Landschaftsmalerei der Süd-Song

Wie in der Figuren-, Pflanzen- und Tiermalerei zeigt sich auch in der künstlerischen Haltung der Landschaftsmaler während der Süd-Song-Epoche eine Neigung zum Idyllischen, zum Idealisieren, zum Rückzug aus der Realität, soweit „Realität“ Auseinandersetzung mit der elementaren Natur bedeutet, ganz zu schweigen von einer noch so verschlüsselten gesellschaftlichen oder gar politischen Aussage. Li Tang blieb hier die große Ausnahme. Schon bei ihm lässt sich eine Tendenz zu einem geschlossenen Naturausschnitt erkennen, zu größerer Nähe und Intimität. Doch während seiner Bildauffassung noch eine beträchtliche Monumentalität eigen war, verschwand sie bei den Landschaftsmeistern, die seinem Stil folgten.

Dies zeigt sich auch in den bevorzugten Bildformaten: Albumblätter, Fächer, kleinere Hängerollen. Die Querrolle, wenn auch von zuweilen beträchtlicher Länge, blieb in Gebrauch, da sie jedoch nur abschnittweise betrachtet wird, eignet auch sie sich zur Darstellung einer Abfolge von Weltausschnitten, die, gleichsam durch ein Vergrößerungsglas gesehen, dem Betrachter nahegerückt werden.

Nicht mehr die große Zusammenschau der Natur, ihr kosmischer Zusammenhang, war den Künstlern wichtig, sondern mehr und mehr Stimmungen und Atmosphäre, welche die persönlichen Gefühle des Künstlers vor der Natur beschrieben, in welche sich auch der Betrachter versetzen konnte. Diese Gefühle waren lyrisch gestimmt, kontemplativ, inaktiv. Der Mensch in und vor diesen Bildern nimmt die Natur als ästhetisches Phänomen auf.

Eine andere Art, sich von den leidigen Problemen der Gegenwart zu entfernen, die geprägt war von einem Lebensgefühl allgegenwärtiger Unsicherheit siehe auch, war die Beschäftigung mit der Vergangenheit. Bereits während der Nord-Song-Zeit war das Studium des Altertums, das Sammeln von Antiquitäten, das Kopieren oder Nachempfinden der frühen, insbesondere der Tang-Meister, weit verbreitet.

Diesen Weg gingen auch einige Maler der Süd-Song. Der bedeutendste dieser Richtung war Zhao Boju. Sein jüngerer Bruder Zhao Bosu und einer seiner Gehilfen folgten seinem Stil.

Zhao Boju

Als Abkomme des ersten Song-Kaisers, gehörte er zu den hochrangigen Mitgliedern der kaiserlichen Familie. Er wirkte in Kaifeng an der Akademie Huizongs. An der neugegründeten Akademie von Hangzhou konnte er seine Tätigkeit während der Regierungszeit von Gaozong (1127 - 1162) fortsetzen. Er erhielt den ehrenvollen Auftrag zur Ausgestaltung einer Palasthalle, den er gemeinsam mit seinem Bruder ausführte. Als einer der bevorzugten Maler des Kaisers, erhielt er den Rang eines Gouverneurs und des kaiserlichen Siegelbewahrers.

Er widmete sich intensiv den Tang-Meistern Wang Wei, insbesondere Li Sixun und Li Zhaodao, deren Blau-Grün-Stil er fortführte. Die gelegentlich angewandten Goldkonturen dieses Stils ergaben eine stark dekorative Wirkung, die jedoch die Gefahr der Erstarrung in sich barg. Folgerichtig verflachte der Stil später in der Ming- und Qing-Zeit zum Dekor.

Herbstfarben über Flüssen und Bergen

Eine Querrolle des Palast-Museums in Peking, die aufgrund einer mingzeitlichen Zuschreibung als Original gilt, zeigt in der Tat die meisterliche Ausführung, die man von einem so hochgeschätzten kaiserlichen Hofmaler erwarten darf .

Die akribisch gemalte Rolle „Herbstfarben über Flüssen und Bergen“ zeigt einen zarten Farbauftrag der Grün- und Blautöne mit Tupfen von Weißhöhungen, der sich rhythmisch entwickelt und sich mit dem Goldbraun des Seidengrundes harmonisch verschränkt. Diese Art der Farbbehandlung hebt sich wohltuend ab von manchem Bild des Blau-Grün-Stils, worin die Farben völlig unorganisch aufgetragen sind und damit die sonstigen Qualitäten des Bildes zerstören, wie etwa auf der berühmten Querrolle des jugendlichen Wang Ximeng (ca. 1096-1120) im Palast Museum, Peking, der Schüler Kaiser Huizongs gewesen war.

Der Zeichnung auf Zhaos Bild fehlt die freie handschriftliche Pinselführung der Nord-Song-Meister. Von altmeisterlicher Prägnanz, hat die Linie wesentlich dienende Funktion, ohne sich ein vom Gegenstand unabhängiges Spiel zu gestatten.

Auch in der Bildstruktur erweist sich der Rückgriff auf ein traditionelles Muster: die Abfolge von Raumnischen. Hervorgehoben durch deutliche Umgrenzungen, wenn auch zugleich verbunden durch geschickte Übergänge, erzeugen sie Intimität und Nähe. Selten geht der Blick ins Weite. Dieser Intimität entspricht eine geänderte Auffassung der Natur. Sie ist nun nicht mehr schroff und unzugänglich, sondern praktisch jeder Gipfel ist erreichbar und kann als Aussichtspunkt dienen. Überall ist die Landschaft von Menschen belebt. Altertümelnd wirkt auch die Art, wie Anekdoten erzählt werden, ähnlich wie bei der „Reise des Kaisers Minghuang“ siehe auch: ein bockender Esel, der einen Wagenzug aufhält, vornehme Damen im Gespräch bei einem Tempel, Spaziergänger, rastende Eselstreiber - erzählende Details, die in den Landschaften der Nord-Song-Maler nur sparsam erschienen waren. Der winzige Mensch war ihnen Maßstab im Verhältnis zur übermächtigen Natur. Bei Mi Fu und Mi Youren, ja zum Teil auch noch bei Li Tang war der Mensch schon gänzlich aus dem Bild verschwunden.

Nicht zuletzt die Architektur ist es, welche die Zugänglichkeit von Schluchten und Gipfeln demonstriert, wo sie in einfallsreichen Variationen angesiedelt ist: eine von Menschen in Besitz genommene Natur, nicht mehr übermächtig oder zumindest beherrschend, sondern vom Menschen benutzbar, eher einer Parklandlandschaft gleichend. Es ist gewiss kein Zufall, dass die Süd-Song Meister des Landschaftsgartens waren, dass sie ganze Landschaften umgestalteten - berühmtestes Beispiel der Westsee bei Hangzhou - und so die Natur gemäß ihren ästhetischen Anschauungen zähmten. Es ist geradezu die Umkehrung des Konzepts der Tang, welche die von ihnen umgeformte Landschaft monumentalisierten siehe auch.

Einzug des ersten Han-Kaisers in Guanzhong

Eine Querrolle des Museum of Fine Arts, Boston, im Blau-Grün-Stil, teilweise goldkonturiert, zeigt ebenfalls verwandte Züge mit der „Reise des Kaisers Minghuang“ . Sie stellt den Einzug des ersten Han-Kaisers in die Hauptstadt der besiegten Qin dar. Die Art, wie sich die Han-Armee durch die Landschaft windet, entspricht dem kaiserlichen Tross in der „Reise“. Nur Teile der Marschkolonnen erscheinen und verschwinden dann wieder hinter Felsvorsprüngen, an anderen Stellen schauen nur Standarten und Wimpel hervor. Das Vorhandensein einer Armee wird suggeriert in einer sich entfaltenden Landschaft - gleichfalls ein Landschaftsbild also, in dem sich eine Geschichte abspielt.

Die konventionellen Wolken, konturiert und wie feste Körper behandelt, tun ein übriges, um einen altertümlichen Eindruck zu erwecken. Erfindungsreich und eigenständig ist auch hier die Architektur der Palastanlage, welche im letzten Teil der Rolle vorherrscht. Der Künstler hatte das Zeug zu einem fähigen Architekten. Die Komposition weist auf Zhao Boju, jedoch nicht der trockene, stereotype Vortrag.

Der Han-Palast

Architektur dominiert auch in einer kleinen fächerförmigen Komposition auf einem Albumblatt (Palastmuseum, Taipei), das Zhao Boju zugeschrieben wird, vermutlich aber eine etwas spätere Nachahmung seines Stils ist .

Berge, Bäume und Felsen sind mit freierem, spontanerem Duktus gezeichnet, silhouettenhaft und zugleich großflächiger laviert, als auf der Herbstlandschaft.

Die metikulöse, detailgenaue Schilderung der Gebäude des „Han-Palastes“, die hier geradezu Hauptthema der Komposition sind, sowie die in allen Einzelheiten dargestellten Figürchen eines Festzuges, könnten seiner Malweise sehr wohl entsprechen.

Man blickt in die offene, hellerleuchtete Halle eines Pavillons, der die rechte Hälfte der Rundkomposition beherrscht. Sitze, Möbel, Teppiche, Weihrauchbrenner, Vasen usw. sind genau zu erkennen. Doch niemand befindet sich in der Halle, denn vor ihr ordnet sich der Festzug, der sich durch einen Felstunnel bewegt, hinauf zu einem Palastturm, der links oben vom Bildrand angeschnitten wird. Auf seiner Plattform erkennt man zwei winzige Gestalten, von welchen die eine den Arm ausstreckt.

An den äußersten Bildrand gerückt, verraten sie den Sinn der hier erzählten Geschichte: die Han-Kaiserin vor ihrer Palasthalle, umgeben von Fächerträgerinnen, schickt sich an, am Abend des Herbstfestes mit ihrem Hofstaat den Mond zu betrachten, während schon die Dämmerung auf die Szene sinkt.

Dieses stimmungsvolle kleine Meisterwerk drückt in seiner märchenhaften Sprache Empfindungen aus, welche während der Süd-Song-Zeit unter den Künstlern und Gelehrten verbreitet war: die Sehnsucht nach dem „Goldenen Zeitalter“, als welches ihnen die Han- und die Tang-Zeit erschienen.

Jiang Shen

Eine andere Spielart einer der Vergangenheit verbundenen Landschaftsmalerei vertrat Jiang Shen aus Wuxing (Zhejiang) (Anfang 12. Jh.).

Wie Zhao Boju, war er an der Akademie von Kaifeng tätig gewesen, und auch ihm wurde nach Etablierung der neuen Hauptstadt ein Amt verliehen. Er wurde an den Hof von Hangzhou berufen, da Gaozong von seinen außerordentlichen Fähigkeiten gehört hatte. Der kränkelnde Mann war diesen Anstrengungen nicht gewachsen: er starb am Abend, bevor er dem Kaiser vorgestellt werden sollte.

Zwei erhaltene Querrollen, eine im Palast-Museum, Peking, die andere in der Nelson-Gallery, Kansas City, zeigen, welchen älteren Meistern seine Zuneigung galt: Dong Yuan und Juran.

Üppige Vegetation von Wäldern und Gipfeln

Die Rolle in Kansas City „Üppige Vegetation von Wäldern und Gipfeln“ ist eine kleinere und vermutlich spätere Version der Rolle des Palast-Museums: „1.000 li (weit) Flüsse und Berge“. Die große Rolle des Palast-Museums ist flüssiger gemalt, die kleinere erscheint „trockener“ und macht den Eindruck einer mühsameren Arbeitsweise .

Beide Werke geben jene feucht-dunstige Atmosphäre wieder, wie wir sie in den Flusslandschaften Dong Yuans finden, ein Panorama von schier endloser Weite breitet sich vor uns aus, ganz im Sinne des 10. Jahrhunderts. Auch die Gliederung von Uferzonen und der Anstieg über bewaldete Hügel, hinauf zu gerundeten Gipfeln, deren Vegetation mit den typisch gepunkteten „Moostupfen“ angedeutet ist, all dies entstammt dem Formenrepertoire Dong Yuans siehe auch. Der Einfluss Jurans macht sich bemerkbar in der ausgiebigen Anwendung der „Hanffaser-cun“ siehe auch, womit Fels- und Bodenstrukturen Rundung und Weichheit verliehen werden, die sie unter der Vegetationsschicht eines feucht-warmen Klimas annehmen. Während jedoch Juran seine Mittel zur Vereinheitlichung der Komposition einsetzte und damit Monumentalität erreichte, dienten Jiang Can im Gegensatz dazu die „Hanffaser“-Striche und die „Alaunköpfe“ der Felsen - weniger konsequent und dafür variationsreicher angewendet - zur Bereicherung seiner Bildstruktur. Dem gleichen Ziel galten die verschiedenartigen Kürzel von Blatt- und Astwerk. Was ihn vollends unterscheidet von seinen Vorbildern, ist die kontrastierende Anwendung von Hell und Dunkel und insbesondere von Nähe und Ferne. Seine Weise, nahem Vordergrund jähe Fernblicke auf dunstverhangene Berge gegenüberzustellen, verrät seine Zeitgenossenschaft mit den Neuerern der Südlichen Song-Schule.

Nicht die Dramatik der großen Nord-Song-Meister, deren Bergriesen voll empordrängender Kraft den Bildraum füllten, sondern die nuancenreiche Atmosphäre wechselnder Stimmungen waren Ziel und Ergebnis seiner Bemühungen. Dies zeigt sich auch in seiner gezähmten Fassung von Fan Kuans „Reise zwischen Bergen und Strömen“ siehe auch im Palast-Museum, Peking.

Das Verdienst von Malern wie Zhao Boju und Jiang Shen bestand in der Bewahrung stilistischer Eigenarten und Techniken großer Meister der Vergangenheit und die Fortsetzung des Landschaftsstils der Nördlichen Song, was ihnen hohe Anerkennung in Hofkreisen und bei Sammlern sicherte. Zwar gelangen ihnen Werke von persönlicher Eigenart, doch trugen sie kaum zur Entwicklung neuer künstlerischer Konzeptionen bei. Dies blieb anderen vorbehalten.

Liu Songnian

Die chinesische Kunstgeschichtsschreibung zählt Liu Songnian (tätig ca. 1174 bis 1224) zu den vier großen Landschaftsmalern der Südlichen Song, neben seinen Zeitgenossen Ma Yuan und Xia Gui, sowie deren gemeinsamen Vorbild Li Tang.

Liu Songnian stammte aus Qiantang (Zhejiang). An der Akademie von Hangzhou stieg er zum Dai Zhao auf. Für ein Illustrationswerk über Reisanbau und Seidenweberei soll ihm um 1195 der Goldene Gürtel verliehen worden sein. Dies weist auf frühe Erfolge in der Genremalerei hin. Stilistisch scheint er keine einheitliche Linie verfolgt, sondern eklektizistisch mit großem Geschick verschiedene Techniken nachgeahmt zu haben. So soll er in Zhao Bojus Blau-Grün-Manier gearbeitet haben. Kenner des 17. Jahrhunderts stellten fest, dass seine Werke weder in der Art der Südlichen Song, noch der der Akademie gemalt seien, ja, einer hielt eine seiner Rollen für einen Fan Kuan.

Hütte am Fluss im Herbst

Wenn ein paar Arbeiten seinen Ruf als Landschafter rechtfertigen, so sind es einige unscheinbare Fächerbilder, wie z. B. eines im Museum of Fine Arts, Boston: „Hütte am Fluss im Herbst“ . Zwei baumbestandene Landzungen liegen sich diagonal gegenüber. Hütten, Felsen, Boote und das dichte Laubwerk sind kompakt gruppiert und in einer in Felsen und Astwerk deutlich eckigen Pinselschrift notiert. In klarem Kontrast dazu verschwinden Wasserfläche und Berge in zartgetöntem Dunst. Sie nehmen den größeren Teil der Bildfläche ein. All dies sind Charakteristika der Hauptströmung des Landschaftsstils der Süd-Song.

Indessen zeigen andere Werke, die Liu Songnian zugeschrieben werden, vorwiegend figürliche Szenen mit landschaftlichen Accessoires, worin die Figuren dominieren. Bilder wie der „Luohan“ und der „Betrunkene Priester“ im Palast-Museum, Taipei, oder die „Fünf Tang-Gelehrten“ sind mit kleinlicher Genauigkeit gemalt, worin Menschen, Pflanzen, Tiere und (besonders antike) Gegenstände mit uninspirierter Akribie wiedergegeben sind. Sie weisen den Urheber als tüchtigen Genremaler aus, der mit den Fächerbildern nur schwer in Verbindung zu bringen ist, keinesfalls als „großen“ Landschaftsmeister.

Unterhaltung in einem Flusspavillon

Eine seltsame Zwischenstellung nimmt das wohl bedeutendste Werk ein, das seinen Namen trägt: „Unterhaltung in einem Fluss-Pavillon“, Palast-Museum, Teipei , wovon es eine weitere Version gibt . Die Hängerolle ist in leichten Farben auf Seide gemalt und trägt die Signatur Liu Songnians, über die jedoch Zweifel bestehen. Ein auf Pfählen errichteter Pavillon steht in einem Bergstrom und ist durch einen Steg verbunden mit einem anderen Ufergebäude, das rechts vom Bildrand angeschnitten ist.

Die offene Giebelseite des Pavillons gewährt Einblick ins Innere, wo sich Gast und Gastgeber im Gespräch befinden, versorgt von einem Diener. Alle Einzelheiten sind sorgfältig dargestellt, bis hin zum Interieur und dem Mobiliar. Der Standpunkt des Betrachters ist leicht erhöht, sodass er das Dach im Blick hat. Die Verkürzung ist so gewählt, dass das leichte Gebäude einen räumlich-kubischen Charakter erhält, eine Seltenheit in der chinesischen Architekturdarstellung. Die wesentlichen Landschaftselemente entwickeln sich vom rechten Bildrand aus. Die Nähe: aus zackigem Gestein wächst eine knorrige Kiefer, welche den Pavillon überdacht und zugleich umrahmt. Daneben eine schlanke Bambusstaude. Dahinter steigen kantige, überhängende Felstürme aus dem Dunst und hinter diesen Felsnadeln fast bis zum oberen Bildrand.

Die Ferne: ihr ist der linke Bildteil vorbehalten. Leicht laviert, verliert sich der Fluss unter einem Steg hindurch ins nebelhafte Ungewisse, ebenso fernere Bäume und Buschwerk. Zackige Berg-Silhouetten, die aus dem Dunst emportauchen, schließen den Hintergrund. Tiefenwirkung erzielen die in kontrastierendem Dunkel gemalten Ufergräser und -felsen links vorn. Oberhalb ragt der gezackte Ast eines knospenden Pflaumenbaumes tief über die Wasserfläche. Seine Bewegung antwortet im Gegensinn der Biegung des Kiefernastes. Es handelt sich um eine meisterhaft ausbalancierte Komposition in der jede Gewichtung genau kalkuliert ist. Die dadurch erreichte Ruhe spricht genau aus, was der Bildinhalt vermitteln soll: eine Atmosphäre stiller Abgeschiedenheit.

Das Bild ist ein Musterbeispiel eklektizistischen Verfahrens: die näherliegenden Gegenstände bestimmen als dunklere Partien den Bildaufbau wie bei Li Tang. Ebenso folgen Felsstrukturen, Bäume, Buschwerk und Felsnadeln Li Tang. Die Einseitigkeit der Komposition, das kontrapunktische Ausspielen des Gegensatzes von genau definierter Nähe und zartangedeuteter Ferne, sowie das zackige Astwerk des Pflaumenbäumchens weisen auf den Einfluss Ma Yuans und Xia Gueis. Der Pavillon ist mit der Exaktheit Zhao Bojus in streng geometrischer Linienzeichnung ausgeführt. Er erscheint seltsam nahegerückt wie dies erst in späterer Zeit in Landschaftsdarstellungen zuweilen vorkommt. Wenn beispielsweise Ma Yuan ein solches Gebäude in den Vordergrund setzt, so bleibt es in die Landschaft eingebunden, indem er es von einer Kiefer überschneiden lässt, wie in der signierten Hängerolle „Hohe Kiefern bei einem Gebirgs-Pavillon im Schnee“ (Nat. Pal. Mus. Taipei) . In unserem Bild jedoch ist der Pavillon so hervorgehoben, nicht allein durch seine Nähe, sondern auch mit Hilfe der Umrahmung, welche die Kiefer bildet, dass er das Bild dominiert, obwohl die Landschaft den größeren Teil der Bildfläche einnimmt. Das Verhältnis von Menschenwerk zur Natur ist hier umgekehrt. Ein Vergleich mit ausgesprochenen Architekturdarstellungen in Genre- oder Historienbildern wie bei Zhang Zeduan oder Zhao Boju verbietet sich, da hier, bei dem „Fluss-Pavillon“, die Landschaft und die durch sie erweckte Stimmung das Thema bilden.

Es entsteht der Eindruck, als sei hier ein späterer Maler in geradezu perfektionistischer Weise nach einem Programm verfahren, das einer Idealvorstellung der Südlichen Song-Malerei entsprach.

Die Einschätzung Liu Songnians scheint - nach allem, was wir kennen - eher dem Ordnungs- und Symbolbedürfnis der chinesischen Gelehrten zu entsprechen, als seiner wahren Bedeutung, denn so gut wie jede Epoche hatte ihre „Großen Vier“.

Ma Yuan

Spross einer Familie, in welcher das malerische Talent sich über mehrere Generationen vererbt hat, sollte Ma Yuan (tätig ca. 1190-1230) als der bedeutendste aus ihr hervorgehen. Zusammen mit Xia Gui führte er die Landschaftsmalerei der Süd-Song zu ihrem Höhepunkt. Es war die Ma-Xia-Schule, welche in Japan - und besonders im Westen - solchen Erfolg hatte, dass man sie dort für die „typische“ Landschaftskunst Chinas hielt, zumal ihr Stil Generationen von Nachfolgern fand.

Die Familie Ma stammte aus Hozhong (Shanxi), wo Ma Yuan auch geboren wurde. Bereits sein Urgroßvater, Ma Fen, diente an der Akademie von Kaifeng als Daizhao, ebenso sein Großvater an der Akademie von Hangzhou, sowie sein Onkel und sein Vater, der ihn schon früh ausbildete. Auch er wurde bald zum „Maler in Aufwartung“ ernannt unter Kaiser Kuangzong (1190-1194) und war noch als Hofmaler unter Kaiser Li Zong (1225-1264) tätig. Wie sein Bruder, der ebenfalls Akademiemaler war, wurde ihm der „Goldene Gürtel“ verliehen. Viele seiner Bilder wurden durch eigenhändige kaiserliche Aufschriften geehrt, besonders von der Kaiserin Yang, Gemahlin des Kaisers Ning Zong (1195-1224).

Zu Beginn seiner Laufbahn folgte er einer Malweise, welche den Überlieferungen seiner Familie entsprach. Vermutlich hatte sich schon darin eine Vorliebe für einseitig betonte Kompositionen entwickelt. So zeigt ein Bild seines Onkels, Ma Gongxian „Der Eremit Wei Yen im Gespräch mit dem Gouverneur Li Ao“ im Nanzen-Kloster, Kyoto, rechts in der gesamten Höhe der Rolle eine Kiefer, unter welcher das Gespräch stattfindet. Ihre Zweige ragen nach links in die Mittelzone des Bildes, ohne den linken Bildrand zu berühren, der weitgehend freibleibt und nur von einem Holzzaun angeschnitten wird .

Der andere prägende Einfluss auf den jungen Ma Yuan war die Pinseltechnik Li Tangs, mit welcher er Oberflächenstrukturen definierte, insbesondere die breiten „Axthieb“-Striche von Felsen und Steinen. Ebenso könnte jene im Dunst verschwimmende Ferne auf Li Tang zurückzuführen sein, die man in der europäischen Landschaftsmalerei mit „Luftperspektive“ bezeichnet.

Ausgehend von diesen Stilmitteln, entwickelte Ma Yuan eine eigene Kompositionsweise, worin die gegenständlichen Bildelemente in einer der unteren Bildecken zusammengefasst waren, während der Rest der Malfläche weitgehend leer blieb. Dies trug ihm von seinen Zeitgenossen den Spitznamen „Eineck-Ma“ ein.

Eine solche Bildkonzeption kündigte sich in gewisser Weise schon bei Kaiser Huizong an: nur im Vordergrund werden die Gegenstände definiert, der Hintergrund bleibt leer. Übertragen in die Landschaftsmalerei, suggeriert die Leerfläche des Hintergrunds Dunst oder Ferne. Ebenso findet sich eine Neigung zur Asymmetrie bereits in den Huizong zugeschriebenen Kompositionen, besonders den Pflanzen- und Vogelbildern. Ein augenfälliges Beispiel dieser Art ist das Albumblatt „Wachtel und blühende Narzisse“ siehe auch.

Winter (anonymer Meister)

Gleichgerichtete Tendenzen deuten sich an, in einer Serie von Jahreszeitenbildern eines unbekannten Meisters, der vermutlich in der Übergangszeit zwischen Nord- und Süd-Song gewirkt hat . Seit dem 15. Jahrhundert befinden sich drei dieser Bilder in Japan, (zwei davon im Konchi-in, Kyoto), wo sie seither als Werke Huizongs galten. Die Hängerolle „Winter“, auf welcher die Tuschzeichnung auf dem gelblich-braunen Seidengrund von wenigen zarten Farbtönen und einigen sparsamen Weißhöhungen begleitet wird, zeigt eine Komposition, die sich am unteren Bildrand und auf der linken Bildhälfte entwickelt. Ein einsamer Wanderer in langem Gewand bildet einen Schwerpunkt rechts unten. Er wendet sich um, wie es scheint, aufmerksam gemacht durch den Schrei zweier Affen, die, kaum sichtbar, oben links auf einem knorrigen Baumstamm sitzen, welcher über einem Wasserfall, waagerecht aus einem nach links überhängenden Fels wächst und sich im Zickzack zum linken Bildrand windet. Die Verbindungslinie zwischen diesen beiden Bildakzenten - Wanderer und Affen - bildet eine Diagonale vor einer zart lavierten Leerfläche, die einen vom Nebel verhüllten Abgrund evoziert. Diese diagonale Blickachse wird konterkariert von zwei Bambusstauden, die von einem Felsvorsprung aus in eleganten Bögen zur rechten Bildseite hinüberschwingen. Die beiden gewichtigsten Dunkelzonen befinden sich wiederum links: in der linken unteren Bildecke, unter einem vorspringenden Fels und links oben über dem Wasserfall. Trotz dieser tonigen Akzente lebt das Bild von seinem linearen Gefüge: auf nur einige Gegenstände beschränkt, umreißen wenige großzügig und sicher geführten Pinselzüge die Motive. Der rhythmisch schwingende Duktus ist von federnder Elastizität und von hoher Eleganz.

Dieses Linienspiel wirkt kaum raumbildend, vielmehr bildet es ein auf die Fläche bezogenes Muster. Die mit diesen wenigen Mitteln erzeugte Stimmung ist von großer Intensität: der Mensch, Träger dieser Stimmung, erlebt sich, ausgesetzt der Kälte, der Einsamkeit, der Verlassenheit. Es ist ein gänzlich anderes Naturempfinden, als das der früheren Landschaftsmeister.

Mit Ausnahme der eleganten Kalligraphie der Pinselführung, die ganz dem Geschmack von Huizongs Akademie entspricht, finden sich alle Elemente dieser Komposition, nur noch ausgeprägter, bei Ma Yuan.

Herbst (anonymer Meister)

Noch enger ist die Verbindung des Meisters der Jahreszeitenrollen zu Ma Yuan auf dem Herbstbild des Konchi-Tempels . Hier findet sich die Eineck-Komposition voll entwickelt.

Auf einem Felsplateau in der rechten unteren Bildecke sitzt ein Mann im Gelehrtengewand, angelehnt an einen Baumstamm und blickt in die dunstige Leere, die gut zwei Drittel der Bildfläche einnimmt. Der Baum wächst am rechten Bildrand empor, sein Stamm verschwindet aus dem Bildfeld und tritt weiter oben wieder ein.

Zwei seiner Äste ragen schräg nach links unten über die Bildmitte hinaus und erzeugen vor dem leeren Bildgrund den Eindruck unendlicher, nebelverhangener Ferne.

Gelehrter in Betrachtung des Mondes

Eine nahezu identische Komposition, nur seitenverkehrt und kleiner wird Ma Yuan zugeschrieben: „Gelehrter in Betrachtung des Mondes“ (MOA Museum of Art, Atami Japan) .

Die Ähnlichkeit beider Bilder ist so verblüffend, dass man annehmen muss Ma Yuan habe das Jahreszeitenbild zur Vorlage genommen, falls der Maler nicht doch ein Zeitgenosse oder Nachfolger Ma Yuans war. Bei Ma tritt lediglich eine überhängende Felssilhouette hinzu, der kleine Dienstjunge rechts, der Pfeiler einer Brüstung - Spur zivilisatorischen Eingriffs in die Natur - und die winzige Mondscheibe. Sie ist allerdings konstitutiv für das Bild. Der Blick des Kontemplierenden geht hier nicht ins Leere, sondern zum Mond und bildet dadurch ebenfalls solch eine diagonale Blickachse, wie wir sie in dem Winterbild kennengelernt haben. Sie wird ebenfalls überschnitten, hier von den schräg nach unten weisenden Kiefernästen, die wie im Herbstbild, eine Raumvorstellung schaffen. Die Übereinstimmung der Kompositionen geht bis zur Haltung der Hauptfigur, die sich ebenfalls rückwärts gegen den schräg aus dem Bild wachsenden Baumstamm lehnt. Das gleiche gilt für das Verhältnis von bemalter und leerer Fläche in beiden Bildern.

Der entscheidende Unterschied liegt in der Handschrift, welche in dem Mondbild die für Ma Yuan so typischen eckigen Konturen zeigt und seine Strukturzeichnung von Felsen und Astwerk. Kennzeichnend ist auch die Art, wie der Kiefernast unvermittelt nach unten abknickt, sowie die sternförmigen Büschel der Kiefernnadeln. Das Bild wirkt bündiger, straffer, gespannter als sein mutmaßliches Vorbild.

Dieses Werk trägt alle typischen Merkmale von Ma Yuans Eineckstil: die Konzentration nur weniger, wesentlicher, gegenständlich fassbarer Bildmotive in einer Ecke und an einer Seite. Der Mensch ist nun nicht mehr unscheinbar klein wie in den Landschaften der Nord-Song, sondern größer ins Bild gesetzt, als Träger lyrischer Empfindungen. Erstaunlicherweise ist es die Leerfläche welche solche lyrische Gestimmtheit hervorruft - die ungegenständliche Leere im Gegensatz zum Konkreten der dargestellten Dinge. In den unbemalten oder nur aus diffusen Tonvaleurs bestehenden Bildgrund werden Gefühle, Gedanken, Stimmungen projiziert. Weite und Tiefe eines vorgestellten Raumes können als Seinsgrund erfahrbar werden, die Leere als Zeichen des Nicht-Seins im Sinne des Chan-Buddhismus. Diese Kunst der Andeutung fordert die Mitwirkung des Betrachters. Er wird nun nicht mehr im Bild umhergeführt durch eine Fülle landschaftlicher Einzelheiten - die sind kaum noch vorhanden - sondern er wird veranlasst, das Erahnte zu ergänzen, mit dem geistigen Auge zu schauen, seine Seele in die Ferne zu entlassen.

Diese Verfahrensweise hat man in Verbindung gebracht mit einem Erziehungsgrundsatz des Konfuzius: „Wer sich nicht bemüht, den belehre ich nicht. Wer nicht strebt, dem helfe ich nicht. Ich zeige eine Ecke, und wer die drei anderen nicht findet, dem wiederhole ich mich nicht.“ (Lun Yu).

Was das Andeutungsbild an emotionalen Werten, an „Seele“ gewinnt, verliert es an strukturellem Reichtum. Im Vergleich zu einer klassischen Landschaft mit ihren verschiedenen Ebenen, den „Drei Entfernungen“ des Guo Xi siehe auch wird der Bildaufbau vereinfacht. Er kennt nur Nähe und Ferne, Vorder- und Hintergrund. Ihm fehlen die vielfältig verschränkten Raumbeziehungen des alten Landschaftsbildes.

Das Ausspielen der Gegensätze zwischen den kräftig betonten Dingen der Nähe und atmosphärischer Leere birgt die Gefahr des Auseinanderfallens der Bildteile. Ma Yuan erliegt ihr nicht. Er bringt seine Kompositionen zur Einheit durch seine knappen, meist zackigen Umrisslinien in einem kalligraphischen Duktus, der alle Gegenstände gleichermaßen erfasst: Bäume, Äste, Felsen, Häuser, Boote, Brücken. Es entsteht ein zweidimensionaler Linienrhythmus. Die Linien sind in der Fläche aufeinander bezogen, nicht nach der Tiefe hin. Sie schaffen so ein flächenhaftes Muster, dessen kalligraphische Anordnung zur Leerfläche stets in spannungsvoller Beziehung steht. Immer wieder ist es die Gestik von Ästen und Bäumen oder Felsnadeln die in den leeren oder nur zart lavierten Bildgrund hineinragen, welche solche Wirkung erzeugt. Für die Maler der frühen Ming-Zeit, und besonders für die japanische Landschaftskunst, wurden diese Bildelemente von großer Bedeutung. Mit der Betonung der Konturen verlieren die Gegenstände zugleich an Volumen, selbst bei kraftvollster und dunkelster Lavierung der Binnenstrukturen. Fels, Baum und Berg nehmen die Gestalt flächiger Silhouetten an.

Mit nur geringen Veränderungen der gleichen Kompositionselemente gilt dies für ein Albumblatt des Metropolitan Museums, New York: „Gelehrter in Betrachtung eines Wasserfalls“ .

Regenlandschaft

Das Silhouettenhafte wird besonders deutlich, wenn ferne Gebirgeformationen aus dem Dunst emporragen wie in der „Regenlandschaft“ der Sammlung Seikado, Tokyo, die Ma Yuan zugeschrieben wird. Hier verdichtet sich die Lavierung nur an den äußeren Umrissen der spitzig gezackten Felsriesen und hebt sie so in aller Schärfe hervor, ohne ihnen Körperlichkeit zu verleihen .

In starkem Kontrast dazu steht die dunkel gemalte Baumgruppe auf einem Felsvorsprung im Vordergrund links unten. Genau genommen ist es bereits der Mittelgrund, denn die Landzunge, die in einen Fluss ragt, beginnt erst in einer erheblichen Entfernung vom Betrachter. Dennoch bleibt sie die erste Bildebene. Ein winziger Mann, der scheinbar gerade sein Boot verlassen hat, hastet, einen breiten Schirm schützend über sich haltend, einem höher gelegenen Dorfe zu. Die aus der dunklen Baumgruppe herausragenden Kiefern zeichnen sich deutlich vom Hintergrund ab, der in Regen- und Nebelschleier gehüllt ist, welche die Steilwände der Felsen verbergen. Die sturmgepeitschten Kiefernäste, die schräg nach rechts unten weisen, verdeutlichen die Windrichtung, gegen die sich der einsame Wanderer stemmt.

Im monumentalen Aufbau dieser Hängerolle, in der Art, wie der Mensch klein und unscheinbar sich gegenüber der Natur ausmacht, tönt ein ferner Nachklang der Nord-Song-Landschaften oder des Li Tang. Neben der vereinfachten Bildstruktur unterscheidet sich jedoch das Wesen dieser Malerei von ihren großen Vorgängern. Die momentane Stimmung eines solchen Bildes signalisiert Vergänglichkeit. Es vermittelt eine Augenblickserfahrung im Gegensatz zum Ausdruck des Ewig-Unveränderlichen in der Nord-Song-Landschaft. Das melancholisch-poetische Gefühl, das diese Bilder übertragen, zeigt eine Realitätsferne bis hin zur Flucht in die erwünschte, unerreichbare Idylle, die so sehr im Gegensatz stand zur sozialen Wirklichkeit der Zeit.

Diese Idylle mochte besonders gepflegt werden von den Nachahmern Ma Yuans. Zugleich zeigt eine Vielzahl der ihm zugeschriebenen Werke - die wahrscheinlich von späterer Hand stammen - eine kühle Eleganz in der zackigen Linienführung, eine kalte Perfektion und schematische Manier, welcher die empfindsame Einfühlung in ihre Gegenstände fehlt. Nur in wenigen erhaltenen Werken stimmt der Vortrag mit der vorgeführten Stimmung überein.

Die vier Graubärte

Eine Handrolle des Cincinnati Art Museums, „Die vier Graubärte“, illustriert geradezu jene Flucht in die Idylle . Die Pinselführung ist hier so souverän und lebendig, dass das Werk durchaus vom Meister selbst stammen könnte. Das Werk bezieht sich auf die Geschichte vier weiser Männer, die sich während der Unruhen am Ende der Qin-Dynastie im 3. Jh. v. Chr. in die Shang-Berge zurückgezogen hatten, wo sie ein friedliches Dasein führten und ihre Zeit in kontemplativen Gesprächen und mit dem Schachspiel verbrachten. Das Motiv erinnert an die Brüder Boyi und Shuqi des Li Tang siehe auch. Aber es erscheint fraglich, ob Ma Yuan hier ebenso wie Li Tang die Haltung des Intellektuellen gegenüber der Macht thematisierte. Die vier Alten sind inmitten einer Wildnis schroffer Felsen, grotesk in die Breite gewachsener Kiefern und niederen Gestrüpps gezeigt, worin sie fast verschwinden, hingegeben sinnender Betrachtung oder dem Schachspiel. Auch in dieser Rolle, in welcher die Landschaft dominiert, ist das Wesentliche an einer Seite massiert, während im Verlauf der Abwicklung Sträucher, Gestein und zuletzt ein Wildbach mit immer sparsameren Mitteln dargestellt werden, jedoch nichts von der rhythmischen Dynamik verlieren, welche die Querrolle in ihrer gesamten Länge durchpulst.

Die extreme Betonung einer Bildseite und mehr noch die durch die Diagonale bestimmte asymmetrische Eineckkomposition erscheint im Gesamtbild der chinesischen Landschaftsmalerei wie ein Ausbruch aus der Tradition. Die Methode wurde als revolutionär empfunden, was vermutlich der Grund ist, weshalb die Ma-Xia-Schule von späteren chinesischen Gelehrten nicht geschätzt wurde. Sie widerspricht der tief verankerten Neigung zu Symmetrie und Ausgleich im chinesischen Lebensgefühl. Diese Ablehnung beruht auf einem Missverständnis der Bildauffassung dieser Schule.

Denn ihre Meister strebten gleichfalls Symmetrie und Gleichgewicht an und erreichten dies. Jedoch im Sinne einer spannungsvollen Balance zwischen „gefüllter“ und Leerfläche, mit dem Ergebnis, dass die Leere Substanz gewann.

Es ist kennzeichnend für die Macht chinesischen Traditionsbewusstseins, für die Gebundenheit an die Überlieferung, dass selbst ein „Neuerer“, als den man Ma Yuan letzten Endes ansehen muss, da er Vorhandenes bis zum Extrem weitertrieb, nicht in einer abrupten Wendung gegen die Tradition seine Bildsprache fand, sondern aufbauend auf ihr.

Der hohe Wert, den er der Kontinuität beimaß, zeigt sich auch im Verhältnis zu seinem Sohn Ma Lin. Es gibt eine Reihe hervorragender Werke, die sich im Stil nicht von Ma Yuan unterscheiden, die aber den Namen seines Sohnes tragen, der ebenfalls am Hofe und an der Akademie von Hangzhou Karriere machte, und von dem auch Bilder von geringerer Qualität bekannt sind. Wenn Ma Lin auch zweifellos im Stile seines Vaters gearbeitet hat, so scheint er dessen künstlerische Höhe jedoch nie erreicht zu haben. Es wird berichtet, dass Ma Yuan zahlreiche eigene Arbeiten mit dem Namen seines Sohnes signiert habe, um diesem in seinem Fortkommen zu helfen und um den Ruf der Familientradition aufrechtzuerhalten.

Xia Gui

Was von der künstlerischen Konzeption Ma Yuans gesagt wurde, gilt grundsätzlich auch für Xia Gui (tätig ca. 1190-1230). Nur wenig ist bekannt über Person und Leben des Künstlers. Mehr noch, als in anderen Fällen, tritt für uns hier die Persönlichkeit hinter dem Werk zurück. Sein Geburtsort war Qiantang (Hangzhou), Zhejiang. Unter Kaiser Ningzong (1195-1224) wurde er Mitglied der Akademie, stieg zum Daizhao auf und wurde mit dem Goldenen Gürtel geehrt. Seine Zeitgenossen achteten ihn - neben Ma Yuan - als den größten Landschaftsmaler seit Li Tang.

Entwickelte Ma Yuan seinen Stil - neben dem Studium Li Tangs - aus der Familientradition, so gewann Xia Gui seine Eigenart aus der Auseinandersetzung mit Fan Kuan, mit Li Tang und gewiss auch mit der nass in nass Malerei Mi Fus bzw. Mi Yourens. Nicht zuletzt aber war es sein offenkundig eigenwilliger Charakter, der ihn dazu führte, jede Ähnlichkeit mit seinen Vorbildern zu tilgen und einen Individualstil auszuformen, der von einem höchst einfühlsamen Lyrismus getragen war und der sich in einer sehr persönlichen Pinselschrift niederschlug.

So sehr er in Bildaufbau, Bildmitteln und der Betonung des Atmosphärischen dem Ma Yuan ähnelte, so unterscheidet er sich von ihm in zwei wesentlichen Punkten: er treibt die Vereinfachung der Motive, die abkürzende Andeutung noch weiter als Ma, und er verzichtet gänzlich auf kalligraphische Effekte, auf die elegant geschwungene Kurvatur etwa eines herabhängenden Weidenastes oder die dekorativ gezackte Gestik einer Kiefer wie Ma Yuan sie liebte. In keinem der ihm zugeschriebenen Werke findet sich jene kalkulierte, dekorative Eleganz der Liniensprache, jene bravouröse Technik, die den verschiedenen Gegenständen eine andere Linienstruktur verleiht. So unterscheidet Ma Yuan sorgfältig zwischen dem Pinselduktus, mit dem er Baumstämme und Äste darstellt und dem feinen Lineament seiner Figuren. Die sorgfältige Prägnanz seiner Architektur - offenbar mit dem Lineal gezogen - steht in wirkungsvollem Gegensatz zu den am Rande sich verdichtenden Bergsilhouetten, die oft kaum noch als Linie wahrnehmbar sind. Bei Xia dagegen werden alle Gegenstände gleichermaßen von dem flüssigen Duktus der Pinselzüge erfasst. Zwar schwillt die Linie in kalligraphischem Rhythmus an und ab, verdünnt sich bei einem Steg, einer Figur oder einem Boot, jedoch bleibt die Pinselführung stets handschriftlich. Gebäude sind ebenso frei gezeichnet wie Steine und Bäume, mit der gleichen elementaren Pinselschrift wie die umgebende Landschaft. Strukturelemente wie Felsoberflächen oder Blattwerk werden summarisch gegeben: Blätter mit gespreiztem Pinsel getupft, Gestein eher durch flüssigen Lavis als durch „Axthieb-cun“, die er sparsamer anwendet als Ma Yuan, welche bei den Werken, die diesem zugeschrieben werden, nicht selten manieriert erscheinen.

Es war besonders diese Kunst der Lavierung, für die er gepriesen wurde. Man nannte seine Tusche „leuchtend“ und die äußerst nuancenreichen Abstufungen vom saftigsten Schwarz bis zum zartesten Grauton „wie mit Farben gemalt“.

Der zusammenfassenden Vereinfachung des malerischen Vortrags entspricht die Motivwahl. Es sind vergleichsweise bescheidene Sujets, denkt man an die grandios aufgetürmten Bergriesen eines Li Tang oder gar der Nord-Song Meister. Xia Gui vermag seinen Landschaften den Eindruck eines selbstverständlichen Ablaufs zu geben, einer Art ungezwungener „Natürlichkeit“ ohne sensationelle Überraschungen. So genau sie konzipiert sind, nirgends wirken sie arrangiert. Ebenso wie Ma Yuan benutzt er die Leerfläche als Wirkungselement, während die dinglich fassbaren Bildteile nur geringen Raum beanspruchen und weitgehend an den Bildrändern konzentriert sind. Aber selbst diese konkreten Kompositionselemente sind oft derart reduziert, dass sie als Gegenstände kaum noch zu identifizieren sind.

Zwölf Ausblicke aus einer Strohhütte

So besteht in den „Zwölf Ausblicken aus einer Strohhütte“ (Nelson Gallery, Kansas City) ein Uferstreifen faktisch nur aus einer wolkig-zart lavierten Fläche, aus welcher nur vereinzelte Baumsilhouetten hervorragen und die skizzenhafte Andeutung einiger Hüttendächer. Die wenigen wie hingehauchten Tuschetupfen sind allerdings so prägnant gesetzt, dass die Phantasie des Beschauers sie mühelos ergänzt. Die Unauffälligkeit und scheinbare Selbstverständlichkeit der Übertragung einer künstlerischen Idee auf den Betrachter ist typisch für das Verfahren Xia Guis.

Auf eindrucksvolle Weise ist hier das stimmungshafte Moment verdichtet. Die erhaltenen vier Szenen einer ehemals viel längeren Handrolle sind, obwohl fließend ineinander übergehend, durch Inschriften unterschieden. Diese Titel, von der Hand des Kaisers Lizong (Reg. 1225-1264) sind allein schon reine Poesie: „Flug der Wildgänse über der fernen Gebirgskette“, „Heimkehr der Boote ins nebelumhüllte Dorf“. „Fern und klar die Melodie der Fischerflöte“, „Abends ankern am nebligen Ufer“. Von hoher Warte aus geht der Blick in eine kaum noch wahrnehmbare Ferne zu einem Gebirgszug, über den eine Kette Vögel dahinstreicht - ein Wunder an Abkürzung: der Gebirgskamm besteht aus einer zarten, leicht gezackten Linie, die Wildgänse aus ein paar schwarzen Pinseltupfen. Über die jenseitige Uferzone, die sich im Nebel abzeichnet, wandert der Blick nach links über eine weite Wasserfläche - nur durch einige Boote gekennzeichnet und, allmählich herabsteigend mit den heimkehrenden Fischern in die Nähe, in die Geborgenheit des Dorfes. Der weitaus größte Teil der Rolle besteht aus dem puren Malgrund der Seide. Die wenigen bemalten Stellen tragen hauchdünne Lavierungen, denen nur an einigen Schwerpunkten, wie Böschung, Bäume und Felsen des diesseitigen Ufers, saftige Töne dunkler Tusche gegenüberstehen.

Dieses Fragment stellt einen Höhepunkt der lyrischen Stimmungsmalerei dar. Nichts von der dramatischen Gestik des Ma Yuan findet sich hier, sondern kontemplative Stille, innere Einkehr, Ruhe der Seele. Zugleich ist der Augenblick der Dämmerung erfasst, ehe die Nacht herabsinkt: auch hier der Aspekt des Zeitlichen also. Es gibt kaum noch einmal ein Werk der Landschaftskunst, das mit einem Nichts an Mitteln eine solch dichte Stimmung zum Ausdruck bringt, ohne die Bindung an ein erlebtes Naturvorbild aufzugeben.

Flusslandschaft an einem windigen Tag

Bei aller Ähnlichkeit der Bildauffassung - asymmetrischer Betonung einer Bildseite und praktisch nur zwei Bildebenen - verdeutlicht doch der Vergleich eines Fächerbildes von Xia Gui „Flusslandschaft an einem windigen Tag“ (Museum of Fine Arts, Boston) mit der Hängerolle „Regenlandschaft“ von Ma Yuan die Unterschiede bei der Behandlung eines gleichen Themas. Steil aufsteigende Bergtürme bei Ma Yuan, die elegante Gestik windgepeitschter Kiefern, die zackige Kantigkeit der Felsen, der scharfe Umriss der spitzigen Felsnadeln, die genaue Zeichnung von Mensch, Boot und Architektur.

Auffällig an der Diagonalkomposition Xia Guis - eine dunkle Baumgruppe unten rechts, ferne Berge oben links - ist die Einheitlichkeit der Linienstruktur, die lockere, ja, fast flüchtige Malweise. Die Konturlinien von Baumstämmen, Segelboot, Hütten und Felsen sind von etwa gleichbleibender Stärke und saftiger Frische, eher fließend weich, als zackig. Das Blattwerk der sturmzerzausten Bäume ist undetailliert hingetupft mit einer Dynamik, die den hineinfahrenden Wind verspüren lässt. Im Unterschied zu Ma Yuan gibt er nur einfache Bergrücken. Der Dunstschleier, in den die Berge des Hintergrundes gehüllt sind, verdichtet sich an ihren Kämmen zu einer dunkleren Konturlinie, worauf die Uferböschung im Vordergrund in gleicher Weise antwortet. Die kräftige Lavierung gibt dem Bild atmosphärische Dichte.

Hier nun treffen sich die beiden Meister wieder in ihren künstlerischen Absichten: auf unterschiedliche Weise gelingt es ihnen, die Stimmung eines bestimmten Augenblicks einzufangen.

Klarer Fernblick über Strom und Gebirge

Wie Ma Yuan fand auch Xia Gui zahlreiche Nachahmer. Von den wenigen Werken, deren Rang keinen Zweifel an der Urheberschaft des Meisters zulässt, gehört die Handrolle „Klare Fernblicke über Strom und Gebirge“ (Palastmuseum Taipei) zu den bedeutendsten . Auf dieser fast neun Meter langen Querrolle sind die kompositionellen Möglichkeiten eines solchen Formats mit höchster Meisterschaft variiert. In nahtlos fließenden Übergängen wird das Auge von Ausblick zu Ausblick geführt in an- und abschwellendem Rhythmus. Auch hier die erstaunliche Sparsamkeit der Bildmittel: ferne Berge oder Baumgruppen sind mit einigen wenigen hauchdünn lavierten Linien oder Tupfen angegeben. Aber die Laviertechnik ist sparsamer eingesetzt als in den „Zwölf Ausblicken“. Im wesentlichen beschränkt sich Xia hier auf lineare Strukturen, deren Tonwerte vom zarten Graubraun der verdünnten Tusche bis in volles, brillantes Schwarz reichen. Näher liegende Felsen zeigen gerissene „Axthieb“-Striche, Laub- und Nadelwerk ist skizzenhaft angelegt, ohne an Genauigkeit zu verlieren. Trotz solch reduzierter Mittel wechseln von Abschnitt zu Abschnitt Stimmung und Atmosphäre.

In der sich darin anzeigenden Wahrnehmung des Veränderlichen, Momentanen, wie es wechselnde Tageszeiten oder atmosphärische Umschwünge mit sich bringen, liegt auch das Bewusstsein von Vergänglichkeit.

Es scheint, als haben die beiden großen Landschaftsmeister so etwas wie Vergänglichkeit mit malerischen Mitteln erfassen wollen. Dies führte sie mehr und mehr zu einer Auflösung des Gegenständlichen zugunsten eines Unfassbaren, was sich mit malerischen Mitteln nur noch andeuten ließ. Diese Entkörperlichung des Dargestellten rückte sie in die Nähe der Chan-Maler, ohne den Boden einer noch real erfahrbaren Welt zu verlassen.

Es waren Chan-Mönche, die den Schritt taten in eine Landschaftsmalerei, für welche die Außenwelt nur noch Anlass war, ein eigentlich Unsagbares - und mithin Unanschauliches - vor Augen zu führen. Ein Paradoxon, das ganz dem Chan-Denken entspricht.

Yujian

Zwei malende Mönche dieses Namens sind überliefert, beide Zeitgenossen Mu Qis: Ruofen, Beiname Yujian und Ying Yujian. Der erste soll als Archivar im Shangzhu Tempel von Hangzhou gelebt haben. Auch wurde er als „Tientai - Mönch aus Zhejiang“ bezeichnet. Der zweite lebte im Chan-Kloster Jingci am Westsee (beide Mitte bis Ende des 13. Jhds.). Zwei Werkgruppen, die traditionell mit dem Namen Yujian in Verbindung gebracht werden, unterscheiden sich in Stil und Thema voneinander, wenn sie auch in ihrer Grundhaltung verwandt sind. Dies mag einer der Gründe sein für die wechselnde Zuschreibung an einen einzigen Maler, vorzugsweise an Ruofen.

Die eine Gruppe aus drei kurzen Querrollen in verschiedenen japanischen Sammlungen behandelt Berge in Wolken. Eine der poetischen Beischriften nennt das Lushan-Gebirge. Dieses Bild trägt die Signatur „Yujian“. Die anderen drei Abschnitte, heute ebenfalls verstreut in japanischen Kollektionen, gehörten zu einer größeren Rolle mit den „Acht Ansichten von den Flüssen Xiao und Xiang“. Sie sind unsigniert. Die Kalligraphie der klassischen Vierzeiler mit 28 Silben, welche sich auf beiden Bildgruppen finden, weist allerdings große Ähnlichkeit auf.

Der Lushan Wasserfall

Eine Version des Lushan in der Sammlung Yoshikawa Eiji, Tokyo, stellt den Lushan Wasserfall dar und trägt rechts ein Gedicht mit der Signatur . In der Bildmitte und vom linken Bildrand angeschnitten steigen abgerundete Bergkegel aus dem Dunst. Sie evozieren von Vegetation überzogene Gipfel, zwischen welchen eine weiß gischtende Kaskade in die Tiefe stürzt. Und doch ist keinerlei Detail zu erkennen, lediglich hellere und dunklere ineinander verfließende Flecken verdünnter Tusche. Schwarze, strukturbildende Wischer, Tupfen und Linien, mit vibrierender Lebendigkeit gemalt, formen die Rundungen der Bergkegel und geben ihnen eine geradezu haptische Plastizität. Mit wenigen hingeworfenen Pinselzügen ist ein erstaunlicher Grad an Suggestivität erreicht.

Acht Ansichten von Xiao und Xiang

Die „Acht Ansichten“ des Yujian erreichen die gleiche Abstraktionsstufe wie die am weitesten getriebenen Mu Qi-Landschaften siehe auch. Drei der Ansichten sind erhalten: „Ein Bergdorf im aufklarenden Dunst“ (Sammlung Yoshikawa, Tokyo) , „Der Herbstmond über dem Dongting See“ (Nationalmuseum, Tokyo), „Boote kehren von ferner Küste zurück“ (Sammlung Tokugawa, Nagoya) .

Im Vergleich zu dem „Lushan-Wasserfall“ sind sie von jeder Stofflichkeit entkleidet. Hat das „Lushan“ Bild noch taktile Eigenschaften indem es eine Oberflächenstruktur andeutet, ja durch seine plastische Wirkung konkrete Körperlichkeit suggeriert, so bestehen diese Bilder lediglich aus einigen wenigen Pinselhieben, die genau genug gesetzt sind, um noch einige Gegenstandsfragmente zu übermitteln. Es fehlt die dichte Lavierung und die Pinselführung unterscheidet sich von der des „Lushan“. Sie steht der Kalligraphie näher, als der Malerei, der Duktus entspricht dem Schreibvorgang, die Dynamik der Tuscheflecken der Raschheit des Pinselstrichs. Dadurch setzt sich diese Version des Xiao- und Xiang-Motivs auch von der getupften, undynamischen Malweise der Mu Qi-Landschaften ab, bei der gleichen Reduktion der Bildmittel.

Eine solche Kühnheit der Reduktion geht weit über alles hinaus, was frühere Landschaftsmaler gewagt haben, nicht ausgenommen die freisten unter ihnen wie Mi Fu und Mi Youren. Dies konnte nur leisten, wer sich nicht an Konventionen gebunden fühlte, ja, der nicht einmal in erster Linie an Kunst interessiert war, sondern nach Ausdruck eines Bewusstseinszustandes suchte. Für einen buddhistischen Priester, insbesondere der Chan-Schule, verlangte ein solcher Wurf keinerlei künstlerischen „Mut“, sondern er entsprach ganz und gar seiner Grundüberzeugung, seiner Sicht des Daseins. Wenn die malenden Chan-Mönche auch keine stilistisch einheitliche Schule bildeten, so unterlag ihrer Konzeption von Malerei eine grundsätzliche Haltung, welche die äußere Welt als nicht eigentlich relevant ansah, da sie nur ein Reflex, ein Aspekt einer umfassenderen Wahrheit sei. Ebenso wie die Meditation oder bestimmte andere Übungen - wie etwa die Kunst des Bogenschießens - diente ihnen die Malerei zum Erlangen einer Erkenntnisstufe.

Diese Mönche malten nicht um der Kunst willen, sondern um einem geistigen Zustand Ausdruck zu verleihen.

Bei Bildern wie dem Lushan Wasserfall handelt es sich nicht um die Wiedergabe eines Eindrucks der realen Außenwelt. Es geht dem Maler nicht um die Darstellung eines Naturphänomens, nicht um Atmosphärisches - so sehr dieses auch noch fassbar ist - als vielmehr um eine innere Vision. Die Entmaterialisierung des Motivs wird so weit in die Abstraktion getrieben, dass eigentlich nur ein meditatives Versenken des Betrachters diese Vision nachvollziehen kann. Ein Verfahren, das weit mehr als nur ergänzende Mitarbeit erfordert, wie sie etwa die Malerei der Ma-Xia-Schule verlangte. So, wie über den Chan-Jünger mitten im Alltag, während der trivialsten Tätigkeit die Erleuchtung kommen konnte siehe auch oder durch die Betrachtung eines unscheinbaren Gegenstandes, so konnte auch die Vorstellung einer Landschaft, das Erfassen einer Stimmung, ausgelöst durch eine Erinnerung oder eine Gedichtzeile, Anlass sein zu solcher Art Landschaftsmalerei, die nur noch wenig zu tun hatte mit einer Wirklichkeitserfahrung. Titel und Inschriften führen da in die Irre: die bestimmten Örtlichkeiten, die in den topographischen Bezeichnungen angesprochen werden, sind ja niemals dargestellt. Es handelt sich um literarische Überlieferung: Poesie, die zum Anlass wird einer ganz aus der inneren Schau des Malers gespeisten Bildidee, worin die im beigefügten Gedicht benannten Dinge meist gar nicht auftauchen. Beide Aussageformen, Gedicht wie Bild, bleiben autonom, verbunden allein durch Zusammenhang und Wechselbeziehungen im Kompositionsgefüge. Das im Bilde Dargestellte wird nicht zur Illustration des Gedichts, sondern beide ergänzen einander.

Die „Acht Ansichten von Xiao und Xiang“ sind ein solch überlieferter und gern benutzter Bildvorwurf. Das Motiv des Zusammenflusses von Xiao und Xiang ist sehr alt und wurde bereits von Dong Yuan aufgegriffen siehe auch. Seine Schilderung dieser Gegend könnte auf ein Gedicht des Xie Tiao (5. Jh.) zurückgehen, worin dieser die alte Kulturlandschaft Chu um den Dongting See besingt, in welchen der Xiao einfließt. Die überlieferten Titel der „Acht Ansichten“, die in dieser Form von Shen Gua (1030-1093) aufgezeichnet wurden, sind von solch lyrischem Stimmungsgehalt, dass sie geradezu prädestiniert waren, eine visionäre Malerei anzuregen, die über die Erscheinungen der Phänomenwelt hinauszudringen suchte:

„Wildgänse gehn auf einer Sandbank nieder.

Boote kehren von ferner Küste zurück.

Ein Bergdorf im aufklarenden Dunst.

Im Dämmerlicht Schnee über Strömen und Bergen.

Der Herbstmond über dem Dongting See.

Xiao und Xiang im Regen bei Nacht.

Die Glocke eines Tempels im abendlichen Nebel.

Abendlicht auf einem Fischerdorf.“

Mu Qi

Wenn die Zuschreibungen stimmen, woran begründete Zweifel bestehen wegen der fehlenden Genauigkeit, die bei aller Freiheit der Pinselführung für den Meister typisch ist - soll Mu Qi als erster Chan-Maler die „Acht Ansichten“ dargestellt haben. Jedenfalls sind die erhaltenen Szenen aus zwei später zerschnittenen Querrollen die ältesten bekannten Versionen. Sie befinden sich heute in verschiedenen Sammlungen Japans.

Herbstmond über dem Dongting See und Tempelglocke im abendlichen Nebel

Auf den meisten dieser Fragmente tauchen einige Tuscheflecken aus dem Dunst und verdichten sich bei näherem Hinsehen zu Kürzeln einiger Gegenstände - Baumgruppen, Dächer, Boote, Bergsilhouetten. Eine Kunst der Andeutung, die den Dingen nicht nur ihre Körperlichkeit nimmt, sondern auch so sehr ihre Gestalt, dass sie nur mit Mühe zu identifizieren sind. Überspitzt gesagt ist auf diesen Bildern so gut wie nichts zu sehen, jedenfalls nichts, was dem Auge einen sinnenhaften Reiz bieten würde. Lediglich ein atmendes An- und Abschwellen weniger Formen, auf ein äußerstes Maß reduzierte Materie - dies allein genügt, die schwebende Vision einer endlosen Weite hervorzurufen. Beispiele dieser Art sind „Herbstmond über dem Dongting See“ (Sammlung Tokugawa, Nagoya), „Tempelglocke im abendlichen Nebel“ (Sammlung Matsura, Tokyo) oder „Boote kehren von einer fernen Küste zurück“ (Kyoto National Museum) .

Abendlicht auf einem Fischerdorf

Dagegen ist ein Bild wie „Abendlicht auf einem Fischerdorf“ (Sammlung Nezu, Tokyo) zwar mit äußerst sparsamen Mitteln gemalt, aber der Reflex einer konkreten Welt ist hier noch fassbar. Technisch steht es der nass in nass Malerei Mi Fus und Mi Yourens nahe .

Mit Werken der äußersten Reduktion hatte die Malerei des freien Stils einen Punkt erreicht, der nicht mehr überschritten werden konnte. Sie hatte die Fesseln der Akademie und der Überlieferung abgestreift und zu einem Höchstmaß an Spontaneität gefunden. Sie zahlte einen hohen Preis dafür: in ihrer Heimat wurde diese Kunst wenig geschätzt und bis in die neuste Zeit meist unterbewertet. Dennoch übte sie einen tiefgreifenden Einfluss auf bedeutende Maler kommender Generationen. Sie hat die Bresche geschlagen für die Subjektivität der künstlerischen Aussage.

Dass sich so unterschiedliche Haltungen und Anschauungen wie in der Malerei auch auf allen anderen geistigen Gebieten zur Geltung bringen konnten, zeigt die Spannweite der Song-Kultur. Dass sie bei ihrer außerordentlichen Verfeinerung, ja mit einem Zug zur Dekadenz, zur Integration dieser heterogenen Kräfte fähig war, bleibt ihre große Leistung.