Tiere und Pflanzen
Die Ursprünge bestimmter Tierdarstellungen, wie Drachen, Tiger, Schlangen, Vögel oder Zikaden lassen sich bis in die „magischen“ Epochen der Shang- und der Zhou-Zeit zurückverfolgen. Wie die Tiere, mögen auch Pflanzen schon früh als gleichrangige Geschöpfe der alles verbindenden kosmischen Ordnung angesehen worden sein. Tier- und Pflanzenmotiven unterlegte man mit der Zeit bestimmte Bedeutungen, welche sie auch behielten, wenn sie als Dekormalerei auf Wänden und Stellschirmen benutzt wurden, wie es von der Südlichen Tang Dynastie aus dem 10. Jahrhundert überliefert ist.
Diese sich immer deutlicher ausprägende Symbolik entstammt im Kern dem Urgrund des magischen Denkens der Frühzeit. Mit dem Buddhismus traten Blumen und Pflanzen hinzu, deren Sinngehalt mit einheimischen Vorstellungen verschmolz. Tiere und Pflanzen wurden so ihrer inhaltlichen Bedeutung wegen belangvoll genug, um zu einer darstellungswürdigen Kunstgattung zu werden. Nach literarischen Quellen gab es Pflanzenmalerei als eigenen Themenkreis bereits im 5. Jahrhundert. Erst jedoch seit dem 10. Jahrhundert werden Künstler fassbar, die sich auf Tiere und Pflanzen spezialisierten.
Die diesen Motiven innewohnende Bedeutung siehe auch ging nie gänzlich verloren, sie schwang stets mit, wenn sie auch von rationalen und bildungsmäßigen Anschauungen überlagert wurde. So suchte die Malweise der Song-Akademie, wie sie von Kaiser Huizong gepflegt wurde, Tier oder Pflanze in ihrem Erscheinungsbild möglichst naturgetreu zu erfassen. Die Annäherung an die besondere Eigenart des Gegenstandes erfolgte minutiös beschreibend, also gleichsam in einem naturwissenschaftlichen Sinn.
Dagegen galt in der monochromen Tuschmalerei die persönliche Handschrift, der freie Umgang mit den Mitteln, wie Tusche und Komposition, als vorrangig. Das Bildmotiv bot mehr oder weniger nur den Anlass dazu.
Symbolhafte oder wenigstens allegorische Inhalte vermittelten auch literarische Bezüge, welche ihrerseits tradierten Sinngehalt verarbeitet hatten. So dürfte kein Maler Chrysanthemen gemalt und kein Betrachter sie angeschaut haben, ohne an die Gedichte Tao Yuanmings zu denken, der diese Herbstblume im 5. Jahrhundert wehmutsvoll besungen hat siehe auch. Einer solch gefühlsbestimmten, subjektiven Sicht entsprach die Überzeugung, dass Tiere und Pflanzen objektiv Träger von Kräften waren, in denen sich die Natur unmittelbar aussprach.
Im Neokonfuzianismus der Song-Zeit gab es die Auffassung, dass alle Geschöpfe durch ein Prinzip verbunden seien, dass man „li“ nannte. Es verlieh allen Dingen ihr inneres Wesen, das also, was das Eis kalt macht oder das Feuer heiß oder was die Blumen blühen lässt. Dieses geistige Element hatte seine Entsprechung in dem Begriff „qi“ siehe auch, einer Art ätherischer Feinsubstanz, welche die Körperformen prägt, also der materiellen Welt verhaftet ist. „Li“ und „qi“ gemeinsam verkörpern die Einheit des Universums. Erkenntnis der körperlichen Welt war nur vermittels des „li“ zu erlangen.
Übertragen in die Kunst bedeutet dies, dass der Künstler sich in das Wesenhafte, das „li“ seines Gegenstandes versenken muss, um dessen wahres „qi“, also seine körperhafte Erscheinung treffend wiederzugeben. Im Idealfall überschreitet er dabei die Grenze zwischen Subjekt und Objekt: er identifiziert sich mit seinem Gegenstand, sodass sich ihm dessen Wesen offenbart.
Stellt sich nun auf diese Weise die Teilhabe eines jeden Geschöpfes am universalen „li“ dar, so wird auch das unscheinbarste Lebewesen kunstwürdig. Daher gehören in den Themenkreis nicht nur die „ansehnlichen“ Naturgeschöpfe, wie Blumen, Vögel, wilde Tiere und Haustiere usw., sondern auch Wasserpflanzen, Früchte, Kleintiere, Insekten, also die „Tausend lebenden Geschöpfe“ (qian wu). Ist aber jede Kreatur vom Geist des universalen „li“ erfüllt, ja sogar jeder leblose Gegenstand, so weisen sie entsprechend ihrer Eigenart auf einen sittlichen Sinn. Sie werden zu Symbolträgern.
Diese Tatsache, und das Bestreben, Tieren und Pflanzen einen lebendigen Geist einzuhauchen, macht den tiefen Unterschied zum europäischen Stillleben augenfällig.
Liebe zum Detail, eine ausschnitthafte Welt und bescheidene Sujets kennzeichnen diese Kunstgattung. Ihre intime Anschauung der Natur ist die Kehrseite der monumentalen Landschaftskunst jener Epoche.
Huang Quan
Hofmaler des Südstaates Shu (Sichuan) zur Zeit der Fünf Dynastien, gilt Huang Quan (ca. 900-965) als ältester Vertreter des Themenkreises, insbesondere der Malerei von „Blumen und Vögeln“ (hua niao).
Nach Einverleibung des Königreichs Shu in das Song-Reich (964), verlieh der neue Herrscher Taizu dem hochgeachteten Maler wiederum ein hohes Amt, doch schon ein Jahr nach Besetzung seiner Heimat starb er voll Kummer über den Untergang Shus.
Kostbare Vögel
Das Palastmuseum, Peking, besitzt eine Querrolle, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Huang Quan zurückgeht, ja vielleicht von seiner Hand stammt . Die Rolle trägt ein Sammlersiegel des Süd-Song Kaisers Gaozong (Reg. 1127-1162). Eine winzige Inschrift links am Ende der Rolle besagt: „Dem Sohn Jubao für Studien übergeben“. Jubao war einer der fünf Söhne Huangs und ebenfalls Maler.
Der Titel „Kostbare Vögel nach der Natur gemalt“ weist bereits auf ein Merkmal der Huang-Schule: intensives Naturstudium. Es scheint, als sei hier jede konventionelle Überlieferung ignoriert und das Augenmerk allein auf die wirkliche Erscheinung der Studienobjekte gerichtet. Dargestellt sind nicht nur Vögel fliegend, sitzend, pickend oder ein Jungvogel, um Nahrung bettelnd, sondern auch verschiedene Insektenarten und Schildkröten. Sie sind scheinbar wahllos und zufällig auf der Seidenrolle verteilt wie auf einer Tapete ohne jene asymmetrische kompositionelle Gliederung, die so typisch ist für spätere Blumen- und Vogelbilder. Dennoch durchzieht ein feiner Rhythmus das Bild, worin die Leerfläche eine ebenso wichtig Rolle spielt wie die unterschiedlichen Bewegungsrichtungen der Tiere und ihre Gewichtungen, die sich am unteren Bildrand verstärken.
Auf diese Weise wird eine empfindliche Balance erreicht, so, dass kein dynamischer Ablauf das Bildfeld durchzieht, sondern die gegensätzlichen Komponenten zur Ruhe gebracht werden. Insofern zeigt sich schon in einem solchen Studienblatt ein Meister der Flächengestaltung.
Die minutiöse Ausführung ist unübertrefflich. Die Präzision in jedem Detail bis hin zu den winzigsten Insekten, die differenzierte Farbgebung, all dies hat geradezu naturwissenschaftlichen Charakter und könnte für ein Lehrbuch der Biologie gearbeitet sein. Es ist eine Malweise, die dem Europäer als konventionell und ohne Besonderheit erscheinen muss. Dennoch ist gerade dies das Auffallendste daran. Dieser Malerei fehlt die kalligraphische Linie, wie sie sich seit der Tang-Zeit entwickelt hatte. Die Körper sind mit Hilfe feinster Farbabstufungen modelliert. Wo Linienzeichnung notwendig ist, folgt sie akribisch den Naturformen, ohne sich ein freies Spiel zu erlauben, etwa bei Krallen und Schnäbeln, Insektenbeinen und -fühlern. Man nannte diese Malerei „knochenlos“ (mei gu oder mo gu hua), da nach chinesischer Auffassung allein die Zeichnung einem Bild Struktur verlieh siehe auch.
Die Söhne Quans, Huang Jucai und Huang Jubao, setzten diesen Stil an der Song-Akademie von Kaifeng fort, wo er unter Kaiser Huizong zum führenden Akademiestil wurde. Sie begründeten damit eine Traditionslinie der Blumen- und Vogelmalerei, die noch für Jahrhunderte wirksam bleiben sollte.
Xu Xi
Zeitgenosse von Huang Quan war Xu Xi (gestorben 975), der am Hofe der Südlichen Tang in Nanking tätig war. Von ihm wird berichtet, dass er die Palasthallen des letzten Kaisers der Dynastie Li Yu mit dekorativen Wandbehängen versehen habe, worauf Pflanzen, Vögel und Insekten dargestellt waren.
Den Ruhm, Erfinder des „knochenlosen“ Stils zu sein, der ja für China eine bedeutende Neuerung darstellte, teilt er, bzw. sein Enkel Xu Chongsi, mit Huang Quan. Auch die Schule des Xu Xi hat die Konturlinie offenbar stark reduziert zugunsten eines dominierenden Farbaufbaus. Von späteren Beispielen des knochenlosen Stils wissen wir, dass auf die konturierende Tuschelinie niemals gänzlich verzichtet wurde, ohne deren Gerüst man ein Bildwerk anscheinend als ungenügend empfand.
Autoren, welche die Werke beider Meister gekannt haben, betonen den Unterschied ihrer Stile, der für uns heute schwer nachvollziehbar ist, zumal von Xu Xi kein gesichertes Werk existiert. Xu soll die Konturlinien voller Vitalität und mit lebhafter Pinselführung großzügig angelegt und dann summarisch mit Farbe gefüllt haben. Der ganz dem peniblen Studium nach dem Naturvorbild verhaftete Huang Quang soll diese Malerei als stillos abgelehnt haben.
Teich mit Lotosblüten und Vögeln
Der Horyuji-Tempel in Nara, Japan, besitzt einen Stellschirm, dessen Malerei Xu Xi zugeschrieben wird . Die Malweise widerspricht jedoch den alten Stilbeschreibungen.
„Der Teich mit Lotosblüten und Vögeln“ ist weder im Farbaufbau noch in der Zeichnung „summarisch“ aufgefasst. Die Farben sind sorgfältig abgestuft und modellieren in feinsten Nuancen Blüten, Pflanzen und Vögel. Die Zeichnung, welche die Gegenstände definiert, umschreibt sensibel ihre Gestalt. Die Linie verschwindet: eine im wahrsten Sinne des Begriffs „knochenlose“ Malerei.
Wenn schon nicht der malerische Vortrag, so könnte die Komposition auf die Art und Weise zurückgehen, wie Xu Xi seine Blumen- und Vogelbilder angelegt hat. Gezeigt wird ein Naturausschnitt, der jedoch nicht ein zufälliges Nebeneinander von Pflanzen und Tieren dokumentiert, wie eine Photographie dies tun würde, sondern aus dem wirren Erscheinungsbild des Vegetativen wird das bildnerisch Relevante herausdestilliert. Die Willkür des Faktischen wird geordnet. Dies geschieht einmal dadurch, dass sich jede Pflanzenform klar entwickelt, ihr Wachstum gleichsam ablesbar wird, ohne dass die entstehenden Überschneidungen den Vorgang verundeutlichen. Zum anderen wird das Hauptmotiv, in diesem Falle die Lotosblüten, in den Vordergrund gerückt und an einer Seite des Bildes massiert, sodass auf der anderen Leere entsteht, die das Auge sofort als räumlichen Durchblick erfasst, vor dem ein Vogel heranflattert. Dies bewirkt eine Raumgliederung, welche eine Art Tiefenillusion hervorruft. Ein Kompositionsmittel, das in der zeitgenössischen Landschaftskunst zur höchsten Entfaltung kam.
Diese Art der Konzentration auf einen Naturausschnitt, die Reduktion auf das Wesenhafte eines Motivs, führt zu einer Verdichtung, welche dem Gegenstand Symbolcharakter verleiht. Für eine der frühesten Bambusdarstellungen „Bambus im Schnee“ gilt das Gleiche .