Landschaft

Westliche Landschaftskunst, zumindest als Hintergrund religiöser Bilder, wurde in China bereits Ende der Ming-Zeit bekannt durch jesuitische Missionare am Kaiserhof. Auch von den Mandschu wurden sie vor allem ihrer technischen Fähigkeiten und ihrer wissenschaftlichen Kenntnisse wegen geschätzt. Unter ihnen befand sich eine Reihe begabter Maler. Am bekanntesten wurde Giuseppe Castiglione (Lang Shining) (1688-1766) siehe auch, der 1715 nach Peking kam und chinesische Maltechniken erlernte. Er verband sie mit europäischer hell-dunkel Malerei, mit Licht- und Schattenwirkung und vor allem mit einer perspektivischen Raumauffassung. Europäische Bilder, die an den Hof gelangten, erregten Bewunderung wegen ihrer Naturtreue. Gesichter, Gewänder und Figuren wirkten auf die Betrachter „als schaue man in einen Spiegel“. Sie „schienen wie lebend, so … täuschend“ seien sie dargestellt, beschrieb ein Hofbeamter seinen Eindruck.

Castiglione erfuhr höchste Protektion. Unter anderem malte er eine Anzahl Porträts Qianlongs, der ihn so hochschätzte, dass er persönlich die Grabinschrift des Malers verfasste.

Auch unter Kangxi wirkten bereits Jesuitenmaler am Hofe und sie beeinflussten manchen ihrer chinesischen Kollegen. Es war daher wohl nicht allein jenes außerordentliche Prestige Castigliones, wenn es auch einen erneuten und bedeutenden Impuls gab, was eine Reihe von Hofmalern veranlasste, gewisse Elemente europäischer Malerei zu übernehmen, wie plastische Modellierung durch Andeutung von Schatten oder räumliche Verkürzung. Vereinzelt begannen bereits seit der Kangxi-Ära selbst bedeutendere Berufs- und Hofkünstler wie Leng Mei, Li Yin, Yuan Jiang oder später Yuan Yao sich mit Problemen des Tiefenraums auseinanderzusetzen.

Andererseits sahen sogar Bewunderer perspektivischer Darstellungen die Geschicklichkeit europäischer Maler, einen Palast so zu malen, „dass man sich veranlasst fühlen könnte, einzutreten“, als bloßes technisches Kunststück an - jedoch nicht als Kunst. Nicht einmal bei einem mit westlichem Denken vertrauten Maler wie Wu Li siehe auch, der sogar konvertierte und katholischer Priester wurde, wirkte sich europäisches Raumempfinden in seinen Landschaftsbildern aus. Der Einfluss westlicher Malerei blieb marginal und nur auf einige akademische Hofkünstler und Berufsmaler beschränkt. Gewisse westliche Züge, wie sie sich schon in der Ming-Malerei andeuteten, mögen vereinzelt und unbewusst auch in die Bildwelt der Qing-Literaten eingeflossen sein. Grundsätzlich jedoch galt ihnen europäische Malerei noch weniger, als den Akademikern. Sie vermissten, was ihnen höchstes Kriterium der Malkunst war: die sichtbare Spur der Persönlichkeit, den unmittelbaren, unverstellten Ausdruck des Pinselstrichs. Diese Einschätzung teilten Orthodoxe wie Individualisten.

Bei den Traditionalisten bildete sich eine historisierende Landschaftsauffassung aus. Stilmerkmale und Vortragsweisen verschiedener Epochen und Meister wurden in einem Bild verwoben. Dieses eklektizistische Verfahren, womit ja bereits die Ming-Maler experimentiert hatten, wurde den Orthodoxen nun zur eigentlichen künstlerischen Aufgabe. Landschaft sahen sie sozusagen nur noch mit den Augen der großen Vorgänger. Die Überlagerung verschiedener Stile - natürlich der „Südlichen Schule“ - wurde so exzessiv betrieben, dass man beispielsweise Dong Qichang imitierte in der Art wie er etwa Wang Mengs Interpretation Jurans auffasste. Dong Qichangs Gestalt als Künstler wie als Theoretiker stand als unverrückbare Landmarkierung seinen Nachfolgern vor Augen; seine Autorität war unumstritten und nicht diskutierbar. Seine Hochschätzung der Yuan-Maler, seine Auslegung der frühen Meister Dong Yuan und Juran galten als vorbildlich. Man vergaß gänzlich, dass Dong Qichang bei aller Regelstrenge auch anmerkte: “ Wer nicht imstande ist, Abweichungen (von den Vorbildern) vorzunehmen, ist wie eingeschlossen zwischen Zäunen und Wänden. Wer sich aber (von ihnen) zu entfernen vermag, kann ihnen sehr wohl nahe kommen.“ Die sklavische Befolgung seiner Regeln führte die meisten seiner Anhänger zur Selbstbeschränkung und in einen neuen Dogmatismus. Dong Qichangs Bevorzugung bestimmter Kompositionsmethoden und die Ablehnung anderer, die von ihm zugelassenen Vorbilder, seine Festlegung erlaubter Pinseltechniken - all dies findet sich in der Malerei der meisten seiner traditionalistischen Nachfahren. Den führenden Vertretern der Orthodoxie, wie etwa den „Vier Wang“, gelangen noch Werke von eigenem Reiz, ohne allerdings Betonung auf eine durchgehende individuelle Handschrift zu legen; dazu waren sie zu sehr auf ihre Vorbilder fixiert.

Ihre Stärke lag in einer reichen Textur der Oberfläche, die erreicht wurde durch Überlagerung verschiedener Farbstrukturen und einem dichten Strichwerk, nassem und trockenem Tuscheauftrag, wechselnden graphischen Mitteln wie kurzen Strichen und Moospunkten. Diese Mittel erlaubten jedoch kaum eine freie, ausdruckstarke Liniensprache, da die Konturlinie so immer wieder durchbrochen und aufgelöst wurde. Ein Verfahren das übrigens auch manche Individualisten anwandten. Wenn sich Werke der Orthodoxen von ihren Modellen unterschieden, dann vorwiegend in der Textur oder in gewissen Veränderungen des Bildaufbaus. Nicht selten waren ihre Bilder stark farbig - je nach Vorbild - trotz Dong Qichangs eigener Zurückhaltung in der Anwendung von Farbe. Die Werke dieser konservativen Maler sind meist makellos im Vortrag - selbst wo er absichtsvoll unbeholfen erscheint - und ausgewogen in der Komposition. Sie zeigen das Wissen ihrer Schöpfer um alle bisherige Landschaftskunst. Und dennoch - oder gerade deswegen - fehlt diesen Bildern jene Frische, Unmittelbarkeit und Eigendynamik, welche die Arbeiten ihrer Vorbilder auszeichnen. Wenn die Traditionalisten in der Art eines einzelnen Meisters malten, vermerkten sie in Kolophonen seine künstlerische Bedeutung und seine historische Stellung. Es war eine solche intellektuelle Annäherung an ihr Sujet, vielleicht auch mangelnde oder unterdrückte Spontaneität, vor allem aber der Respekt vor den erwählten großen Vorläufern, eine Art Pietät, welche die Gelehrtenkünstler daran hinderte, Neuland zu betreten.

Anders die Individualisten. Ob Mönchsmaler oder private Einsiedler, jeder suchte in der Landschaft seine Empfindungen in einem persönlichen Duktus oder einer ihm eigenen Stilhaltung auszudrücken. Sowohl die Traditionalisten als auch diese unabhängigeren Künstler mochten echte Naturerlebnisse gehabt haben. Nur war den Dogmatikern der unmittelbare Blick auf die Natur verstellt durch die großen Gestalten der Vergangenheit, während Naturerfahrungen bis zu einem gewissen Grade in die Werke der Individualisten einflossen. Denn die Natur im weitesten Sinn, aber nicht zuletzt auch die Landschaft ihres unmittelbaren Lebensumkreises, war für sie von tieferer existentieller Bedeutung, als für die meisten Orthodoxen: sie war ihnen Zuflucht vor den politischen Realitäten, denen sie sich, besonders zu Anfang der Qing-Zeit, zu entziehen suchten. Diese Weltabgewandheit stärkte ihr Eigenbewusstsein, sie sahen und begriffen sich selbst als Einzelwesen. Das machte sie freier und unbefangener übermächtigen Traditionen gegenüber. Gong Xian siehe auch sprach es aus: „Niemand war vor mir, niemand wird nach mir sein.“

Jedoch, bei aller Betonung ihrer Unabhängigkeit von Vorbildern, bezogen sich die meisten dieser Maler dennoch auf große Vorläufer - wesentlich auf die Yuan-Landschafter - die oft genug hindurchscheinen durch eine eigenständige Ausdrucksweise. Diese manifestiert sich gewöhnlich in einer sehr persönlichen Handschrift. Gerade aber diese Handschriftlichkeit, ihre bei einigen Meistern aufs äußerste gesteigerte Expressivität, entfernte diese Maler wiederum von der Visualisierung eines konkreten Naturausschnittes. So erscheint das Landschaftsbild auch bei den Individualisten mehrfach gefiltert: ein Stück Natur, erlebt, gesehen, vielleicht auch erdacht; im Bilde aufgebaut etwa in der Art Ni Zans; ausgeführt jedoch in der dem Künstler eigenen Weise - impulsiv oder bedächtig, sparsam und locker oder mit dichter Textur, mit starker oder reduzierter Farbe, flächig oder voluminös, die Linie betonend oder aufgelöst. Natur also nicht nur „durch ein Temperament gesehen“, sondern durchaus auch in der Sehweise eines bewunderten Vorbilds.

Li Yin

Ende des 17. Jahrhunderts wirkte in der aufblühenden Handelsstadt Yangzhou ein Kreis von professionellen Malern, deren Kunst den Rahmen der üblichen akademischen Berufsmalerei sprengte. Die tonangebenden Persönlichkeiten waren Yuan Jiang (ca. 1670-1755), der 1725 an den Kaiserhof berufen wurde, sein Sohn oder Neffe Yuan Yao und Li Yin (spätes 17. bis ca. Mitte 18. Jh.). Er stammte aus Yangzhou und arbeitete dort für die reiche Kaufmannschaft, die großformatige, dekorative Malerei für repräsentative Zwecke schätzte, ohne allzuviele beziehungsreiche Anspielungen auf Poesie und ältere Kunst, wie sie die Literatenmaler liebten. Wie diese beriefen sich natürlich Li und seine Gesinnungsgenossen ebenfalls auf Vorbilder und zwar auf die seit Dong Qichang desavouierte „Nördliche Schule“ siehe auch.

Unterwegs im Wagen

In einer Hängerolle des Palastmuseums, Peking, „Unterwegs im Wagen“ greift Li Yin ein Thema des Guo Xi auf, worin Esel-, Maultier- oder Kamelgespanne auf gewundenen Wegen durch eine öde, schluchtenreiche Landschaft ziehen . Sie wirkt wüstenartig und erinnert an Zentralasien: weite Sandflächen im Hintergrund, Sandhügel und Felsen, an Vegetation nur vereinzelte Gruppen dürrer Bäume weiter vorne. Rechts unten ein Weiler mit ein paar offenen Hütten, in die man hineinsehen kann, obwohl man aus der Vogelperspektive hinabschaut und der Horizont fast am oberen Bildrand liegt. In einigen Hütten kann man eine Garküche und gedeckte Tische erkennen, wo Kaufleute, Tiertreiber und Fuhrmänner sich zum Essen niedergelassen haben. Auf dem Dorfplatz stehen Karren umher, kommen Reisende an, lagern Esel und Kamele. Jede Einzelheit - bis zu den Schüsseln auf den Tischen - ist genauestens gezeichnet. Und genauso sind noch die entferntesten Wanderer, Eselreiter oder Kamele dargestellt, sogar verschiedene Typen zweirädriger Karren mit unterschiedlichen Radspeichen. Trotz solcher Detailbesessenheit, die natürlich den Auftraggebern das Vergnügen des Wiedererkennens ihrer eigenen Lebenswelt und des „Umherspazierens“ im Bilde bescherte, ist der Aufbau der Komposition keineswegs kleinlich. In schwingenden Zügen staffeln sich im Vordergrund Hügel hintereinander bis zur Bildmitte hinauf. Dahinter, im oberen Teil der Rolle, windet sich ein breiter Strom in eine unbestimmte Ferne.

Zwar ist das Werk Guo Xis verloren gegangen, worauf sich Li Yin bezieht, doch bestehen erkennbare Ähnlichkeiten zu einem anderen Hauptwerk Guos, der großen Hängerolle „Früher Frühling“ siehe auch. Wie dort beginnt auch Li Yins Komposition unten mit einem Felsblock, auf dem sich eine Gruppe unbelaubter Bäume festkrallt. Seitlich und am Fuß des Felsens wachsen an den gleichen Stellen dürr verkrümmte Baumexemplare. Und wie bei Guo sich weitere Felsen hinter dem vorderen auftürmen und auf diese Weise das Rückgrat der Komposition bilden, so auch bei Li. Und wo Guo zu beiden Seiten tief unten liegende Wasserflächen zeigt, fallen Lis Hügel zu tief eingeschnittenen Schluchten ab. Doch während Guo Xis phantastische Felsgebilde über und über mit vitalen, plastisch formenden Pinselzügen bedeckt sind, ungemein kraftvoll verstärkt durch breite, schwarze Konturen, erreicht Li die plastische Wirkung seiner Hügelkette durch dunkler getönte, flächige Lavierungen in den Einschnitten. Teils setzt er Hügel und Täler mit schwarzen Umrisslinien voneinander ab, teils belässt er sie „knochenlos“, indem er die getönten Flächen der Schluchten gegen die hellen Hügelpartien scharf begrenzt beziehungsweise sie allmählich übergehen lässt. Die Weichheit solcher Übergänge, sowie die sanft verlaufenden Formen der Hügelsilhouetten, in Verbindung mit den Ockertönen der Lavierung auf dem gelblichen Seidengrund rufen den Eindruck von Sanddünen hervor. Den Konturlinien fehlt jener dynamische Schwung und die lebendige Formkraft des Vorbilds. Stattdessen sind sie sorgfältig und ausgeklügelt gezogen. Jeder Knick, jede Kurve, jede Einkerbung ist auf dekorative Wirkung hin angelegt. Der rhythmische Ablauf bestimmter Hügelkonturen wiederholt sich fast wörtlich, die räumlichen und die hell-dunkel Intervalle sind auf ein harmonisches An-und Abschwellen berechnet. Die Oberflächenstrukturen, da wo sie Fels andeuten sollen, sind sparsam eingesetzt. Sie ergeben jedoch keine plastische Formung des Geländes, sondern erscheinen als ausgetüftelte graphische Elemente, wiederum mit vorwiegend dekorativem Sinn. Der malerische Vortrag ist also weit entfernt von Guo Xi. Der Wechsel lasierender Tönungen und effektvoll kalkulierter Konturlinien erinnert an die Maler der Zhe-Schule, insbesondere an Dai Jin.

Dort nun, wo in Guo Xis Frühlingsbild Dunst die Felsenachse des Vordergrundes von den steil aufragenden Felstürmen des Hintergrundes trennt, gibt Li den Blick frei in eine weite Ebene, in welcher ein breit angelegtes Flussbett zwischen Sandbänken sich groß ausschwingend in der Bildtiefe verliert. Es ist ein in der chinesischen Malerei ungewöhnlicher, ja kühn zu nennender Einfall, der in dieser Form absolut originell ist. Der Fluss verkürzt sich in perspektivisch „richtiger“ Weise und vermittelt so den Eindruck eines Tiefenraums. Dies zeigt deutlich Li Yins Kenntnis europäischer Malerei und seine Auseinandersetzung mit deren Raumvorstellungen. Um aber die Kontinuität der Bildfläche zu wahren, die ja nach chinesischer Auffassung und chinesischem Bildgefühl durch eine zu kräftig betonte Tiefenillusion zerstört würde, greift Li auf ein Gestaltungsmittel der Süd-Song Malerei zurück: er lässt „Ferne“ und „Raumtiefe“ nur erahnen, indem er den Horizont verhangen darstellt und das Bild mit einer Dunstfläche abschließt, worin Fluss und Ebene verschwinden. Dieser gleichmäßig lavierte Dunst verhindert die Definition räumlicher Tiefe und führt sie gleichsam in einer Wölbung auf die Bildebene zurück. In der filigranen Aufschrift die über der dunstigen Ebene schwebt, weist Li Yin auf die Problematik der Bildtiefe hin.

Das Werk ist ein Beleg dafür, wie auch die führenden Berufsmaler, dem Zug der Zeit folgend, nicht einfach ein Vorbild kopierten, sondern mit Hilfe von Stilschichtungen durchaus originelle Werke hervorzubringen vermochten.

Yuan Yao

Obwohl sie zu den bekanntesten Hofmalern des 18. Jahrhunderts zählen, ist über die Lebensumstände der beiden Yuan kaum etwas überliefert. Beide haben in Yangzhou gearbeitet. Yuan Jiang wurde nach 1725 an den Yongzheng-Hof berufen, während sein Sohn oder Neffe Yuan Yao (tätig ca. 1720-1780) angeblich bereits unter Kaiser Kangxi Hofmaler gewesen sein soll. Dem widerspricht, dass die meisten datierten Werke in den Zeitraum etwa zwischen 1740 und 1755 fallen. Er stammte aus Jiangdu, Provinz Jiangsu. Stilistisch lehnte er sich stark an Yuan Jiang an; andere Vorbilder fand er in den Meistern der Song-Akademie und - ebenso wie Li Yin - in Guo Xi.

Die Wagen

Auf einem Albumblatt des Britischen Museums behandelt Yuan Yao das gleiche Thema nach Guo Xi wie Li Yin: „Die Wagen“ . Es war offenbar ein beliebtes Motiv bei bürgerlichen Sammlern und kaiserlichen Auftraggebern, denn es existierten mehrere Versionen davon, vermutlich auch auf großen Rollen. Am Hof war es überdies üblich, mehrere Versionen eines Werks herzustellen, wenn es Anklang gefunden hatte, um es in verschiedenen Palästen zur Verfügung zu haben.

Bei dem Albumblatt handelt es sich um ein Querformat, dessen Ablauf überraschenderweise links beginnt, also entgegen der üblichen Betrachtungsweise. Von links kommend überqueren ein Träger und ein Eselreiter einen schmalen Steg, der über einen Wasserlauf mit einigen niedrigen Wasserfällen führt: der konventionelle Zugang in die Bildlandschaft. Weiter rechts strebt ein Treiber mit seinen Packeseln einer Raststätte zu, die, genau wie auf dem Bild Li Yins rechts unten hinter einem gewaltigen Felsblock liegt. Auch hier kann man in die Hütten einsehen mit Tischen und Gästen. Im Hof steht ein Karren, ein Mann kehrt, ein anderer trägt Speisen auf. Oberhalb des Gehöfts durchqueren Reisende eine Furt, darunter ein Ochsengespann und ein Kamelreiter. Nun führt der Weg bergan, auf dem sich ein Ochsenkarren und Fußwanderer hinaufmühen. Auf der Passhöhe noch einmal ein Packträger und ein Reiter, ehe sie auf dem Weg ins dahinter liegende Tal verschwinden. Jenseits davon erheben sich aus einem Waldstück in der Ferne ein Tempel und eine Pagode. Dahinter treten Berge aus einem leichten Dunstschleier hervor und sperren den Blick in weitere Fernen.

Die Bewegungsrichtung der Reisenden bestimmt hier sehr deutlich die Lesart des Bildes. Es existiert jedoch eine spiegelverkehrte Version (Phoenix Art Museum), die zeigt, wie virtuos Yuan Yao es verstand, den gleichen Bildelementen in unterschiedlicher Anordnung eine bildmäßige Logik abzugewinnen. In unserem Beispiel entwickelt sich die Komposition von links aus der Tiefe. Denn die Wanderer auf dem Steg, die ins Bild eintreten, haben einen weiten Weg hinter sich: hinter ihnen erstreckt sich ein breites Flusstal, das in großer Ferne von einer dunstverhangenen Bergkette abgeschlossen wird. Diese Höhen liegen weiter zurück, als die Berge am rechten Bildrand. Die Tiefenwirkung wird vor allem aber durch den Fluss hervorgerufen, der von einem flachen Gesichtswinkel aus gesehen - also mit niedrigem Horizont - sich mit zunehmender Nähe perspektivisch schnell vergrößert. Folgen wir weiter dem gewundenen Weg, auf dem die Handelsleute ziehen, stoßen wir auf das mächtige, bildbeherrschende Felsmassiv. Wie bei Guo Xi und Li Yin türmt es sich hintereinander gestaffelt in die Höhe, hier bis zum oberen Bildrand. Und ebenso findet sich hier die Baumgruppe des Vordergrundes wieder. Die gewaltige zentrale Felsmasse bildet einen monumentalen Kontrapunkt: einmal zum Tiefenraum des Flusstals, und dann dadurch, dass sie sich in phantastischer Übersteigerung gegen die Bewegungsrichtung des Bildverlaufs neigt. Es entsteht so außerdem eine höchst wirkungsvolle Fermate. Rechts davon entwickelt sich eine Raumzelle mit einem konventionellen Bildraum. Liest man die Komposition von hier aus, also wie üblich von rechts nach links, so stimmen die Bewegungsabläufe nirgends mehr, weder die der Reisenden noch die des Geländes. Folgt der Blick zum Beispiel dem sanft nach links ansteigenden Zentralfels, steht man plötzlich über einem Abgrund und schaut unvermittelt in einen ganz anders gearteten Bildraum: in einen „europäischen“ Tiefenraum, dessen fernster Hintergrund allerdings in altchinesischer Weise von Bergen abgeschlossen ist. So gelesen wird die Bildkontinuität abrupt unterbrochen, während umgekehrt gesehen der Bildablauf, ausgehend von dem weiten, sanften Flusstal, sich zu einer dramatischen Spannung steigert, da der Widerstand des Felsmassivs auf diese Weise überwunden werden muss.

So interessant und einfallsreich die Komposition ist, so manieriert ist der Vortrag. Das Lineament der Umrisse und der Binnenstrukturen ist überall von gleichbleibender, wellenförmiger Bewegtheit. Ihr An- und Abschwellen soll Frische und Lebendigkeit demonstrieren, ebenso wie die formelhaften, über die Lavierung verteilten Strukturstriche. Wie bei Li Yin herrscht das Bemühen vor, jede Kontur, jede Binnenzeichnung dekorativ effektvoll auszuspielen. Oberfläche und Gestalt der Zentralfelsen entsprechen den bizarr geformten und perforierten Zierfelsen chinesischer Gärten. Die Verformungen des Gesteins erinnern an die in realistischem Sinn unmöglichen, grotesken Verdrehungen spät-mingzeitlicher Landschaften, wie etwa die eines Wu Bin siehe auch. Die kleinteilige Bewegtheit der Pinselschrift erzeugt nicht etwa eine großzügige, rhythmische Dynamik, die das Bildganze erfasst wie bei dem großen Vorbild, sondern eine durchgehende Unruhe. Was aber auf einem relativ kleinen Albumblatt noch vergleichsweise locker angelegt ist, führt auf den großen Hängerollen zu einem handwerklich perfekt vorgetragenen Manierismus und zu lebloser Erstarrung.

Wang Shimin

Mit der Person Wang Shimins (1592-1680) verbanden sich die Werte, welche es für die traditionalistisch gesinnten Literatenmaler zu retten galt. Sie sahen sich als Verteidiger des „Wahren Glaubens“ gegen die scheinbare Bindungslosigkeit der Individualisten, „die üble Saat säen“ (Wang Shimin), gegen die Wiederbelebungsversuche der „Nördlichen Schule“ und die Neuerungen, welche durch europäische Maler in die Malerei eindrangen. Wang Shimin war der Mittler zwischen den Literatenkünstlern der späten Ming-Zeit, soweit sie Dong Qichang folgten, und den jüngeren Traditionalisten der Qing-Dynastie. Sein Wirken bedeutete einen bruchlosen Übergang zwischen den beiden Epochen. Er wurde zum Haupt und Lehrer einer sich neu bildenden Orthodoxie, deren sechs Hauptmeister die „Vier Wang“ waren, also er selbst, Wang Jian, Wang Hui und Wang Yuanqi; außerdem Yun Shouping siehe auch und Wu Li siehe auch.

Geboren in Taicang, Provinz Jiangsu, entstammte Wang Shimin einer hochangesehenen Familie von Gelehrten und Beamten. Sein Großvater war Premierminister, sein Vater Vorsteher des kaiserlichen Ahnentempels. Neben dem Studium der Klassiker und natürlich Übungen in Kalligraphie und Poesie, widmete sich der Frühbegabte der Malerei. In Gesprächen mit Dong Qichang und wohl auch durch dessen praktische Schulung, empfing er Dongs Kunstbegriff unmittelbar an der Quelle, denn zu jener Zeit bildeten sich dessen Theorien aus. Dies prägte den jungen Mann tiefgreifend. Selbstverständlich schlug er die Beamtenlaufbahn ein und diente zeitweise als Gesandter. Nach dem Sturz der Ming zog er sich ins Privatleben zurück und widmete sich nur noch seinen Interessen: der Schriftstellerei und der Schreibkunst, dem Studium von Antiquitäten, der Alten Meister und der Malerei. Seine Familie besaß bereits eine ansehnliche Sammlung. Er selbst war ein eifriger Sammler, und wenn er ein Bild nicht erwerben konnte, suchte er es zu leihen, um es eingehend zu studieren. Er fertigte ein Album mit verkleinerten Kopien alter Meister, was ihm als Übungsvorlage für verschiedene Techniken und Kompositionsweisen diente. Die eigenen Arbeiten gerieten ihm dennoch nie zu einfachen Kopien, sondern waren stets Interpretationen der erwählten Vorbilder. Er sah es als seine Hauptaufgabe an, diesen zu dienen und ihre künstlerische Sprache weiterzugeben. Diese Haltung vermittelte er auch seinen zahlreichen Schülern.

Es waren vor allem die Vier Großen der Yuan-Zeit, aber auch Zhao Mengfu, die er bewunderte und deren Vorbilder Dong Yuan und Juran. Im Alter dehnte er seine Studien auf andere Künstler der „Südlichen Schule“ siehe auch aus, wahrscheinlich unter dem Einfluss seines größten Schülers Wang Hui, und arbeitete nun auch öfter im Stile von Nord-Song- und Tang-Meistern, wie etwa Wang Wei, der Überlieferung nach Begründer der Landschaftsmalerei. Von den Yuan-Meistern aber war es vor allem Huang Gongwang, den er über alle anderen stellte und dessen Art zu erreichen er bis ins hohe Alter unermüdlich anstrebte. Wenn auch sein Freund Wang Jian und andere ihn für den wahren Nachfolger des Yuan-Meisters hielten, er selbst „fühlte sich beschämt“, wenn er seine Arbeit mit der Huangs verglich.

Ein Großteil seiner Hängerollen sind einander außerordentlich ähnlich im Aufbau. Ja man könnte von einem Schematismus sprechen, hätte er nicht immer wieder mit kleinen Veränderungen im Detail oder der Komposition dem praktisch gleichbleibenden Motiv andere Aspekte verliehen. Auf diese Weise machte er sie tatsächlich zu Variationen eines einzigen Themas. Dies zeigt auch, dass es Wang Shimin, wie allen Orthodoxen, nicht so sehr auf den Bildinhalt ankam - es genügte, wenn er durch die Tradition legitimiert war - als auf die Machart.

Landschaft im Stil von Huanggong wang

Exemplarisch für diese Werkgruppe ist eine Landschaft des Metropolitan Museums, New York . Die Vertikalität einer solchen Komposition wird nicht allein bestimmt durch das Format der Rolle, sondern eine aufsteigende Tendenz ist dem gesamten Bildgefüge immanent: der klassische Aufbau einer Landschaft, auf welche wir aus der Vogelschau hinabsehen. Im Vordergrund unten, in diesem Falle rechts, steht eine Gruppe größerer Bäume, allerdings schon so weit entfernt, dass dies nach europäischen Sehgewohnheiten bereits Mittelgrund wäre. Die Bäume erheben sich auf einem Hügel an einem Fluss, über den links ein Steg zu einem Pavillon führt. Vorbei an spitz vorspringenden Landzungen und steilen Ufern, tritt der Bergstrom, ganz an den linken Bildrand gedrängt, aus einer Schlucht hervor, gespeist von senkrecht herabstürzenden Wasserfällen. Hoch über ihm steigen abgeflachte Felsterrassen an, gerundete, von Vegetation überzogene Hügel und senkrechte Klippen. In den tiefen Einschnitten zwischen den Erhebungen drängen sich Buschwerk, Bäume und einige versteckte Hütten. In einem Hochtal unter einer überhängenden Felswand liegt ein Kloster, zu dem schmale, steile Treppenfluchten hinaufführen. Am Ende des Flusstals lagern einige Wolken, hinter denen der zentrale Gipfel aufsteigt, flankiert von etwas niedrigeren Bergen und steilen Zinnen.

In der klaren Festigkeit des Bildaufbaus, seinem im Aufsteigen hin- und herwogenden Rhythmus lässt sich unschwer die Kompositionsmethode Dong Qichangs erkennen. Der abgerundete Umriss des Hauptberges, seine Wiederholung in zahlreichen Hügeln, die sich aus ebenso gerundeten Buckeln zusammensetzen, gehen ursprünglich auf Juran siehe auch zurück, wie etwa in dessen Gemälde „Auf der Suche nach der Wahrheit in herbstlichen Bergen“. Hügel und Berge bei Wang Shimin bauen sich ebenso auf wie Jurans „Alaunköpfe“. Bei diesen finden sich auch bereits die terrassenartig abgeflachten Felskuppen, sowie die sanften Formen des Pflanzenbewuchses, der den nackten Fels einhüllt. Langgezogene „Hanffaserstriche“ folgen dem Formverlauf hier wie dort und verleihen Hügeln und Kuppen eine weichgerundete Plastizität. Und wo Juran seine dunklen „Moospunkte“ in Vertiefungen und Einkerbungen des Gebirges gesetzt hat, um den plastischen Eindruck zu verstärken, setzt Wang Bäume oder kurze, waagerechte Vegetationsstriche. All dies findet sich umgeformt und verwandelt auch bei Huang Gongwang siehe auch, zum Beispiel auf dessen Querrolle „Leben in den Fuchun-Bergen“, woher Wang Shimin diese Strukturen übernahm. Dass er offenbar nicht unmittelbar auf Juran zurückgegriffen hat, zeigt die Art, wie er Bäume behandelt. Anders als Juran und ebenso wie Huang benutzt er für die Blätter näherstehender Bäume graphische Zeichen wie Kringel, Punkte, kurze Striche in verschiedenen Anordnungen, bei entfernteren Bäumen horizontale Wischer und Tupfen. Doch während Huangs Texturen trotz mehrfacher Überarbeitungen stets locker und offen bleiben und die Unmittelbarkeit von Skizzen bewahren, lässt Wang Shimin einer Spontaneität keinen Raum. Er handelt sein Bildthema sorgfältig ab. Er organisiert die Bildelemente wohlüberlegt und durchforstet sie dann in allen Einzelheiten. Die Oberflächenstrukturen geraten ihm dabei viel dichter und enger verwoben, als dem Yuan-Meister. Daher mag Wang Shimins rückhaltlose Eigenkritik stammen. Andererseits könnten Reichtum und Dichte seiner Bildtextur von Wang Mengs Werk siehe auch beeinflusst sein. Nur sind so gegensätzliche malerische Haltungen wie die Huang Gongwangs und Wang Mengs nicht in einer Weise vereinbar, dass die Qualitäten beider ungeschmälert gewahrt bleiben.

Vielleicht mehr noch als durch seine Kunst, wirkte Wang Shimin auf die nachfolgenden Generationen durch die Integrität, mit welcher er in einer Epoche des Übergangs traditionelle Werte verteidigte und durch seine ethische Rigorosität, mit welcher er jede Verbindlichkeit, alles Effektvolle und Vordergründige aus seinem Werk verbannte.

Wang Jian

Ebenso wie Wang Shimin wurde Wang Jian (1598-1677) in Taicang, Provinz Jiangsu geboren. Sie waren jedoch nicht verwandt miteinander. Nach dem Staatsexamen stieg er schnell zum Provinzgouverneur auf, sicherlich nicht zuletzt dank des Einflusses seiner Familie. Sein Großvater war ein angesehener Politiker gewesen. Wang Jian gab jedoch nach kurzer Zeit sein Amt auf, noch vor dem Sturz der Dynastie, um sich vorwiegend dem Studium der alten Meister und der Malerei zu widmen. Durch die umfassende Kunstsammlung seiner Familie, zu welcher vor allem der Großvater beigetragen hatte, konnte er sich intensiv mit Maltechniken und Kompositionsmethoden früher Malerei auseinandersetzen. Auf diese Weise eignete er sich die souveräne Beherrschung der verschiedendsten Arbeitsweisen an. Seine Kopien galten als unübertroffen. Die lebenslange Freundschaft mit Wang Shimin, welche auf gegenseitiger Bewunderung beruhte und auf den gleichen künstlerischen Prinzipien, wurde zur Basis der orthodoxen Schule, welche die Ideen Dong Qichangs umsetzte.

Es ist daher kaum verwunderlich, dass die Werke der beiden älteren Wang oft kaum zu unterscheiden sind. Beide arbeiteten „nach Art“ der gleichen Vorbilder, doch während Wang Shimin trotz aller Nähe zum Modell interpretierte, vor allem aber seine Kompositionen fest aufbaute, hielt sich Wang Jian im allgemeinen enger an sie. Zugleich verlieh er seinen Bildern größere Leichtigkeit durch einen schwingenden Rhythmus, und er betonte die dekorativen Werte in Zeichnung und Farbe. Aber selbst da, wo er sich, wie in den meisten Fällen, auf einen bestimmten Meister bezieht, überlagern sich verschiedene Stilmerkmale und maltechnische Eigenheiten.

Täler in Wolken und Schatten von Kiefern

So basiert die Hängerolle „Täler in Wolken und Schatten von Kiefern“ des Metropolitan Museums, New York, auf Wang Meng ebenso wie die Hängerolle „Sommerberge“ des Museums of Fine Arts, Boston, auf Dong Yuan basiert. Erstaunlicherweise ist die Anlage beider Kompositionen fast identisch. Neben weiteren Interpretationen alter Meister gleicht auch die Hängerolle des Art Institute Detroit „Landschaft nach Juran“ im Aufbau und in vielen Details diesen Kompositionen . Der Aufbau ist konventionell und ähnelt der beschriebenen Landschaft Wang Shimins: im Vordergrund eine Baumgruppe, hier mit hohen Kiefern, links der Fluss, der aus einem Tal hervortritt, im Mittelgrund ansteigende Felsen und Hügel, in den Klüften Wälder und einzelne Häuser oder Ansiedlungen. Krönung der Komposition ist der Bergkegel, welcher den Hintergrund abschließt. Die dichte und abwechslungsreiche Oberflächenstruktur, die nervöse Strichführung sind der Art Wang Mengs nachempfunden. Andererseits ist die Textur wiederum nicht so dicht verwoben, dass sie nicht an Huang Gongwangs Malweise gemahnt: zarte Lavierungen, über die eine wellenförmige Strukturzeichnung aus angetrockneter Tusche gelegt ist. Die langgezogenen „Hanffaserstriche“ sind natürlich beiden Yuan Meistern eigen und gehen auf ihre gemeinsamen Vorbilder Dong Yuan und Juran zurück, wie auch die Vegetationspunkte die Wang Jian hier ebenfalls anwendet. Und ganz unverkennbar stammt der zuckerhutförmige Bergkegel von Juran.

Wang Jians dekorativer Sinn erweist sich besonders in seinen farbigen Hängerollen, wo er zuweilen auch den alten Blau- und Grünstil anwendet, der selbst schon auf dekorative Wirkung hin angelegt ist.

Weiße Wolken über Xiao und Xiang

Der Hängerolle „Weiße Wolken über Xiao und Xiang“ (Freer Gallery of Art, Washington) fehlt die etwas aufdringliche Farbigkeit mancher Blau-Grünlandschaften . Ihre reduzierte Farbwahl ist von sensibler Delikatesse. Es herrschen lichte Ockertöne vor, die zu zartem Grün oder leicht rötlichen Valeurs wechseln können. Zeichnung und graphische Akzente reichen von Graubraun bis Schwarz. Vorbild war Zhao Mengfu siehe auch, jedoch ohne dessen manchmal überbetonte Scheinnaivität. Motiv und Bildaufbau sind altbekannt: Fluss, Bäume Hütten, aufgetürmte Felsen und der krönende Bergkegel. In schwingendem Rhythmus steigen die Felsen an. Die Vegetationsdecke, welche sie überzieht, gibt ihnen eine weiche, wolkenartige Erscheinung. Obwohl durch Farbe und Bewegungsrichtung unterschieden, bilden die wolkigen Felsformationen vorne einen rhythmischen Zusammenklang mit den horizontal gelagerten Wolkenfeldern, die sich im Mittelgrund ausbreiten. Sie verhüllen das Flusstal, das zwischen den vorderen Felsen und dem Hauptberg liegt. Es ist das altertümliche Mittel, wie man Vorder- und Hintergrund zugleich trennte und verband und wie es auch Zhao Mengfu angewendet hat. Und ebenso wie die Yuan-Meister vermeidet Wang Jian - gleich seinen orthodoxen Kollegen - ahnungsvolle dunstige Ferne im Sinne der Süd-Song. Er definiert die Wolken körperhaft und nähert sie so den Felsgebilden an. Dunst und Nebel werden nicht im Unbestimmten gelassen, sondern genau umrissen wie alle anderen Formen.

Wen immer jedoch Wang Jian zum Vorbild nahm, stets schlugen in irgendeiner Weise die beiden Urväter der „Südlichen Schule“ durch: Dong Yuan und Juran. Mochte die Xiao und Xiang-Komposition in Anlage und Detail auf Zhao Mengfu zurückgehen, Erdfalten und Oberflächenbehandlung sind in der Art dieser Meister ausgeführt und nicht zuletzt der Bergkegel mit seinem Bewuchs aus „Moospunkten“. Es mochte diese Durchmischung verschiedener Stilelemente in Verbindung mit der Eigenart seines malerischen Rhythmus und der selbstverständlichen Beherrschung verschiedener Techniken gewesen sein, was Wang Shimin zu der Feststellung veranlasste, dass „seine Pinselführung spontan und frei“ war und dass er „ganz ungebunden und nicht durch feste Regeln gefesselt“ war.

Mehr als für die großen Hängerollen, in denen trotz mancher Abweichungen dennoch die enge Bindung an das Modell vorherrscht, gilt dies für Wang Jians Albumblätter. Sie erscheinen freier, und wenn auch oft nach Art eines alten Meisters, wirken sie wie Skizzen vor der Natur oder nach dem Gedächtnis notiert. Dabei experimentierte er zuweilen mit erstaunlicher Kühnheit.

Abend über dem Südberg

Auf einem Blatt „Abend über dem Südberg“ (Privatsammlung, Japan) verspritzte oder versprühte er die Tusche so, dass aberhunderte feinster Tuschepunkte einen zarten Schleier über die darunterliegende Landschaft ziehen und auf diese Weise eine Dämmerstimmung evozieren . Solche Blätter wirken wie Entspannungsübungen nach den anspruchsvollen Stilinterpretationen der großen Rollen.

Obwohl deren Motive im Laufe der Zeit tausendfach von hunderten von Malern variiert wurden, gelang es Wang Jian, wie auch den anderen führenden orthodoxen Meistern, diesem festgelegten Kanon von Themen und Bildmitteln immer wieder eigene Nuancen abzugwinnen.

Wang Hui

Wahrscheinlich der berühmteste, sicherlich der erfolgreichste Maler seiner Zeit, war Wang Hui (1632-1717). Er stammte aus Changshu (Yushan), Provinz Jiangsu. Obwohl sich schon früh sein ungewöhnliches malerisches Talent zeigte, Erbschaft einer Familientradition, waren seine Eltern wirtschaftlich nicht in der Lage, ihm eine fundierte Ausbildung zu ermöglichen. Er hatte das Glück, dass Wang Jian in die Stadt kam. Der junge Mann nutzte die Chance und ließ dem berühmten Meister ein Fächerbild überreichen. Beeindruckt von der Begabung Wang Huis, nahm Wang Jian ihn als Schüler an. In Taicang unterrichtete er ihn zunächst und stellte ihn Wang Shimin vor, der Wang Huis Genie ebenfalls erkannte und ihn herzlich aufnahm. Unter Anleitung der beiden Altmeister studierte er die großen Song- und Yuan-Maler aus deren Sammlungen. Er reiste mit Wang Shimin, um die Landschaften des Yangzi-Gebietes zu studieren und um Kopien alter Meister aus verschiedenen Privatsammlungen anzufertigen, zu welchen er auf diese Weise Zugang erhielt. An die zwanzig Jahre blieb er bei Wang Shimin, und die beiden älteren Wang waren einhellig der Auffassung, dass der Schüler den Lehrer übertroffen habe. Seine Geschicklichkeit in der Imitation alter Meister, vorzüglich der Yuan-Zeit, war so groß, dass eine Reihe solcher Werke als Originale in die kaiserlichen Sammlungen gelangt sein sollen.

Nach dem Tod der beiden älteren Wang war sein Ruf als führender orthodoxer Meister so gefestigt, dass er 1691 eingeladen wurde, am Kaiserhof die Arbeiten an einem gewaltigen Projekt zu leiten, der Dokumentation einer der Inspektionsreisen Kangxis in den Süden. Wang Hui entwarf das vorgegebene Bildprogramm. Unter ihm arbeiteten eine unbekannte Zahl hochspezialisierter Maler mindestens sieben Jahre lang an der Ausführung. Es entstanden zwölf Querrollen mit einem unübertroffenen Detailreichtum, mit tausenden von Figuren und einer Länge von insgesamt 230 Metern. Sie stellen damit einen der ausgedehntesten Bilderzyklen dar, der je gemalt wurde, wenn nicht den längsten. Obwohl ihm der Kaiser ein Hofamt anbot, kehrte Wang Hui 1698 hochgeehrt nach Jiangsu zurück, wo er sich bis ins hohe Alter seiner Kunst widmete.

Wang Hui war der Prototyp des Eklektikers. Er war durchdrungen von der Forderung der Zeit, die von fast allen Gebildeten geteilt wurde - mit Ausnahme natürlich der Individualisten: der Künstler solle sich nicht an die Art eines einzigen Meisters halten, sondern die besten Eigenschaften verschiedener Maler auswählen und ihnen den Stempel der eigenen Handschrift aufdrücken. Es war dies ein Rezept, das bei schwächeren Talenten, die sich gerne an Schulen hielten, zu bestimmten Manierismen führen musste. Denn der größten Schwierigkeit dieser Forderung, nämlich die persönliche Eigenart zum Ausdruck zu bringen, waren nur wenige gewachsen. Dies war auch das Problem Wang Huis. In seinem riesigen Werk ließ er offensichtlich keinen bedeutenden Meister der „Südlichen Schule“ seit der Tang-Zeit aus, einschließlich einiger Meister der „Nördlichen Schule“. Stilimitation wurde ihm so sehr zur zweiten Natur, dass er zu keiner unverkennbar eigenen künstlerischen Sprache fand. Es ist unmöglich von einem „typischen“ Wang Hui zu sprechen. Typisch für ihn sind Stilwechsel oder bestenfalls gewisse technische Vorlieben, wie die üppige Anwendung von Punkten. Sie können sowohl als rein graphische Mittel dienen oder um gewisse Tonwerte zu erreichen, aber auch um Oberflächenstrukturen, Vertiefungen oder Vegetation anzuzeigen. Auch findet sich häufig eine graphische Verdichtung durch Reihen senkrechter kurzer Striche, die ferne Baumgruppen oder Wälder darstellen. Dennoch sind dies keine zuverlässigen Merkmale eines persönlichen Stils, denn bei manchen Werken sind sie vorhanden, bei anderen fehlen sie oder treten in den Hintergrund. Hinzu kommt, dass Wang Hui alle bis dahin entwickelten Techniken, jede Art von cun beherrschte, und sie auch in der Weise des jeweiligen Vorbildes anwandte. Das höchste Lob, welches ihm immer wieder zuteil wurde, war nicht, dass er seinen Werken einen persönlichen Stempel aufdrücke, sondern dass er den alten Meistern nahe komme und sie zuweilen gar übertreffe. Selbst da, wo er „frei“ arbeitete, das heißt ohne ausdrücklichen Bezug auf ein Vorbild, verfiel er augenscheinlich unwillkürlich in die Arbeitsweise eines alten Meisters, der ein ähnliches Motiv gemalt hatte. Dies gilt nicht nur für Stilimitationen bestimmter Maler, sondern natürlich genauso da, wo er Stile kombinierte und schichtete: „Nimm Pinsel und Tusche der Yuan-Meister, male damit Berge und Täler der Song-Meister, füge den Widerhall der Lebenskraft der Tang-Meister hinzu, dies (wird) ein Meisterstück“, lautet sein Ratschlag auf einem seiner Bildaufschriften, der zugleich Programm war. Selbst beim unverbindlichen Pinsel- und Tuschespiel schlugen entliehene Malweisen durch, in Albumblättern oder Skizzenbüchern, die unmittelbar vor der Landschaft entstanden sein sollen.

In seinen frühen und mittleren Jahren gelangen ihm Werke, die zwar in den seltensten Fällen originell waren, doch lebendig und unmittelbar wirkten. Dank seiner Kennerschaft und Virtuosität führte er den Pinsel in der Manier eines jeden beliebigen Meisters locker und spielerisch. Durch die Vielfalt seiner Studien eignete er sich nicht nur ein breites Spektrum von Techniken an, sondern auch von Kompositionsmethoden. Unter der Menge konventioneller, nach dem Vertikalschema mit dominierendem Hauptberg ausgeführter Landschaften finden sich mitunter abweichende Beispiele.

Flussblick mit Bergen

Mit zweiundsechzig Jahren, auf dem Höhepunkt seines Ruhms und seiner malerischen Erfahrung, malte Wang Hui eine Landschaft mit einer ungewöhnlichen räumlichen Konstellation, „Flussblick mit Bergen“ (Sammlung Ernest Ericson, New York) . Etwas mehr als die untere Hälfte des Hochformats zeigt eine Felsenlandschaft mit Gebirgsbächen. Steile Klippen bilden eine Kulisse, die das den Vordergrund bildende Tal abschließt. Soweit gleicht das Bild einer konventionellen Komposition mit allen üblichen Details: die Wanderer rechts unten, die über einen hölzernen Steg ins Bild eintreten, der Pfad, der sich bergauf windet und hinter einer Felsecke verschwindet, die Hütte unter Bäumen am Wildbach, die Wasserfälle, die Dunstzone, aus der ein Wasserlauf hervortritt und welche die vorderen Bäume und Felsen von den aufsteigenden Steilwänden trennt. Deren wogend sich emporreckende Formen und die dichte Bildtextur deuten auf Wang Meng als Modell, während die Bäume eher an Huang Gongwang erinnern.

Den Hintergrund im oberen Teil des Bildes schließt nun nicht wie üblich ein zentrales Bergmassiv ab, sondern hier öffnet sich ein weites Flusstal, dass sich bis zu einer Hügelkette am hochliegenden Horizont erstreckt. Durch den hohen Horizont entsteht der Eindruck, als schaue man von oben zunächst in das Gebirgstal und dann über die Felsenkulisse hinweg in die viel tiefer liegende Flussebene. Die abgeschlossene Raumzelle des Tals im Vordergrund bildet einen klaren Gegensatz zur Weite des Raums im Hintergrund. Dem entspricht die unterschiedliche formale Behandlung von Nähe und Ferne: Vertikalität in den Klippen hier, horizontale Lagerung der Landzungen und der Hügelkette dort. Wang Hui schuf durch solche Kontraste eine Raumtiefe, wie sie in der chinesischen Malerei bis dahin nicht üblich war. Zwar treten zum Beispiel ferne Hügelketten in Landschaftsbildern schon seit der Song-Zeit auf, doch erreichen sie niemals eine solche Tiefenwirkung.

Keinesfalls kann diese Landschaft vor der Natur und von einem bestimmten Punkt aus beobachtet worden sein, wie schon vermutet wurde. Dazu enthält das Bild zu viele Ungereimtheiten. Sie sagen nichts aus über seine bildnerische Qualität, wohl aber über seinen angeblichen Realitätsgehalt. Aus einer Kluft an der tiefsten Stelle der Felswand sprudelt ein Wasserfall hervor. Es ist nicht ersichtlich woher das Wasser kommen soll, denn dahinter erhebt sich kein hoher Berg, von dem es herabfließen könnte. Nimmt man an, das weite Flussbecken liege höher, als das Gebirgstal des Vordergrundes und die Felsbarriere bilde eine Art Staudamm, so wäre dies eine physikalische wie auch eine geologische Unmöglichkeit: der Druck der gewaltigen Wassermassen des seebreiten Stroms hätte an dieser Stelle einen riesigen Gebirgsdurchbruch und gewaltige Wasserfälle verursacht. Ausgerechnet hier aber, wo das Wasser über die Felsen treten müsste, läge der Fluss über dem Tal, zeigt Wang Hui eine Ansammlung winziger Häuser am Flussufer, die sich nicht auf der Höhe der Felsgipfel befinden, sondern von ihnen überschnitten tief unten im Tal. Ihre Entfernung wird anschaulich durch ihre Proportionen und die übliche Sicht auf ihre Dächer. Ein Waldstück am Ufer oberhalb der Ansiedlung ist ebenso in die Ferne und Tiefe gerückt. Mit Hilfe eines Felsenriffs, das links aus dem Tal aufsteigt und sich bis in die Flussebene fortsetzt, sucht Wang Hui eine Verbindung zwischen Vordergrund und Hintergrund herzustellen. In einem Hochtal, welches von diesem Riff abgeriegelt wird, drängen sich Häuser, welche noch diesseits der Felsbarriere liegen, also näher, als die Ansiedlung am Flussufer. Dennoch sind sie nicht größer dargestellt, was räumlich wenig plausibel ist, legt man realistische Maßstäbe an. Die Wasserfälle des Gebirgstals befinden sich genau da, wo man sie bei einem konventionellen Landschaftsbild erwarten darf, ebenso die übrigen Einzelmotive. Das gleiche gilt für die Flussebene. Trennt man die Komposition in der Mitte in ein oberes und ein unteres Bild, so fügen sich die jeweiligen Bildelemente organisch in je eigenem Rhythmus zu einer Einheit. Die in realistischem Sinne widersprüchlichen Raumkonstellationen fügen sich nun zu stimmigen Bildräumen. Dies erklärt sich damit, dass Wang Hui hier den Versuch unternommen hat, zwei unterschiedliche Gestaltungsprinzipien zusammenzufügen: das der Vertikalkomposition, wie sie gewöhnlich in der Hängerolle angewendet wird, und das der Horizontalentwicklung einer Querrolle. Das Werk gewinnt auf diese Weise seine überraschende Wirkung aus jener für Wang Hui so typischen eklektischen Methode.

Die Hängerolle „Fischerhütten und aufklarender Himmel im Herbst“ (Metropolitan Museum, New York) zeigt die gleiche Raumauffassung . Hier geht Wang Hui sogar so weit, dass der Gipfel des steilen Felsens, der sich hinter der Fischerhütte erhebt, die Landzunge des gegenüber liegenden Ufers überschneidet, sodass optisch ein Tiefenraum entsteht und das andere Ufer in weite Ferne gerückt wird.

Zehntausend Li des Yangzi

In zahlreichen Querrollen breitet er gewaltige Panoramen vor dem Betrachter aus. Sie zeigen zum Teil mehr, zum Teil weniger das gleiche Verständnis von Raumtiefe wie die beschriebene Landschaft: ein Zurückweichen des Raumes in die Bildtiefe. Dies demonstriert besonders deutlich die 203 Zentimeter lange Querrolle „Zehntausend li des Yangzi“ des Museums of Fine Arts, Boston, auf welcher der mächtige Strom sich abwechselnd nähert und wieder entfernt . Von Felsformationen, Bergen und weit ins Wasser ragenden Landzungen begleitet, verjüngt er sich immer wieder perspektivisch zum Horizont hin. Obwohl es dem Selbstverständnis des Literaten, zumal eines orthodoxen, widersprach, ist es dennoch denkbar, das Wang Hui von der Raumauffassung europäischer Malerei beeinflusst war.

Wang Hui erreichte innerhalb der selbstgesteckten Grenzen das Höchstmögliche. Da diese Grenzen jene Traditionen umfassten, welche den chinesischen Intellektuellen die teuersten waren, errang er auch höchste Anerkennung. Sein Eindringen in die Machart und den Geist der alten Malerei befähigte ihn zu originalgetreuen Imitationen sowie reizvollen Stilkombinationen. Doch er zahlte dies bei zunehmender Kenntnis und Erfahrung im Alterswerk mit Manierismus. Und er erkannte dies selbst. Auf einem Kolophon vermerkte er: „Einst war ich den alten Meistern nahe … Je mehr man das dao der Malerei sucht, um so weiter weicht es zurück … Schaue ich auf dieses Bild (aus seinen jüngeren Jahren) … fühle ich mich erniedrigt.“

Wang Yuanqi

Der jüngste der Vier Wang und Enkel des Wang Shimin war Wang Yuanqi (1642-1715). Auch sein Geburtsort war Taicang, Provinz Jiangsu. Früh zeigte sich seine malerische Begabung. Wang Shimin soll einmal ein Bild des Knaben für ein eigenes gehalten haben. Er unterrichtete den Enkel, dessen künstlerische Erziehung sich auf diese Weise in direkter Linie von Dong Qichang herleitete. Wang Yuanqi durchlief eine steile Beamtenkarriere, die ihn über ein Richteramt in der Provinz ins Zensorat nach Peking, zum Kanzler der literarischen Hanlin-Akademie und an den Kaiserhof führte. In seinen letzten Lebensjahren wurde er Vizepräsident des Finanzministeriums. In Sachen Kunst galt er als eine der angesehensten Autoritäten. Er wurde daher im Jahre 1700 zum Kurator der kaiserlichen Kunstsammlungen bestellt. Kaiser Kangxi schätzte ihn so sehr, dass er ihm gerne bei der Arbeit zuschaute. Mit einem Stab von Gelehrten gab er im Auftrag des Kaisers die große Enzyklopädie der Malerei und Kalligraphie heraus.

Wang Yuanqi kann geradezu als Musterbeispiel des gelehrten Gentleman-Malers gelten. Er malte neben seinen Amtspflichten, nicht anders als etwa Zhao Mengfu oder Dong Qichang, und dies auf höchstem professionellen Niveau dank seines Talentes und seiner Ausbildung. Einem Rat seines Großvaters folgend, befasste er sich intensiv mit der Malerei, nachdem er die Staatsexamina abgelegt hatte. In seiner Zeit am Kaiserhof malte er zwar im kaiserlichen Auftrag - Originale waren allein für den Kaiser bestimmt, Privatsammler konnten meist nur von Wang signierte Schülerarbeiten erhalten - jedoch war er kein Hofmaler im berufsmäßigen Sinn. Wegen der kaiserlichen Protektion und kraft seiner hohen Funktionen war sein Einfluss auf die Kunst am Hof übermächtig. Er verhalf der Literatenmalerei, wenn auch allein in ihrer orthodoxen Ausprägung, zum endgültigen Durchbruch in der Hofmalerei. Damit kam eine Entwicklung zum Abschluss, die in der Zeit der Nördlichen Song begonnen hatte, als die Kunst der Gelehrten in Opposition zur akademischen Malerei am Kaiserhof stand siehe auch.

In seiner Vorliebe für Dong Yuan und Juran sowie für die Yuan-Meister oder in den Methoden der Stil-Überlagerung und Zusammenfügung unterschied sich Wang Yuanqi kaum von seinen Lehrern und den anderen Traditionalisten. Zuweilen bearbeitete er Modelle, die von den anderen orthodoxen Malern vernachlässigt wurden. So malte er im Stil des Yuan-Meisters Gao Kegong siehe auch, der in der Nachfolge des Nord-Song-Meisters Mi Fu siehe auch stand, und verband dies mit der Malweise Huang Gongwangs. Dabei verzichtete Wang Yuanqi auf die Schilderung einer dunstigen, regenschweren Atmosphäre wie sie Mi und Gao liebten, zugunsten einer Verfestigung der Formen, die auch Wolken und Nebelbänke einbezog. Was ihn unterschied, war der freiere Umgang mit den erwählten Vorbildern, so wie es Dong Qichang empfohlen hatte. Der feste Bildbau, sorgfältig geplant und durchdacht, ist ein Charakteristikum seiner Arbeitsweise, das sich durch sein gesamtes Oeuvre zieht, gleich welche Meister er interpretierte. Die Konzentration auf einige wenige formale Probleme, die er mit überlieferten Mitteln löste, verlieh seinem Werk eine ungewöhnliche Einheitlichkeit. Der Gefahr der Monotonie entging er durch einfallsreiche Variationen seiner Landschaftsthemen. Die Intensität der Bildwirkung erreichte er durch die Kompaktheit seiner Großformen und den hohen Abstraktionsgrad der Naturformen. Zumeist bauen sich die größeren Formkomplexe aus deutlich voneinander abgesetzten, geradezu plastisch herausgearbeiteten Elementen zusammen, Varianten ähnlicher Kleinformen, die sich motivisch als Felsbrocken oder hügelige Bodenformationen begründen. Wang Yuanqi folgte damit dem gleichen Prinzip, nach welchem einst Juran seine Berge zusammensetzte und dem auch Huang Gongwang gefolgt war. Wang Yuanqi stützte sich auf beide: im Aufbau der Landschaftsstruktur auf Juran, im Vortrag auf Huang. „Ich studierte oft Dong (Yuan) und Ju(ran) … erfasste so die Wurzeln und brauchte mich nicht mehr um den Gipfel zu kümmern.“ Je reifer er wurde, um so konzentrierter entwarf er seinen Bildaufbau. Mit großem Gespür für Spannungsreichtum setzte er auf den Kontrast dicht strukturierter Massen - Fels und Berg - und Leere - Wasser, Wolken und Himmel.

Er habe fünfzig Jahre lang Huang Gongwang studiert, bekennt er in einer seiner Schriften. Wie dieser baute er die Bildstrukturen allmählich auf und legte mehrere Schichten übereinander, abwechselnd mit verdünnter Tusche, mit Farbe, Lavierung und angetrockneter Tusche arbeitend. Seine bevorzugten Farben waren rostrote und bräunliche Tönungen, blasses Grün und Blau, und er verwandte sie ohne Rücksicht darauf, ob sie der Natur entsprachen. Das Verfahren war langwierig, es bedurfte eines genau überlegten Layouts und ließ kaum spontane Abweichungen zu. Da Wang Yuanqi jeweils die gesamte Komposition überarbeitete, entstanden verschiedene abgeschlossene Bildzustände, ähnlich wie beim Farbendruck. Dabei war ihm stets präsent, dass ‘’alles vom Lebensatem durchdrungen sein muss, so wie der Wind das Wasser kräuselt …“ Er suchte stets die aktiv wirkenden Naturkräfte zu veranschaulichen im Sinne der Geomantik, ohne jemals in eine äußerliche Naturnachahmung zu verfallen. Wasserfälle, Wildbäche, Flüsse betrachtete er als Lebensadern einer Landschaft, als deren „Drachenadern“ (long mo) siehe auch. In einem erweiterten Sinne verstand er darunter jene die Natur durchpulsenden Lebenskräfte, die er formal als rhythmischen Ablauf der Bildelemente zum Ausdruck brachte. Obwohl er die Konturlinie zugunsten einer dichten Binnenstruktur vernachlässigte, also keine ausgeprägte lineare kalligraphische Handschrift entwickelte, ist Wang Yuanqis Stil unverkennbar dank seines hochentwickelten Formbewusstseins.

Flusslandschaft

Seine Stilhaltung und Arbeitsweise stellt sich eindringlich dar in einer Werkgruppe seiner späteren Jahre - um 1700 und danach - worin er Ni Zan zum Ausgangspunkt nimmt. Eine „Flusslandschaft“ der Sammlung J. P. Dubosc, Lugano, ist in der gleichen Weise aufgebaut wie ein typischer Ni Zan . Unten eine Landzunge mit felsigem Ufer, auf der ein paar Bäume wachsen, darunter eine niedrige Schutzhütte. Sie ist unbetretbar, so niedrig sind ihre Stützen. Sie ist so menschenabweisend wie die ganze menschenleere Landschaft. Unmittelbar oberhalb des höchsten Baumwipfels, jenseits einer weiten Wasserfläche, erhebt sich ein Fels in Form eines Tafelbergs. Links hinter ihm zieht sich eine Bergkette an den Ufern eines breiten, gewundenen Flusses entlang. Rechts schauen aus einem Taleinschnitt noch weiter entfernte Berge hervor.

Das Ufer am Fuße des Hauptmassivs markiert eine Mittellinie, welche das Hochformat in zwei annähernd gleiche Quadrate teilt. Obwohl der zentrale Fels kompakter und schwerer wirkt, als Bäume und Landzunge des Vordergrundes, ist die Massenverteilung von oberer und unterer Bildhälfte in perfekte Balance gebracht. Wie bei Ni Zan ist die Gestaltung der Geländeoberfläche in Nähe und Ferne gleich, was die Motive des Vorder- und des Hintergrundes räumlich zusammenrückt und keinerlei atmosphärische Wirkung zulässt. Zugleich entsteht so eine stringente Einheitlichkeit des Bildganzen. Die Behandlung der Landschaftsstrukturen jedoch beruht auf Huang Gongwang. Nicht nur ihr maltechnischer Aufbau, sondern auch die cun, die Vegetationspunkte, die fernen Bäume mit ihren waagerechten Strichlagen. Auch die darunter versteckten Hütten am jenseitigen Ufer finden sich eher bei Huang. Sie kommen bei Ni Zan nur sehr selten vor.

Die Zusammenfassung größerer Formkomplexe und ihre Untergliederung in willkürlich modellierte Felsgebilde hatte Dong Qichang entwickelt im Rückgriff auf Juran. Auch Wang Shimins und Wang Jians Kuppen und Hügel fügten sich zu großen Gebirgsmassen zusammen. Und so verfuhr auch Wang Yuanqi, nur mit noch größerer Konsequenz als seine Vorgänger. Was bei Ni Zan zu schweben scheint, ist bei Wang fest verankert, untereinander und an den Bildrändern. Durch die nachdrücklich herausgearbeitete Plastizität der Einzelformationen und die klare Umrissbestimmung der Positiv- und Negativformen wirken seine Gegenstände kompakter und anfassbarer, als die leichten, locker und zart gemalten, distanzierten Gebilde Ni Zans.

Eine besondere Eigenart des Yuan-Meisters übernahm Wang Yuanqi in einer Reihe seiner Interpretationen: die Schräglage des Horizonts, von Bergen und Uferlinien; in unserem Beispiel sichtbar an dem Flusslauf und dem Höhenzug links. Die Landschaft droht sozusagen abzurutschen, was eine eigentümliche Dynamik erzeugt. Die Festigkeit des Bildaufbaus verhindert jedoch ein solches „Abrutschen“. Die gegensätzlich wirkenden Kräfte von Festigkeit und Dynamik erzeugen so eine anhaltende Spannung. In dieser Landschaft ist Wang mit erstaunlicher Kühnheit noch einen Schritt weiter gegangen. Was man bei einer Querrolle kaum wahrnimmt, da man sie ja gewöhnlich abschnittweise liest, wird hier augenfällig: der Horizont rechts vom Hauptmassiv, dort wo ferne Berge sichtbar werden, liegt wesentlich tiefer, als der näher liegende, schräge Gebirgszug links. Hierdurch wird nicht nur die Spannung des Bildgeschehens gesteigert, sondern es wird darüber hinaus eine verblüffende Raumwirkung erzielt. Wang Yuanqis Plastizität und Massenanordnung bewirken mitunter eine Raumhaltigkeit, die durchaus einen Tiefenraum evoziert. Eine realistische Raumwahrnehmung wird jedoch jeweils konterkariert durch die Schräglage der Landschaft, beziehungsweise durch eine solche Zweiteilung des Horizonts. Es ist die Unterordnung der objektiven Beobachtung unter die Eigengesetzlichkeit eines Bildvorgangs.

Wang Yuanqi hielt sich nicht sklavisch an seine Vorbilder, so sehr er sie verehrte, sondern interpretierte sie mit seiner ganz persönlichen Wesensart. Da er damit eine Hauptforderung der Orthodoxie erfüllte, wurde er nicht nur zu einem ihrer idealen Vertreter, sondern zum originellsten: zu einem orthodoxen Individualisten.

Wu Li

Gleichaltrig mit Wang Hui und ebenfalls in Changshu, Provinz Jiangsu, geboren, war Wu Li (1632-1718) lebenslang mit dem berühmtesten orthodoxen Meister seiner Zeit befreundet. Beide waren gleichzeitig Schüler Wang Shimins und Wang Jians. Doch ihre Lebenswege führten sie auseinander. Während Wang Hui eine steile Karriere machte und an den Kaiserhof berufen wurde, lebte Wu Li zurückgezogen und befasste sich neben der Malerei mit Musik - er soll die Laute (qin) hervorragend gespielt haben - mit Kalligraphie und Dichtung, sowie philosophischen und religiösen Studien. Seine besonderen religiösen Neigungen drücken sich nicht in der Stoffwahl seiner Malerei aus - es sind keine im eigentlichen Sinn religiösen Bilder bekannt - sondern eher in seinen Schriften und Kolophonen. Darin spricht sich so etwas aus wie Sehnsucht nach Natur und Einsamkeit, letztlich nach einer Art Manifestation des Allumfassenden, Ewigen. Diese Suche nach dem dao scheint in seinem Beinamen (hao) auf, den er wählte: Mojing Daoren, „Daoist vom Tuschequell“. Es ist wohl diesem allgemein religiösen Weltverständnis zuzuschreiben, dass er unter Einfluss jesuitischer Missionare gelangte. Mit fünfzig Jahren konvertierte er, trat bald danach dem Orden bei, studierte Theologie in Macao und wurde 1688 zum Priester geweiht. Bis zu seinem Tod wirkte er dann in Jiading, Provinz Jiangsu, und in Shanghai als Missionar.

Die christliche Lehre hat ihn jedoch niemals den eigenen Wurzeln entfremdet. In seinen Aufzeichnungen, auch nach seiner Konversion, finden sich immer wieder buddhistische und daoistische Bezüge.

Sein Denken und seine Ausdrucksweise bewegten sich nach wie vor in diesen Bahnen. Auch gab er den daoistischen Beinamen in seinen Signaturen nicht auf. So sehr ihm die Andersartigkeit der fremden Religion bewusst gewesen sein muss - er beschrieb eine Reihe kultureller Unterschiede - es gelang ihm dennoch, sie mit dem religiösen und philosophischen Erbe zu vereinbaren, in dem er erzogen und aufgewachsen war. Dieses Erbe beinhaltete drei ursprünglich gegensätzliche philosophisch-religiöse Systeme. Für Wu Li eröffnete das Christentum sozusagen einen weiteren Aspekt einer religiösen Weltsicht.

In der abendländischen Malerei, die er in Macao kennenlernte, sah er keine nachahmenswerte Möglichkeit zur Erweiterung der Kunst, sondern nur das Gegenteil all dessen, wonach die Kunst der Literaten strebte. „Unsere Malerei sucht keine formale Ähnlichkeit oder benutzt vorgefertigte Muster. Man kann sie geistig und ungezwungen nennen. In ihrer Malerei benutzen sie (die Europäer) immer Licht und Schatten und arbeiten die formale Ähnlichkeit plastisch und mit fertigen Mustern heraus …“. Unbeeindruckt von westlicher Malerei, blieb Wu Li auch in seinem Spätwerk auf dem Weg der orthodoxen Literatenkunst, den er in seiner Jugend eingeschlagen hatte. Seine Vorbilder waren die gleichen wie die aller orthodoxen Maler. In seinem Frühwerk befasste er sich intensiv mit einigen Song-Meistern. Mehr und mehr interessierten ihn von den großen Yuan-Malern Huang Gongwang, Wang Meng und Wu Zhen. Auch er wechselte seine Malweise, je nach der Vormundschaft, unter die er sich stellte: gewunden verdrehte Berge, wenn er Wang Meng nachahmte oder aufgehäufte und übereinandergetürmte Felsbrocken mit flaumiger Oberfläche und abgerundeten Formen sowie reicher Verwendung von „Moospunkten“, wenn er Wu Zhen folgte in dessen Interpretation Jurans. Wu Li arbeitete mehrere Rollen im Stil Huang Gongwangs, darunter Kopien und Varianten von dessen berühmter Fuchun-Rolle siehe auch, worin Wu sich eingehend mit der Arbeitsweise des Yuan-Meisters auseinandergesetzt hat.

Lebenskraut suchen beim Landsitz Cenwei

Wu Lis Eigenart ist stärker in seinen früheren Arbeiten fassbar, als in den mehr von der Yuan Tradition geprägten späteren Werken. Diese Eigenart besteht in einer frischen und kräftigen Farbigkeit in Verbindung mit einer scharfen, genauen, oft geradezu harten Zeichnung. Dabei sind die farbigen Flächen von Hügeln und Bergen beispielsweise in duftigem, doch intensivem Grün weitgehend konturlos aquarelliert. Nur stellenweise sind sie leicht mit Strukturzeichnung überzogen, während sich das präzise Strichwerk an Architektur, Bäumen und Pflanzen konzentriert, wie in der Rolle „Lebenskraut suchen beim Landsitz Cenwei“ (Nationalmuseum, Kyoto) .

In anderen Landschaftsdarstellungen werden die Felsen oft mit langgezogenem, kantigem Lineament hervorgehoben, dessen Wirkung in ähnlich verlaufenden Wiederholungen verstärkt wird. Was Früh- und Spätwerk verbindet, ist ein Sinn für dramatische Spannung, die Wu mit einem Bildrhythmus erzielt, dessen expressive Bewegtheit Bäume, Felsen, Berge oder gezackte Uferlinien durchdringt.

Grüne Berge und weiße Wolken

Eine Querrolle des Nationalen Palastmuseums, Taipei, „Grüne Berge und weiße Wolken“ ist durch und durch von jenem dynamischen Rhythmus erfasst . Er durchläuft die Rolle von Anfang bis Ende in wellenartigen Schwingungen. In der kompositionellen Anlage des Werks deutet sich entfernt eine Verwandtschaft zu Huang Gongwangs Fuchun-Rolle an, jedoch in einer so eigenwilligen Formensprache, dass auf den ersten Blick die orthodoxen Grundanschauungen des Meisters dahinter zurückzutreten scheinen.

Die Rolle beginnt rechts mit einer flachen Talsenke, in welcher hinter einem Wald ein Kloster hervorschaut. Dahinter erheben sich in der Ferne einige sparsam konturierte, grüne und blaue Berge. Das Waldstück ist in der Art Huangs mit horizontalen Tupfen gemalt. Nach links folgen ein baumbestandener Fels und eine Schlucht, worin sich zwischen Kiefern weiße Wolken lagern. Danach steigt das Gelände zum umwölkten Zentralmassiv an, dessen Spitze vom oberen Bildrand verdeckt ist, ähnlich den zentralen Fuchun-Bergen. Im Vordergrund der rechten Bildhälfte breitet sich eine Wasserfläche. Hier liegt eine Halbinsel, deren Bewuchs in Wu Lis eigener Manier gemalt ist: eine präzise Zeichnung, die mit äußerster Akribie jedes einzelne Blatt und jeden Zweig wiedergibt. Die Blätter sind einzeln koloriert, jedoch zu Gruppen zusammengefasst: schwarz-grün oder weiß, was sich dekorativ vom Braun der Baumstämme und dem Smaragdgrün des Grases und der Hintergrundberge abhebt. In der Mitte der Rolle vor dem Hauptberg kauern sich Pavillons zwischen Felsen und hohen Kiefern, deren verkrümmt gewachsenes Astwerk, die großen, scharf eingekerbten Astlöcher und exakt gezeichneten Nadelbüschel an die Art Wang Mengs erinnern. Die Gebäude und die weiter links auf einer Lichtung über einem Felsvorsprung stehende Stele sind Erfindungen Wu Lis - vielleicht auch Zitate - wenn denn die Fuchun-Rolle bei dieser Komposition Pate gestanden hat. In der Schlucht unterhalb des Felsvorsprungs windet sich ein Treppenweg, auf dem ein Lastträger seines Weges zieht. Darüber, hinter Gestrüpp und einem Netzwerk von Baumästen, über welchen Vogelschwärme hin- und herwogen, schaut ein breites Gewässer hervor. Das ferne Ufer ist von einer Wolkenbank überzogen. Jenseits der Schlucht steigt noch einmal ein von Vegetation überzogener Felshügel an, aus dem ein schmaler Wasserfall hervortritt. Der äußere Abhang am Ende der Rolle ist von weißen Wolken bedeckt, über die sich die Zeilen des Kolophons ziehen.

Die Farbigkeit der Rolle beruht auf dem alten Blau- und Grünstil, jedoch kaum jemals wurden die beiden Hauptfarben so harmonisch miteinander verschmolzen. Dazu etwas Rotbraun an Gebäuden, Baumstämmen und einigen Felsabbrüchen, dazwischen gelblich-weiße Tupfen in den Wolken und grünlich-weiße im Blattwerk einiger Bäume. All dies auf dem ockergelben Grund der Seide ergibt ein Klangbild von eigenem Zauber. Die dynamisch gewundenen Berge, die sich nach verschiedenen Seiten neigen und eher Wellenbergen gleichen, als solchen aus Gestein, finden sich schon bei Wang Meng. Sie spiegeln sich hier in der dramatischen Erregtheit Wu Lis, wogegen der Meister der Fuchun-Rolle mit selbstverständlicher, geradezu nüchterner Gelassenheit seinen Bergen feste Strukturen verlieh. Dagegen folgte Wu Li ihm in der sparsamen Behandlung der Oberflächen, wenn er, dem Formverlauf folgend, sie stellenweise mit „Hanffaserstrichen“ überzog.

Der alte Schneemann vom Huangshan

Man kann, wenn man will, aus Wu Lis Felsgebilden Figuren herauslesen. Es ist dies wohl eher eine Sache der Phantasie des Betrachters, als dass es Wus Intention entsprach. In einem Fall allerdings sind bestimmte Felsformationen unzweifelhaft als Gestalten gemeint, worauf die Inschrift des Künstlers ausdrücklich hinweist. „Der alte Schneemann vom Huangshan“ (Privatsammlung ?, Peking) ist ein Alterswerk, das Wu mit 71 Jahren malte . Es stellt eine Gruppe senkrechter Felszinnen dar, die aus einem nebeligen Abgrund emporsteigen und aus denen sich verschiedene Tier- und Menschenfiguren herausschälen. Der Autor versichert, dass es diesen Platz wirklich gebe, wenn er auch das Bild nach einer Kopie des Tang-Meisters Wang Wei anfertigte. Der Ort ist Guan yin heilig, der hier das (buddhistische) Gesetz verkündet. Die riesenhafte Hauptfigur stellt den Boddhisattva mit dem Fischkorb dar. Eine mächtige Felsfigur auf der obersten Plattform der höchsten Zinne mochte ebenfalls mit dem Erlöserwesen gleichgesetzt worden sein. Wu Li, der christliche Priester, schildert den Ort und die buddhistischen Heilsgestalten wie ein gläubiger Buddhist.

Die Statik, welche den pfeilerartigen Felsstrukturen innewohnt, ist auch hier in lebhafte Wellenbewegung versetzt, die mit halbrunden, parallel laufenden Strukturlinien die Gestalten herausmodelliert, darunter Anbeter; ein - gemessen an zwei winzigen Wanderern - überdimensionaler Papagei, der eher einem Geier gleicht, sowie andere seltsame Gebilde. Das Strichwerk besteht aus relativ kurzen, trockenen Pinselspuren, die typisch für seine späteren Arbeiten sind und welche die Oberfläche weich und pelzartig erscheinen lassen, zugleich aber unbeholfen wirken.

Dieses Alterswerk zeigt noch einmal Wu Lis Begabung, jedes Motiv so zu verwandeln, dass es von jenem spannungsvoll schwingenden, nicht selten geradezu dramatischen Rhythmus erfasst wird, der wohl im tiefsten seinem Charakter und seinem Lebensgefühl entsprach. Und obwohl er seine Vorbilder auf diese Weise oft stark veränderte, gab er seine orthodoxe Überzeugung niemals auf, dass allein in der Nachfolge der alten Meister die Bestimmung der Kunst liegen könne.

Xiao Yuncong

Der älteste Landschaftsmaler von Rang, den man allgemein der Qing-Dynastie zurechnet, obwohl er den größten Teil seines Lebens unter den Ming verbrachte, war Xiao Yuncong (1596-1673). Er war auch der älteste einer Gruppe von Malern, die in Anhui lebten, weshalb gelegentlich auch von der „Anhui-Schule“ die Rede ist, was sich stilistisch jedoch nicht rechtfertigen lässt. Man hat die führenden Maler als die „Vier Meister von Anhui“ zusammengefasst, zu denen sich noch weitere Talente gesellten. Es ist darunter jedoch keine Schulbildung zu verstehen, dazu waren die Neigungen und Ausdrucksweisen dieser Künstler zu unterschiedlich.

Xiao Yuncong stammte aus Wuhu, Provinz Anhui. Unter den Ming Beamter auf einem Provinzposten, lebte er nach dem Sturz der Dynastie als Privatmann und befasste sich mit den klassischen Künsten eines Gelehrten, also außer mit Kalligraphie und Malerei mit Musik und Dichtkunst. Er unterrichtete den bedeutenden Landschafter Hongren siehe auch, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband. Gewisse Übereinstimmungen in beider Werk deuten auf wechselseitige Beeinflussung. Xiao genoss zu seinen Lebzeiten einen guten Ruf, denn seine Malerei verkörperte die klassischen Ideale der Landschaftskunst, ohne durch Experimente oder einem extremen Individualismus aus dem traditionellen Rahmen zu fallen. Seine Rollen wurden oft in Holz nachgeschnitten und er entwarf auch Illustrationen zu Gedichten berühmter Poeten, die ausgesprochen für den Holzschnitt gedacht waren. Manche seiner Malereien, wie die Ansichten der fünf heiligen Berge, sollen auch in Stein nachgeschnitten worden sein.

Die meisten seiner Arbeiten sind Querrollen. Er studierte die Song-Meister, besonders Guo Xi. Die monumentalen Anforderungen der Hängerolle, welche die Nord-Song Maler im höchsten Maße erfüllten, lagen ihm offenbar nicht. Er bevorzugte wohl deshalb die Handrolle, weil ihre abschnittweise Betrachtung intime Ausschnitte erlaubte, worin er detailfreudig seine Landschaftserfindungen mit spitzem Pinsel und zarten, oft auch frischen Farbvaleurs vorführen konnte. Die Motive fand er auf Wanderungen in seiner Heimatprovinz, deren Gelbe Berge die Maler seit der Song-Zeit angeregt hatten. Die Querrolle ermöglichte ihm auch eine gleichsam „endlose“ Aneinanderreihung wechselnder Blicke wie auf einer Wanderung. Solche Rollen waren dann auch oft von beträchtlicher Länge.

Landschaft mit Bergen und Strömen

So misst die „Landschaft mit Bergen und Strömen“ des Los Angeles County Museums fast fünf Meter bei einer Höhe von nur 24 Zentimetern . Obwohl nicht auf den ersten Blick erkennbar, weil in einer persönlichen Weise verwandelt, scheinen hier die beiden Yuan-Meister durch, von denen Xiao am stärksten beeinflusst war: Ni Zan und Huang Gongwang. Es sind die blockhaft-kantigen Felsstrukturen Ni Zans, die sich verstärkt bei Hongren wiederfinden, und die Komplexität von Huangs Landschaftskonzept. Die hin- und herwogenden, phantastisch geneigten Felsen finden sich eher bei Wu Bin siehe auch und einigen anderen Zeitgenossen, so als wanke ihnen der Boden unter den Füßen. Xiao bringt den so entstehenden dynamischen Rhythmus immer wieder zum Ausgleich durch Gegenbewegungen und Haltepunkte. Seine feinlinige, penible Zeichnung in gong bi- (genauer Pinsel) Technik unterscheidet ihn von seinen Yuan-Vorbildern und lässt seinen Vortrag trockener erscheinen.

Der Ablauf der Querrolle ist nicht von dem Bemühen einer möglichst naturnahen Wiedergabe der Motive bestimmt. Die Sorglosigkeit Xiaos im Umgang mit räumlicher „Richtigkeit“ zeigt sich besonders an den Horizontverschiebungen, die ja bereits bei Huang Gongwang zu beobachten sind. Hier jedoch sind sie weit stärker ausgeprägt. Einmal kann eine Bergkette etwa in halber Bildhöhe erscheinen und dann, nach einer Felsbarriere, kann sich ein fernes Flussufer fast am oberen Bildrand hinziehen. Solche Barrieren trennen deutlich die einzelnen Kompositionsphasen und bilden so jene Raumzellen, die schon in der frühen Landschaftsmalerei erscheinen. Die Landschaftsteile werden so zu Versatzstücken, worin die heimatliche Szenerie mit Song- und Yuanvorbildern verschmolzen ist. Da der Betrachter beim Aufrollen immer nur einen Abschnitt überblickt und die Kompositionsentwicklung organisch verläuft, sind die unterschiedlichen Horizonthöhen kaum augenfällig. Für den chinesischen Betrachter stellte dies auch kein Problem dar. Denn was für ihn zählte, war die Augenwanderung. Bald hat er einen Berg erklommen und genießt einen weiten Blick über ein Flusstal, bald zieht er zwischen steilen Felsen und knorrigen Kiefern durch enge Klüfte, über schmale Stege, besucht ein Kloster oder eine Einsiedlerhütte. Die Rolle enthält alles, was zu einem klassischen chinesischen Landschaftsbild gehört. Die trennenden Felsmassive zwischen den Raumzellen sind zumeist vom oberen Bildrand abgeschnitten. Wo aber der Himmel und also auch ein Fernblick fehlt, entsteht eine intime Wirkung. Xiao verstärkt sie, indem er solche Abschnitte mit miniaturhaften Szenen füllt und die Gegenstände gleichsam in Nahsicht zeigt. Die raumteilenden Elemente werden so selbst zu Raumnischen. Trotz der Panoramen oder auch imposanter Felsgebilde, die zwischen die intimen Landschaftsszenen geschoben sind, bleibt die Wirkung unmonumental: eine miniaturartige, märchenhaft-unwirkliche Welt von liebenswürdiger Eigenart.

Hongren

Zweifellos der bedeutendste und in seiner Malweise unverkennbarste der Anhui-Maler war Hongren (1610-1664). Er wurde in Shexian, Provinz Anhui, geboren, legte kurz vor dem Ende der Ming das Provinzexamen ab, nahm aber kein Amt an, sondern zog es vor, sich und seine Mutter vom Bilderverkauf zu ernähren, wie viele mittellose Gelehrte. Nach dem Fall von Nanking und der Etablierung der Mandschu floh er in den Süden und trat dem Chan-Orden bei. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Klöstern unweit seiner Geburtsstadt.

In seinen jüngeren Jahren, ehe er Mönch wurde und unter dem Einfluss Xiao Yuncongs, befasste er sich mit der Song-Malerei. Erst während seiner Mönchsjahre soll er sich den großen Yuan-Malern, insbesondere Ni Zan zugewandt haben. Dies scheint darauf hinzudeuten, dass er sich dem Yuan-Meister nicht nur charakterlich nahe fühlte, sondern auch wegen der deutlichen Parallele ihrer beider Lebensumstände: die Wahl für ein zurückgezogenes Dasein unter einer bedrückend empfundenen Fremdherrschaft. Die Arbeiten, die als typisch gelten dürften, vorwiegend die des Spätwerks, danken Ni Zan viel - und dennoch unterscheiden sie sich in wesentlichen Zügen: nahegerückte Felstürme, enge Täler, selten Weite. Sie gewinnen so eine eigene Individualität. Augenfällige Ähnlichkeiten sind die sparsamen Mittel - ein fast ausschließlich lineares Gefüge ohne Strukturstriche und äußerst zurückhaltender, zarter Lavierung - und eine melancholische Stimmung, evoziert durch die Menschenleere der Landschaften. Hongrens makelloser Vortrag - jede der mit trockener Tusche gezogenen Linien ist überlegt und behutsam gesetzt - erweckt den Eindruck von Reinheit, zugleich aber auch von Distanziertheit und Kühle. Trotz des intensiven Stimmungsgehalts ist es eine Welt rationaler Abstraktion, das heißt die Stimmung wird mit Hilfe eines wachen und bewussten Formdenkens erzielt. Die Gegenstände und ihre Zusammenfügungen haben etwas Formelhaftes, so als benötige der Künstler einen festen Halt, eine Art selbstgesetzter Gesetzmäßigkeit, damit ihm die Dinge nicht auseinanderfallen. Dieser Formelhaftigkeit liegt Manieriertheit nicht fern. Dennoch vermeidet er sie: durch die Einfühlungskraft, womit er seinen Motiven ihre lineare Gestalt gibt und durch die Sensibilität, mit der er jeder Linie Lebendigkeit verleiht. Es herrscht eine kristalline Strenge in diesen Bildern, deren Spröde zugleich zerbrechlich wirkt.

Der Herbst kommt

Dass Hongrens Konzeption bei aller Fragilität dennoch monumental ist, illustriert ein Spätwerk: „Der Herbst kommt“ (Academy of Art, Honolulu) . Hier scheint noch einmal, vollkommen verwandelt, die Monumentalität der Nord-Song Meister auf in Motiven des heimatlichen Huangshan-Gebirges. Wir blicken in eine von senkrechten Felsen umstellte Schlucht, durch die sich ein Fluss windet. Im Vordergrund finden sich einige karge Bäume wie bei Ni Zan. Im Mittelgrund, bereits in erheblicher Entfernung, eine kleine, offenbar unbewohnte Hütte. Die so angedeutete Tiefenentwicklung wird in logischer Abfolge der Formen hervorgehoben durch Überschneidungen der vorderen Bäume und Felsen mit den dahinterliegenden Geländestrukturen wie Abhängen und Flussufer. Aber ganz wie bei den Nord-Song Meistern, etwa einem Fan Kuan, wird der Tiefenzug aufgefangen durch ein gewaltiges Felsmassiv, welches den Hintergrund des Tales sperrt. Solche abgeschlossenen Schluchten ohne weiten Ausblick finden sich nicht bei Ni Zan. Anders jedoch als bei Fan Kuan wirkt die aufgetürmte Gesteinsmasse nicht finster und bedrohlich, denn hier fehlen die dicht angelegten Pinselschläge, die solchen Gebilden Körperlichkeit und beklemmenden Ausdruck verleihen. Licht und transparent, geradezu schwebend, ohne körperhafte Schwere, erscheinen Hongrens Felstürme. Was ihnen an Gewicht fehlt, wird durch Präzision und kristallinische Kantigkeit der Gesteinsabbrüche ersetzt. In Terrassenstufen sind sie hintereinander gestapelt und bewahren ihre kubische Grundform von den kleinsten Steinen bis zum Hauptmassiv, das oben terrassenförmig abgeplattet ist. Hongren konzentriert kleinförmige Strukturen an bestimmten markanten Stellen, die geeignet sind, die Großform zu umschreiben. Die Vertiefungen betont er mit einer hauchfeinen Lavierung, einigen trocken gerissenen Pinselzügen und horizontalen „Moospunkten“ wie Ni Zan, nur setzt er diese Mittel noch sparsamer ein. Diese dichteren, aber immer noch mit leichter Hand bearbeiteten Zonen werden ausgespielt gegen große Leerflächen, wodurch nicht nur die Bildfläche spannungsvoll rhythmisiert wird und jene typische Klarheit und Leichtigkeit erreicht wird, sondern auch jene Kargheit und Stimmung von Verlassenheit, die wir auch in Ni Zans Landschaften finden und die das beigefügte Gedicht Hongrens ausdrückt.

Zha Shibiao

Nächst Hongren gilt Zha Shibiao (1615-1698) aus Haiyang, Provinz Anhui, als führender Maler der Anhui-Gruppe. Aufgewachsen in einem gut situierten Elternhaus, hatte er früh Gelegenheit, sich mit alter Malerei und Antiquitäten aus der ansehnlichen Familiensammlung auseinanderzusetzen. Zwar legte er das Provinzexamen ab - noch unter den Ming - verfolgte jedoch seine Beamtenlaufbahn nicht weiter nach der Machtübernahme der Qing. Finanziell unabhängig, konnte er sich ganz der Kalligraphie und der Malerei widmen. Seiner Toleranz wegen, besonders jüngeren Malern gegenüber, die er gern lobte, war er beliebt; seiner unabhängigen Haltung wegen wurde er respektiert. Unerwünschte Besucher wies er ab. Auch von ihm wird erzählt, dass er selbst hochgestellte Persönlichkeiten nicht empfing, in einem Fall nicht einmal den Schwiegersohn des Kaisers.

In seiner Malerei liebte er eine zarte Tonalität der Tusche, wodurch er eine dunstige Atmosphäre zu schaffen wusste. Die Tusche benutzte er dabei so sparsam, „als sei sie Gold“. Er gab kaum Strukturzeichnung und ließ lieber die Leerfläche wirken, ebenso wie Hongren. Und wie diesem war ihm die Linie wesentliches Ausdrucksmittel. Und hier endet fast schon die Gemeinsamkeit der beiden Anhui-Meister. Im Vergleich mit Hongren wirkt Zhas Lineament spielerisch und ohne dessen innere Gespanntheit. Es ist flüssig angelegt, skizzenhaft und dadurch oft leichtgewichtig. Eine Art sorgloser Lockerheit spricht aus seinen Bildern und Albumblättern, welche sich nicht die Mühe macht, in die Vorbilder tiefer einzudringen. Es sind dies im wesentlichen Mi Fu, Wu Zhen, Huang Gongwang und besonders Ni Zan. Auch Shen Zhou und Dong Qichang erwähnt Zha als Modelle in manchen Inschriften. Dennoch verschwinden alle diese Vorbilder fast völlig hinter seinem lockeren, oft auch flüchtigen Duktus. Vorwiegend in seinen Albumblättern benutzt er gerne Farben in ungewöhnlichen Kombinationen und Nuancen. Trotz der spontan wirkenden Frische seines Vortrags, sucht Zha eine gewisse Melancholie einzufangen, die sich meist auch in den beigefügten Gedichtzeilen ausdrückt. Stimmungsmäßig nähert er sich so wieder seinem verehrten Vorbild Ni Zan.

Im Boot treiben

An Ni Zan gemahnt auch der Aufbau der Hängerolle „Im Boot treiben“ (Metropolitan Museum, New York) . Eine Uferzone im Vordergrund mit wenigen kargen Bäumen wird von einigen mittelhohen Bergen im Hintergrund durch eine Wasserfläche getrennt. Auf ihr treibt ein Boot. Der Mann darin ist offenbar ein Gelehrter, was mit wenigen lockeren, aber genauen Strichen durch Gewand, Haar- und Barttracht angedeutet wird. Die kleine Figur evoziert ein Gefühl melancholischer Einsamkeit in der sonst menschenleeren, von keiner Behausung gestörten Landschaft. Ohne das Boot und seinen Insassen handelte es sich um eine Landschaftsskizze ohne jeden Stimmungsgehalt. Eine vergleichbare Komposition Ni Zans ruft eine solche Stimmung allein schon durch die Malweise hervor. Eine Tiefenstaffelung wird hier von Zha Shibiao nicht durch abgestufte Tuschevaleurs angestrebt. Der Betrachterstandpunkt wird nicht mehr auf einer Erhebung, sondern in Ufernähe fixiert. Das hat zur Folge, dass Distanzwirkung erreicht wird mit Hilfe so gewonnener Überschneidungen, welche die Bäume des Vordergrundes verursachen: sie kreuzen die vordere Uferlinie, das Boot, eine Landzunge, die Wasserfläche, die ja selbst schon „Tiefe“ suggeriert, und das jenseitige Ufer. Auf diese Weise verbindet Zha zugleich Vorder- und Hintergrund im graphischen Sinne, schafft Spannungsmomente und gibt dem Kompositionsablauf einen zusammenhängenden Rhythmus. Typische Ni Zan Kompositionen dagegen zeigen in den seltensten Fällen eine Überschneidung der vorderen Bäume mit einem fernen Küstenstreifen, sondern setzen auf die Kontrastwirkung von geschlossenen Formkomplexen und Leerflächen.

Die Rolle zeigt beispielhaft worauf es Zha Shibiao ankam: nicht auf malerische, sondern wesentlich auf graphische Wirkung. Wenn auch die flüssige Tusche hellere und dunklere Differenzierung aufweist, so nicht flächenhaft, sondern im Lineament, im Blattwerk oder in den sparsamen Strukturpunkten. Zwar sind die Naturformen kaum schematisiert, sondern durchaus lebendig empfunden, doch sind sie ganz der persönlichen Handschrift unterworfen, dem kalligraphischen Duktus - besonders deutlich in der Behandlung der Bäume als ein kalligraphisches Linienspiel. Damit ist Zha Shibiaos Stil ebenso naturfern wie die Landschaftsmuster der meisten Maler seiner Epoche.

Die gleiche Eigenart zeigt eine Landschaft nach Ni Zan der Nantoyoso Sammlung, Japan: die Überschneidungen der Bäume vor dem Fuß des Berges, die menschenleere Hütte, die Einsamkeit evoziert .

Mei Qing

Geboren in Xuancheng, Provinz Anhui, entstammte Mei Qing (1623-1697) einer Familie von Literaten und Künstlern. Auch zwei seiner Brüder erwarben sich als Maler einen Ruf. Er wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf und zeigte früh dichterische Begabung. Sein malerisches Talent entwickelte er erst später, und zwar mit solcher Individualität, dass er der eigenwilligste der Anhui-Maler wurde. Seine freie, um Realismus unbekümmerte künstlerische Haltung, die zwar von bestimmten Traditionen, vorwiegend der Yuan-Malerei, geprägt war, ohne jedoch an ihnen zu haften, befähigte ihn später, seinen jüngeren Freund Shitao in dessen Individualismus zu bestärken. Obzwar Mei Qing wahrscheinlich Shitaos Lehrer war, ist eine wechselseitige Beeinflussung anzunehmen. Beide liebten die grandiose Szenerie des Huangshan-Gebirges, das sie auf gemeinsamen Wanderungen durchstreiften. Mei Qing bestand zwar das Provinzexamen, nicht aber die Staatsprüfungen, die er mehrfach wiederholte. Er lebte danach bis zu seinem Tod in seiner Heimat. Es ist nicht bekannt, ob er ein Amt innehatte.

Am auffälligsten an Mei Qings Gebirgsdarstellungen ist das merkwürdige Phänomen, dass seine Berge in den meisten Fällen faktisch keine Basis haben. Wo die eigentliche Masse des Bergleibs sichtbar wird, ist sie gewöhnlich nur zart angedeutet. Die kräftigen Akzente sind dann nach oben verlegt, sodass der Berg im Bildraum zu schweben scheint. Diese Instabilität der Felsmassen wird gesteigert durch die Unruhe ihrer Oberfläche. Deren kleinteilige Auflösung bringt zahllose gewundene Strukturen hervor, die flammenartig an den Felsgebilden emporzüngeln. Überhängende Klippen über schier endlosen Felsstürzen und unermesslichen Tiefen müssten, wären sie wirklich, unweigerlich herabstürzen. Die Abgründe wirken angsterregend und alptraumhaft. Die Verlassenheit dieser Landschaften wird durch die Anwesenheit vereinzelter winziger Figürchen oder eines Gebäudes eher noch hervorgehoben, als abgemildert: sie wirken verloren zwischen diesen übermächtigen, phantastischen Landschaftsgebilden. Dabei ergibt sich ein merkwürdiger Widerspruch zwischen dem malerischen Vortrag und der beklemmenden Wirkung, die von den bodenlosen Schluchten oder einsamen Gipfeln ausgeht: bei aller Kunstfertigkeit und handwerklichen Beherrschung des Metiers vermittelt die Malweise den Eindruck von Naivität. Bei aller Bewegtheit wirkt sie nicht virtuos hingeschleudert, sondern in allen Einzelheiten sorgsam durchgeführt, worauf unter anderem der reichliche, etwas manierierte Einsatz dunkler Strukturpunkte hinweist. Nicht zuletzt sind es die Bäume, welche zum Eindruck von Naivität beitragen. Sie gleichen den zwergwüchsigen Bonzai-Pflanzen. Und das selbe bewirkt die abgekürzte Behandlung der winzigen Hütten oder Pavillons und die strichmännchenartigen Figürchen. Diese Vortragsweise verleiht den beklemmenden Aspekten dieser Szenerien etwas Märchenhaftes.

Naivität, ob echte oder absichtsvolle, wurde in der Literatenmalerei schon immer als erstrebenswert angesehen, als unverstellter Ausdruck persönlichen Erlebens im Gegensatz zur rein technischen Geschicklichkeit und zu akademischem Regelwerk, welche die Unmittelbarkeit künstlerischer Äußerung fesseln. Dies mochte einer der Gründe sein, weshalb Mei Qing sich besonders von dem Yuan-Meister Wu Zhen siehe auch angezogen fühlte, bei dem sich diese Grundhaltung findet. Dessen Technik eines reichen Tuscheauftrags mit stumpfem Pinsel übernahm Mei Qing zwar, ohne jedoch Wu Zhens Formensprache zu imitieren. Vor allem in seinen Albumblättern nutzte er diese Technik, um mit saftigen wie auch nuancenreichen Lavierungen seine geliebten Gelben Berge in Dunst und Nebel darzustellen, wobei bizarre Gebilde wie eine Vision aus dem diffusen Hintergrund treten können oder selbst Felsen die Gestalt wirbelnder Wolken annehmen. Diese Albumblätter, und weitgehend auch seine größeren Kompositionen, erscheinen wie Ausschnitte eines weiteren Panoramas: Gipfel oder Steilhänge sind gleichsam „mit einem Zoom“ herangeholt.

Der Himmelsstadtgipfel im Huangshan

„Der Himmelsstadtgipfel im Huangshan“ ist eine Hängerolle des Palastmuseums in Peking, deren schmales Format die atemberaubende Steilheit einer Felszinne betont, die in einem nicht enden wollenden Zug bis zum oberen Ende der Rolle ansteigt . Jedoch bildet sie nicht die Kompositionsachse, sondern tritt unten, kaum wahrnehmbar angedeutet, nur fingerbreit aus dem rechten Bildrand hervor und beschreibt sodann einen kühnen Bogen nach oben, wo ihr Gipfel die ganze Bildbreite einnimmt, sodass er die gesamte Landschaft beherrscht. Mit dunkler Lavierung und schwarzen Konturen sind die Gesteinsstrukturen detailliert beschrieben, wogegen die Zinne nach unten hin mit immer blasserem Lavis und einer dünnen Umrisslinie dargestellt ist. Die starke Linksneigung des Felsturms bewirkt eine beängstigende Instabilität. Das gespaltene, baumbestandene Plateau des Gipfels hängt buchstäblich über dem Abgrund. Tief unten, am Fuß der Zinne, ragt ein weiterer Felsvorsprung in die Leere hinaus. Auch er springt nach links vor in einer physikalisch unmöglichen Weise. Der unwahrscheinliche Überhang des Felsens wirkt auch noch dadurch besonders grotesk, dass auf ihm ein Gebäude errichtet ist, ein Tempel oder Torweg (wohin?), davor stehen zwei verschwindend kleine Figuren im Gespräch. Ein steiler Weg führt zur Plattform des Felsens, deren Rand von einem kleinen Kiefernhain begrenz wird. Zwischen langgezogenen, nach rechts ansteigenden Wolkenschleiern - Gegenbewegung zu den linksgeneigten Felsen - ragen weitere Zinnen empor aus unauslotbaren Abgründen. Sie sind nach links immer weiter entrückt. Wie die beiden vorderen Felsen neigen sie sich in einer bizarren Verbeugung nach links. Aus einer Dunstzone darüber schauen zwei ferne Bergspitzen hervor. In dem Gedicht am linken Bildrand spricht Mei Qing von der Himmelsstadt des Gelben Kaisers, die er in diesen Gebilden sieht.

Der extremen Übersteigerung der Felsformationen, deren züngelnde Bewegtheit alles erfasst und deren Schwerelosigkeit durch Formwiederholung noch betont wird, entspricht ganz die unruhige, hin- und herwogende Ausdruckskraft der Linienführung: Einheit von Komposition und Duktus. Es gibt keine vergleichbare Kompositionserfindung vor Mei Qing. Die Phantastik seiner Bildwelt wurde bis dahin nie erreicht. Sie mochte Spiegelung einer instabilen Welt des Umbruchs sein oder Flucht aus einer ungeliebten Realität. Seine Berge und Abgründe, seine Felsen und Kiefern sind der intensive Ausdruck einer inneren Gestimmtheit, Metaphern, nicht mehr einer landschaftlichen Wirklichkeit, sondern eines subjektiven Erlebens.

Kuncan

Es scheint, dass die Mönchsmaler, vielleicht durch die charakterprägende chan-buddhistische Schulung, welche die meisten durchliefen, die größte Individualität entwickelten. Jedenfalls gehört Kuncan (1610-1693), bekannt auch unter einem seiner Beinamen als Shiqi, zusammen mit Shitao („Die beiden Steine“ = „Er Shi“) und Bada Shanren zu den führenden Individualisten der frühen Qing-Zeit. Geboren in Wuling, Provinz Hunan, zeigte er früh ein Interesse an religiösen Dingen. Schon als Knabe befasste er sich mit ethisch-religiösen Schriften. Trotz seiner intellektuellen Begabung lehnte er eine Gelehrtenlaufbahn ab und unterzog sich auch keiner Beamtenprüfung. Einer wie üblich von den Eltern arrangierten Heirat entzog er sich. Vermutlich mit etwa zwanzig Jahren ließ er sich ordinieren. Es ist nicht ganz klar, ob er unmittelbar einem chan-Orden beitrat. Es wird berichtet, dass er in verschiedenen Klöstern unterschiedlicher Lehrrichtungen gelebt hat, dass er der Meditation größere Aufmerksamkeit widmete, als den Ritualen und dass er häufig mit den Äbten Disputationen führte. Er begab sich jahrelang auf Wanderungen und litt dabei ärgste Not. Oder er zog sich in einsame Berghütten zurück, besonders in der Zeit des Umbruchs, denn er war Anhänger der alten Ordnung unter den Ming. Möglicherweise hat er zeitweise auf Bäumen gehaust. Darauf könnte die Inschrift einer Hängerolle hinweisen, worauf ein Mönch dargestellt ist, der sich im Geäst eines Baumes niedergelassen hat. Obwohl er sich lange Zeit den Regeln des Klosterlebens nicht unterwarf, war Kuncan in den Mönchsgemeinschaften, die ihn kannten, hoch angesehen und respektiert. Dies hauptsächlich wohl wegen seiner Selbstkasteiung und Sittenstrenge, die, nach manchem Kolophon zu schließen, mit Güte und Bescheidenheit gepaart waren. Sein Wanderleben zwischen Eremitenhütten und Klöstern kam zur Ruhe, als er zum Prior des Klosters auf dem Ochsenkopf (Niushou si) bei Nanking gewählt wurde.

Bei einem solchen Leben ist es kaum verwunderlich, dass es nicht vorwiegend ästhetische Werte waren, die seine Kunst bestimmten, sondern wie im Leben religiöse. Demgemäß war auch sein Naturverständnis religiös. Er sah das Buddha-Wesen auch in den kleinsten Dingen. Für ihn war die geistige Anwesenheit Buddhas als Lebensatem in allen Erscheinungen der Natur erlebte Wirklichkeit. Aus religiösem Geist entstanden, zeigen seine Werke keine Heilsgestalten und keinen Buddha. Dies entspricht ganz seiner chan-buddhistischen Grundhaltung, wonach Erleuchtung nicht durch Bildverehrung, Anbetung von Heilsbringern oder das Rezitieren von Sutren zu erlangen sei. Es ist die Haltung, die ihn zu jener asketischen Lebensweise veranlasste, deren Härte und Entbehrungen seine Gesundheit erschütterten. Meditation war maßgebend für sein spirituelles Leben, das heißt auch für sein Dasein als Künstler. Insofern war ihm Malerei wohl nicht zuletzt ein Medium, ein Hilfsmittel auf dem Weg zur Erkenntnis. Der Umgang mit Farben, Tusche und Pinsel bedeutete für Kuncan daher nicht allein ein entspannendes, ästhetisches Spiel, auch wenn er es nur in seinen Mußestunden betrieb, neben Dichtkunst und Kalligraphie, und soweit ihm dies seine geistlichen Pflichten erlaubten.

Kuncans strenger Charakter war jeder vordergründigen Verbindlichkeit abhold. Entsprechend harsch ist seine Vortragsweise. Es fehlt jede Konzession an ein gefälliges Aussehen. Kein eleganter Pinselschwung ist zu entdecken, die Konturen nie mit einem einzigen kalligraphischen Zug angelegt, sondern sie sind kurz gestrichelt, so als taste sich der Maler an die Form heran. Offenbar benutzte er auch struppige Pinsel, mit denen er die angetrocknete Tusche auf die Lavierung oder die farbig aquarellierte Untermalung auftrug. Daher erscheinen seine Landschaften stets etwas zerzaust und ruppig. Das kleinteilige Strichwerk ruft schon von sich aus den Eindruck hervor, als sei die Szenerie mit einer pelzigen Oberfläche überzogen. Das wuchernde Formenspiel, nicht allein im Pflanzenwuchs, sondern auch in den Berg-, Wolken, oder Flussformationen gleicht einer üppigen Vegetation, welche den gesamten Landschaftskörper bedeckt. Kuncans dichte Malweise, die kraftvolle, bewegte und zugleich detailgenaue Pinselführung wurde mit den großen Yuan-Meistern verglichen, und tatsächlich erinnert sein geradezu überquellender Strukturreichtum beispielsweise an Wang Meng siehe auch. Es ist dies das Gegenteil jener abkürzenden Methode, die man gewöhnlich mit chan-Malerei in Verbindung bringt, etwa der Song-Zeit oder einer Reihe zeitgenössischer Mönchsmaler. Für Kuncan zeigt sich der lebendige Geist gerade in der Fülle der Schöpfung, in der Vielfalt ihres Wachstums, in der Vielgestaltigkeit ihrer Formen. So vital die Naturkräfte als organische Entfaltung geschildert sind - auf manchen Rollen in geradezu dramatischer Steigerung - ihre anschauliche Wirkung hängt nicht vom realen Vorbild ab, auch wenn wirklich geschaute Szenerien seines Lebensraumes Ausgangspunkt gewesen sein mögen, sondern es war die Verinnerlichung seiner Natursicht, welche ihn zu Werken befähigte, die vom „Lebensatem“ durchweht sind.

Anders als die Orthodoxen, denen nicht mehr die Natur selbst Anlass war für ihre Panoramen, sondern die Kunst älterer Meister, findet bei Kuncan wieder eine Auseinandersetzung mit der Natur statt, allerdings in so persönlicher Weise und so gefiltert, dass sie uns verändert und in ungewohnten Bildern entgegentritt. Einfühlung in die Natur impliziert nicht ihre realistische Nachahmung sondern ihre Darstellung „durch ein Temperament gesehen“.

Das Bao en Kloster

Beispielhaft hierfür ist eine berühmte Rolle der Sammlung Kanichi Sumitomo, Oiso, Japan: „Das Bao en Kloster“ . Es handelt sich um einen wirklichen und keinen erfundenen Ort in der Nähe Nankings, an dem Kuncan sich aufgehalten hat. Die lange Inschrift, welche die obere Hälfte der Rolle einnimmt, weist auf diese Gegebenheiten hin. Der leicht zittrige Duktus zeigt nicht das geringste Bemühen um eleganten Schwung oder andere Effekte. Die untere Hälfte füllt ein Vorgebirge, das links aufragt und dessen Steilufer aus einem seebreiten Strom herausragen, der am hochliegenden Horizont von Bergketten begrenzt wird: der gewaltige Yangzi. Einige Boote segeln in der Ferne, eines ankert mit eingezogenem Segel am diesseitigen Ufer, wo Pfahlbauten im Wasser stehen. Ganz unten rechts überquert ein Wanderer einen Steg, der in traditioneller Weise ins Bild hineinführt - ein Anzeichen dafür, dass hier keine topographisch genaue Ortsbeschreibung vorliegt, sondern eine freie Interpretation, die sich auch alter Stilmittel bedient. Ein Pilgerpfad führt zum Kloster hinauf, vorbei an versteckten Hütten und Pavillons, zwischen Steilfelsen, Waldstücken und Wasserfällen, über einen steilen Treppenweg, den gerade zwei Männer erklimmen. Nach etlichen Windungen führt er durch ein Ehrentor, das auf Pfählen steht, ins Kloster. Es besteht aus mehreren Hallen auf einem Sattel des Vorgebirges, die sich scheinbar ungeordnet wie Spielzeug um das Pagodentürmchen lagern, welches die Anlage krönt. Nebel umhüllt die Gebäude. Er fließt wie eine Kaskade vom Gipfel herab, der links bis zu den Schriftzeichen hinaufragt. Die langsam wallende Bewegung der Nebelschwaden wird anschaulich in den althergebrachten Wolkenspiralen, die den Nebel als graphisches Muster durchziehen. Doch im Unterschied zu der steifen, ornamentalen Qualität etwa der Tang-Vorbilder, sind diese Linien in zarten Farbtönen und skizzenhaft locker angelegt. An anderen Stellen ist der Nebel durch Weglassen dargestellt, wie an der Uferzone rechts, wo senkrechte Felswände, die sanfte Böschung davor, Bäume und ein Stück Zinnenmauer in weichen Übergängen aus dem Dunst hervortreten. Solche Nebelschleier lagern als helle Tupfen auf dem ganzen Vorgebirge. Dieses Prinzip einer fleckenhaften Auflösung fester Strukturen durchzieht Kuncans gesamtes Oeuvre. Die in verschiedenen Lagen aufgebaute Malerei erinnert in der Methode an Huang Gongwang. Wo dieser zart lavierte, benutzt Kuncan gern, wie in diesem Bild, lichte Blau- und Orangetöne, über die er dann mit zunehmend kräftiger Tusche, Schicht um Schicht seine Zeichnung legt. Sie überzieht in wechselnder Dichte die fleckenartig lavierten helleren oder dunkleren Zonen. Dadurch entsteht ein äußerst komplexes Formengewebe. Das unruhig flackernde Spiel von Landschaftsgestalt und Oberflächenstrukturen atmet die Lebendigkeit erlebter Natur. Kuncans krauser Linienduktus erfasst nervös umherstrichelnd jeden Gegenstand und versetzt ihn in eine zittrige Vibration. In merkwürdigem Gegensatz zum engen Netzwerk der Zeichnung und dennoch in völliger Harmonie mit ihr und den übrigen Bildelementen entfalten sich die fernen Berge am jenseitigen Flussufer: in hellem Blau, Rosa, Orange und mit braun-violetter Tusche sind sie kühn und flüssig hinaquarelliert und gänzlich ohne Linienzeichnung. Dies wirkt geradezu impressionistisch und erweckt den Eindruck, als spiegelten sich die letzten Reflexe des Sonnenlichts auf Wasser und Bergen.

Kaum einem Künstler der Zeit es gelungen, mit solcher Intensität Naturvorgängen bildhaften Ausdruck zu verleihen. Und dies ohne realistische Mittel, sondern allein aufgrund seiner Erlebniskraft und des Charakterausdrucks seines Stils.

Zhu Da

Wie in seinen Tier- und Pflanzenbildern war Zhu Da siehe auch auch in seinen Landschaften ein Meister der Abkürzung. Dies gilt in erster Linie für seine skizzenhaft wirkenden Albumblätter, die dennoch in sich komplett sind und all das mitteilen, was er für mitteilenswert hält. Und es gilt auch für eine Reihe größerer Rollen.

Steile Felsen und stille Bucht

Ein Albumblatt der Sammlung Zhang Daqian (?) „Steile Felsen und stille Bucht“ steht den Pflanzen- und Tiermotiven an Knappheit nicht nach, obwohl die Ansicht einer Landschaft gewöhnlich weit größeren Detailreichtum darbietet . Im wesentlichen aus wenigen horizontalen und vertikalen Strichlagen, ein paar Schrägstrichen und einigen Tupfen baut sich mit Hilfe der ergänzenden Phantasie ein kubisches Landschaftsbild auf, eine Steilküste, über der sich ein bewaldetes Vorgebirge erhebt und die sich nach rechts erstreckt. Dabei bleibt knapp ein Viertel der Bildfläche frei und evoziert „Bucht“ oder „Wasser“. Es ist dies kein ungewöhnliches Mittel in der chinesischen Malerei, aber nur wenige Meister setzten es so ökonomisch ein. Aus wenigen flüchtigen Pinselstrichen und Tuscheflecken fügen sich links unten einige Bäume zusammen. Sie bilden einen Vordergrund, von dem eine gewisse räumliche Staffelung ausgeht, die sich von links unten nach rechts oben entwickelt. Eine solche Abkürzung der realen Erscheinungen zu bloßen Zeichen streift die Grenze zur völligen Abstraktion, ohne sie je zu überschreiten: die Gegenstände bleiben gerade noch identifizierbar und behalten dadurch ihren emotionalen Wert. Im gleichen Sinne wirkt die Leere. Sie wirkt suggestiv. Durch ihr Verhältnis zum Dargestellten malt Zhu Da in die Vorstellung des Betrachters, was auf dem Bild gar nicht zu sehen ist: Gewässer, atmosphärische Wirkungen. Und er ruft damit Raumvorstellungen hervor, ohne Tiefenraum zu malen und die Bildfläche zu durchstoßen. Laut Inschrift hat er das Bild mit einem (einzigen) Pinsel gemalt. Da dies keine Besonderheit und nicht unbedingt erwähnenswert ist, kann damit nur gemeint sein, dass Zhu Da den Pinsel nur einmal in die Tusche getaucht und dann das Motiv heruntergemalt hat - ein wahrhaft artistisches Kunststück!

Natürlich beruht Zhu Das Bedeutung nicht auf solchen technischen Bravourstückchen, sondern auf seinem geistigen Konzept. Diese ungemeine Pinselfertigkeit befähigte ihn, jede künstlerische Idee unmittelbar niederzuschreiben. Eine äußere Bilderfahrung, durch das Auge aufgenommen, im Geist verwandelt, oder eine Vision, aus Erinnerung oder Phantasie erwachsen, wird von der Hand gleichsam seismographisch aufgezeichnet. Es ist im wahrsten Sinne Konzeptmalerei, die spontane Niederschrift eines künstlerischen Gedankens, „xie yi“. In manchen Albumblättern wird sie mit leichten Farben bereichert, mit hellem Blau oder zartem Rosa. Ein Albumblatt ist natürlich besonders geeignet für ein solches bildnerisches Stenogramm, da ein kleines Format leichter beherrschbar ist.

Es bereitet Zhu Da jedoch keinerlei Schwierigkeit, auch auf größeren Rollen seine Kurzschrift souverän und absolut stimmig zu notieren.

Landschaft

Eine Landschaftsrolle im Shokokuji, Kyoto, ein schmales Hochformat, zeigt von links unten schräg ansteigend vier krumm gewachsene Bäume auf Felsen und, aus dem rechten Bildrand hervortretend, in der Bildmitte einen Hügel, der mit nur einer einzigen Linie beschrieben wird, die gleichzeitig Steilhang, Flussufer und Volumen verständlich macht . Ein Felsblock und einige hingetupfte Bäume setzen wenige dunkle Akzente im Bildzentrum. Von hier erhebt sich, nun nach links hinauf, eine bis auf eine Baumgruppe kahle Bergwand, an deren Fuß drei winzige Hütten lehnen. Am oberen Bildrand schweben ein paar Wischer auf dem leeren Bildgrund. Sie deuten einen Berggipfel an, der sich aus dem Dunst schält. Die baumbestandenen Felsen im Vordergrund und die Steilwände des Hintergrundes lassen an Guo Xi siehe auch denken, das Gesamtkonzept des Bildes ist so monumental wie das irgendeines Nord-Song-Meisters. Doch fehlt hier völlig deren Strukturdichte. Nur an wenigen Stellen werden Geländeformationen oder Bewuchs angedeutet. Der größte Teil der Komposition besteht aus Leerfläche. Die Pinselführung wirkt hier nicht heftig und expressiv, sondern durchdacht und kontrolliert. Dennoch bleibt Zhu Da summarisch und geht nur an bestimmten Stellen etwas mehr auf Details ein, die Akzente setzen, dem Auge Halt geben und der Landschaft ein gegenständliches Gerüst.

Mit extremer Konsequenz führt Zhu Da Dong Qichangs Vereinfachung der Landschaft fort. Er vergrößert nicht nur den Abstand von der Natur, das heißt von ihrem äußeren Erscheinungsbild, sondern er betreibt eine Entleerung des Bildes, sodass die wenigen verbliebenen Gegenstände zeichenhaften Charakter annehmen. Es genügen ihm einige Wischer und Tupfen sowie ein paar Konturlinien, etwa eines Uferverlaufs oder eines Bergmassivs, ohne jedoch den Gesamtkomplex zu umreißen, und er führt uns dennoch eine überzeugende Landschaftsvision vor Augen.

In anderen Fällen sind seine Mittel aufwendiger, doch bleibt die Distanz zum realen Naturbild. Dieses kann für Zhu Da ein auslösendes Seherlebnis sein, jedoch ebenso gut kann es das Werk eines alten Meisters sein. In beiden Fällen setzt er das Motiv in seine eigene Bildsprache um, und dies oft so vollständig, dass kaum eine Spur des Vorbildes erkennbar bleibt.

Gebirgslandschaft

Mit welch durchdringender Kenntnis Zhu Da einer bereits vorhandenen Stilschichtung seine eigene hinzufügte, also die Stilhaltungen zweier Vorgänger in die eigene transponierte, demonstriert die große Hängerolle „Gebirgslandschaft“ des Östasiatiska Museet, Stockholm . In der Aufschrift behauptet Zhu Da, hier in der Art Dong Yuans siehe auch gearbeitet zu haben. Wenn überhaupt etwas an diesen Meister erinnert, dann bestenfalls die gerundeten Formen der Hügel und Berge. Vielmehr scheint hier die Malweise Dong Qichangs hindurch, in welcher dieser Dong Yuan interpretiert hat siehe auch. Zhu Da geht jedoch weit über Dong Qichang hinaus, dessen Impulsivität immer kontrolliert ist und daher etwas gesucht wirkt. Zhu Das Wildheit erscheint wahrhaftig aus einem unmittelbaren Impuls entstanden, seine Vereinfachungen sind rigoroser und expressiver als die des Ming-Meisters.

Die Komposition entwickelt sich von rechts unten nach links oben. Sie wirkt gebaut, trotz der ihr innewohnenden Dynamik: sie ist an mehreren Stellen fest mit dem Bildrand verankert. Um so ungehemmter können sich Bergsilhouetten wölben und Uferränder vorspringen. Hügel, Felsen, Böschungen ballen und türmen sich wolkenartig übereinander. Auf der vorderen Landzunge erhebt sich eine Baumgruppe, aus der rechts eine Kiefer hervorragt. Die Höhe der Kiefer, die Überschneidungen der Bäume mit den dahinterliegenden Geländestrukturen, die schnelle Verkleinerung der Baumdimensionen des Mittel- und Hintergrundes erzeugen eine Distanzwirkung innerhalb der Bildebenen. Die Krümmungen und Windungen von Bäumen und Ästen sind mit skizzenhaften Pinselzügen expressiv charakterisiert. Die Blattstrukturen sind wie bei Dong Qichang vorgetragen als verschiedene graphische Muster, nur ungehemmter: Kringel, bogenförmige Striche, breite Wischer, senkrechte oder schräg nach oben weisende Strichfolgen. Diese graphischen Akzente verbinden sich nahtlos mit jenen waagerechten Strichen zu rhythmischen Abläufen, welche Vegetation signalisieren und aus den alten „Moospunkten“ (dian tai) entwickelt sind. Zusammen mit den heller aufgewischten Strichlagen und Flecken, welche das Gelände modellieren, ergeben diese Elemente eine Strukturdichte, die bei Zhu Da nicht häufig ist. Die für ihn so typische Abkürzung liegt hier im Zeichenhaften der Gegenstände: die lebendig und locker gezogenen Tuschespuren stehen für einen Baum, einen Fels - sie bleiben Handschrift. Der Naturgegenstand ist nicht Ziel der Darstellung, er ist lediglich Anlass, einen persönlichen Ausdruck zu formulieren. Zeichenhaft bleiben auch die Hütten, die sich am linken Bildrand unter Bäumen zusammendrängen, ganz in der Art Dong Qichangs aus wenigen einfachen Linien bestehend und von der Seite gesehen. Und wie bei Dong ist die Landschaft menschenleer und nicht begehbar. Der Gipfel ragt aus Wolken, die gar nicht dargestellt sind. Seine sanften Rundungen, wie von dichter Vegetation überzogen, beschwören einen fernen Nachklang der Berge Dong Yuans.

Die Leerfläche wurde unter der Hand Zhu Das nicht allein zu einer Projektionsebene für unsere Phantasie. Kaum ein Meister machte sie so unabdingbar zu einer rhythmischen Komponente des Bildaufbaus. Sie besitzt bei ihm Eigenleben. In diesem Bild suggeriert sie nicht nur Flusslauf, Wolken und Himmel, sondern sie definiert auch die Landschaft als zusammenhängenden, voluminösen Körper.

Die Plastizität der Erd- und Felsformationen erwächst aus dem rundenden Schwung des Pinsels. Die Kurvaturen in Umriss und Binnenzeichnung, die beharrliche Wiederholung bogenförmiger Strichmuster verleihen dem Landschaftskörper einen durchgehenden Rhythmus, der alles erfasst. Sie bewirken zugleich ein Anschwellen der Bodenformationen von innen heraus, gleichsam als atme die Landschaft. So gelingt es Zhu Da, trotz seiner Wirklichkeitsferne in seinem Landschaftsbild das zu vermitteln, was der Natur innewohnt: Lebensatem. Es macht ihn zu einem der Großen der chinesischen Landschaftskunst.

Shitao

Der dritte der großen Mönchsmaler und - wie Zhu Da - einer der bedeutendsten Maler nicht nur der Qing-Zeit sondern der chinesischen Kunst überhaupt“ war Shitao (1630 oder 1642 bis 1707 oder 1717). Er stammte aus Qingxian (Quanxian) bei Wuzhou, Guangxi und war ein entfernter Verwandter des eine Generation älteren Zhu Da, mit dem er zeitweise in Briefwechsel stand. Beide gehörten der weitverzweigten Zhu-Familie an, die sich auf den Gründer der Ming-Dynastie zurückführte. Als Künstler wurde Shitao unter diesem seinem Großjährigkeitsnamen bekannt. Er gab seinen Geburtsnamen Zhu Ruoji auf, als er die Mönchsweihen empfing. Unter verschiedenen Namen, die er annahm, ist sein Mönchsname am geläufigsten: Yuanji, gelesen auch als Daoji. Ob dieser vielfachen Namengebung ein ähnliches Verwirrspiel zugrunde liegt wie bei Zhu Da, um die eigene Identität zu verbergen, ist ungewiss. Nicht selten führten Künstler oder Gelehrte mehrere Beinamen.

Während der Wirren im Süden, die dem Sturz der Ming folgten, musste Shitao jedenfalls in Begleitung eines Dieners fliehen. Sein Vater hatte als Nachkomme des älteren Bruders Hongwus, des Dynastie-Gründers, Anspruch auf den Ming-Thron erhoben und wurde von einem konkurrierenden Ming-Prinzen ermordet. Damit war auch der Knabe von einer Fraktion der loyalen Ming-Anhänger bedroht. Wenn er auch später ein gutes Verhältnis zu den Mandschu Eroberern gewann - er wurde sogar von Kaiser Kangxi empfangen - so dürfte er in der Anfangszeit der Fremdherrschaft als möglicher Kronprätendent auch von dieser Seite gefährdet gewesen sein. Der frühe Eintritt in einen buddhistischen Mönchsorden - mit vierzehn Jahren - versprach relativen Schutz.

Offenbar behagte ihm das sesshafte Klosterleben nicht. Wichtiger als die religiöse Praxis, die weitgehend aus Formalien bestand, waren ihm Poesie, Kalligraphie und Malerei, die er seit seiner frühen Jugend betrieb und die ihm Lebensbedürfnis wurden. Er begann umherzuwandern und lebte in verschiedenen Klöstern. Auf diesen Wanderungen durchstreifte er Landschaften, die berühmten Malern und Dichtern der Vergangenheit immer wieder Anregung gewesen sind: die fünf heiligen Berge Chinas, das Yangzi-Gebiet, die Flüsse Xiao und Xiang. Vor allem aber das Lu Gebirge in Jiangxi, wo sich ein Hauptzentrum des Buddhismus befand und den Huangshan, die Gelben Berge, die er besonders liebte. Immer wieder durchwanderte er diese Gegenden, zuweilen auch in Begleitung seines älteren Freundes Mei Qing, der wahrscheinlich sein Lehrmeister war. Später lebte er in Nanking, wo er 1684 von Kaiser Kangxi auf dessen erster Südreise siehe auch siehe auch empfangen wurde, und der ihn 1689 dann in Yangzhou bei seiner zweiten Inspektionsreise nach Peking einlud.

Dort verbrachte Shitao drei Jahre und gewann hohe Anerkennung bei Hofe, bei Sammlern und Gelehrten, nicht zuletzt auch wegen seiner Lyrik und seiner Schriftkunst. Erstaunlich ist die Tatsache, dass der so ausgeprägte Individualist gemeinsam mit dem so völlig anders gearteten, allerdings freisten der orthodoxen Meister, mit Wang Yuanqi, ein Bild malte: Bambus und Orchideen (1691). Nach seiner Rückkehr in den Süden scheint er wieder öfter gereist zu sein. Zeitweise lebte er in Hangzhou, wo ihn die Landschaft um den Westsee faszinierte. Gegen Ende seines Lebens ließ er sich wieder in Yangzhou nieder, wo er noch fünfzehn Jahre als Berufsmaler verbrachte. Seine Persönlichkeit, seine Ansichten und sein freier Umgang mit den malerischen Mitteln beeindruckten manchen Maler der nachfolgenden Generation, der „Yangzhou-Exzentriker“. Jedoch scheinen die meisten ihn als Virtuosen geschätzt und somit missverstanden zu haben. Er hatte keine wirklichen Nachfolger. Seine Malweise war zu variabel, als dass ein einheitlicher Stil hätte imitiert werden können. Und er hatte keine anwendbare Methode zu vermitteln wie Dong Qichang, er lehnte dies kategorisch ab.

Seine Liebe zur Landschaft, seine direktes, ja inniges Verhältnis zur Natur veranlassten ihn, Natur unmittelbar als Gestaltungsmedium zu benutzen: er „häufte Steine auf“, er machte sozusagen „Land-Art“, das heißt er pflegte die alte Kunst der Gartengestaltung. Unter den zahlreichen Gärten Yangzhous war der von ihm angelegte „Garten der zehntausend Felsen“ einer der berühmtesten. Vielleicht sind eine Reihe seiner Albumblätter Entwürfe für solche Landschaftsgärten, also nicht Gestaltung nach der Natur, sondern Vorstufen von Naturgestaltung selbst.

Die Vielfältigkeit seiner Ausdrucksmittel - theoretische Schriften, Gedichte, Kalligraphie, Malerei, Gartenkunst - womit er seine persönliche Antwort auf die Schöpfung zu geben suchte, fügen sich zum Bild eines Künstlers von seltener Ausschließlichkeit. In Erkenntnis seiner wahren Berufung hatte er lange vor seiner Zeit in Yangzhou den Orden verlassen, wie aus einem Brief an Zhu Da hervorgeht.

In seiner Jugend widmete er sich der Pflanzenmalerei, wie es scheint mit Vorliebe der Malerei von Orchideen. Auch sind Figurendarstellungen überliefert. Allmählich erweiterte er seine Sujets und verlagerte seine Studien mehr und mehr auf landschaftliche Motive. Jedoch entstanden auch in späterer Zeit bedeutende Pflanzendarstellungen, wie das erwähnte Bambusbild. Erst mit zunehmender malerischer Erfahrung entwickelte er seinen enormen formalen Erfindungsreichtum. Ein genaueres Studium der alten Landschaftsmeister scheint er relativ spät betrieben zu haben. Die frühen Landschaften wirken oft überladen. Sie zeigen jedoch bereits eine sehr persönliche, geradezu wilde Handschrift. In seiner reifen Zeit wechselte er die Spielarten seiner graphischen und malerischen Mittel souverän. Es geschah dies jedoch stets im Hinblick auf das Motiv und die Empfindungen, die es in ihm auslöste. Für beides suchte er die adäquaten Ausdrucksmittel. Dies ist der Ursprung der Variabilität seines Stils, nicht ein Bemühen um Virtuosität um ihrer selbst willen.

Einige Ausschnitte aus seinen verstreuten Aufzeichnungen und Kolophonen, die später von einem Herausgeber unter dem Titel „Bemerkungen über Malerei“ (Hua Yulu) zusammengefasst wurden, illustrieren unter anderem seine Auffassung davon, wie Malerei ausgeübt werden sollte. Das Handgelenk müsse leer, also frei und ungehindert sein, sonst wohne ihm kein Geist, keine schöpferische Kraft inne. Die Bewegungen müssten vollkommen natürlich und nicht im mindesten gezwungen sein, so wie Wasser abwärts fließe und Feuer aufsteige. Mit einer spontanen Bewegung der Hand würden dann die Dinge ihre charakteristische Form annehmen, als lebten sie, und ihre Bedeutung würde sich enthüllen. Nicht virtuose Technik also interessierte ihn, sondern die Lebendigkeit des Ausdrucks. „Die Landschaft wird (dann) den Fluss der Gefühlsregungen ausdrücken …“.

Obwohl er immer wieder seine Eigenständigkeit betonte, setzte er sich mit den alten Meistern intensiv auseinander, wie eine Reihe seiner Arbeiten zeigt. „Wenn ich gefragt werde, ob ich in der Art der Südlichen oder der Nördlichen Schule male, lache ich und antworte, dass ich nicht weiß, ob ich einer Schule angehöre oder eine Schule mir; ich male auf meine Weise“. Unter den Meistern, mit denen er sich besonders beschäftigte, befinden sich Zhang Senyou, Guo Xi, Li Gonglin, Ni Zan, Huang Gongwang, Wang Meng, Shen Zhou und Dong Qichang. Er habe - so bemerkt er in einem Kolophon - einige Rollen alter Meister Tag für Tag studiert und sie zuletzt sogar während des Essens und Schlafens um sich gehabt. Seine Distanz den alten Meistern gegenüber beruhte also auf genauer Kenntnis ihrer Werke. Seine Kritik richtete sich jedoch nicht so sehr gegen die Meister der Vergangenheit - wenn er sich auch nicht davor scheute - sondern gegen ihre sklavische und äußerliche Nachahmung. „Einer (der sie imitiert) kennt nur die alten Meister, aber er kennt sich nicht selbst“. Es waren die großen Yuan-Meister, die ihn am tiefsten beeindruckten, allen voran Ni Zan. In der Aufschrift zu einem Albumblatt in der Art Ni Zans bekennt er sich tief beschämt, dass es ihm nicht gelungen sei, „die inneren Gemächer des Meisters zu betreten. … Wie könnte ich dann den alles durchdringenden Lebensatem erfassen?“ Dies klingt wie eine der konventionellen Selbsterniedrigungen, mit denen die Literatenmaler ihren Vorbildern Referenz erwiesen. Angesichts seines Selbstbewusstseins und manch harschen Urteils über anerkannte Meister, erscheint diese Eigenbewertung gegenüber einem der Großen durchaus glaubhaft.

In einem kulturellen Klima, in dem das Althergebrachte sakrosankt war, musste Shitaos Verhältnis zur Tradition als revolutionär empfunden werden, und dies war es in der Tat. In den Hua Yulu notiert er: „Die Werke der alten Meister sind Mittel, um Wissen zu erlangen. Ihre Verwandlung bedeutet, sie zu verstehen, aber nicht zu sein wie sie. Ich sah niemals einen Maler, (der malte) wie die Alten, und der noch imstande war, sie zu verwandeln … wenn ein überlegener Mann etwas von den alten Meistern übernimmt, dann tut er es, um einen neuen Weg zu öffnen … Der vollkommene Mann hat keine Methode. Seine Methode ist es keiner Methode zu folgen …“. Es ist der Anspruch auf Befreiung von Regeln, von der Bevormundung durch längst vergangene Autoritäten. In dieser Freiheit ist der Künstler vollkommen auf sich selbst gestellt. Ohne die Stütze der Tradition beruft er sich auf das eigene Genie. Es ist ein Gedanke, welcher der westlichen Tradition seit der Renaissance vertraut ist, der in China jedoch bis heute vereinzelt dasteht. Dennoch blieben sich auch die extremsten Individualisten, und blieb sich auch Shitao, des Gewichts und der Bedeutung des kulturellen Erbes stets bewusst.

„Ich bin immer ich selbst … Die Bärte und Augenbrauen der alten Meister können nicht auf meinem Gesicht wachsen … Ich drücke meine eigenen Lungen und Eingeweide aus (mein eigenes Innere) und zeige meinen eigenen Bart und meine eigenen Augenbrauen. Wenn sich mein Werk einem der alten Maler nähert, ist er es, der mir nahe kommt (mir verwandt ist), ich imitiere ihn nicht. Mir ist es von der Natur verliehen. Es gibt keinen der alten Meister, dem ich nicht folgen und den ich nicht verwandeln könnte.“

Zugleich greift Shitao auf die Weltsicht der antiken Kosmologie zurück und auf daoistische Naturanschauungen. In magisch-mystischen Metaphern beschreibt er den künstlerischen Gestaltungsvorgang, „Die Vereinigung von Pinsel und Tusche ist wie yin yun (das schöpferische Wirken von Himmel und Erde, aus dem die Natur hervorgeht). … Das erste, was im Meer aus Tusche entstehen muss, ist die göttliche Substanz“. Das „Meer aus Tusche“ wird hier gleichgesetzt mit dem ungestalteten Urzustand der Welt vor der Schöpfung. „Mit der Pinselspitze muss dann Leben hinzugefügt werden“. Malerei also als ein Geschehen, in dem der Künstler zum Weltschöpfer wird. Hier fließen uralte Vorstellungen mit Shitaos Anspruch auf die Souveränität des schöpferischen Individuums zusammen. Die Parallelität von künstlerischen und Natur-Prozessen sahen auch die Landschaftsmaler der Song-Zeit. Shitao suchte die Wirkkräfte der Natur mit der gestalterischen Kraft der nur ihm eigenen Sprache nachzuformen. Malerei also in der Weise der Natur. Konkret hieß dies, den Rhythmus einer Landschaft nachempfinden, den Pinsel führen, wie Wasser läuft, wie Bäume wachsen. Kunst als ein Vorgang „parallel zur Natur“ (Cézanne). Dem entsprach Shitaos Arbeitsweise. Er setzte Natur nicht in sorgfältiger Nachahmung seiner optischen Eindrücke ins Bild, sondern dadurch, dass er seinen Emotionen angesichts der Natur freien Lauf ließ. Dies erforderte jene absolute Beherrschung seines Metiers, die traumwandlerische Sicherheit der Pinselführung, die an ihm so gerühmt wurde.

Kern seiner theoretischen Überlegungen ist die Vorstellung von einer einzigen Linie (yi hua), aus der alle Phänomene hervorgegangen seien. Der Begriff steht einer Vielzahl von Deutungen offen. Shitao mochte darunter so etwas wie die „Urlinie“ verstanden haben, das „All-Eine“, den Urzustand der Welt, in dem noch alle Dinge ungeschieden voneinander waren. Wie alles Existierende daraus entstanden ist, war nur den Göttern bekannt, den Menschen verschlossen. Shitao habe diese Methode nun wieder begründet, als die Methode ohne Methode, die alle Methoden einschließe. „… wenn die Verfahrensweise (ein Bild zu malen) aus der Malerei (selbst) hervorgeht, verschwinden die Hemmnisse (anderer Methoden) … Dann wird die Bedeutung von Himmel und Erde erfasst, das dao der Malerei enthüllt, das Prinzip des yi hua vollkommen.“

Wenn die Methode zu malen, also Malweise oder Stil, der Malerei selbst entspringen, so kann es keine wie immer gearteten stilistischen Festlegungen geben, wie sie zum Beispiel Dong Qichang dekretierte. Der Künstler ist dann frei, seine Ausdrucksmittel zu wählen, je nach Motiv, Temperament, Stimmung, Technik usw.

Obwohl Shitao die alten Meister, die ihn beeindruckten, gründlich studiert hat, wählte er sich keinen von ihnen als Richtschnur. Wie er selbst sagte, verwandelte er sie. Dabei gehören solche Verwandlungen nicht immer zu seinen gelungensten Werken, vergleicht man sie mit solchen, in denen sein Blick und seine Empfindungen offenbar unmittelbar auf die Natur gerichtet waren, unverstellt von der Sichtweise eines anderen Meisters. Seiner emotionalen Bindung an die Natur gab er nicht nur in der Malerei Ausdruck. In zahlreichen Gedichten schildert er voller Ehrfurcht und Bewunderung seine Empfindungen vor den überwältigenden Szenerien des Huangshan, des Lushan und anderer Landschaften, die er immer wieder durchwanderte.

Der größere Teil seines Werkes besteht aus Albumblättern, die wohl in ihrer Mehrzahl auf diesen Wanderungen entstanden sind, da man sie naturgemäß auf Reisen leichter handhaben kann, als große Rollen. Es ist denkbar, dass er etliche dieser Blätter direkt im Anblick der Landschaft aufgezeichnet hat. Die meisten dürften jedoch aus der Erinnerung gemalt sein, als die Eindrücke noch frisch im Gedächtnis waren, in Klöstern, in Gasthäusern oder bei Freunden. Darauf deutet die Abkürzung und Verdichtung der meisten dieser Blätter. Andererseits gab Shitao seine Naturerlebnisse gefiltert und auf das Wesenhafte konzentriert, oft erst nach Jahren wieder. Wenn auch mit dem Dargestellten meist bestimmte Gegenden gemeint sind, wie die Titel verraten, so sind diese Bilder dennoch keine Landschaftsporträts, sondern sie destillieren Überindividuelles aus dem Besonderen, das Elementare einer Landschaft aus ihren Zufälligkeiten. Sie transponieren ein subjektives Naturerlebnis in eine allgemeinere Gültigkeit. Dem Betrachter wird die persönliche Erfahrung des Malers nachvollziehbar, Shitao vermittelt keine topographische Genauigkeit. Wenn der Betrachter eine Landschaft wiederzuerkennen meint, dann wegen der allgemeinen Charakteristika, womit Shitao etwas Landschaftstypisches erfasst. Er selbst sprach vom „Geist einer Landschaft“. Immer aber bleibt bei ihm die Handschrift, der individuelle Ausdruckswille als das Entscheidende im Vordergrund. Handschrift und Ausdruck triumphieren über alles Motivische.

In einem Haus unter Felsen

Ein kleines Meisterwerk, das typische Merkmale seiner Handschrift und seiner Arbeitsweise aufweist, ist ein Albumblatt der Sammlung C. C. Wang, New York: „In einem Haus unter Felsen“ . Auf dem annähernd quadratischen Querformat erhebt sich ein Felsmassiv, dessen Basis fast den gesamten unteren Bildrand einnimmt. Von links steigt es allmählich bis zum Gipfel an, der sich nach rechts neigt. Ein jäher Abbruch fällt senkrecht in die Tiefe. Unterhalb des Gipfels ragen einige Felsen über den Abgrund. Die breite, tiefdunkle Kontur des unteren Blockes, die vor dem hellen Bildgrund einen dramatisch kontrastierenden Akzent bildet, verstärkt den Eindruck von unauslotbarer Leere. Links oben, wo der schräg ansteigende Bergrücken den Blick in den Hintergrund freigibt, ragen zuckerhutförmige Zinnen steil aus dem Dunst.

Unter einem Felsüberhang in der Bildmitte ist mit wenigen Strichen eine offene Hütte locker angedeutet, die von dünnen Pfeilern gestützt, prekär über dem Abgrund schwebt. Innen sitzt ein winziges Figürchen, von dem lediglich Kopf und Schultern, mit haarfeinen Linien umrissen, hinter einem Tuschfleck hervorschauen. Der Kopf ist ein rötliches Pünktchen, kaum größer als ein Stecknadelkopf; der Haarknoten ist wie mit einem einzigen Haar der Pinselspitze hingetupft; das Gewand ist weiß und den länglichen Tuschfleck könnte man als Tisch interpretieren. Sogar Vorhänge sind mit hauchdünnen, schwingenden Linien angedeutet. Trotz solch mikroskopischer Präzision hat das Motiv nichts von sorgsam pedantischer Miniaturmalerei. Die Hütte und ihr Bewohner sind mit der gleichen lebensvollen Frische hingeschrieben wie die grandiose Landschaft, die sie umgibt.

Trotz ihrer Unscheinbarkeit ist die kleine Figur in ihrer Behausung zweifellos Kern des Bildes. Und zwar nicht nur, weil sie den Bildmittelpunkt bildet, den zentralen Bezugspunkt der kompositorischen Entwicklung, ohne welchen dem Felsengewirr der entscheidende Akzent fehlen würde. Auch thematisch steht hier der Mensch im Zentrum. Genauer: die Beziehung Mensch - Natur, das unerschöpfliche Movens der chinesischen Landschaftsmalerei. Shitao stellt hier jedoch nicht, wie tausendfach geschehen, den Menschen einfach der Natur gegenüber, sondern er lässt ihn Teil der Natur werden. Diesen seit der Song-Zeit angestrebten Idealzustand - in der Landschaftskunst, wie im Leben - drückt Shitao nicht allein inhaltlich, sondern vor allem mit gestalterischen Mitteln aus. Die Winzigkeit des Menschen angesichts gewaltiger Naturräume ist ein altes Konzept. Die Angleichung der zeichnerischen Struktur des Menschen an die der umgebenden Landschaft ist bei Shitao so ausgeprägt wie bei kaum einem anderen Meister. Im gleichen Rhythmus und mit dem gleichen Pinselduktus werden die Figuren mit ihrer Umgebung verwoben. Zeichenhaft wie Fels oder Baum, werden sie zum Bestandteil der Natur, wie sie in Shitaos Bildsprache erscheint.

Der Kargheit der wenigen gegenständlichen Motive entspricht die Kargheit der Landschaft: zerklüftetes Gestein, an dem zuweilen etwas Vegetation haftet, umschließt den einsamen Mann in seinem Gehäuse. Eine Szenerie von Wildheit und Verlassenheit, die mit der asketischen Lebensweise des Eremiten voll in Einklang steht. Jedoch sind es nicht so sehr Motiv und Inhalt, die dem Blatt seine eigentliche Ausdruckskraft verleihen. Die Wildheit des Felsengebirges spiegelt sich in der kraftvollen Dynamik der Pinselführung, die man ebenso „wild“ nennen könnte, wäre sie nicht so kontrolliert, prägnant und treffsicher. Keine Linie erscheint überflüssig, keine zu wenig. Wie eine Wirbelsäule oder ein gewundener Drachenleib zieht sich der gezackte Berggrat in einer S-Kurve zum Gipfel. Diese lebendig bewegte Bildachse baut sich aus saftigdunklen Tuschespuren auf, die ineinander verschlungen teils ansteigen wie Felsspitzen, teils abwärts fließen wie Bachläufe. Von hier aus verbreitet sich ein aderngleiches Gewebe nach allen Seiten, das sich als Felsblöcke oder Klüfte im Gestein lesen lässt. Mit unvergleichlicher Sicherheit sind bestimmte Linien nur leicht getönt - zum Beispiel am senkrecht abfallenden Klippenrand, sodass dies ein Zurückweichen des Felsens in dunstiger Luft evoziert.

Diese atmosphärische Wirkung findet sich in allen Landschaftsdarstellungen Shitaos wieder. Feuchtigkeit, Dunst, Nebel beschreibt er vorwiegend in einer Nass-in-Nass-Malerei, soweit er diese Erscheinungen nicht durch Weglassen suggeriert. Seine Kompositionen scheinen ganz locker gefügt, oft geradezu schwebend, wenn zum Beispiel lediglich einige Landschaftsfragmente aus dem Dunst auftauchen. Dennoch sitzen die sichtbaren Elemente so im Bildgeviert, dass sie nicht verrückbar wären, ohne ihre Balance zu zerstören. Die Verankerung an den Bildrändern und die Prägnanz, mit der wesentliche Landschaftsstrukturen erfasst sind, verhindern ein Zerfließen der scheinbar flüchtigen, skizzenhaften Kompositionen.

In unserem Beispiel scheint der Pinsel wild umhergefahren zu sein. Die Hauptlinien sind mehrfach unter- und übermalt. Feinere Linien umwuchern kräftigere wie Schlinggewächse. All dies schließt sich zusammen zu einem Spiel von organischem Wachstum, das die Felsenwildnis nicht nachbildet, sondern assoziativ unmittelbar hervorruft. Was dem Gestein fehlt, ist jede Charakterisierung als Materie. Es ist zur reinen Bildstruktur geworden, zu Energielinien, zu Spuren der Emotionen des Malers. Durch den handschriftlichen Duktus, der ihre Zeichenhaftigkeit bewirkt, stehen diese Felsgebilde der Schriftkunst näher, als einer gegenständlichen Malerei. Sie haben einen Grad der Abstraktion erreicht, den der heutige Betrachter als modern empfindet.

Das gleiche gilt für die Anwendung der Farbe. Sie hat ihre Bindung an den Gegenstand verloren. Mit einer Freiheit, die bis dahin ungewohnt war, entfaltet sie sich, zwar im rhythmischen Einklang mit dem zeichnerischen Ablauf, jedoch in einem selbstständigen Spiel. Die Begrenzung einer farbigen Fläche stimmt nur noch ausnahmsweise überein mit dem Umriss des dargestellten Objekts. Auf diesem Albumblatt ist dies besonders augenfällig im Gebrauch der Vegetationspunkte, der dian. Sie überziehen das gesamte Felsmassiv in dichten oder aufgelockerten Clustern, ohne wie Bewuchs zu wirken. Dies liegt einmal an ihren zarten, reduzierten Tonwerten, vor allem aber an ihrer Farbigkeit: lichtes Blau, blasses Rosa und helles Umbra. Lediglich an den Rändern des Felssturzes, auf dem Bergrücken und am Gipfel kann man die Flecken und Tupfen noch als dunstverhangenen Pflanzenwuchs lesen. Farbe und Gegenstand stimmen hier wie zufällig wieder überein. Shitaos spielerisch hingetupften Punkte liegen auf der gleichen Abstraktionsebene, wie die graphischen Werte der Zeichnung. Im wahrsten Sinne des Wortes sind sie von den alten „Moospunkten“ (dian tai) abstrahiert. Sie ergeben nicht allein eine dekorative Wirkung, sie sind mehr: Stimmungselemente, die den Gefühlsausdruck des Bildes entscheidend mitbestimmen. Neuartig ist jedoch nicht allein die Art, wie Shitao die dian einsetzte. Er war der Erste, der sie als farbige Elemente ins Landschaftsbild einführte.

Maltechnisch ähnelt seine Verfahrensweise dem Aquarell. Er setzte Farben nebeneinander und ließ sie an manchen Stellen miteinander verfließen. Oder er überarbeitete sie mit dünnen Lasuren. Ähnlich verfuhr er mit der Tusche, sodass er Klänge von lichtem Braun bis zum tiefsten Schwarz erzielte. Shitao war der bedeutendste Kolorist seiner Zeit. Niemals wirkten seine Bilder bunt. Obwohl er nur leichte, transparente Farben verwendetet, ist seine Palette differenzierter, reicher und intensiver, als die anderer Meister der Epoche.

Der Lushan Wasserfall

Eine hochsensible Farbigkeit entfaltet sich auch in einem Hauptwerk Shitaos, das einen Gegenpol zu den leicht hingeworfenen Albumblättern bildet: „Die Wasserfälle des Lushan“ der Sammlung Kanichi Sumitomo, Oiso, Japan . Die Hängerolle ist nicht so „wild“ und impulsiv niedergeschrieben wie manches Albumblatt. Das verhinderten schon die Größe und der Seidengrund der Rolle. Trotz der augenscheinlich langsameren Malweise jedoch, hat der Vortrag nichts von der durchdringenden Lebendigkeit verloren, die auch die kleineren Werke Shitaos auszeichnet, ob sie nun mit spitzem Pinsel angelegt oder breit hingewischt sind.

Im Vordergrund tief unten auf einem Felsplateau, vor dem die Wipfel einer Baumgruppe aus dem Nebel ragen, befinden sich die winzigen Gestalten zweier Männer. Der eine, nach Haartracht und Gewand ein Gelehrter, steht wie aus dem Fels gewachsen, die Füße in Dunst gehüllt. Er schaut sinnend in die von wallenden Schwaden angefüllte Tiefe. Sein Begleiter sitzt wartend, einen Wanderstab quer über die Knie gelegt, auf den Wurzeln eines dürren Bäumchens. Wie die Baumkronen im Vordergrund ist es nach links geneigt. Und nach links neigt sich auch ein gewaltiger Felspfeiler, der aus dem rechten Bildrand emporschießt. Unter ihm trennt der Nebel, der die Talsohle ausfüllt, die vordere und die hintere Bildebene. Er gleicht einem breiten Fluss und übernimmt die Raum überbrückende Funktion der Wasserfläche in den alten Landschaftskompositionen, wie man sie beispielhaft bei Ni Zan findet. Das jenseitige „Ufer“ des Nebelstroms ist gekennzeichnet durch die Wipfel eines Kiefernwaldes. Dahinter steigen senkrechte Felswände empor, von Wolkenschleiern überzogen, hinter denen aus tief eingekerbten Schluchten gewaltige Kaskaden von Stufe zu Stufe in die Tiefe stürzen.

In Aufbau und Motiv ähnelt die Komposition dem „Himmelsstadtgipfel im Huangshan“ des Mei Qing siehe auch: das vorspringende Plateau unten, der riesige, in schier unwahrscheinlicher Neigung nach links aufragende Felspfeiler, die nach links abfließenden Nebelschwaden und das dahinter aufgetürmte Gebirge. Shitao und Mei Qing mögen eine solche Szenerie auf ihren gemeinsamen Wanderungen erlebt haben. Der eine projizierte sie in der Erinnerung auf den Lushan, der andere auf den Huangshan. Aber Shitao ging noch weiter als sein älterer Freund. Er türmte die Steilwände des Hintergrundes zu noch unerreichbareren Höhen auf. Sie werden überragt von einem ungeheueren, oben abgeflachten Felsenquader, der wie der Kopf eines urzeitlichen Wesens auf den Schultern des Gebirgsleibes sitzt.

Tritt der Mensch einer so überwältigenden Natur gegenüber, so muss sie Staunen, Bewunderung und Ehrfurcht in ihm erwecken und ihn die eigene Unscheinbarkeit empfinden lassen - so wie es die beiden kleinen Gestalten auszudrücken scheinen. Nicht einmal die Nord-Song Meister haben gigantischere Panoramen erfunden. Und dennoch wohnt Shitaos Werk nicht deren Monumentalität inne, auch wenn er sich im Kolophon mit Guo Xi vergleicht. Sein Wesen ist anderer Art. Wo die alten Landschaftsmeister dem Bildkörper, wie auch den dargestellten Körpergebilden, Festigkeit verliehen durch eine immense Strukturdichte, erscheinen Shitaos Felsformationen leicht und schwebend, von einem goldfarbigen Licht und von Atmosphäre durchflutet, ohne festen Grund aus dem Dunst aufsteigend. Allein schon der jeder physikalischen Wahrscheinlichkeit spottende Überhang der Felsklippe, die schräg bis zur Bildmitte emporstößt, ruft die Wirkung einer dynamischen Kräfteströmung hervor. Sie wird verstärkt durch die in gleicher Richtung ansteigenden wellenförmigen Felsstrukturen, die dem Fels keinerlei Schwere oder gar Festigkeit vermitteln. Von solchen Energie- und Bewegungsströmen ist das ganze Bild durchwoben. Diese Dynamik und die Duftigkeit der Farbskala sind die Ursachen jener Immaterialität, welche die Gegenstände unter Shitaos Hand annehmen. Das sichere Gespür, womit er die dynamische Wirkungsweise der Naturkräfte in malerische Dynamik verwandelt, entmaterialisiert die Landschaft und hebt sie in den Bereich des Visionären.

Die Lushan-Rolle wird gekrönt von einem Gedicht des Tang-Poeten Li Bo über den Lushan und einem Text des Malers, worin er sich in eine Traditionslinie stellt mit Guo Xi, der wiederum auf Li Cheng siehe auch siehe auch aufgebaut habe. Wenn er auch sein Werk dem eines Guo Xi zumindest für ebenbürtig hält und fragt: „… wozu bedarf es dann noch der alten Meister?“, so zeigt gerade die Verknüpfung der Lushan-Rolle mit drei der größten Meister in Literatur und Malerei nicht allein seine Selbsteinschätzung, sondern die unausweichliche Auseinandersetzung des Intellektuellen mit der Tradition, die er auf seine Weise vollzieht: er misst sich mit den Großen der Vergangenheit.

Die Kalligraphie der beiden Inschriften weist darauf hin, dass der Schreibmeister Shitao nicht hinter dem Maler zurückstand. Neben einer expressiven Konzeptschrift pflegte er - hauptsächlich in seinen Albumblättern - einen Stil, der auf die Kanzleischrift der Han-Zeit zurückgeht (li shu). Auch hier entwickelte er einen eigenwilligen, sehr markanten Duktus, dessen kubische, in die Breite tendierenden Zeichen von einer expandierenden Energie erfüllt sind. Dass Shitao gerade einen solch archaischen Schrifttypus bevorzugte, mochte mit seinem Streben nach dem Urtümlichen zusammenhängen, mit der Suche nach den Quellen.

Mit seiner der Natur zugewandten Haltung, der bis dahin nie gekannten Freiheit seiner Ansichten und seiner Sehweisen und nicht zuletzt mit der Kraft seines Charakters und seines künstlerischen Ausdrucks, hätte Shitao ein Neuerer der chinesischen Malerei werden können. Doch war das Gewicht konservativer Anschauungen zu übermächtig und zu tief verankert im Denken der Gebildeten und der tonangebenden Gesellschaft. So war Shitao in seiner Zeit zwar anerkannt, doch blieb er ein Außenseiter. Die Einzigartigkeit seines Genies wurde erst viel später verstanden.

Gong Xian

Ein Meister, dessen reifer Stil aus den verschiedenen künstlerischen Haltungen in der chinesischen Malerei schon deshalb hervorragt, weil er schwer vergleichbar ist, war Gong Xian (ca.1620-1689). Er stammte aus Kunshan, Provinz Jiangsu. Nanking wurde seine Wahlheimat. Nach dem Fall der Ming ging er nach Yangzhou, da er sich aus politischen und privaten Gründen in Nanking scheinbar nicht mehr sicher fühlte. Nachdem er etwa zehn Jahre untergetaucht war, kehrte er nach Nanking zurück. Er liebte die Einsamkeit und lebte entsprechend zurückgezogen am Rande der Stadt auf dem Qingliang-Hügel, wo er auf einem kleinen Anwesen Blumen und Bambus anbaute. Sein einziger Umgang waren Loyalisten, die der gestürzten Ming-Dynastie nachtrauerten. Obwohl ein gebildeter Mann, hatte Gong Xian nie ein Amt inne, offenbar auch nicht unter den Ming. Seine Gedichte und seine Kalligraphie waren über den engeren Freundeskreis hinaus anerkannt, insbesondere aber seine Malerei. Sein Charakter wird als unzugänglich geschildert, was den Umgang mit ihm schwierig machte. Die Strenge seiner konventionellen Lebensauffassung zeigt sich schon darin, dass er es ablehnte, Gewinn aus seinen Talenten zu ziehen, obwohl er bis zu seinem Ende mit seiner Familie in tiefer Armut lebte. Wahrscheinlich hat er niemals ein Bild verkauft. Ein Freund übernahm die Kosten seiner Bestattung und sorgte für die Erziehung seiner Kinder.

Schon zu seinen Lebzeiten wurde Gong von Kennern als der bedeutendste der sogenannten „Acht Meister von Nanking“ angesehen. Zwar haben ihn seine Kollegen hochgeschätzt, zum Teil auch bewundert, aber er hat sie künstlerisch nicht tiefgreifend beeinflusst. Sie alle waren Individualisten, von denen einige der orthodoxen Tradition zuneigten. Ihre Gemeinsamkeit bestand in ihrer Zeitgenossenschaft und dem Ort ihrer Tätigkeit.

Gong Xian hatte trotz seiner zurückgezogenen Lebensweise auch Schüler - der bekannteste wurde Wang Gai siehe auch - doch, ähnlich wie Shitao keine genuinen Nachfolger. Dies jedoch aus einem entgegengesetzten Grund: sein Stil war außerordentlich homogen aber von so extremer Individualität, dass er sich von der Tradition zu entfernen schien. So könnte man manche seiner Äußerungen deuten: „Niemand war vor mir und niemand wird nach mir sein“. Oder: „(Künstlerische) Schöpfung weiß nichts von Dong Yuan und Huang Gongwang“. Hier spricht das Selbstbewusstsein des eigenschöpferischen Genies, nicht die Missachtung der großen Meister. Selbstverständlich hat er sie - auch nach eigenem Zeugnis - genau studiert. Gerade die Wirkung Dong Yuans ist in den meisten Arbeiten unverkennbar: in der dichten, feuchtwarmen Atmosphäre, der üppigen Vegetation des Südens, die der alte Nanking-Meister darzustellen wusste und die bei Gong verwandelt wiederkehren. Er transponierte alle Werke, die er zum Ausgangspunkt nahm, in einer Weise, dass sie sich in seiner Interpretation kaum noch wiederfanden. Die Meister, mit denen er sich auseinandersetzte, waren vorwiegend die der Song- und der Yuan-Epochen. Von der Intensität seiner Studien mag man sich eine Vorstellung machen, wenn er mitteilt, dass er sich allein mit Mi Yuren über vierzig Jahre befasst habe.

Er verfasste einen Traktat über Landschaftsmalerei, der unvollendet blieb, sowie verstreute Anmerkungen auf Skizzenblättern. Darin gibt er technische und kompositionelle Hinweise, wie bestimmte Motive zu malen seien. Ähnlich wie Guo Xi spricht er von drei Entfernungen siehe auch (eigentlich Blickpunkten) entsprechend denen ein Landschaftsbild aufzubauen sei und verbindet diese „Entfernungen“ jeweils mit Bildthemen, die nach seiner Ansicht dazu passen. Bedeutsamer als die Texte, die nicht über bekannte theoretische Überlegungen hinausgehen, sind die dazugehörigen Skizzen. Darin stellt er Einzelgegenstände dar sowie Motive, die das Skizzenhafte zwar bewahren, aber dennoch bildliche Eigenständigkeit gewinnen, locker angelegte und dennoch komponierte Blätter.

In seinen Albumblättern ist die Zeichnung präzise, besonders in den Bäumen, deren Blatt- und Aststrukturen sich klar voneinander absetzten, selbst da, wo die Tonwerte hauchzart sind. Meist mit angetrockneter Tusche gerissen, zum Teil wohl auch mit abgenutztem Pinsel, schließen sich kurze Strukturstriche in den Bodenformationen zu Tonflächen zusammen, wobei sie dem Geländerelief folgen. Dabei bleiben die einzelnen Strichlagen sichtbar, behalten also ihre Qualität als graphische Elemente. Die Beschaffenheit der Oberflächen als Gras, Sand oder Kiesel wird nicht definiert. Kurze, senkrechte und parallele Striche deuten Bewuchs an. Die Regelmäßigkeit ihrer Abstände gerät bisweilen in die Nähe von Manieriertheit. Da sie im Vorder- und Hintergrund in etwa gleicher Größe erscheinen, können sie auf dem gleichen Bild in einem Falle Gras, im anderen ferne Bäume bedeuten. Dies zeigt Gong Xians Desinteresse, seinen Gegenständen materielles Gewicht zu verleihen. Es kommt ihm auf graphische Werte an, mit deren Hilfe er atmosphärische Wirkungen erzeugt. Die Helligkeit und Zartheit solcher Blätter, oft verbunden mit kräftigen Akzenten, vermitteln den Eindruck großer Leichtigkeit, ohne je flüchtig zu wirken.

So reizvoll diese kleinen Werke sind, sie zeigen nicht den ganzen Gong Xian. Die Einheitlichkeit seines Stils beruht darauf, dass er seine Ausdrucksmittel begrenzt. Sie sind wie bei Hongren siehe auch stets die gleichen, ohne Abweichungen, ohne den Versuch, sich in verschiedenen Stilformen mitzuteilen. War Hongren ein Mann der Linie, so war Gong Xian der Mann der Tuschevaleurs. Der handschriftliche Duktus der Linie spielt bei ihm eine untergeordnete Rolle. In „pointillistischer“ Technik tupft er Lagen von kurzen Strichen und Punkten übereinander. Solange die so entstandenen Flächen noch locker und offen strukturiert sind, entsprechen sie dem Stadium der meisten Skizzen- und Albumblätter. In größeren und anspruchsvolleren Werken arbeitet er über diese trocken angelegten Strichlagen fortschreitend dichter werdend mit nasser Tusche in verschiedenen Tonstufen bis die Oberfläche zu einer dichten Textur verwoben ist. Unter dieser Oberfläche bleibt das miteinander verschmolzene Strichgefüge spürbar wie lebendiges, drängendes Wachstum. Sanft und pelzig, mit gerundeter Plastizität, überzieht diese Textur Berge und Felsen wie Matten aus dichtem Bewuchs. In einem Wechselspiel von Verdichtung und Aufhellung modelliert Gong Xian seine Landschaften zu Reliefs. Nicht selten sind diese Strukturen vom oberen Bildrand angeschnitten, was die Reliefwirkung verstärkt.

Gegenüber den weichen Wölbungen der Oberfläche, ihren sanften Übergängen in Dunstschleier, begrenzt Gong Uferlinien, Berg-, Baum- und Felssilhouetten unzweideutig durch den Kontrast unterschiedlicher Tonwerte, zuweilen mit weich verschwommenem Umriss, zuweilen scharf gegeneinander abgesetzt. Blattstrukturen zeichnet er in nuancenreich getönte Baumkronen ein, und nur in den Baumstämmen, im Astwerk oder manchmal an einer Felsumrandung kommt die Linie zu ihrem Recht. Diese wenigen verbliebenen graphischen Mittel werden als höchst wirkungsvolle Akzente gegen die verschwimmenden Flächen ausgespielt.

Die überlegte Malweise Gong Xians, die allmähliche Verdichtung der Komposition schließen spontanes Niederschreiben aus. Die Methode, ein Bild immer wieder zu überarbeiten, erinnert an Huang Gongwang. Durch diese Technik werden Strukturen von Wolken, Bergen und Vegetation einander angenähert, was wiederum den Formcharakter der Gegenstände verändert und sie weiter einander angleicht. Auf diesem Weg erreicht Gong Xian eine ungewöhnliche Homogenität innerhalb des Bildes. Das Ergebnis ist monumental.

Tausend Gipfel, Myriaden Abgründe

Monumentalität ist die hervorstechendste Eigenschaft von Gong Xians bedeutendstem und wohl auch berühmtesten Werk „Tausend Gipfel, Myriaden Abgründe“ (Sammlung Drenowatz, Zürich) . Es ist eine Monumentalität von ungeheuerer Düsternis. Nichts findet sich hier von der schwellenden Weichheit anderer Werke. Schroff und kantig bauen sich Felstürme zu gewaltigen Barrieren hintereinander auf. Aus unbeweglich lagernden Wolkenbänken ragen ihre Zinnen über den oberen Bildrand hinaus. Der hohe Horizont, vollständig von Wolken und Gipfeln verdeckt, erlaubt den Blick in unzählige Täler und Schluchten, wo sich dichte Nebel sammeln und wie zu Eis erstarrte Wasserflächen eingebettet liegen. Auch in den Wildbächen, die von zackigen Felsbrocken übersät sind, fließt das Wasser nicht, und ebenso scheinen die dünnen Kaskaden an den senkrechten Felswänden still zu stehen. Außer niederem Gestrüpp auf den Klippen sind einige Gruppen blattloser Baumgerippe und eine einsame dürre Kiefer einzige Anzeichen von pflanzlichem Leben. Aber auch dieses scheint erstorben. Und die wenigen Spuren menschlichen Lebens in dieser Ödnis - ein Hüttendach links, kaum sichtbar ein Kloster in einem Talkessel nahe der Bildmitte und eine kleine Rundhütte, versteckt in einer Schlucht im Vordergrund - wirken wie ausgestorben. Tödliche Erstarrung liegt über dem düsteren Panorama.

In eigenartigem Gegensatz zu dieser suggestiven Stimmung steht die Dynamik der Komposition. Das Querformat betont zunächst die Horizontale. Ihr entsprechen die breit gelagerten Wolken- und Nebelfelder sowie einige flache Felsplateaus im oberen Bilddrittel. Doch bereits am unteren Bildrand entwickeln sich schräg ansteigende Hänge und Wasserläufe. In kraftvollen Diagonalzügen werden die Bergmassive zu gewaltigen Dreiecksblöcken zusammengefasst: einer im Vordergrund bis zur Bildmitte aufragend, links und rechts dahinter weitere, dem Dreieck angenäherte Felsgebilde, die hinauf in die Wolken reichen. Ihre Diagonalen kreuzen sich und überspannen die gesamte Bildfläche. Ihre Überschneidungen erzeugen Räume innerhalb eines dicht gefügten Reliefs. Dieses Bildgerüst wird von einem komplexen System vielgestaltiger Strukturen immer wieder aufgebrochen. In diesen großen Gebirgsblöcken wechseln senkrechte Wände mit gerundeten Bergrücken, Felsplattformen mit quaderartigen Brocken oder Bündelungen steiler Zinnen. Die gesamte Komposition ist von diesen stalagmitenförmigen Gesteinsnadeln durchsetzt. Vertikal- und Horizontaltendenzen halten sich im Gleichgewicht. Das Wirken der dynamischen Kräfte kommt zu einer spannungsgeladenen Ruhe, gleichsam wie erkaltete geologische Formationen oder durch Gegenkräfte zum Verharren gezwungene Erdschübe.

Gong Xian verfestigt nun dieses Formenspiel bis zur Unverrückbarkeit. Mit breiten Umrisszonen fasst er größere Formkomplexe zusammen und gliedert ihre Binnenstruktur mit einer nie erreichten Skala von Tonabstufungen. In geduldiger Wiederholung „meißelt“ er sozusagen jede Form plastisch hervor, indem er die Schwärze der Tusche bis in ihre tiefsten Tiefen auslotet. Die tiefsten Schwärzen konzentrieren sich dabei in den zahllosen Vegetationspunkten, welche die Klüfte durchziehen oder die Konturen von Bergkämmen und Felstürmen intensivieren. In heftigem Kontrast hierzu lässt Gong in Wasserflächen, Wolken- und Nebelbänken den weißen Papiergrund aufleuchten.

Die dramatische Wirkung, die so entsteht, hat man immer wieder als Spiel von Beleuchtungseffekten und von Licht und Schatten beschrieben. Es sind dies Kategorien, die auf nachmittelalterliche Malerei des Abendlandes zutreffen.

Den europäischen Künstlern war immer das Vorhandensein einer oder mehrerer Lichtquellen bewusst, die sich gewöhnlich außerhalb des Bildes befanden. Selbst wenn - wie oft in religiösen Bildern - ein überirdisches Licht dargestellt werden sollte, so war dies stets ein konkretes, „materielles“ Licht, das auf den Körpern, auf die es traf, helle Zonen und Schatten bildete, gleichgültig, ob es sich um gedämpftes Licht handelte oder um unmittelbares Auflicht, das Schlagschatten erzeugte. In diesem Sinn kann bei Gong Xian und kann in der gesamten chinesischen Malerei keine Rede sein von Licht und Schatten. Wenn Gong Xian von „Schatten“ spricht, dann meint er dunkle Zonen, die durch Strukturstriche oder -tupfen verdichtet werden. Licht als physikalisches Phänomen existierte nicht in der traditionellen chinesischen Malerei. Helligkeit und Dunkelheit hingen niemals ab von Lichtquellen, die von irgendeiner Seite die Gegenstände beleuchten. Auf diesem Bild leuchten Felsen und Berge, Wolken und Seen wie von innen heraus, so als seien sie selbst die Lichtquellen. Und die „Schatten“, die dunklen Zonen, folgen nicht einer Logik des Lichteinfalls. Man könnte sie autonom nennen. Es ist ein Helldunkel-Spiel, das der Phantasie des Künstlers entspringt, dem Verlauf der Formen ein starkes Relief verleiht und der Logik der Komposition folgt.

In seiner Gesamterscheinung unterscheidet sich dieses Werk von allem, was die chinesische Malerei hervorgebracht hat. Und zwar nicht nur wegen der Helldunkel-Malerei. Hier findet sich auch kein Kolophon, der wie gewöhnlich vor einem leeren Himmel schwebt. Die einzige Inschrift ist Gong Xians Signatur, ganz rechts in eine Felswand eingearbeitet als sei sie Teil der Gesteinsstruktur. Auf diesem Bild findet sich keine Leerfläche, die einen größeren Text aufnehmen könnte. Dies und die vollständige Durcharbeitung der Komposition - nicht zuletzt auch die untergeordnete Rolle der Linie - entsprechen eher europäischer Auffassung von Malerei, die ja keine Leerflächen zuließ außer in Skizzen. Möglich, dass Gong Xian zeitgenössische westliche Stiche zu Gesicht bekommen hat, die durch Jesuiten nach Nanking gelangt waren. Allerdings ist dies nirgends erwähnt, und er selbst nennt nur chinesische Meister als Anreger. Aber auch wenn er einen allgemeinen Eindruck von abendländischer Malerei gewonnen haben sollte - die Ungewöhnlichkeit dieses Bildes, sein zwingender Ausdruck, sind allein der Individualität des Meisters zu verdanken. Es erscheint geradezu wie ein Psychogramm seiner Persönlichkeit.

Nicht nur Eiseskälte liegt über dieser Landschaft, sondern auch eine Stimmung unendlicher Melancholie und einer Vereinsamung, die er in der Signatur einer anderen Rolle benennt: „Der in der Wildnis vernachlässigte Gelehrte Gong Xian“. Die psychische Stimmungslage des Künstlers mochte auch die politische Situation widerspiegeln, unter der er litt. So wurde das Bild auch symbolisch gedeutet als Protest gegen die Fremdherrschaft der Mandschu. So verstanden spricht es deutlich genug: Trostlosigkeit und Verfinsterung über dem Land. Der Vergleich mit Landschaften der Yuan-Zeit liegt nahe. Auch diese ist menschenleer und abweisend. Sie gewährt keinen Zutritt. Ihre Verlassenheit hat jedoch nichts von der kühlen, kristallklaren Distanziertheit der Landschaften eines Ni Zan. Hier herrscht eine bedrückende Schwermut. Es ist, als fülle sie Täler und Schluchten wie Dunst und Nebel. Der Mensch ist nicht sichtbar, doch ist er anwesend in seinen Empfindungen.

Es gibt kein vergleichbares Bild einer Helldunkel-Malerei in der chinesischen Kunst, und keines, das dieses Werk an Ausdruckskraft übertrifft.

Fan Qi

Der Nanking-Meister, der sich am engsten an die Konventionen der Song- und Yuan-Malerei anschloss und seinen Werken dennoch ein eigenes Gepräge gab, war Fan Qi (1616-ca. 1694). Nur wenig Biographisches ist überliefert. Offenbar war er bereits in seinen jüngeren Jahren berühmt und geschätzt, denn eine Reihe seiner Arbeiten fanden Eingang in die kaiserlichen Sammlungen vor 1644. Er liebte den Gebrauch von Farben und setzte sie meist dezent ein. An Sorgfalt und Genauigkeit der Ausführung wurde er kaum übertroffen.

Landschaft am Yangzi

Die Querrolle „Landschaft am Yangzi“ (Museum für Ostasiatische Kunst, Berlin) gehört zu den wichtigsten und typischsten der erhaltenen Werke seines schmalen Oeuvres . Am Anfang der Rolle wird der Blick zwischen Felsen hindurchgeführt hinab in eine Ebene, wo ein breit und träge sich windender Fluss in der Ferne zwischen flachen Hügelketten verschwindet. Im Mittelgrund, unterhalb der Felsen, ist der Fluss noch schmal. Hier liegt an seinen Ufern verstreut eine kleine Siedlung. Nach links steigen die Felsen des Vordergrundes zu einer nach außen überhängenden Steilklippe an. Einzelne Gruppen kahler Bäume wachsen auf den Felsen. Auf dem Gipfel der Klippe überschneiden sie die fernen Hügelketten, was einerseits Raumtiefe bewirkt. Andererseits fangen die Höhenzüge, ganz in Übereinstimmung mit der Tradition, den Blick in weitere Bildtiefen auf. Diese Überschneidung betont außerdem die kompositionelle Funktion des aufragenden Felsblocks: er trennt das Flusstal vom Mittelfeld der Rolle und macht es damit zu einer Raumzelle, jenem Kompositionsmittel aus der Frühzeit der Landschaftsmalerei siehe auch.

Wie sehr traditionelle Auffassungen Fan Qis Bilddenken prägten und wie wenig ihn realistische Wahrscheinlichkeit kümmerte, zeigt der weitere Verlauf des Bildes. Denn jenseits der Klippe blicken wir nun in eine weitere, sozusagen selbständige räumliche Einheit, in eine tiefer als das Flusstal gelegene Ebene mit Reisfeldern, die bis zum Ufer einer weiten Wasserfläche reichen, aus der sich eine Felseninsel erhebt: der Yangzi gleicht hier einer Meeresbucht. Ferne Ufer bilden den Horizont, der nun etwa bis zur halben Bildhöhe reicht. Die Hügelkette hat sich von dem hochliegenden Flusstal herabgesenkt und schließt nun die Reisebene ab. Eine letzte Erhebung, von einem Pavillon gekrönt steigt noch einmal an, um dann als felsige Steilküste zum Wasser abzufallen.

Weiter nach links bilden dürre, knorrige Bäume, etwa in der Art Li Chengs siehe auch, den Vordergrund. Der Kontrast zu dem weiten ruhigen Gewässer und den fernen Uferlinien erzeugt eine für chinesische Verhältnisse ungewöhnliche Tiefenwirkung. Wieder hat sich die Perspektive verändert und wir befinden uns unmittelbar am Flussufer. Erneut steigt das felsige Gelände vom Ufer aus an zu einer mauerbefestigten Klosteranlage. Obwohl sie oberhalb des Betrachterstandpunktes liegt, ist sie von oben einsehbar. Eine senkrechte Felswand schützt sie nach der Landseite hin. Die Steilwand ist Teil eines Massivs, das sich im Hintergrund mit einem Bergzug verbindet, der, von Dunstschleiern überzogen, am oberen Bildrand entschwindet. Jenseits des zerklüfteten Massivs bildet sich eine dritte Raumzelle. Hier tritt ein geröllführender Wildbach aus den Bergen, der sich entlang den Steilufern des Felsmassivs seinen Weg bahnt und zu einem Fluss anschwillt. Seine starke Verbreiterung zum Vordergrund hin ruft einen geradezu zentralperspektivischen Tiefeneindruck hervor, der allerdings von dem dunstüberzogenen Berghang aufgefangen wird, weIcher den Hintergrund vollkommen abschließt. Die kantigen Quader im Flussbett könnten von Gong Xian gemalt sein. Mit einem buschbestandenen Felsenufer am linken Bildrand schließt die Komposition.

In diesem Bild mischen sich altertümliche mit neuzeitlichen, vielleicht europäisch beeinflussten Elementen. Zu den Verschiebungen des Blickwinkels in verschiedene Höhen treten nun wechselnde Perspektiven in die Bildtiefe hinein, ohne jedoch die Kontinuität der flächenhaften Abwicklung zu durchstoßen. Insofern bleibt auch Fan Qi der traditionellen chinesischen Auffassung von Räumlichkeit im Bild verhaftet. Die unterschiedlichen Raumebenen und Standpunkte gehen so organisch ineinander über, dass sie selbst bei vollständig ausgebreiteter Rolle kaum ins Auge fallen - wieviel weniger dem Betrachter, der sie abschnittweise aufnimmt. Im rhythmischen Ablauf des Panoramas schwingt eine fließende Harmonie. Den differenzierten Tonabstufungen der Tusche und der zarten Farbgebung sind scharfe hell-dunkel Kontraste wirkungsvoll gegenüber gestellt. Sie definieren mit peinlicher Präzision die Umrisse von Bergen, Felsen und Uferlinien. Bäume und Astwerk sind scharf gezeichnet, die Oberflächen dagegen wirken wie dunkler Rauch .

In einer Zeit, in welcher der schnelle Pinsel bei den individualistischen Literatenmalern vorherrschte, wurde Fan Qis Malweise als altmeisterlich gepriesen. Wenn man seine Landschaften gern mit denen des Song-Meisters Zhao Danian verglich, so trifft dies allenfalls für die Motivwahl zu. Aber die Uferlandschaften Zhaos sind intime Nahblicke ohne Tiefenentwicklung. Die Ferne ist bei ihm von Dunst und Nebel verhangen. Fan Qis Yangzi-Landschaft zeigt in ihrer klaren Gliederung von Räumlichkeit und blockhafter Zusammenfassung materieller Elemente einen Zug ins Monumentale Die Distanziertheit und Kühle, die diese menschenleere Landschaft ausstrahlt, rühren nicht zuletzt von der klassizistischen Genauigkeit her, welche an europäische Landschaftsstiche erinnert.

Zhang Feng

Obwohl er nicht zu den „Acht Meistern von Nanking“ gezählt wurde, übertraf Zhang Feng (tätig ca. 1636-74) die meisten seiner dort lebenden Zeitgenossen an Eigenwilligkeit und Originalität. Er wurde in Nanking geboren, wo er, von einigen Reisen in den Norden abgesehen, sein ganzes Leben verbrachte. Nach bestandener Staatsprüfung hatte er ein Amt inne, das er beim Fall der Ming aufgab, um nicht unter den Mandschu dienen zu müssen. Von da an lebte er in großer Armut. Seine Hütte soll so winzig gewesen sein, „dass er sich kaum darin bewegen (niederlassen) konnte“. Er lebte wohl weitgehend von Gaben seiner Freunde und der Gastfreundschaft wohlhabender Gönner, bei denen er sich mit Bildern revanchierte. Seine Malerei war begehrt, ebenso die von ihm geschnittenen Siegel. Auch genoss er einen guten Ruf als Poet.

In seiner Malerei nahm er sich keinen speziellen Meister zum Vorbild, setzte sich jedoch intensiv mit der Yuan-Malerei auseinander. Neben einigen konventionellen Arbeiten in akademisch genauer Ausführung entwickelte er einen ganz auf Handschriftlichkeit basierenden Stil, der seine eigentliche Bedeutung ausmacht. Seine Pinselführung war ungewöhnlich frei und locker; er war darin „sorglos wie ein Unsterblicher“. Seine kleinen Albumblätter zeigen Landschaften, die aus wenigen Strichen und Flecken zusammengefügt sind, wie Schriftzeichen in schwarzer Tusche mit vollem Pinsel hingeschrieben. Der graphische Rhythmus entspricht dabei ganz dem seiner Kalligraphie. Seine besten Arbeiten hat Zhang Feng in dieser „Ideenschrift“ (xie yi) ausgeführt.

Über einen Abgrund hinweg rotblättrigen Ahorn betrachten

Der Titel einer Hängerolle des Yamato Bunka-kan, Osaka, beschreibt mit der gleichen Knappheit das Motiv, mit der es gemalt ist: die Figur eines Gelehrten in langem Gewand, die Hände hinter dem Rücken zusammengelegt, steht auf einem schmalen Gebirgspfad unter einem überhängenden Felsen und blickt über eine Schlucht hinweg auf einige Äste und dünne Zweige, die von links ins Bild hineinragen. An ihnen hängen spärliche Blätter, orangefarbene Tupfen, die wie zufällige Spritzer wirken .

Im Verhältnis zu ihrer Umgebung und erst recht zur Gesamtfläche der Rolle - nur die untere Hälfte ist bemalt - erscheint die Figur verschwindend klein. Und dennoch ist alles um sie zentriert. Fehlte sie, würde es sich um ein quasi abstraktes Pinselspiel handeln. Die Figur ist der entscheidende Akzent, der dem Bild nicht nur den inhaltlichen, sondern auch den kompositionellen Mittelpunkt gibt. Als reine Landschaftsdarstellung hätte es zu wenig Substanz.

Auf den ersten Blick wirkt die Pinselführung wild. Jedoch scheint der Pinsel das Papier kaum berührt zu haben, so zart sind Tusche- und Farbspuren. Nur an einigen Stellen sind dunklere Akzente gesetzt, so am unteren Bildrand, an der Felswand rechts oder in den Ästen links. Für sich betrachtet sind dies nichts als Flecke und Striche, scheinbare Zufälligkeiten, die aber im Gesamtkontext plastisch geformte Felsstrukturen oder Geäst evozieren. Der unregelmäßig strukturierte Tuschfleck unten stellt überzeugend einen Fels dar, der die abgründige Tiefe erahnen lässt, aus der er hervorragt. So expressiv die Mittel sind, die Zhang aufwendet, so bedacht und einfühlsam sind sie eingesetzt. An Meisterschaft der Abkürzung reicht er hier an Zhu Da heran.

In seiner locker gesetzten Dreizeilen-Inschrift lobt er die Qualität des Papiers aus der Rinde des Maulbeerbaums, der das Bild (die Güte von) „Pinsel und Tusche“ verdanke. Es war jedoch allein seine künstlerische Sensibilität, die es zu atmendem Leben erweckte.

Gao Qipei

Zu den führenden Vertretern einer virtuosen Malerei gehörte Gao Qipei (ca.1672-1734). Er stammte aus Liaoyang in der Mandschurei, weshalb er einigen Autoren als Mandschure gilt. Er war jedoch wahrscheinlich chinesischer Herkunft, denn er diente in einem chinesischen Banner. Seine Karriere als Militärbeamter führte ihn bis zum Generalsrang und zum Vizepräsident in der Justizverwaltung.

Bereits mit acht Jahren malte er zu seinem Vergnügen. Anfangs war seine Malerei konventionell. Ihr akademischer Stil war am Hof offenbar geschätzt, da eine Anzahl dieser Bilder Eingang in die Kaiserlichen Sammlungen fand. Seine Stellung in der chinesischen Malerei jedoch verdankt er im wahrsten Sinne des Wortes seiner Fingerfertigkeit: neben der herkömmlichen Pinseltechnik betrieb er Fingermalerei (zhi tou hua), als deren herausragendster Meister er angesehen wurde. Obwohl zu seiner Zeit als neuartig empfunden - zumindest in der Art wie Gao sie anwandte - ist es eine alte Technik, die bereits zur Tang-Zeit bekannt war. Gao benutzte Fingerkuppen, Handkante und Daumenballen zum Auftrag von Tusche und Farbe. Einen Fingernagel ließ er besonders lang wachsen und spaltete ihn, sodass er ihn wie eine Rohrfeder zur Linienzeichnung benutzen konnte.

Das Bestreben, die Unmittelbarkeit des persönlichen Ausdrucks zu steigern, war schon früh Anlass für unorthodoxe Gelehrtenmaler, nach geeigneten Mitteln dafür zu suchen. So haben manche Künstler Pflanzenstengel, abgenutzte oder borstige Pinsel, zerknülltes Papier und zuletzt auch Finger und Hände benutzt, um den Fluss ihrer Empfindungen auf den Malgrund zu lenken. Die Zwischenschaltung des gebrauchsfähigen Pinsels verlangte gerade jene Kunstfertigkeit, die den Gefühlsstrom unterbrach und das Ausfließen der Emotionen hemmte. Nichts konnte die innere Bewegung des Malenden direkter zum Ausdruck bringen, als Tuschespuren, aufgetragen mit Fingern und Händen. Schon seit Beginn der Literatenkunst wurde Malerei auch als Charakterschrift, als Spiegel der Persönlichkeit angesehen. Der Gebrauch von Händen, Fingern und Nägeln machte daraus geradezu eine Art „graphologische“ Malerei. Im zwanzigsten Jahrhundert versuchten die Maler des „action painting“ etwas Ähnliches, indem sie sich den Pinsel von einem „psychischen Automatismus“ führen ließen. Die Hand, die den Pinsel führte, wurde zum Seismographen der inneren Erregung des Künstlers.

In China wurden immer schon exzentrische Haltungen - ob in der Kunst oder in der Lebensweise - wenn nicht gutgeheißen, so doch toleriert. Immerhin fanden so wenig angepasste Künstlerpersönlichkeiten wie Xu Wei oder Wu Wei - mit dessen wilder Malweise Gaos Bilder oft verglichen wurden - weithin Anerkennung. Sie blieben jedoch Ausnahmen in ihrer Zeit. Um die Wende des 18. Jahrhunderts, waren individualistische Stilhaltungen allmählich zur vorherrschenden Tendenz geworden, sodass Künstler, um aufzufallen, schon um besondere Originalität bemüht sein mussten. Auch dies eine Parallele zur Kunstsituation unserer Zeit.

Auch Gao Qipei unterlag in einem gewissen Maße diesem Zwang. Nicht selten vermitteln seine Bilder den Eindruck einer Suche nach verblüffenden Effekten durch eine absichtsvolle, scheinbar ungezügelte Wildheit des Vortrags. Die spontane und eigenwillige Malweise seiner Fingerbilder erfreute sich einer solchen Nachfrage, dass er die konventionelle Malerei mit dem Pinsel in seinen späteren Jahren vollständig aufgab. Wenn er auch zunächst nur zu seinem Vergnügen malte, betrieb er später seine Kunst in einer Weise, die eher einer Manufaktur glich. Er stellte Gehilfen an, welche die von ihm angelegten Bilder kolorierten. Manche dieser Arbeiten sind vielleicht gänzlich von Gehilfen gemalt. Dies erklärt die unterschiedliche Qualität der von Gao signierten Werke.

Naturgemäß eignet sich das Kleinformat - Handrolle oder Albumblatt - am besten für diese Art Malerei. Da die zu bearbeitende Fläche geringer ist, als auf großen Hängerollen, kann eine spontane Aussage konzentrierter zum Ausdruck kommen. Das Kleinformat bleibt in der mühelosen Reichweite von Fingern und Händen und erleichtert so die unmittelbare Umsetzung einer Vorstellung, eines inneren Bildes des Künstlers. Hier lag Gao Qipeis Stärke. Trotzdem gelangen ihm auch gut gebaute Kompositionen in größeren Dimensionen, denen allerdings meist die komprimierte Ausdruckskraft vieler Kleinformate fehlen. Der rissige, zuweilen fleckige Strich des Fingernagels, die breiten Wischer, die Kleckse und zufälligen Spritzer können einen hohen Grad an Expressivität erreichen. Oft genug jedoch wird der Bildzusammenhang weniger durch die Komposition hergestellt, als durch graphische Strukturen, Lavierungen oder einen einheitlichen Farbklang. Die malerischen Mittel sind weitgehend autonom und gehen kaum noch auf die Beschaffenheit des Gegenständlichen ein oder gar auf ein unmittelbares Naturvorbild. Trotz des hohen Maßes an Abstraktion bleibt das Motiv stets gegenwärtig.

All dies gilt ebenso für die kleinformatigen Werke. In den schwächeren Arbeiten erscheint die Verve, mit welcher die Motive hingeworfen sind, allzu flüchtig.

Der Hangu-Pass

Zu den substanzvolleren Werken zählt das Albumblatt „Der Hangu-Pass“ (Museum van Aziatische Kunst, Amsterdam) . Zwei winzige Gestalten, ein Eselsreiter und sein Begleiter zu Fuß, der das Gepäck schleppt, erklimmen einen steilen Bergpfad, der mit Stufen versehen ist. In einer ansteigenden Kurve führt er aus der nebelverhangenen Tiefe diagonal von rechts unten zum Passtor links oben, das zwischen nahezu senkrecht abfallenden Felswänden eingeklemmt ist. Der Pfad führt am Rande eines Abgrundes entlang. Gegenüber taucht ein Abhang auf, der sofort wieder im Dunst verschwindet. Ein paar einsame Kiefern zeichnen sich davor ab. Dünn wie Grashalme, sind sie die einzigen Anzeichen von Vegetation, augenscheinlich der letzte Pflanzenwuchs in dieser Höhe. Oberhalb des Passtors wachsen die Bergwände in schier unüberwindbarer Steilheit empor und verschwinden am oberen Bildrand.

Das Szenarium erweckt den Eindruck einer unendlichen Verlassenheit, stellen wir es uns real vor. Der Künstler relativiert die Dramatik, die im wirklichen Naturgeschehen liegt, indem er der Szene einen humoristischen Zug verleiht. Und dies im wesentlichen durch den Vortrag. Die krakeligen Striche des Fingernagels beschreiben die Figürchen in karikierender Weise. Das winzige Eselchen hat den Kopf mit den übergroßen Ohren gesenkt und scheint sich mit den Vorderbeinen störrig rückwärts zu stemmen, während der Reiter es mit dem rechten Arm anzutreiben sucht. All dies ist mit wenigen kurzen Strichen und Flecken geschildert, ebenso wie die von Lasten gekrümmte Dienerfigur. Das Passtor steckt schief und wackelig wie eine Kinderzeichnung im Felsspalt. Die rissige, vielfach unterbrochene Linie des Fingernagels deutet den Pfad und Felsenränder an. Einige tiefschwarze Wischer und Kleckse genügen, um Gesteinsstrukturen zu evozieren. Dieses Andeutungsverfahren lässt der Phantasie des Betrachters Spielraum. Dies gilt besonders für die mit den Fingern hingewischten Tonwerte. Ihre sanften Übergänge in den Papiergrund ergeben überzeugend die Wirkung aufsteigenden Nebels. Der von zarter Lavierung begleitete Bogen des Bergpfades wird von den Rändern der Passschlucht zum oberen Bildrand weitergeführt. Hier in der linken oberen Bildzone verdichten sich wolkige Tuscheflächen und strukturierende Flecken, während der größere Teil des Albumblattes unbearbeitet bleibt. Die so erzeugte aufsteigende Bewegung bewirkt den Eindruck einer schwebenden Schwerelosigkeit.

Gao Qipeis spielerische Auffassung von Malerei, seine Geschicklichkeit in der Anwendung verschiedener malerischer Mittel, sein Einfallsreichtum, seine Phantasie und nicht zuletzt die Originalität, mit der er seine Themen vortrug, machten ihn zu einem Vorläufer der individualistischen Kunst des achtzehnten Jahrhunderts, wie sie knapp eine Generation später von den exzentrischen Meistern von Yangzhou geübt wurde.

Huang Shen

Zu den „Acht Sonderlingen von Yangzhou“, jenem einflussreichen Kreis von Künstlern, die Anfang bis Mitte des 18. Jahrhunderts in der aufblühenden Handelsstadt wirkten, zählt Huang Shen (1687-1768). Er wurde in Ninghua, Fujian, geboren und stammte aus bescheidenen Verhältnissen. Als Junge ging er bei einem Berufsmaler in die Lehre und unterhielt sich und seine Mutter nach dem Tod des Vaters mit seiner Malerei. Die Mutter soll ihn zum Studium angehalten haben. Darauf begann er mit achtzehn Jahren im Selbststudium die Klassiker zu lesen - gewiss auch unter Anleitung von Mönchen - als er in einem buddhistischen Kloster lebte. Während er am Tage malte, studierte er nachts. Auf diese Weise erwarb er sich eine Bildung, die ihm den Umgang mit Gelehrten ermöglichte. Er entwickelte sich zu einem angesehenen Poeten und Kalligraphen. Auf Reisen lernte er die angrenzenden Provinzen kennen. Die kunstoffene Atmosphäre Yangzhous, wo er eine Reihe von Künstlern und Literaten kennenlernte, eröffnete ihm ein weites Betätigungsfeld, und so ließ er sich 1727 dort nieder.

Es gelang ihm, sich von der erlernten konventionellen Manier zu befreien und zu einer erstaunlich freien und lockeren Malweise zu finden. Die Sicherheit seiner Pinselführung zeigt sich besonders in kleinen Albumblättern, worin er sich als ein Meister der Abkürzung erweist. Mit den knappsten nur denkbaren Mitteln, mit ein paar Pinselschlägen, umreißt er ausdrucksstark seine Figuren siehe auch, Tiere und Pflanzen.

Während die meisten dieser Blätter zwar höchst lebendig sind, doch oft eine skizzenhafte Flüchtigkeit aufweisen, sind seine Landschaften gewöhnlich sorgfältiger gearbeitet, ohne an Lebendigkeit zu verlieren. Von den Landschaftsmeistern der Yuan-Zeit hat er vorwiegend Wu Zhen studiert und bewundert.

Landschaft

Eine Landschaft aus einer Serie von Albumblättern (Sammlung Drenowatz, Zürich), könnte eine aus Phantasie und Erinnerung geborene Gegend des unteren Yangzi darstellen, die er auf seinen Wanderungen kennengelernt hat . Den Vordergrund des Querformats beherrscht eine Baumgruppe und zwar - recht ungewöhnlich für chinesisches Kompositionsempfinden - in der Bildmitte. Die übliche Asymmetrie wird im Mittelgrund hergestellt, wo sich links ein riesiger Felsblock erhebt. Einem massiven Turm gleich steigt er jäh aus der Flussebene empor, während sich flachere Höhenzüge in sanften Wellen in der Ferne verlieren.

Die Baumgruppe wird links flankiert von einem kleinen Felsenhügel, auf dem ein kraftvoll gedrungener Baum wächst. Seine dicken, knorrig gekrümmten Äste wachsen in die Breite und verbinden sich mit den hochgewachsenen Stämmen der Hauptgruppe. Rechts tritt eine kleine Bogenbrücke hinter den Bäumen hervor, die über einen schmalen Flusslauf führt, unmittelbar bevor er in ein großes, seebreites Gewässer mündet. Ein Reiter befindet sich auf der Brücke, hinter dem ein Lastträger herzieht. Die Gestalt unter den Bäumen ist so winzig gezeichnet, dass diese im Vergleich wie Baumriesen wirken.

Dennoch erscheint das Blatt keineswegs monumental. Die „Baumriesen“ selbst erhalten einen zwergenhaften, bonzaiartigen Charakter durch die nicht genau definierende, sondern den Gegenstand umschreibende Strichführung. Die Blattstrukturen sind durchweg gleich behandelt, sodass es sich nicht ausmachen lässt, ob Laub- oder Nadelbäume dargestellt sind. Die krausen Baumkronen erinnern eher an gewisse Kohlarten, die Baumstämme an Strünke oder Pflanzenstengel, denn ihr Wuchs entspricht weicheren, schnell wachsenden Pflanzenarten. Statt sich nach oben hin zu verjüngen verdicken sich die Baumstämme an zahlreichen Stellen: Dominanz des handschriftlichen Duktus über den Gegenstand.

Das Linienspiel ist nuancenreich abgestuft und reicht von hauchzarten Tuschespuren bis hin zu kräftigen, dunklen Akzenten in den vorderen Baumkronen. Die Strukturlinien folgen den Formen der Landschaft und der Objekte. Sie umspielen den Felsblock im Vordergrund, verlaufen horizontal in den flache Uferzonen und vertikal in dem turmartigen Felsgebilde des Mittelgrundes.

Von besonderer Eigenart aber - und charakteristisch für Huang Shen - ist die breitflächige Lavierung, welche den größten Teil der Bildfläche bis zu den Rändern überzieht. In differenzierten, kaum wahrnehmbaren Tonwerten ist sie flüssig aquarelliert. Wenige zurückhaltende Tuschetupfen bilden punktuelle Akzente, wie das Blattwerk der Bäume. Uferzonen, ferne Hügel und der Felsturm bleiben ausgespart. Ihre Umrisse in konturloser mo gu-Technik treten zart aber deutlich aus ihrer dunkleren Umgebung hervor, wodurch der Eindruck einer schneebedeckten Landschaft entsteht. Die in horizontalen Pinselzügen aufgetragene Lavierung ist so frei angelegt, dass nicht zu bestimmen ist, wo Land beginnt und Wasser endet, wo ferne Höhenzüge enden und Wolkenstreifen beginnen. Da der Horizont nicht eindeutig festgelegt ist, erscheint der Betrachterstandpunkt je nach Sichtweise höher oder niedriger. Dies verleiht dem Blatt eine seltsame räumliche Ambivalenz, wobei sich der Landschaftsraum in einer geahnten Ferne verliert - die nichts ist, als eine lavierte Fläche.

Die unbestimmt schwebende Stimmung, die von dem Blatt ausgeht, findet sich in vielen seiner Albumblätter, so auch in einer duftigen Landschaftsdarstellung des Detroit Institut of Arts .