, war Xu Wei (1521-1593), geboren in Shanyin als Sohn einer Offiziersfamilie. Schon früh zeigte er ungewöhnliche Begabung. Bereits mit zehn Jahren schrieb er eine philosophische Abhandlung über die Verleumdung und erhielt Unterricht in Kalligraphie und klassischer Literatur. Mit achtzehn bestand er die erste Staatsprüfung, scheiterte danach aber siebenmal an den höchsten Examina. Die Tatsache, dass so viele hochtalentierte, ja geniale Männer diese Hürde nicht nehmen konnten, weist auf die Erstarrung des Systems. Dass eigenwillige Charaktere auf Konventionen und Zwang mit Exzentrik und bohémehafter Lebensweise reagierten, wie zum Beispiel auch Tang Yin, ist nicht verwunderlich. Begabung, Temperament und Schicksal Xu Weis zeigen viele Gemeinsamkeiten mit denen Tang Yins. Ein Provinzgouverneur, der ihn hochschätzte, nahm Xu in seine Dienste als Sekretär, obwohl er nicht imstande war, seinen Pflichten nachzukommen wegen häufiger Trunkenheit. Er besaß strategische Begabung und war am Erfolg einiger Feldzüge beteiligt, wie auch an der Bekämpfung des Piratenunwesens an der Küste. Als sein Dienstherr in Ungnade fiel und sich im Gefängnis umbrachte, fürchtete auch Xu Wei um sein Leben, stellte sich wahnsinnig und verstümmelte sich schrecklich. Einige Jahre später beging er im Gefängnis einen Selbstmordversuch, nachdem er seine zweite (oder dritte) Frau aus Eifersucht erschlagen hatte. Die erste Frau, die Eltern und ein älterer Bruder waren ihm innerhalb weniger Jahre gestorben. Obwohl er zum Tode verurteilt war, gelang es Freunden, nach sieben Jahren seine Freilassung zu erwirken. Er ging auf Reisen und ließ sich dann einige Jahre in Peking nieder, wo er als Schriftsteller lebte. Als er erkrankte, kehrte er in seine Heimat zurück. Ohne Einkommen und Anstellung, begann er seine umfangreiche Bibliothek und seinen gesamten Besitz zu veräußern und zuletzt, als ihm sonst nichts blieb, auch eigene Bilder und Kalligraphien. Sein heftiger Charakter, seine Trinkexzesse, die Ungeschminktheit, womit er seine Meinung sagte, machten ihn unbeliebt. Er starb ohne Freunde und völlig verarmt im Hause eines Sohnes.

Xu Wei beherrschte die literarischen Künste souverän. In seiner Selbsteinschätzung setzte er seine Kalligraphie oben an, es folgten Poesie, Prosa und Malerei. Allen diesen Künsten verlieh er die Vehemenz seiner persönlichen Ausdrucksweise, doch schlug sich diese nach Auffassung späterer Kritiker als Flüchtigkeit und Nachlässigkeit nieder, die nur in der Malerei durch die Genauigkeit und Sicherheit seiner Pinselführung aufgehoben wurde. Die Wildheit seines Schreibstils war leicht zu imitieren, nicht aber die kühne Pinselschrift seiner Malerei, die bei aller Freiheit ihm niemals außer Kontrolle geriet. Bevor er sich jedoch seinen spontanen Ausbrüchen überließ, hatte er Ni Zan, Shen Zhou, Wen Zhengming und Tang Yin genau studiert. In der Pflanzenmalerei war es der freie Stil Chen Chuns, der ihn beeinflusste. Chen, ein Schüler Wen Zhengmings, hatte einen flüssigen, äußerst lockeren Pflanzen- und Tierstil entwickelt, so wie er in der Landschaftsmalerei die nass-in-nass-Technik Mi Fus imitierte. Trotz seines extremen Individualismus stand Xu also in einer Tradition der Blumen- und Pflanzenmalerei, welche in die Zeit der Fünf Dynastien zurückreicht. Während Huang Quan siehe auch und seine Nachfolger mit der „knochenlosen“ (mo gu) Malerei eine Überlieferung einführten, die in den dekorativen, akribischen Akademiestil einmündete, begründete dessen Zeitgenosse Xu Xi siehe auch eine Traditionslinie, worin eine freiere Interpretation pflanzlicher Motive einer freieren Pinselführung entsprach, die zugleich auf das Wesenhafte des Motivs zielte und nicht auf dessen möglichst genau wiedergegebene äußere Erscheinung. Seit der Song-Zeit waren es die malenden Chan-Mönche und die Literaten, die dieser Auffassung folgten. Die Unmittelbarkeit des Ausdrucks wurde immer wichtiger, die nur durch schnelles Niederschreiben erreicht werden konnte. Dies hatte eine absolute Beherrschung der Mittel zur Voraussetzung, sonst musste der Maler unweigerlich scheitern. Diese Entwicklung trieb Xu Wei auf einen Höhepunkt. Die ihm zugeschriebene Erfindung des „Niederschreibens einer Idee“ (xie yi) war so gesehen beinahe zwangsläufig: er fand die Tendenz vor, seine traumwandlerische Sicherheit, gepaart mit dem Ausdruckswillen seines exzentrischen Charakters, gebar seinen expressiven Stil.

Blumen in Tusche

Offenbar war Xu imstande, in volltrunkenem Zustand zu malen. In der Nachschrift zu einer Querrolle des Palastmuseums, Peking, „Blumen in Tusche“ erwähnt er, dass er nach dreißig (!) Schalen Wein „Frühlingsdonner durch die Fingerspitzen fließen“ fühlte . Eine bessere Umschreibung seiner Malweise ist kaum denkbar. Es scheint, als sei die Tusche auf dem Papier explodiert. Er soll Wasser und Tusche zuweilen auf das Papier gespritzt und daraus seine Motive entwickelt haben. Und dennoch trifft er sein Sujet in seiner Wesenhaftigkeit genau, ohne auf die letzte Einzelheit einzugehen. In freiem Rhythmus bewegen sich Blumen, Blüten, Gräser, Blätter, Zweige und Steine über die Bildfläche. Teils berühren sie den Bildrand und scheinen daraus hervor oder darüber hinaus zu wachsen, teils entfalten sie sich aus dem Bildgrund. Die senkrechten Zeilen von neun Gedichten und einer längeren Nachschrift gliedern die Motive in neun Abschnitte und geben ihnen Halt und Festigkeit . Auf diese Weise verhindert Xu die allgegenwärtige Gefahr des Zerfließens der Formen, wenn sie allzu locker hingeschrieben sind. Die Spontaneität, mit der er seinen Gefühlen Ausdruck verleiht, das Furioso seiner Malweise, enthüllen sich unter anderem, wenn sich der Pinsel spaltet und eine Doppelspur auf dem Blatt hinterlässt. Sie bleibt so stehen und für den Betrachter ergibt sie eine Ranke, einen Ast oder einen Zweig von verblüffender Suggestivität. Eine Malerei, die der Schrift näher steht als der abbildhaften Darstellung.

Xu Wei hat seine Gegenstände in nahezu abstrakte Kürzel überführt. Dabei hat er dennoch das Pflanzenhafte, ihr Wachstum in den verschiedenen Jahreszeiten zum Ausdruck gebracht, wie er es zu malen und zu besingen bis ins hohe Alter nie müde wurde.

Chen Hongshou

Seit der Yuan-Epoche hatten die Literatenmaler sich Themenkreise erschlossen, die sie einerseits aus der Landschaftsmalerei, andererseits aus dem Blumen- und Vogelgenre entwickelten: alte Bäume und Felsen, wie wir sie bereits bei Zhao Mengfu finden, Kiefer, Pflaume und Bambus, „die drei Freunde im Winter“ (sui han san you) oder Bambus, Pflaume, Orchidee und Chrysanthemen, „die vier Edelleute“ (si junzi). Wie schon die Bambusmalerei, begründet sich ihre Verselbständigung zum einen in den Möglichkeiten des freien Umgangs mit diesen Motiven im Tuschespiel - und damit in der Nähe der Kalligraphie - zum andern in ihrem Symbolgehalt siehe auch und der chinesischen Auffassung von der Wesenhaftigkeit der Naturdinge. Unabhängige Geister begannen auch, diese Motive in verschiedenen Kombinationen zu variieren.

Prunus, Felsen und Schmetterlinge

Chen Hongshou, der ja in der Figurenbehandlung einen sehr persönlichen und einmaligen Stil gefunden hat siehe auch, bewies auch in der Pflanzen- und Tierdarstellung Eigenwilligkeit. Kaum eines der ihm zugeschriebenen Bilder dieses Genres weist ein vergleichbares Maß an Originalität auf wie die Querrolle „Prunus, Felsen und Schmetterlinge“ im Palastmuseum, Peking . Sie zeigt nichts weiter als zwei Felsen, einen Pflaumenast, der einige wenige Blüten trägt und zwei Schmetterlinge. Dass er auch für uns „tote“ Naturgegenstände mit Leben erfüllt sieht, führt Chen an den figurenhaft wirkenden Felsen vor, von denen der größere geradezu gestikulierend dargestellt ist, während der andere still in sich versunken zu hocken scheint. Unter der Hand des Malers nehmen die Felsen wahrhaftig etwas Wesenhaftes an. Sie werden zu Individuen, mit denen er - und ihm folgend der Betrachter - in eine Zwiesprache treten kann. Erinnert sei dabei an die oft dargestellte Anekdote über Mi Fu, der sich vor einem alten Felsen verneigt haben soll siehe auch siehe auch. Die Subjektivität Chen Hongshous verleiht den Naturwesen einen eigenen Charakter. Auch sie - ebenso wie die Bäume Wen Zhengmings - tragen die Spuren der Zeit und eines Schicksals, das sie geprägt hat: grotesk zerklüftet von Jahrtausende langer Verwitterung die Felsen; verdreht gewachsen, mit schrundiger Rinde, von Nässe, Hitze und Kälte gegerbt, mit verheilten Wunden - augengleichen Astlöchern abgebrochener Äste - der alte Pflaumenbaum, der dennoch und noch immer Blüten treibt. Das taumelnde Flattern der Schmetterlinge verewigt den Augenblick.

Die Rolle liest sich wie eine Partitur. Rechts wird sie eingeleitet mit einer Kalligraphie aus vier klar und gerade gesetzten senkrechten Zeilen. Es folgt nach links geneigt ansteigend der große Fels mit seiner heftigen Geste. Etwa in der Bildmitte unten sitzt sein stiller Gegenpart, über dem die Schmetterlinge einen bewegten Akzent bilden. Weiter links neigt sich von oben der Pflaumenast ins Bild und lässt nach einigen Krümmungen die Komposition mit seinem Blütenzweig zart ausklingen. Es ist ein auf- und absteigender Rhythmus, dessen Leerräume zwischen den Gegenständen den Intervallen in der Musik entsprechen. Die Malweise steht ganz im Einklang mit dieser rhythmischen Gliederung: eine lockere kalligraphische Linienführung in Valeurs von zart lavierten Tönen bis zu tiefem, scharf begrenzten Schwarz. Die Strichstärke wechselt. Teils ist die Linie voll und saftig, teils trocken gerissen. Nichts erinnert an die sorgfältig gezogenen „Eisendrahtlinien“ seiner Figuren.

Chen Hongshou zeigt sich hier auch als ein Meister des Tuschespiels. Mit der subjektiven Sicht, wie sie sich in diesem Werk manifestiert, nahm er eine der wesentlichen künstlerischen Haltungen der folgenden Dynastie vorweg.