Die großen Maler der Landschaft

Jing Hao

Um 900 setzt der monumentale Landschaftsstil sozusagen mit einem Paukenschlag ein. Das Palastmuseum in Taipei, Taiwan, besitzt eine Hängerolle mit einer Ansicht der Kuanglu-Berge (Zhejiang). Eine Inschrift des Kaisers Gaozong der Süd-Song (Reg. 1127-1162) nennt Jing Hao als Maler des Bildes.

Die Lebenszeit des Autors der „Bemerkungen über die Pinseltechnik“ siehe auch ist umstritten, (ca. 855-915 oder um 900-960). Er stammte aus Qinshui (Henan). Nachdem er als Beamter in Changan gedient hatte, zog er sich vor den Wirren gegen Ende der Tang-Zeit nach Shanxi zurück, wo er Landwirtschaft betrieb. In ausgedehnten Wanderungen erschloss er sich die Wildnis und Schönheit des Taihang-Gebirges, das er auch in seinem Traktat beschrieb.

Neben der Kuanglu-Darstellung existieren noch andere Werke von ähnlicher Monumentalität, die Jing Hao zugeschrieben werden, doch sind sie von unterschiedlicher Handschrift. Eines befindet sich in der Freer Gallery, Washington, und ein Wintergebirge „Landschaft mit Reisenden“ in der Nelson Gallery, Kansas-City. Diese trägt sogar eine Signatur mit dem Beamtentitel Jing Haos. Die Behandlung der Felsstrukturen ähnelt denen des Kuanglu-Bildes in Taipei, doch erscheint die Natur wilder und chaotischer. Wenn auch die Urheberschaft der Kuanglu-Rolle nicht gesichert ist, so gibt das Werk doch einen Eindruck von der Arbeitsweise Jing Haos. Dafür sprechen die relative zeitliche Nähe der Zuschreibung, zu einer Zeit also, als noch andere seiner Werke bekannt waren, die hohe Qualität des Bildes, welche die Wertschätzung des Meisters verständlich macht und nicht zuletzt Technik und Naturauffassung, wie sie sich weitgehend in seiner Abhandlung wiederfinden.

Die monochrome Tusche ist hier mit einem hohen Grad an Nuancierung der Grauwerte eingesetzt. Die Strukturierung von Felsformationen und Bodenwellen wird erreicht durch Flecke, Tupfen und kleine Pinselschläge, eben durch jene „cun“ siehe auch, die als längere Pinselhiebe mit Hanfsträhnen verglichen wurden oder als kurze Striche mit Regentropfen. Im Laufe der Entwicklung wurden sie zu einem entscheidenden Stilmittel der Landschaftsmalerei. Hier erscheinen sie zum ersten Mal.

Der Kuanglushan

Das dargebotene Panorama ist überwältigend . Von großer Höhe aus gesehen, steigen gegenüber Felstürme über Felstürme auf, Gipfel über Gipfel, gekrönt von Kiefern, Fichten und grotesken Baumgestalten. Sie wachsen aus dem Talgrund, wo sich an den Ufern eines Flusses, der sich im fernen Dunst verliert, vereinzelte Häuser ducken. Ameisenhaft wirken die wenigen Menschen und Tiere, winzig ein Boot im Vordergrund. Den „Bildeingang“ beherrschen unten rechts zwei im Verhältnis zu ihrer Umgebung mächtige Kiefern. Von hier aus wird der Betrachter nach links ins Bild hineingeführt, bis hinauf zum alles beherrschenden Hauptgipfel: das klassische Muster einer chinesischen Landschaftskomposition. So neuartig das Gesamtkonzept dieses Monumentalstils in seiner Epoche erscheint, einige Elemente der Tang-Landschaft lassen sich noch ausmachen. Die Bergriesen scheinen herausgelöst aus den kammartigen Bergketten der alten erzählenden Landschaftsbilder. Und sie besitzen noch deren zahnartige Gestalt. Der Eindruck von Volumen wird vermittelt durch scheibenartige Schichtung ähnlicher Felsformationen hintereinander, dergestalt, dass die hintere den Umriss der vorderen vergrößert wiederholt. In gleicher Weise sind Berge auf den Tang-Malereien von Dunhuang gegliedert. Die gewisse Manieriertheit dieser Art Gebirgsdarstellung ist auch hier noch nicht verschwunden.

Dennoch gelang es dem Meister mit Hilfe dieser Methode, der Wildnis eine gliedernde Ordnung zu verleihen, welche eine wahrhaft erhabene Ruhe und Größe der Natur ausstrahlt. Selbst, wenn es sich um eine Kopie handeln sollte: diese Charakteristika kennzeichnen Jing Hao als Mittler zwischen der Tang-Tradition und der großen Landschaftskunst, welche dieses Werk einleitet.

Guan Tong

Er war der zweite Großmeister der Landschaftskunst des 10. Jahrhunderts. Zusammen mit Li Cheng und Fan Kuan bildete er das große Dreigestirn der Landschaftsmalerei, das „gleich den Beinen eines Dreifußes steht und für 100 Generationen die Normen setzte“ (Guo Roxu, 11. Jh.).

In Changan geboren, war er Anfang des 10. Jahrhunderts tätig am Hofe der späteren Liang-Dynastie (907-923). Er folgte zunächst dem Stile Jing Haos und suchte ihn zu übertreffen. Später betrieb er ein intensives Studium der älteren Meister, besonders Wang Weis (689-759). In reiferen Jahren fand er zu einem eigenen Stil von großer Expressivität. „Er liebte herbstliche Hügel und Winterwälder, Bauernhütten und gefährliche Furten, Einsiedler und Fischer …“.

Die Hochschätzung, die sein Oeuvre während der Song-Zeit genoss, zeigt sich im kaiserlichen Katalog, der 94 Arbeiten aufzählt. Wie bei den meisten dieser Frühmeister sind die Zuschreibungen der wenigen erhaltenen Werke zweifelhaft. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die Kopisten sich im wesentlichen an den Stil berühmter Vorbilder hielten siehe auch, wobei freilich nicht auszuschließen ist, dass einzelne Neuerungen, die in dem betreffenden Werk erstmals auftauchen, später eingeflossen sind. Selbst, wenn es sich bei bestimmten Bildern, die noch heute als bedeutende „Landmarks“ der chinesischen Malerei angesehen werden, um songzeitliche oder wenig spätere Kopien handeln sollte, so bleiben sie dennoch Meisterwerke.

Warten auf die Fähre

Dies gilt in besonderem Maße für die Hängerolle „Warten auf die Fähre“ im Palast-Museum von Taipei .

Fast könnte man den einsamen Wanderer, mit seinem Esel übersehen, ebenso wie das von einer Landzunge fast völlig verdeckte Boot am unteren Bildrand. Schier übermächtig türmen sich die Gesteinsmassen auf, die menschliche Figur und die wenigen Behausungen schwinden zur Unscheinbarkeit. Machtvoll erhebt sich das Hauptmassiv, voluminöser und fester gefügt als Jing Haos scheibenartige Bergformationen. Der Gegensatz zwischen dem schweren dunklen Hauptgipfel und den Hintergrundbergen ist deutlich herausgearbeitet: luftig gemalt, verschwimmen sie im Dunst und schaffen so eine größere Tiefenwirkung. Der malerische Vortrag geht auf Vereinheitlichung seiner Mittel aus: die kleinen Pinselschläge (cun), welche Fels- und Geländeoberfläche definieren, und die Behandlung des Laubwerks sind einander angenähert. Zum ersten Mal werden die Blätter größerer Bäume nicht mehr einzeln dargestellt, sondern getupft zu helleren oder dunkleren Zonen zusammengefasst, aus welchen Äste und Stämme hell hervortreten. Und in der Höhe, auf Graten und Gipfeln stehen keine Einzelbäume, sondern die Tupfen verdichten sich zu Gestrüpp und Wald.

Wie bei Jing Hao spricht sich eine anaturalistische Haltung aus, die einer Idealvorstellung folgt. Während Jing Hao jedoch mit seinen gleichmäßigen Strukturen der Natur Ordnung, Ruhe und unveränderliche Größe aufprägt, betonen Guan Tongs groteske Felsengebilde die Wildheit der Natur. Seine Gesteinsballungen, mit Hilfe der „cun“ geradezu rund gemeißelt, die überhängenden Klippen, die jähen Spalten und Klüfte dienen in ihrer Übersteigerung dazu, die Wirklichkeit zu übertreffen.

Das wandernde Auge erlebt ständig neue überraschende Ansichten. Indem in allen Teilen dieser Landschaft die gleiche optische Vielfalt herrscht, bleibt die strukturelle Einheit des Bildes gewahrt. Trotz der Wildheit der dargestellten Natur entsteht nicht der Eindruck des Chaotischen, sondern sie erscheint wie von einer inneren Ordnung durchwirkt.

Li Cheng

Als der größte Landschaftsmaler Chinas gilt bis heute Li Cheng (ca. 919-967). Einer Familie aus Changan angehörend, die vom Tang-Kaiserhaus abstammte, lehnte er jede Amtsposition ab, obwohl er die höchsten Staatsprüfungen abgelegt hatte und ein Mann von hoher Bildung war wie sein Vater und sein Großvater, die einen Ruf als bedeutende konfuzianische Gelehrte besessen hatten. Er zog ein ruhiges, kontemplatives Leben vor, um sich ganz ungebunden der Malerei zu widmen und seinen sonstigen Interessen wie Schach, Musik und Wein. Wie viele Maler und Poeten verfiel er der Trunksucht und soll nur im Weinrausch gemalt haben. Seine späteren Jahre verbrachte er in Yingqiu, Shandong. Betrunken soll er auch gestorben sein. Es ist nicht bekannt, welche Meister er studiert hat. Manche Schriften bringen ihn mit Li Sixun und Wang Wei in Verbindung, andere mit Guan Tong.

War sein Ruhm schon zu Lebzeiten groß, so stieg die Nachfrage nach seinen Werken nach seinem Tode derart an, dass offenbar zahlreiche Kopien von unmittelbaren Schülern und Nacheiferern in Umlauf gelangten, die mit Signatur und Siegel versehen, bald als Originale akzeptiert wurden. Ein Enkel Li Chengs, Yu, kaufte alle Originale Anfang des 11. Jahrhunderts auf, deren er habhaft werden konnte. Der exzentrische Mi Fu (1051-1107), Maler und Kunstkritiker, will schon in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von über 300 Li Cheng zugeschriebenen Werken nur zwei als authentisch erkannt haben. Man muss sich fragen, wo die echten Li Chengs verblieben sein sollen, einschließlich die der Sammlung Li Yus, denn der Katalog Kaiser Huizongs von 1120 nennt 159 Werke Lis. Es ist schwer vorstellbar, dass sich die kaiserlichen Kuratoren so sehr geirrt haben sollen, zumal im Katalog bekannt wird, dass die Sammlung auch Kopien enthält. Und sollte Li Chengs tiefgreifender Einfluss auf nachfolgende Malergenerationen fast ausschließlich auf Kopien beruht haben? Dann mussten sie schon selbst Werke von höchstem Rang gewesen sein. Die zahlreichen Beschreibungen seiner Malerei, in welchen fast ausschließlich Bewunderung zum Ausdruck kommt, steigern eher noch das Verwirrspiel, anstatt es zu klären. Seine Zeitgenossen ordneten ihn den „göttlichen“ Meistern zu, seine Gestaltungsweise wurde mit den Schöpfungen der Natur gleichgesetzt. Zwar ist man sich einig, dass er Einöden liebte, Winterlandschaften in Dunst und Nebel, sowie blattlose, knorrige Baumgestalten, dass seine Pinselspitze der einer Nadel glich, dass er den Pinsel unsagbar leicht führte, sodass „es schien, als seien seine Bilder nicht mit Tusche und Pinsel gemacht“, und dass er „Tusche sammelte wie Gold“, d. h. so sparsam mit ihr umging, als sei sie Gold. Auch geben einige Stilbeschreibungen eine detailliertere Schilderung, doch meist handelt es sich um allgemein gehaltene Feststellungen, die keine genauere Vorstellung vom Aussehen dieser Arbeiten vermitteln.

So kommt es, dass von dem bedeutendsten chinesischen Landschaftsmaler heute nicht ein einziges Werk unumstritten als echt anerkannt wird, welches ihm traditionell zugeschrieben wird oder seinem vermuteten Stil entspricht.

Angeln im Nachen unter schneebedeckten Bäumen

Eines dieser Werke im Palastmuseum von Taipei, „Angeln im Nachen unter schneebedeckten Bäumen“, zeigt eine Gruppe knorriger alter Kiefern auf beschneiten Felsen, davor, verschwindend klein, ein Kahn, in dem ein Fischer sitzt. Hinter einer Landzunge liegt, in einem Felsenkessel eingeschlossen, ein dunkler See. Hoch oben aus einer Kluft, zwischen eis- und schneeüberzogenen Steilhängen, stürzt ein Wasserfall herab und verschwindet in der unermesslichen Tiefe des emporsteigenden Dunstes .

Anders als auf dem beschriebenen Bild Guan Tongs, wo die aufsteigenden Gesteinsvolumen einen einzigen zusammenhängenden Felskörper bilden, erzeugt hier der Gegensatz zwischen den froststarren Bäumen vorne und den Felsstürzen im Hintergrund einen Raum innerhalb des Bildes. Diese Art Räumlichkeit, worin der Blick von einer Bildzone in die entfernter gelegene gelenkt wird, begegnet uns hier zum ersten Mal in der chinesischen Landschaftsmalerei.

Drückt sich schon allein in der dargestellten Natur Düsternis und eisige Kälte aus, so verdichtet sich ihre Wirkung durch die winzige Gestalt des einsamen Fischers zu einer Stimmung tiefster Verlassenheit.

Die Stele lesen

Ein Thema, das nach verschiedenen Zeugnissen auf Li Cheng zurückgeht, zeigt das Bild „Die Stele lesen“ im Nationalmuseum von Osaka. Wenn auch vermutlich eine mingzeitliche Nachschöpfung des oft kopierten Motivs, lässt es doch etwas von Li Chengs Konzeption erkennen .

Am Rande eines Abgrundes, gekennzeichnet durch einige kahle Baumäste, die über den Felsrand hervorschauen, vor nebelverhangener, endloser Leere, steht eine mächtige Stele. Ein Reiter auf einem Maultier, das von einem Diener gehalten wird, schaut zu ihr auf. In der stillen Dramatik des Bildes spielen die Figuren keine Rolle. Sie wirken wie illustratives Beiwerk. In der Tat sind sie Hinzufügungen eines anderen Malers, wie die Signatur vermerkt. Die Stele, von einem leicht erhöhten Standpunkt in Parallelperspektive gegeben, ruht auf dem Rücken einer gewaltigen Schildkröte und ist gekrönt vom Himmelsdrachen. Von krallenartigem Astwerk umgriffen, wird der Inschriftenpfeiler eingesponnen von bizarren Baumgewächsen, deren Wurzeln sich in den zerklüfteten Fels geschlagen haben. Vor der Nebelwand erscheinen ihre Gestalten gespensterhaft, ihre verwachsenen, von Flechten umwucherten Äste enden in drohenden Klauen, ihre gewundenen Stämme gleichen den Leibern sich aufbäumender Drachen. Eine expressive Pinselkunst, die eine Atmosphäre des Unheimlichen schafft, des Vergänglichen, ja von Trostlosigkeit.

Li Cheng schreibt man die Erfindung solch grotesker Baumcharaktere zu. Im Gegensatz zu den Kiefern auf dem Bild in Taipei jedoch fehlt diesen das überzeugende organische Wachstum. Hier dominiert ihre Phantastik.

Buddhistischer Bergtempel an einem aufklarenden Tag

Nicht weniger bizarr, jedoch in einem freieren Pinselduktus, mit unglaublicher Verve hingeschrieben, sind ähnliche Baumwesen in einem gewaltigen Panorama: „Buddhistischer Bergtempel an einem aufklarenden Tag“ (Nelson Gallery, Kansas-City) .

Die dürren Äste greifen in dramatischer Gestik nach allen Seiten aus. Sie gleichen flüchtig hingeworfenen Schriftzeichen und zeugen von ungewöhnlicher Spontanität, die jedoch nirgends außer Kontrolle gerät. Dies gilt für den gesamten, festgefügten Bildaufbau.

Die Landschaft ist von einer herbstlich-kühlen Stimmung durchdrungen. Nebel steigen auf aus den Tiefen, der Himmel klart auf. Ein buddhistischer Tempel, überragt von einer Pagode, beherrscht von einem Felshügel aus ein Flusstal mit einigen Pavillons und Hütten, worin die Menschen, so klein sie sind, noch genau erkennbar bleiben. Einige sitzen bei der Mahlzeit oder im Gespräch, während Lastträger dem Weiler zustreben. Unten nähern sich ein Reiter und ein Fußwanderer einer Brücke. Sie führt ins Bild. So sehr der Tempel dominiert - als Angelpunkt der Komposition sitzt er genau im Bildzentrum - so unscheinbar wird er angesichts der kolossalen Felskegel, die sich fast senkrecht in unerreichbare Höhen auftürmen und das Tal sperren. Auch im räumlichen Sinne sitzt der Tempel in der Bildmitte, d. h. im Mittelgrund, der zugleich die Talmitte bildet. Alle Kompositionselemente sind um ihn herum angeordnet.

Dies weist wiederum auf das Raumbewusstsein des Malers: in klarer Staffelung hat er mehrere Bildebenen geschaffen, wobei der Blick nicht in endlose Fernen entweichen kann, sondern von den Bergmassiven des Bildhintergrundes aufgefangen wird. Wie selbstverständlich wird der Betrachter in die verschiedenen Raumzonen hineingeführt, ohne dass er bemerkt, welch gewaltige Abgründe er überspringt. Nähe und Ferne sind nicht nur durch die Art der Bildgliederung mit gleicher Intensität erfasst, sondern ebenso durch die Subtilität des Pinselvortrags. Das Handschriftliche dominiert. Innerhalb der sparsamen Umrisslinien, die zum Teil mit den Dingen nahezu verschmelzen, welche sie definieren, geben die Pinselzüge in meist senkrechten Strichlagen den Felsen kompakte Dichte, Volumen und Solidität. Zugleich gelangt mit den zarten Lavierungen der verdünnten Tusche eine duftige Atmosphäre ins Bild, die man zu „atmen“ glaubt. Dabei ist jedes Detail mit solcher Prägnanz ausgeführt, dass nichts im Ungewissen bleibt, selbst die fernen Wasserfälle hinter Dunstschleiern nicht.

Mit gleicher Präzision ist die Architektur behandelt. Tempel, Pavillons und Hütten sind wie mit dem Lineal gezeichnet. Im Gegensatz zu der allgemein üblichen Architekturdarstellung schräg von oben, sind die Gebäude hier zum Teil mit leichten Verschiebungen im Aufriss gezeigt. Dies stimmt mit der Kritik des Song-Autors Shen Gua (1030-93) überein, dass Li Cheng „Dachtraufen von unten“ gemalt habe siehe auch.

Dieses grandiose Werk, das keine Signatur trägt, kann man gleichsam als die Verkörperung der chinesischen Landschaftskunst ansehen. Es verwirklicht alle ihre Grundprinzipien.

Aus gewissen stilistischen Eigenheiten, wie zum Beispiel der schwungvollen, handschriftartigen Zeichnung des Astwerks, hat man auf die Entstehungszeit des Bildes im 11. Jahrhundert geschlossen. Damit stellt sich die Frage nach dem Künstler, die wohl nie beantwortet werden wird. Hier zeigt sich jedenfalls die Hand eines Meisters, dem der gleiche Rang gebührt wie den drei Großmeistern Guan Tong, Li Cheng und Fan Kuan.

Selbst, wenn es sich um eine Nachempfindung oder gar um eine Kopie handeln sollte: entscheidend ist die Machart, das „Wie“. Der „Bergtempel“ markiert einen Gipfel der chinesischen Landschaftskunst.

Fan Kuan

Von den Song-Kritikern immer wieder mit Li Cheng verglichen, war Fan Kuan (ca. 960-1030) der jüngste der großen Landschaftsmaler des 10. Jahrhunderts und eine der überragendsten Gestalten der chinesischen Kunst. Das bezeugen nicht nur damalige Autoren, sondern ist belegt durch eine Hängerolle in Taipei, auf der seine eigenhändige Signatur vor wenigen Jahren entdeckt wurde.

Er stammte aus Huayuan (Shaanxi), verbrachte eine Zeit in der Hauptstadt Kaifeng und zog sich später ins Zhongnan-Gebirge (Shaanxi) zurück, wo er Jahr um Jahr in der Bergwildnis umherzog. Sein Eigenname war Zhong Zheng, doch erhielt er den Beinamen Kuan (weit), was sich auf seinen weitherzigen Charakter wie auf die Dimensionen seiner Landschaften beziehen mochte. Er liebte den Wein und die Einsamkeit. Seine Umgangsformen sollen rauh und von bäurischer Natur gewesen sein. Diese Ungeschliffenheit entsprang vermutlich der Ablehnung gesellschaftlicher Normen, denn er legte keinerlei Staatsprüfungen ab. Dies passt zu seiner Weltsicht. Er war Daoist und richtete sein ganzes Bemühen auf ein tiefgreifendes Verständnis der Natur. Auf seinen Wanderungen studierte er die Erscheinungen mit größter Intensität: „Selbst bei Schnee und Mondschein lief er umher und beobachtete genau, was ihn zu inspirieren vermochte.“

Zu Beginn waren seine Vorbilder Jing Hao und Li Cheng, doch dann besann er sich: „Es ist besser, ich lerne von den Dingen selbst, als von Menschen. Ein noch besserer Lehrmeister jedoch als die Dinge, ist das Herz.“ (Vorwort zum Katalog der kaiserlichen Sammlung). Meinte er das Herz der Dinge oder das eigene Herz? Wohl beides: das innere Wesen der Dinge verstehen zu lernen und der eigenen Empfindung zu folgen. Ihm wird nachgesagt, er habe die Dinge ergriffen „wie sie wirklich sind“: „… man hat das Gefühl, als wandere man auf einem Pfad im Schatten der Berge und, so heiß es auch sein mag, man zittert vor Kälte …“ (Katalogvorwort). Und Mi Fu bescheinigt ihm, dass man in seinen Landschaften sogar „das Wasser hören“ könne. Moderne Autoren nennen dies den Realismus Fan Kuans, da es ihm offenbar gelang, solche Vorstellungen des Wirklichen bei den Betrachtern zu erzeugen. Ganz der daoistischen Naturauffassung entsprechend, ging es Fan Kuan nicht um ein äußeres Abbilden der Natur, nicht um „Realismus“, sondern um das Erfassen ihres lebendigen Wirkens, des Lebensatems siehe auch. Er sucht nach seinen Motiven, nicht um sie getreu nachzuahmen, sondern um „seine Gedanken auszudrücken.“ Er war „fähig, den Geist der Berge zu übertragen“. Nachschöpfung der Natur also, nicht Nachahmung. Hierin glich er ganz Li Cheng.

Die Unterschiede in Charakter und Stil ihrer Werke wurden von den Zeitgenossen deutlich wahrgenommen. Wir können sie heute nur schwer nachvollziehen, da beider Konzeptionen im Abstand der Jahrhunderte nahezu identisch wirken.

„In Li Chengs Bildern erscheint auch das Nahe 1.000 li entfernt, in Fan Kuans Bildern scheint sogar das Ferne greifbar nahe.“ „Li Cheng führte seine Bilder mit leichter Tusche (in zarten Tönen) aus wie in einem Traum. Seine Felsen sind wie wandernde Wolken … Sie wirken nicht wirklich (überzeugend). Fan Kuans Bilder erzeugen den Eindruck heroischer Kühnheit, aber sie sind dunkel wie eine Nacht bei abnehmendem Mond. Er macht keinen Unterschied zwischen Felsen und Erde. Der geheimnisvolle Adel, den er den Gegenständen verleiht, erhebt ihn gewiss über Li Cheng.“ (Mi Fu). Und Guo Ruoxu bemerkt, Fan Kuans Berge seien „massiv und wie Wesen“ siehe auch.

Reisende zwischen Strömen und Bergen

Es ist ein ungewöhnlicher Glücksfall, dass ein so einzigartiges Werk wie „Reisende zwischen Strömen und Bergen“ (Palastmuseum Taipei) erhalten geblieben und als echt erwiesen ist . Kaum eines der übrigen Fan Kuan zugeschriebenen Werke hält einen Vergleich mit ihm stand, ausgenommen vielleicht die nachtdunkle „Landschaft der Li-Berge“ im Art-Museum, Princeton. So zeigt beispielsweise der oft als Meisterwerk apostrophierte „Einsamen Tempel in schneebedeckten Bergen“, (Palast-Museum, Taipei), zwar eine imposante Komposition überschneiter Felsen, deren Aufbau auf Fan Kuan zurückgehen mag, deren ausdruckslose, unlebendige Konturen und deren manierierte, gleichmäßig undifferenzierte Anwendung der cun-Technik, sowie die substanzlose Weichheit des Gesteins die Hand eines weniger begabten Kopisten verrät.

Ganz anders das Bild „Reisende zwischen Strömen und Bergen“. Seine Gliederung ist von verblüffender Einfachheit und dadurch auch von räumlicher Klarheit, die deutlich drei Bildzonen unterscheidet. Unten ein horizontales Band aufgehäufter Felsbrocken: der Vordergrund. Es folgt ein schmaler Streifen, bestehend aus Fluss und Weg, wo unendlich winzig zwei Maultiertreiber mit ihren vier Tieren daher ziehen. Darüber baut sich der Mittelgrund auf, zwei baumbestandene Felshügel. Eine Kluft trennt sie, durch welche sich Wasserfälle ergießen, Abfluss eines dahinterliegenden Sees. Darüber hinweg führt ein Knüppeldamm. Ganz rechts, an der flacheren Hangseite des Hügels, drängen sich halb verdeckt die Pavillons eines Bergklosters. Auf die prachtvoll ornamentierten Dächer schaut man wie aus der Vogelperspektive herab. Durch Nebelschleier klar getrennt vom Mittelgrund, erhebt sich im Hintergrund eine ungeheure, plastisch gewölbte Felsmasse, die machtvoll nach oben drängt, übermächtig wie die Natur selbst. Sie füllt zwei Drittel des Bildes. Ihre mit Gestrüpp bewachsenen Gipfel lassen dem Himmel kaum Raum. In gewaltiger Höhe tritt ein Wasserfall wie eine feine Ader aus einer dunklen Bergspalte hervor und verschwindet tief unten im Dunst der aufsteigenden Gischt.

Im Vergleich mit Li Chengs „Bergtempel“ wirkt die Natur hier noch überwältigender. Mensch und Menschenwerk verschwinden vor ihr, ja, sie machen die Größe der Natur so erst anschaulich. Der ingeniösen Komposition entspricht die Ausführung. Ihr Detailreichtum bietet dem suchenden Auge immer wieder überraschende Entdeckungen. Die Fülle an präzise formulierten Einzelheiten wirkt jedoch niemals überladen oder ermüdend. Sie bleibt stets eingebunden in das übergeordnete Ganze des Bildorganismus. So sind zum Beispiel die Blätter der Bäume im Mittelgrund einzeln gezeichnet. Sie gruppieren sich zu unterschiedlichen Ornamenten und sind mit den knorrigen, kräftig konturierten Stämmen und dem Astwerk wie selbstverständlich verwoben. In gleicher Weise sind Tannen und Fichten auf dem Kamm des Hügels genau unterschieden. Ihre schwarzen Silhouetten bilden den stärksten Akzent, der die Mittelzone vom Hintergrund absetzt.

Die Prägnanz der Pinselschrift ist kaum zu übertreffen: nahezu die gesamte Bildfläche ist mit deutlich voneinander abgesetzten Pinselschlägen überzogen, die durchpulst sind von Lebendigkeit. Ihre changierenden Tonwerte klären vorne und hinten, erhaben und vertieft, Dunst und Gestein. In jedem dieser „Regentropfen-Tupfen“ (yu dian cun) spricht sich Empfindung aus, welche der Form des Objekts nachspürt. Im Unterschied zum „Bergtempel“, wo die cun in steilen, meist senkrechten Lagen gegeben sind, folgen sie hier dem Relief der Geländestruktur. Ihr Oszillieren verdichtet sich im Buschwerk der Gipfel zu einer pointillistischen Malweise. Die gleiche Lebendigkeit wirkt in den zackigen Konturen, die, je nach Form des Gegenstandes, an- und abschwellen, heller oder dunkler werden.

Werke dieser Art lassen ahnen, von welchem Rang die monumentale Landschaftsmalerei des 10. und des frühen 11. Jahrhunderts gewesen sein muss.

Die Strenge und Harschheit der Meister des Nordens, die Düsternis und heroische Einsamkeit ihrer Welt, duldete keine Farbe, allenfalls gewisse Tonwerte. Farbe vermag freundlichere Stimmungen auszudrücken, dekorativen Charme zu entfalten, eine lichtere Welt zu gestalten.

Dies blieb den Meistern des Südens vorbehalten.

Dong Yuan

In Nanking entwickelte sich um die Mitte des 10. Jahrhunderts neben dem Figurenstil eines Zhou Wenju und eines Gu Hongzhong, sowie der Blumenmalerei eines Xu Xi, am Hofe der Südlichen Tang-Dynastie (937-975) eine Landschaftsmalerei, deren Begründer und vermutlich bedeutendster Vertreter Dong Yuan war (ca. 900-962). Gebürtig aus Zhongling (Nanking, Jiangsu), scheint er seine Heimatprovinz nie verlassen zu haben. Offenbar war er kein Hofmaler, sondern betrieb seine Kunst neben seiner Stellung als Vizedirektor der kaiserlichen Gärten.

Zu Lebzeiten wenig bekannt, wuchs sein Ruhm erst unter den Yuan und den Ming, da sein Stil von den späteren Literatenmalern als unakademisch geschätzt wurde. Damals entstanden zahlreiche Kopien und Nachahmungen. Die meisten ihm traditionell zugeschriebenen Werke dürften aus dieser Zeit stammen. Während der Song-Dynastie war er zwar in der kaiserlichen Sammlung vertreten, jedoch nur von wenigen Kritikern geschätzt. Immerhin galt er Mi Fu als der größte Landschaftsmaler des 10. Jahrhunderts, den er sich zum Vorbild nahm, da sein Stil von „schlichter Natürlichkeit“ sei.

Nach Auskunft des kaiserlichen Katalogs befasste sich Dong Yuan nicht allein mit der Landschaft, sondern unter anderem auch mit Luohan-Figuren, Drachen und Büffeln. So unterschiedlich wie seine Themen, soll auch seine Malweise gewesen sein: mit „nasser“ Tusche, nach Art des Wang Wei siehe auch und in einem farbigen Stil nach Li Sixun“ siehe auch (Guo Ruoxu). Demzufolge soll er also in monochromer Tusche gearbeitet haben und im Blau-Grün-Stil der Tang-Zeit mit seinen flächigen, deckenden Farben und peinlich genauer Zeichnung. Von dieser letzteren Art gibt es kein Beispiel, das ihm zugeschrieben wurde. Dagegen sind einige Bildrollen erhalten, die von ihm stammen sollen, und die eine ganz anders geartete Farbigkeit besitzen. Darin verbindet sich eine Malerei fließender, verdünnter Tusche mit der Anwendung zarter, transparenter Töne, meist Grün, Blau, Rotbraun und Ocker. Diese Arbeiten entsprechen den alten Beschreibungen, wonach sie aus der Nähe nicht bemerkenswert erscheinen, im Abstand jedoch ihre Schönheit enthüllen: „im Abendlicht erscheint ein Dorf undeutlich in der Ferne …, während die Gipfel entfernter Klippen die Farbe (der untergehenden Sonne) über die Gegend werfen.“ (Shen Gua 1030-1093). Moderne Autoren haben diese verschwommene scheinbar „feucht in feucht“ ausgeführte Malweise gern impressionistisch genannt. In diesen Bildern geht es jedoch nicht um den Oberflächenreiz der Gegenstände, noch um ihre Auflösung zu Farbpartikeln im Spiel des Lichts. Was der Künstler vermitteln will, ist die dunstige, warmfeuchte Atmosphäre der Niederungen des Yangzi-Tals, die Wirkung weiter Blicke in nebelverhangene Ebenen, über Hügel und Berge mit dichter Vegetation, über Marschland und Flüsse. Die angewandte Technik verdünnter Tusche und hauchfeiner Farblavierung, welche den Formen jede Härte nimmt, sind die adäquaten Ausdrucksmittel dieser Welt.

Die Flüsse Xiao und Xiang

Das Fragment einer Querrolle des Palastmuseums in Peking besitzt alle Merkmale dieses Stils . Es weist einige altertümliche Züge auf, seine „kunstlose“ Einfachheit und unprätentiöse Sorgfalt deuten auf einen ausgezeichneten Maler der Epoche, wenn nicht gar auf den Meister selbst. In Stil und Thema verwandte Querrollen besitzen die Museen von Shanghai und Mukden (Liaoning). Die Shanghaier Arbeit, reicher an Motiven als die Pekinger, ähnelt dieser in Qualität und Ausführung so stark, als gehörten beide zusammen, während die Mukdener Rolle offensichtlich eine Kopie nach dem fehlenden Teil des Pekinger Fragments ist.

Sein heutiger Titel lautet: „Die Flüsse Xiao und Xiang“. Es soll den Zusammenfluss beider darstellen und bezieht sich auf eine Landschaft in Hunan, die als Werk Dong Yuans erwähnt wird. Eine ältere Interpretation aus dem 13. Jahrhundert sieht darin „Die Hochzeit des Flussgottes“, wonach in einer symbolischen Vermählung dem Fluss eine Jungfrau geopfert wurde.

Tatsächlich ist am (heutigen) Beginn der Querrolle scheinbar eine Zeremonie im Gange: Im Vordergrund rechts nähert sich eine weißgekleidete Frauengestalt dem Ufer, während sie sich zu zwei rotgekleideten Begleiterinnen umwendet. An der Spitze der Landzunge stehen fünf Musikanten, die sich einem herankommenden Boot zuwenden. Unter einem Ehrenschirm sitzt dort ein Mann, dessen rotes Gewand seine hohe Stellung anzeigt. Er wird begleitet von drei Untergebenen und zwei Bootsleuten. Weiter entfernt auf dem Fluss schwimmen mehrere Fischerboote. Am gegenüberliegenden Ufer sind einige Fischer dabei, ein ausgeworfenes Schleppnetz an Land zu ziehen. So winzig die Figürchen in der weiten Flusslandschaft erscheinen, sie sind, mit haarfeinem Pinsel gezeichnet, genau zu erkennen, ja sogar Haare, Kopfbedeckungen und Gewandfalten. In altertümlicher Manier ist die Kleidung mit deckenden Farben gemalt, in Weiß, Blau und Rot. Der Frieden einer abendlichen Stimmung, den das Bild ausstrahlt, ist für uns schwer in Einklang zu bringen mit der Darstellung eines Menschenopfers. Andererseits könnte der distanzierende, märchenhafte Ton, in welchem die mutmaßliche Geschichte hier erzählt wird, als Ausdruck für den harmonischen Zustand mit den Naturkräften gedeutet werden, der durch eine solche „Vermählung“ angestrebt wird.

Wie bei den Meistern des Nordens ist es jedoch die Landschaft, welche dominiert. Von rechts her, aus unbestimmbarer Ferne, tritt ein breiter, ruhig fließender Strom ins Bild. Nirgends ist seine weite Fläche gekräuselt. Das diesseitige Ufer ist durch einige flache Landzungen gekennzeichnet, teilweise mit Bambus und Riedgras bewachsen. Jeder Halm ist sorgfältig gezeichnet. Gegenüber steigt vom Flussufer aus eine Hügelkette an, deren äußerster Ausläufer Wasser und Himmel scheidet. Den sanften Hügeln vorgelagert ist eine waldbestandene Ebene, aus der sich ein schmaler Fluss schlängelt und in den großen Strom einmündet. Alle Bäume des Waldstücks und in Ufernähe sind einzeln wiedergegeben. Dagegen ist die ferne Vegetation auf den Höhen durch unzählige Tupfen dargestellt, die gleichzeitig Vertiefungen und Einschnitte anzeigen und die gerundeten Bergkuppen modellieren. Wo sie nicht angewendet sind, verdeutlichen langgezogene Pinselzüge die Geländeformationen und folgen ihrem Gefälle oder ihrer Horizontallagerung. Beide Strukturelemente gelten als Erfindung Dong Yuans und wurden später zu einem vielfach nachgeahmten Stilmittel, die sogenannten „Moospunkte“ (dian tai) und „Hanffaserstriche“ (pi ma cun).

Über die zarte Zeichnung ist eine hauchdünne Lasur von hellem Blau gelegt, die über dem gelbbraunen Grund den Charakter eines duftigen Blaugrüns annimmt. Die Einzelformen werden so leicht verwischt, zugleich aber wird das gesamte Panorama der Hügelkette tonig zusammengezogen. Die waagerechten Spuren der Übermalung sind dort noch erkennbar, wo sie die darunterliegende Zeichnung angelöst haben. Darüber sind anschließend mit dunklerer Tusche in Bäumen, Uferböschung, Schilf usw. graphische Akzente gesetzt. Das Ergebnis ist ein Landschaftsrelief von hohem Nuancenreichtum in einer schwerelosen, leicht dunstigen Atmosphäre. Verstärkt wird diese Wirkung dadurch, dass Himmel und Wasser nicht unterschieden sind: Sie bilden einen Bildgrund aus dem gleichen gelblichen Ockerton, vor dem die Landschaft zu schweben scheint. Trotz der erzielten atmosphärischen Distanzwerte wird kein wirklicher Tiefenraum erzeugt, ja er wird gar nicht angestrebt. Zwar entsteht ein Gefühl von Weite, aber die scheinbar noch so entfernt liegenden Landschaftsformationen entwickeln sich stets parallel zur Abwicklung der Querrolle, bleiben also immer auf die Bildfläche bezogen. Landzungen und Sandbänke unterstreichen dies: Sie erstrecken sich ausnahmslos horizontal.

Drachenbootfest

Das sogenannte Drachenbootfest „die Drachen rufen“, das eine Regenzeremonie darstellt (Palast-Museum Peking), ist nicht zuletzt wegen seiner Tiefenwirkung oft gepriesen worden . Ein Fluss, aus großer Höhe gesehen, auf dem tief unten die langgestreckten Boote schwimmen, windet sich zwischen Hügeln und Vorbergen hindurch und verliert sich zwischen den Ausläufern ferner Höhenzüge im hochgelegenen Horizont, als münde er in ein Meer. Auch hier sind es die zahlreichen waagerecht in den Fluss stoßenden Halbinseln und Landspitzen, welche die Parallelität zur Bildfläche betonen und einen Sog in die Tiefe verhindern. Nur allmählich wird das Auge in die fernen Bildzonen gelenkt, ohne sich jedoch in endlosen Tiefen zu verlieren. Die flächenbezogene Bildstruktur bleibt gewahrt. Der mächtige Bergrücken, der sich rechts entwickelt und bis unter die Horizontlinie ansteigt, steht in kraftvollem Gegensatz zu der Öffnung des Flusstals. Es ergibt sich eine spannungsvolle Balance von Negativ- und Positivform, von Horizontal- und Vertikalkräften, als deren Resultat die seltene Quadratform des Bildes erscheint.

Im Vergleich mit den Xiao- und Xiang-Rollen wirkt das Bild entwickelter, Bildaufbau und Details komplizierter, die Farben schwerer, die Formen kompakter. Es mag sich um eine spätere Nachschöpfung in der Art des Dong Yuan handeln. So großartig es in seiner Gesamtanlage ist, ihm fehlt die Schlichtheit und die atmosphärische Leichtigkeit dieser Rollen, wie wir sie mit dem Meister in Verbindung bringen.

Juran

Als Schüler und Nachfolger Dong Yuans wird der buddhistische Mönch Juran (tätig ca. 960-980) bezeichnet. Ob er noch persönlich von dem Meister unterrichtet wurde, oder ob er allein dessen Werke studierte, ist nicht gewiss. Er lebte im Kaiyuan-Kloster von Nanking. Im Gefolge des von den Song unterworfenen Kaisers der Südlichen Tang, Li Yun, kam er 975 nach Kaifeng, wo er blieb und in ein Kloster eintrat. Seine Malerei fand bald am Song-Hof Anklang. Sein Ruf verbreitete sich, und ihm wurden Wandgestaltungen anvertraut, von denen heute nichts mehr erhalten ist.

Den von Dong Yuan entwickelten Stil setzte er fort und damit eine Traditionslinie, die besonders in der Yuan- und Ming-Periode ihre Nachfolger fand, die „Dong-Ju-Tradition“.

Auf der Suche nach dem Dao in den herbstlichen Bergen

Von den wenigen erhaltenen Rollen, die mit ihm in Verbindung gebracht werden, und die sich in Konzeption und Ausführung weitgehend ähneln, scheint ein Werk seinem Stil am nächsten zu kommen, wie er aus Literatur, Kopien oder Nachahmung abzuleiten ist. “ Auf der Suche nach dem Dao in den herbstlichen Bergen“ (Palastmuseum, Taipei) stellt einen Bergriesen in die Bildmitte, der sich bis zum oberen Bildrand türmt und fast den gesamten Bildraum füllt . In zarten Sepia-, gelblichen und Ockertönen, akzentuiert von dunkelbraunen und dunkelgrünen Baumgruppen, bauen sich gleichartige, zuckerhutförmige Kegel auf, die im Kleinen die Gesamtform des Hauptmassivs wiederholen. Man nannte sie später „Alaunköpfe“ (fan tou). Die Lockerheit des Pinselvortrags, die feine Nuancierung der Tonwerte, die Rundung der Formen, die fast vollkommene Auflösung der Konturlinie, die punktförmige Formulierung von Buschwerk und ferner Vegetation (dian tai, „Moospunkte“), und nicht zuletzt die so erzeugte lyrische Stimmung verweisen auf Geist und Stilhaltung Dong Yuans.

Was an der „Suche nach dem Dao“ jedoch auffällt, ist die stärkere Verdeutlichung all dieser Bildmittel, was dem gesamten Bildgefüge die Wirkung größerer Abstraktion verleiht.

So folgen die langgezogenen „Hanffaser“-cun noch konsequenter und ausgeprägter dem Verlauf des Geländes. So steil es abfällt, es wirkt stets sanft gerundet, als sei es mit langem herabhängenden Gras bewachsen, ohne jedoch wirklich Gras darzustellen. An Einschnitten sind die welligen Streifen dunkler und dichter gelegt, sodass die gleichverlaufende Umrisslinie des davorstehenden Hügels völlig darin aufgeht. Kaum ein größerer Gegensatz ist denkbar zu den kantigen, deutlich akzentuierten Konturen eines Li Cheng oder Fan Kuan.

Diese bei aller Lebendigkeit relativ gleichmäßige cun, die sich über alle Abhänge und Felsformationen erstrecken, unterwerfen die verwirrende Vielfalt der Natur einem ordnenden Prinzip, in welchem die Vorstellung der Wirksamkeit einer metaphysischen Kraft zum Ausdruck kommt. Nur an wenigen Stellen fehlt dieses vereinheitlichende Stilmittel: im Wasser des Flusses und im Himmel, auf waagerechten Felsplateaus und unter den Strohdächern der Hütten, die versteckt in einer Schlucht kauern, und wo zwei Wahrheitssucher im Gespräch zusammensitzen.

Die im Vergleich mit einem natürlichen Bergmassiv rigide Veränderung strebt eine gliedernde Ordnung an, welche die Landschaft umwandelt zu einem Wesenhaften, zu einem „Landschaftswesen“. In der so entstehenden, festgefügten einheitlichen Komposition sind alle Elemente einer Ideallandschaft siehe auch enthalten.

Die ins Unerschließbare emporwachsende Berggestalt nimmt Züge des Numinosen an. Sie gleicht darin einem Kultbild.

Zhao Gan

Einer der Meister des Südens, entwickelte Zhao Gan (tätig ca. 961-975) einen gänzlich anders gearteten Landschaftsstil. Er lebte ebenfalls in Nanking und war Mitglied der Malerakademie. In der Tradition des Li Sixun stehend, verfolgte er die Möglichkeiten einer flächenhaften Farbigkeit, die jedoch der tonigen, monochromen Tuschemalerei näherstand, als der flächenhaft-dekorativen Tang-Kunst.

Erster Schnee auf dem Fluss

Die Handrolle „Erster Schnee auf dem Fluss“ im Palast-Museum von Taipei, die von Kaiser Huizongs Katalog Zhao Kan zugeschrieben wurde, entfaltet keine weiten Ausblicke, sondern einen gleichsam intimen Naturausschnitt, bei welchem der Horizont über dem oberen Bildrand liegt, und worin die Menschen keiner gewaltigen, übermächtigen Natur gegenüberstehen . Hier sind sie Akteure in einer Natur mit welcher ihr Leben verwoben ist: Fischer bei ihrer Arbeit auf dem Fluss, Reisende am Ufer oder in Booten. Durch knorrige Weiden und dürre Bäume, woran noch die letzten Blätter hängen, fegen leichte Böen, die Schilf, Riedgras und Bambus in eine Richtung biegen und das Wasser auf weiten Flächen kräuseln, während die ersten Schneeflocken in der Luft tanzen und sich die ersten weißen Flecke an Baumstämmen und Kähnen festsetzen. Feuchte und Kälte des einbrechenden Winters sind mit großer Einfühlung erfasst. Die trübe frostige Stimmung vermittelt nicht zuletzt die Behandlung der Farbe. Sie ist in großzügiger Flächigkeit angelegt: Graubraun für Wasser, hellere Ockertöne für Schilfinsel und Ufersaum, dazwischen einige gedämpfte Farbflecke als Lokalfarbe, etwa auf Kähnen, Sandbänken oder Kleidung.

Alles lebt jedoch von der mit spitzem Pinsel frisch hingesetzten Zeichnung, die sich wie ein feines Netz über die Farbzonen zieht und jede Einzelheit wiedergibt bis hin zu Flechtwerk oder Grashalmen.

Das illustrative Moment, welches die Menschen bei ihren Tätigkeiten und ihrem Verhalten mit teilnahmsvollem Humor beobachtet - wie etwa bei Gesten des Frierens u. a. - rückt das Werk in die Nähe der Tang-Landschaft, worin ja stets das Genrebild mitenthalten war. Mit der Erschließung eines einheitlichen Bildraumes, d. h. der Überwindung der alten Raumzellen und der Dominanz des zeichnerischen Elements, steht dieses liebenswürdige Werk auf der Höhe seiner Zeit und schlägt die Brücke zu jenen Song-Meistern, welche die Farbigkeit nicht völlig aus ihren Bildern verbannten.

Yan Wengui

Auch er stammte aus dem Süden, aus Wuxing (Zhejiang). Er diente als Soldat und kam später nach Kaifeng, wo er es zum „Maler in Aufwartung“ an der Akademie brachte. Zu seiner Zeit (967-1044) lebten auch Juran und Fan Kuan zeitweise in der Hauptstadt. Einflüsse beider sind in seinem Werk spürbar. Insofern stellt es eine Verbindung her zwischen der Malerei des Südens und dem Monumentalstil der Nord-Song. Es hatte eine gewisse Nachwirkung auf spätere Maler, wahrscheinlich auch auf Xu Daoning.

Die Behandlung offener Fernblicke, sowie von Bäumen und Baumwurzeln mögen auf die Dong-Juran-Linie zurückgehen, während seine senkrecht aufragenden Felstürme sich deutlich an der von Jing Hao ausgehenden Tradition orientieren.

Tempel zwischen Fluss und Bergen

Ein ausgeprägtes Beispiel seines Stils stellt eine Hängerolle des Palast-Museums in Taipei dar, „Tempel zwischen Fluss und Bergen“ . Die Oberflächen-Gestaltung nackter Felswände mit senkrechten cun und die pointillistische Vegetation auf den Gipfeln sind ganz nach Art des Fan Kuan ausgeführt. Jedoch Yans Malweise ist unruhiger und geht auf dramatische Hell-Dunkel-Effekte aus. Im Zusammenspiel mit der gezackten Konturlinie wird ein dynamischer Bildeindruck erreicht, der kalkuliert wirkt und nicht spontan. Denn er steht in merkwürdigem Widerspruch zu einem peniblen, gestochen scharfen Malvortrag, besonders in den Kleinformaten, dessen unerreichte Genauigkeit und Artistik in der Darstellung „nadelfeiner“ Details oft gerühmt wurde.

Xu Daoning

Eine malerische Naturbegabung, erfuhr Xu Daoning (ca.1000-1060) von Hause aus wohl keine künstlerische Ausbildung. Später nahm er Unterricht bei einem Akademiemaler, der im Stile Yan Wenguis arbeitete. In Hejian (Hebei) geboren, lebte er in Changan, wo er einen Arzneihandel betrieb und seinen Kunden selbstgemalte Bilder überließ, bis ein Minister sein Talent entdeckte und ihn mit der Ausmalung seines Hauses beauftragte. Obwohl er nicht zur gebildeten Klasse gehörte, weshalb Mi Fu wohl seine Kunst „vulgär“ genannt hat, gewann er an Ansehen. Sein wahrer Lehrmeister war Li Cheng, dessen Stil er studierte und nachzuahmen suchte, anfangs jedoch in einer etwas ängstlich pedantischen Malweise, worin vielleicht der indirekte Einfluss Yan Wenguis zu sehen ist. Im Alter ging es ihm nur noch um Einfachheit und um einen schnellen Malvorgang. Dies gibt dem, was man heute für sein Alterswerk hält, eine Frische im Vortrag, die in seltsamem Gegensatz steht zur Melancholie der Bildstimmung.

Fischers Abendlied

Beispielhaft dafür ist eine Querrolle der Nelson-Gallery, Kansas City: „Fischers Abendlied“ . Sie ist von so unverkennbarer Eigenart, dass man in diesem Fall der traditionellen Zuschreibung vertrauen möchte, da sonst kein Werk in vergleichbarer Handschrift existiert. In dieser Gebirgslandschaft herrscht eine solche Ödnis und Verlassenheit, dass man mit Überraschung die ameisenhaften Fischer in ihren Kähnen auf dem Fluss wahrnimmt, sowie einige Reisende. Ebenso die Spuren menschlicher Besiedlung, die schwer zu entdecken sind: einige Hütten, ein Pavillon und ganz ferne vielleicht ein Kloster. Ein Weg, der über schmale Dämme und zerbrechliche Stege führt, verschwindet und taucht wieder auf und bildet ein Leitmotiv für den wandernden Blick. In weitem, wellenartigen Rhythmus heben und senken sich die Berge. Die Mittelgruppe, am stärksten durch dunkle Lavierung akzentuiert, besteht aus senkrechten, gelegentlich überhängenden Felstürmen, die vom oberen Bildrand angeschnitten sind. Ihre Gesteinsschichtung, wie die der Uferböschungen, haben etwas Altertümliches und lassen an manche tangzeitliche Gebirgsdarstellungen denken. Von den spitzigen Gipfeln der Berge, die sich Kette um Kette hintereinander schichten, fallen die Berggrate in schwingenden Kurven zu Tal, summarisch, ohne genau beschriebene Einzelheiten. Ihre Silhouetten sind durch breit lavierte dunkle Umrisse betont, die mit der Konturlinie verschmelzen. Die Strukturierung von Berghängen und -wänden tritt dagegen zurück, zum Teil wird gänzlich auf Binnenzeichnung verzichtet. Ferne Bergzüge verschwinden so in winterlichen Nebelschleiern, nur ihre Spitzen bleiben deutlicher sichtbar. Die wenigen Bäume auf Kämmen und Gipfeln scheinen wie von Feuer verdorrt und verwüstet. Sie bestehen nur aus dürrem Geäst, die ferneren sind mit kargen, senkrechten Pinselstrichen angedeutet. Sie verstärken noch die trostlose Kahlheit dieser Bergwelt. Auf den Bergrändern angesiedelt, die sich zu spitzen Gipfeln aufschwingen, akzentuieren sie deren merkwürdig „gotische“ Wirkung.

Vielleicht noch entscheidender für die Eigenart dieses Werks sind die Raumöffnungen zwischen diesen Bergen. Wie von Gletschern ausgeschliffen sind die weiten Flusstäler, durch welche der Blick reicht bis zu den dunstverhangenen Bergketten, die den Bildhintergrund schließen. Hier wird das Wirken der Naturkräfte unmittelbar anschaulich, ein Panorama urzeitlicher Gewalten, fern jeder realistischen Anschauung. Die alten Raumnischen sind in einer großartigen Gesamtschau in einem zusammenhängenden Bildraum erfasst. Wenn es überhaupt Vorbilder dieser Landschaftsauffassung gab, dann sind sie in der südlichen Malerei zu suchen, möglicherweise übermittelt durch Yan Wengui oder durch unmittelbare Kenntnis der Südmeister. Aussage und Stimmung des Bildes aber gehen ganz auf im Geist der nördlichen Meister.

Krumme Bäume

Die übrigen Zuschreibungen unterscheiden sich so stark untereinander und von diesem Werk, dass sie allen Vermutungen offenstehen. Dennoch gibt es eine Hängerolle, die im Zusammenhang stehen könnte mit Xu Daoning oder zumindest seiner künstlerischen Auffassung: „Krumme Bäume“ im Palast-Museum, Taipei . Sie zeigt eine Gruppe fünf kahler, verwachsener Bäume in einer angedeuteten Felsenschlucht. Wenn auch die Behandlung der Felsen nicht übereinstimmt, umso mehr ähneln die vorderen Bäume des „Bergstroms“ jenen in Taipei. Die phantastischen Verwachsungen, welche die Einwirkung der Naturgewalten auf diese Baumcharaktere spüren lassen, „die Hand des Schicksals“, sind enge Verwandte der grotesken Baumgestalten auf dem Li Cheng zugeschriebenen Bild „Die Stele lesen“ siehe auch. Jedoch ist das Bild „Krumme Bäume“ mit weit größerer Bravour gemalt, mit einer Dramatik, die nicht nur im Sujet liegt, sondern im meisterhaften zeichnerischen Vortrag, in der „Pinselkraft“. Ein handschriftliches Detail, das von späteren Malern - oft etwas manieriert - übernommen wurde, verbindet jedoch diese Bäume mit anderen mutmaßlichen Li Chengs, wie dem „Bergtempel“ siehe auch oder „Angeln unter schneebedeckten Bäumen“. Auf all diesen Bildern sind die Bäume in einer sehr freien Pinselschrift formuliert. Die schwungvoll gekurvten Zweigenden laufen in knospenartigen Verdickungen aus, was den Bäumen trotz ihrer Dürre den Eindruck eines inneren Wachstums verleiht.

„Krumme Bäume“ gehört zu den eindrucksvollsten „Baumporträts“, der chinesischen Malerei, die an diesem Motiv nicht eben arm ist. Vielleicht haben wir in diesem Bild eine der Studien Xu Daonings nach Li Cheng vor uns, wenn auch - trotz eines späten kaiserlichen Siegels - kein verlässlicher Hinweis auf seine Urheberschaft vorliegt, außer den stilistischen Gründen und dem offenkundigen Alter des Bildes.

Guo Xi

Der bedeutendste Landschaftsmaler des 11. Jahrhunderts, ja einer der größten überhaupt, war Guo Xi (ca. 1020-1090). Geboren in Wenxian (Henan), wurde er schon früh an die Akademie von Kaifeng berufen, wo er als Assistent lehrte. Er war der erste wirklich bedeutende Landschaftsmaler, dem eine solche Position verliehen wurde. Dies zeigt, dass sich die Landschaftskunst, die ja zunächst nur von freien Künstlern betrieben wurde, nun offiziell durchgesetzt hatte.

Kaiser Shenzong (Reg. 1067-85) schätzte Guo Xi so sehr, dass er ihn mit der Bemalung von Stellschirmen und Wänden einer PalasthaIle beauftragte. Guos Wandbilder, die er auch in verschiedenen Tempeln ausführte, wurden von den Zeitgenossen aufs höchste bewundert. Dies ist umso bemerkenswerter, als solche Aufgaben zu jener Zeit eher von Handwerkskünstlern übernommen wurden. Es wird berichtet, dass er im Konfuzius-Tempel von Wenxian auf das grobe Relief roh verputzter Wände große Landschaften malte, indem er sich von den Buckeln und Vertiefungen, den Höckern und Rissen anregen ließ zu Bergen und Felsen, zu Flüssen und Bäumen. Die Erfindung dieser sogenannten „Schattenwände“ geht wahrscheinlich auf einen anderen Maler zurück, und sie wurden auch später nachgeahmt. Gerade aber die Handschrift Guo Xis und seine bewegte Phantasie scheinen prädestiniert gewesen zu sein für diese Art malerischen Vorgehens. Es erscheint aus heutiger Sicht ungewöhnlich modern: die gleiche assoziative Methode hat Max Ernst angewandt bei der Erfindung seiner „Frottagen“, wobei er Strukturen beliebigen Materials durch Reiben aufs Papier brachte und zum Bild weiterentwickelte. Von Guos Wandbildern ist heute nichts mehr erhalten. Die im Kaiserpalast wurden bereits unter Kaiser Huizong (Reg. 1101-1125) entfernt, also bald nach dem Tode des Künstlers.

Das gleiche Schicksal erfuhren dessen Rollbilder. Ein hoher Palastbeamter, der durch Zufall entdeckte, dass ein Handwerker zum Reinigen seines Arbeitstisches Werke Guo Xis benutzte, da sie beim Abfall gelegen hatten, erbat sich diese vom Kaiser und erhielt eine ganze Wagenladung mit Gemälden des Meisters. Da Guo Xi auf diese Weise außer Mode kam, folgten offenbar zahlreiche Sammler dem kaiserlichen Beispiel. Dies dürfte ein wesentlicher Grund sein, weshalb heute kaum noch Werke Guos existieren, die Anspruch auf Authentizität erheben können, trotz einer immensen Produktion, die er hinterlassen haben muss. Dennoch blieb sein Werk von nachhaltiger Wirkung auf spätere Künstlergenerationen. Dieser Einfluss geht nicht allein auf sein künstlerisches Oeuvre zurück, sondern auch auf eine kunsttheoretische Schrift, die von seinem Sohn, Guo Si, herausgegeben wurde: „Die erhabene Botschaft von Wäldern und Flüssen“ siehe auch. Es ist eine kommentierte Kompilation von Guo Xis Gedanken über Landschaftsmalerei, seine Arbeitsweise und über Maltechniken. Außerdem enthält der Traktat Beschreibungen von Bildern Guo Xis und Anekdoten über Maler und Malerei. Guo Xi folgt grundsätzlich den Anschauungen Zong Bings siehe auch und Jing Haos siehe auch über das Ziel der Landschaftsmalerei, den Betrachter in seiner Vorstellung in die dargestellte Landschaft zu versetzen, „als sei er wirklich in diesen Bergen“. Diese suggestive Kraft eines Bildwerks, welche auch die Mitarbeit des kennerischen Betrachters fordert, hat nichts mit einer realistischen Bildsprache zu tun, wie immer wieder behauptet wird, als vielmehr mit einem Vorgang, der als eine Art Magie aufgefasst wurde, modern ausgedrückt: mit psychologischer Übertragung. Guo Xi setzt die Jahreszeit, in welcher eine Landschaft gezeigt wird, in Beziehung mit den Stimmungen der Menschen. Die Erweckung von Empfindungen ist also die Aufgabe eines wahren Kunstwerks. Es ist keine Rede von realistischen Bildmitteln, womit solche Gefühle erreicht werden. Allein der Blick auf den für Guo Xi typisch geltenden Landschaftsstil widerlegt die verbreitete Ansicht von Guo Xis „Realismus“.

Zum ersten Mal wird in dem Essay der Raumbegriff einer mehrhundertjährigen Tradition der Landschaftsmalerei in den „Drei Entfernungen“ (san yuan) theoretisch formuliert siehe auch. Diese Raumauffassung blieb grundsätzlich gültig bis in die Neuzeit.

Das Zurückweichen des Raumes - das heißt der verschiedenen Raumebenen - in dunstige Fernen erreichte er in seinen eigenen Werken mit einer fein abgestuften Laviertechnik, wobei die entfernter liegenden Zonen in zunehmend dünnerem Tuscheauftrag beschrieben werden. Die Wirkung der so entstehenden „Luftperspektive“ gewinnt er unter Verzicht auf deutlich abgesetzte cun. Er begründet dies mit der Beobachtung, dass die Gesichter der Menschen in der Ferne ja ebenfalls verschwinden. Wie die einzelnen Gegenstände, mussten sich auch die Pinselstriche in größerer Distanz auflösen. Er folgte darin nicht seinem Vorbild Li Cheng, sondern eher der Methode des Xu Daoning.

Wie dieser, vermeidet auch Guo Xi die schwarze Konturlinie. Die Umrisse seiner Berge und Felsen tuscht er in fließender Lavierung, wo nötig, verstärkt durch Vegetationsstrukturen. Nur näherstehende Bäume oder Steine erhalten festere Konturen und ein schwarzes Liniengefüge.

Früher Frühling

Die vermutlich originale Hängerolle „Früher Frühling“ siehe auch, die seine Signatur trägt und 1072 datiert ist (Palastmuseum Taipei), zeigt die subjektive Haltung, in welcher er die Natur interpretiert . Die Felsballungen und Felsüberhänge sind hier noch unwahrscheinlicher als bei Guan Tong siehe auch, dessen „Warten auf die Fähre“ als Modell gedient haben könnte, so sehr gleicht es dem „Vorfrühling“ im Aufbau: die gleiche zentrale Bildachse als Wirbelsäule, von den baumbestandenen Felsen im Vordergrund bis hinauf zum höchsten Gipfel, der Tiefenblick links, Felseinschnitt und Wasserfall rechts, Wasserflächen, die sich zu beiden Seiten am unteren Bildrand sammeln u. a. m. Aber welch ein Wandel bei Guo Xi! Weit zutreffender als für Li Cheng wäre hier Mi Fus Bemerkung, dieser habe „Felsen wie Wolken“ gemalt. Der zentrale Felsstock schwebt hoch in der Luft, ohne geschlossenen Umriss, abgetrennt durch dichte Nebelschleier von den aufgetürmten Gesteinsformationen des Vordergrundes, die den „Bildeingang“ sperren. Aber diese Felsbrocken sind seltsam unkörperlich, trotz ihrer Aufwerfungen und dunkler Spalten. Durch die Betonung der Umrisse mit saftiger, breiter Lavierung, wobei die Konturlinien oft in den tiefen Schwärzen der Einschnitte verschwinden, wird dem Gestein Volumen entzogen. Dagegen wirken Guan Tongs Felsen geradezu fest und solide.

Die Dominanz linearer Strukturen verleiht dem Bild einen hohen Grad an Abstraktion. Es ist allein der züngelnde Duktus der Handschrift, der die Einheit des Bildgewebes gewährleistet, indem er alle seine Teile erfasst. In vibrierender Unruhe umschreibt er die grotesk geformten Felsblöcke, ein drängendes Wachstum der Natur in den Formen signalisierend. Ebenso mit flackernden Umrissen erfasst sind die zum Teil bizarr gewundenen Bäume, die zuweilen in phantastischer Weise von den Felsen herabhängen. Mit ihrem krallenartigen „Krebsscheren“-Astwerk sind sie von der gleichen Expressivität wie die Baum-Charaktere Li Chengs und Xu Daonings.

Ebenso unrealistisch ist die Raumgliederung. So der abrupte Übergang von dem überhängenden Felsturm links in ein fernes, konkav ausgeschliffenes Tal: die Tiefengliederung ist der bewegten Umrisszeichnung klar untergeordnet.

Diese Interpretation einer Landschaft als ein packendes Schauspiel dramatischen Naturgeschehens spielt sich auf dem höchsten denkbaren Niveau einer abstrahierenden Bildsprache ab, auf dem schmalen Grat zwischen den Abgründen von Subjektivismus und Realitätshörigkeit.

Mit diesem Werk war ein weiterer Höhepunkt der Landschaftskunst erreicht, der in dieser Richtung nicht mehr überschritten wurde. Es ist das letzte uns bekannte Werk des monumentalen Landschaftsstils.

Aufklarender Herbsthimmel über Bergen und Tälern

Von gleicher Stilhaltung und souveräner Handschrift, jedoch weniger dramatisch, sondern lyrisch gemildert, ist eine Guo Xi zugeschriebene Handrolle der Freer-Gallery, Washington: „Aufklarender Herbsthimmel über Bergen und Tälern“. Hierin erscheint er als Meister zartester Stimmungen und weitschweifender Fernblicke .

Zumindest in dem Bild „Vorfrühling“ zeigt sich Guo Xi ferner von jedem Naturalismus als seine Vorgänger. Er fasste deren Errungenschaften zusammen und unterstellte sie einem subjektiven Ausdruck. Dies mochte der Grund sein, weshalb Kaiser Huizong später die Bilder Guo Xis missachtet hat. Während er Li Cheng über alles liebte, muss ihn der betonte Individualismus Guo Xis abgestoßen haben. Dessen individuelle künstlerische Sprache war jedoch nicht Selbstzweck, sondern Mittel, den „Lebensatem“ zu ergreifen, wie es schon die Alten forderten. Das innere Drängen der Erdkräfte erfassend, dynamisierte er das Bild der Natur, welche ein Fan Kuan oder ein Jing Hao als ewig unveränderlich, statisch, unerschütterlich aufgefasst hatten.

Indem Guo Xi die Gestaltungsmittel der älteren Landschaftskunst umprägte zu einer neuen, persönlichen Ausdrucksweise, bahnte er den Weg für einen zunehmenden Subjektivismus.

Li Tang

Einer der bedeutendsten Landschaftsmaler der späten Nord-Song-Zeit, dessen Einfluss auf die Malerei der Süd-Song bestimmend werden sollte, war der aus Hoyang (Honan) stammende Li Tang (1049-1130). Von Kaiser Huizong als Landschafts- wie als Figurenmaler favorisiert, wurde er an die Akademie von Kaifeng berufen. In hohem Alter erlebte er die Zerstörung und Plünderung der Stadt 1126 durch die Jin. Nach Gründung der „provisorischen“ Hauptstadt Hangzhou durch Kaiser Gaozong der Südlichen Song-Dynastie siehe auch, kam Li Tang nach Hangzhou, wo ihn der Kaiser zum ersten Direktor der neugegründeten Akademie berief und ihm den „Goldenen Gürtel“ verlieh.

Raunende Kiefern in tausend Schluchten

„Raunende Kiefern in tausend Schluchten“ (Palastmuseum, Taipei), signiert und datiert 1124 auf einer Felsnadel des Hintergrundes, ist das einzige erhaltene und noch dazu kaum umstrittene Werk aus Li Tangs Nord-Song-Periode . Darin greift er noch einmal den heroischen Landschaftsstil der älteren Meister auf. Insbesondere Fan Kuan wirkte hier als Vorbild in Aufbau und mancherlei Details: ein schroff aufsteigender Felsstock als zentrale Bildachse, Felsstürze zu beiden Seiten, getrennt durch tiefe Einschnitte, in welchen sich fadendünne Kaskaden den Weg zu Tal suchen, um sich dort in einem Wildbach zu vereinen, der einen felsigen Hügel umfließt, wo knorrige Kiefern ihre Wurzeln ins Gestein krallen. An Fan Kuan erinnert die Art, wie die ferneren Bäume sich gegen Nebelbänke absetzen und das niedere Baum- und Buschwerk auf den Gipfeln. Und ebenso wie bei Fan Kuan gibt es keinen Fernblick. Raumtiefe wird mit Hilfe einer entfernteren Bergspitze suggeriert, die rechts im Dunst angedeutet ist, und mit einigen nadelspitzen Zinnen, die allerdings in dieser Form bei Fan Kuan nicht auftauchen und vielleicht eine Erfindung Li Tangs sind.

Und dennoch ist ein wesentlicher Wandel in der Natur-Anschauung eingetreten und also auch in der Bildkonzeption. Felsen und Bäume sind näher gerückt, der Bildausschnitt ist intimer gefasst. Die „flache Distanz“, mit dem tiefen Horizont und die Barriere des Hintergrunds evozieren den Eindruck idyllischer Abgeschlossenheit, da sich der Beschauer durch den Blickwinkel in die Nähe, ja in die Schlucht hineinversetzt sieht. Die Konzentration auf einen Landschaftsausschnitt bewirkt, dass das Gesamte mit einem Blick erfasst werden kann, der Betrachter wird nicht mehr umhergeführt, er wandert nicht mehr im Bild umher, die subjektive Sicht des Malers lädt ihn ein zu Ruhe und Beschaulichkeit in die Intimität der Einsamkeit. Keine Spuren menschlichen Wirkens stören die Stimmung absoluter Unberührtheit und Stille. Die Laute, welche hier vernehmbar sein mögen, sind das Murmeln des Wildbaches und das Rauschen des Windes in den Kiefern, wie der Titel es suggeriert. Gestein und Vegetation sind in dichter Textur gegeben und in einer dunklen Tonigkeit zusammengeschlossen. Der Gegensatz des detailliert durchgeführten Vordergrundes zu den entfernteren Bildzonen wird kontrastreich herausgearbeitet mit Hilfe von klar umrissenen weißen Wolkenballen, die aus dem Nebeldunst der Ferne hervortretend, sich zwischen vordere und mittlere Felsklötze und Bäume schieben. Diese scharfe Kontrastierung von Hell-Dunkel, also von dunkler Nähe und lichter Ferne, ist ein Stilmittel, das in der Landschaftsmalerei der Süd-Song eine bedeutende Rolle spielen sollte. Die eher grafische als malerische Wirkung der Ma-Xia-Schule siehe auch deutet sich bereits hier an.

Ebenso einflussreich war die Methode Li Tangs, die Gesteinsoberfläche darzustellen: mit schräg gehaltenem breiten Pinsel und teils halbtrockener, teils verdünnter Tusche formte er Felsstrukturen, die Spuren von Axthieben im Holz gleichen: die „Axthiebstriche“ (fu pi cun). Bei dieser Art gerissenem, breiten Pinselstrich schimmert zum Teil der Bildgrund hindurch, wenn sich die Pinselhaare spreizen. Dieses „überflogene Weiß“, (fei bai), das auch in der Kalligraphie Anwendung fand, gibt dem Fels die Wirkung einer feuchten Oberfläche, auf welcher das Licht spielt. Damit schuf Li ein künstlerisches Paradoxon: mit Hilfe tiefster Schwärze gelang es ihm, den Eindruck von Licht hervorzurufen, ohne allerdings damit eine Lichtquelle zu definieren. Auch dies ein Vorgang der Abstrahierung vom Naturvorbild, der, ebenso wie die starke Stilisierung der Gesteinsstrukturen mit Hilfe der Axthieb-cun, wenig zu tun hat mit einem immer wieder beschworenen Realismus, den man dieser Landschaftsmalerei unterstellt.

Schlucht mit Wasserfall und Herbstliche Landschaft

Von einer gänzlich anderen künstlerischen Haltung zeugen zwei Hängerollen des Daitokuji, Kyoto, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Hand Li Tangs stammen . Auf einer von ihnen, die eine Schlucht mit Wasserfall darstellt, wurde eine getilgte Signatur Li Tangs wiederentdeckt. Die andere zeigt eine „Herbstliche Landschaft“ mit Kiefern im Vordergrund und einem Wildbach zwischen steil aufragenden Felswänden. Diesen beiden Landschaften fehlen die Schwere und Schroffheit des Kiefernbildes, dessen kompakte Felsmassen. Tatsächlich nehmen sie den Malstil der südlichen Schule voraus, wie er Ende des 12. Jahrhunderts geübt wurde: breite, zart abgestufte Lavierungen, eine lockere Anwendung der Axthieb-cun, sparsamer Einsatz der Tusche, Aufhellung der „Palette“ und damit größere Duftigkeit und Leichtigkeit. Obwohl hier wieder Menschenfiguren auftauchen, winzig im Vergleich zur umgebenden Natur, fehlt diesen Bildern das wesentliche Merkmal der Nord-Song-Landschaften: die Monumentalität. Dies liegt nicht zuletzt an dem verengten Naturausschnitt. Die menschliche Figur, so klein sie hier noch sein mag, wird zum Bezugspunkt. Sie wird zum Empfindungsträger dessen, was mehr und mehr Ziel der künstlerischen Aussage wurde: lyrische Stimmungen, die sich in den Landschaften spiegeln.

Handelt es sich tatsächlich um Arbeiten Li Tangs, so sind sie zweifellos in der Atmosphäre des Südens entstanden, sowohl was die lieblichere Umwelt betrifft als auch das kulturelle Klima, welches eher weltabgewandt war und sich gerne dem Lyrischen zuneigte. Einem großen Meister ist ein solcher Wandel zu einem Altersstil von souveräner Leichtigkeit und Heiterkeit, woraus ja wohl auch Weisheit spricht, durchaus zuzutrauen.

Dennoch mochte er die politische Wirklichkeit seiner Epoche kritisch beobachtet haben. So jedenfalls lässt sich ein signiertes Werk im Palast Museum Peking interpretieren, das ihn als Meister menschlicher Figurengestaltung zeigt.

Kräuter sammeln

Dargestellt sind zwei bärtige Männer, einfach gekleidet, inmitten einer Wildnis im Gespräch begriffen. Korb und Grabstock weisen auf ein Leben in Armut und Not hin: sie nähren sich von Kräutern . Es ist die Geschichte der tugendhaften Brüder Boyi und Shuqi. Als Erben eines Fürstentums zur Shang-Zeit, wollte keiner dem anderen den Thron streitig machen, und so verzichteten beide. Sie verließen ihr Land und gingen an den Hof des Herzogs von Zhou, den sie für einen gerechten Herrscher hielten. Als jedoch Fürst Wu von Zhou gegen die Shang zog, sie vernichtete und seine eigene Dynastie gründete, wollten die Brüder eher in der Wildnis leben, als die Gastlichkeit eines Gewaltherrschers in Anspruch zu nehmen. So zogen sie sich in die Bergeinsamkeit zurück, sie nährten sich von Wildkräutern und starben, verzweifelt an der Ungerechtigkeit der Weltordnung, an Hunger und Entbehrung.

Die Komponenten Mensch und Landschaft befinden sich auf dieser Querrolle in perfektem Gleichgewicht, sowohl was ihre Größenordnung angeht wie den Bedeutungsgehalt. Die Gestalten der Brüder bilden das Zentrum des Kompositionsablaufs. Zugleich aber ist die sie umgebende Natur nicht Folie oder Szenenhintergrund, sondern mit gleicher Sorgfalt dargestellt und von der gleichen Eigenständigkeit wie die beiden Männer. Sie sitzen auf einer Felsplattform hoch über einem Flusstal, das sich links unter einem senkrechten Felsabbruch öffnet und sich hinter den Blättern eines überhängenden Baumes in der dunstigen Ferne verliert. Wenige Pinselzüge in leichtem flüssigen Lavis genügen, diesen Eindruck zu vermitteln. Von der gleichen Prägnanz wie die Gliederung der räumlichen Situation - Plattform, Felswände, Tal - sind auch die einzelnen Landschaftselemente wie Gräser, Wurzeln, Schlinggewächse. Die Bäume sind ebenso als eigene Wesen charakterisiert wie die Menschen.

Die zurückhaltende, fast monochrom wirkende Tonigkeit in leichten Grün- und Braunwerten ist ganz dem Zeichnerischen unterstellt. Die Pinseltechnik ist mit souveräner Virtuosität gehandhabt, jeweils den Gegenständen angemessen: breite Axthieb-cun für die Felsen, dicke kalligraphische Konturen für Felsränder und Baumstämme, feinere für Gewächse, Äste und Blattwerk. Mit spitzem Pinsel sind die Gewandfalten gegeben, mit zarten Linien Gesichter und Gliedmaßen, Augenbrauen, alles jedoch in flüssiger Leichtigkeit, ohne die geringste Pedanterie.

Trotz dieser unterschiedlichen Behandlung ist eine vollkommene Einheit erreicht, dank der gleichmäßig durchgehaltenen Kraft und Festigkeit der Pinselführung.

Ausdruck und Haltung der Männer sind treffend geschildert: Würde und Ernst liegen in den sprechenden Gesten des einen und im gesammelten Zuhören des anderen. Ihre ausweglose Lage wird nicht dramatisiert. Vielleicht ist es diese stoische Ruhe der beiden Brüder und ihre Standhaftigkeit angesichts eines drohenden Schicksals, was Li Tang seinen Zeitgenossen in diesem Meisterwerk beispielhaft vor Augen führen wollte.

Zhang Zeduan

Ein Künstler, von dem nur ein einziges Werk bekannt ist, womit er jedoch einen bedeutenden Platz in der Landschaftsmalerei einnimmt, war Zhang Zeduan (tätig Anfang des 12. Jhds.). Das wenige, was über ihn bekannt ist, wissen wir von den vierzehn Kolophonen, die dem Bild mit der Zeit beigegeben worden sind und dessen Bedeutung schon dadurch gekennzeichnet ist, dass es siebenunddreißig bisher bekannte Nachahmungen gibt.

Zhang Zeduan stammte aus Shandong und wirkte unter Huizong als Daizhao an der Hanlin-Akademie in Kaifeng kurz vor dem Fall der Stadt. Er war auf vielen Gebieten der Malerei versiert, die normalerweise nur von Spezialisten bearbeitet wurden: Landschaft, Architektur, Pflanzen, Tiere und Menschen.

Flussaufwärts zum Frühlingsfest

Diese breitgefächerte Könnerschaft erweist sich auch in dem erhaltenen Werk. Die Querrolle „Flussaufwärts zum Frühlingsfest“ (Palastmuseum, Peking) war einst im Besitz des Kaisers Huizong, dessen Geschmack es wegen seiner detaillierten Genauigkeit getroffen haben muss . Es ist mit Tusche und leichten Farben auf Seide gemalt, jedoch die Zeichnung herrscht vor. Das Bild beginnt mit einer stillen ländlichen Szenerie. Eine flache, in der Ferne dunstige Landschaft, von einem schmalen Gewässer durchflossen, mit einigen Baumgruppen, deren kahles Geäst die frühe Jahreszeit anzeigt, während die Uferweiden einen Flaum erster zarter Blattsprossen tragen. Zwischen den Bäumen liegen einzelne Gehöfte, wie im Schlaf befangen, denn dort rührt sich kein Leben. Nur ein Eselstreiber zieht einsam mit seinen Lasttieren vorbei auf dem Weg in die Stadt. Es ist die Zeit der Neuanpflanzung, der Aussaat und der Gräberpflege. Allmählich begegnen uns Ausflügler zu Fuß, auf Esel oder Pferd reitend, eine Sänfte in Begleitung Bedienter. Sie mögen zu den Gräbern der Ahnen ziehen oder von da zurückkehren.

Je mehr wir uns der Stadt nähern, umso belebter wird die Szene, so, wie mit dem weiterwandernden Blick der Morgen fortschreitet und die Menschen zu ihrem Tagwerk eilen: eine Wanderung durch Raum und Zeit. Vorbei an den ersten Hütten der Vorstadt, gelangen wir wieder zu dem Wasserlauf, der, nun schiffbar, als Fluss breit dahinfließt. Boote und Lastkähne aller Größen tummeln sich auf ihm, statt der Hütten finden sich Häuser, die sich dicht am Ufer drängen, während ein lebhaftes Menschengetriebe durch die Straßen zieht. Wir schauen in Kaufläden und Gasthäuser und passieren eine Brücke über die ein wimmelnder Menschenstrom zieht. Mit ingenieurmäßiger Sachkenntnis ist die Konstruktion des weitgespannten Bogens in allen Einzelheiten wiedergegeben. Davor sucht die Mannschaft eines schweren Lastkahns aufgeregt das von der Strömung erfasste quertreibende Fahrzeug unter der Brücke hindurchzumanövrieren, unter den Zurufen der heftig gestikulierenden Zuschauer. Ein dramatischer Akzent im rhythmischen Ablauf des Bildgeschehens. Der Fluss biegt ab, und nach einem weiteren Intervall aus belebten Straßen und Alleen ein neuer Höhepunkt: das Stadttor. Gleich einem Gongschlag führt es ein in den letzten Satz der Komposition, in die Innenstadt mit stattlichen Häusern, Gasthöfen, Portalen, Tempeln und Pavillons. Durch den imposanten Ziegelbau zieht soeben eine Kamelkarawane. Er ist von einer prächtigen Holzhalle gekrönt, durch deren offene Tür eine Signaltrommel zu erkennen ist. Mit der gleichen Detailtreue sind auch alle anderen Einzelheiten liebevoll beschrieben: Lasten- und Sänftenträger, Beamte, Kaufleute, Mönche, Eselskarren, Reiter - eine unendliche Fülle von Gestalten und Gegenständen, zu immer neuen Entdeckungen und zum Umherspazieren im Bilde einladend. Mensch und Tier sind in ihren Eigenarten mit Humor und Einfühlung geschildert, manchmal mit Zügen leicht karikierender Übertreibung, wie es schon die Künstler der Han-Zeit liebten. Hier schaut ein Satiriker mit mildem Lächeln auf seine Welt.

Es gibt keine anschaulichere Schilderung, keine meisterhaftere Illustration des Lebens in einer Stadt des 12. Jahrhunderts, in diesem Falle vermutlich des alten Bianjing (Kaifeng). Wenn man den Begriff „Realismus“ auf ein Werk der chinesischen Landschaftsmalerei anwenden will, dann wäre dies hier noch am ehesten gerechtfertigt. Dennoch: auch die Gegenstände Zhang Zeduans nehmen niemals Materiecharakter an, sie bleiben Zeichnung und gehen nicht auf die Stofflichkeit der Dinge ein. Ebensowenig „realistisch“ ist die Raumdarstellung. Niemals wird die rhythmische Abfolge des Dargestellten durch einen Vorstoß in den Tiefenraum durchbrochen, die Abwicklung in der Fläche nirgends durchstoßen.

Durch den Ablauf der Querrolle gezwungen, setzte der Maler immer neue Fluchtpunkte mit unterschiedlich verlaufenden Parallelperspektiven. Dennoch erscheint, wie durch ein Teleobjektiv von einem erhöhten Standpunkt aus gesehen, die Anordnung der Gegenstände von jedem Gesichtswinkel aus „richtig“.

Es ist die vervielfachte Anwendung des Prinzips von Guo Xis „3 Entfernungen“. Den Eindruck von Nähe und Ferne erreicht Zhang durch das Spiel mit den unterschiedlichen Größen der Gegenstände. Was den Eindruck einer realistischen Darstellungsweise hervorruft, ist die ungemeine Genauigkeit der Gegenstands-Beschreibung, welche objektiviert. Die persönliche Handschrift ist stark zurückgenommen. Die selektive, subjektive Sicht, welche weglässt, was sie stört, gestattet sich der Künstler nicht. Ihm ist alles darstellenswert in seinem Umkreis, und er nähert sich dem Leben und den Dingen als scharfer Beobachter, doch mit liebevoller Zuneigung.

Mi Fu (Mi Fei)

Kein größerer Gegensatz in der künstlerischen Konzeption zu Zhang Zeduan ist denkbar - und wohl auch in Charakter und Temperament - als der zu dem Individualisten Mi Fu (1051-1107). Geboren in Xiangyang (Hubei) als Sohn einer Adelsfamilie - der Vater war hoher Militärbeamter, die Mutter Hofdame der Kaiserin - genoss er eine hervorragende Erziehung und war so für eine Beamtenlaufbahn prädestiniert. Er hatte später auch verschiedene Stellungen inne, die er mit Sachkenntnis und Effektivität verwaltet haben soll, jedoch sein kritischer Geist und seine Offenheit fanden wenig Gegenliebe bei seinen Vorgesetzten. Hinzu kam seine Gegnerschaft zu der Reformpartei Wang Anshis siehe auch. So erklärt sich sein häufiger Ämterwechsel. Erst in späteren Jahren stieg er dauerhaft zu hohen Positionen auf, zunächst als Sekretär des Ritenministeriums und zuletzt als Militärgouverneur von Huaiyang (Jiangsu).

In zahlreichen Anekdoten ist sein außerordentlich exzentrischer Charakter überliefert. Er liebte einsame Wanderungen, auf welchen er die Schönheiten der südchinesischen Landschaften in sich aufnahm. Er kleidete sich im Stile der Tang-Zeit, was auf seine Zeitgenossen einen grotesken Eindruck gemacht hat, so etwa, wie wenn heute jemand in Barockgewändern durch die Straßen liefe. Wie in seiner Kleidung, manifestierte er auch in seinem Betragen sein unabhängiges, gegen die Konvention gerichtetes Wesen. So grüßte er respektvoll einen besonders geformten Felsblock seines Gartens als seinen „älteren Bruder“ siehe auch wegen seiner Kraft, Eigenart und Beständigkeit. Und nicht einmal ein Minister durfte alte Schrift- oder Bildrollen seiner wertvollen Sammlung berühren, aus Furcht, er könnte die Kostbarkeiten beschmutzen, wie überhaupt Mi Fu von Reinlichkeit geradezu besessen war. Ein sauberes Gefäß mit frischem Wasser musste stets in seiner Nähe stehen. Die besten Stücke seiner Sammlung zeigte er nur ausgewählten Personen, von deren Kennerschaft er überzeugt war. Leute, denen er weniger Kunstverstand zutraute, bekamen nur Exemplare geringerer Qualität zu Gesicht. In seinen Schriften machte er sich lustig über reiche Leute, welche Kunstwerke nach „großen Namen“ kauften und nicht nach Qualität, ein noch heute höchst aktuelles Problem.

Seine Kollektion muss zu den besten der Zeit gehört haben. Das reiche Material, das er mit scharfsichtiger Kennerschaft zusammengetragen hat, diente als Grundlage für seine bedeutende theoretische Schrift „Geschichte der Malerei“ (Hua Shi).

Er beschreibt darin nur Werke, die er aus eigener Anschauung kannte. Er verließ sich nie allein auf literarische Quellen. Nur wenige Zeitgenossen oder unmittelbare Vorgänger fanden Gnade vor seinem kritischen, oft wenig ausgewogenen Urteil und seinen Sarkasmen. Von einigen der Zeitgenossen meinte er, man könne sie an die Wand hängen, aber wenige davon seien genug. Andere, wie z. B. Cui Bo siehe auch, seien gerade gut genug für Teehäuser und Weinläden …!

Seine Liebe gehörte den alten Meistern der Jin- und der Tang-Epoche. Umso erstaunlicher ist sein eigener Beitrag zur Malerei, der weit in die Zukunft wies. Von allen Kategorien der Malerei stellt er die Landschaft am höchsten, wenn er auch die buddhistische Malerei an die erste Stelle setzte, jedoch aus rein ethischen Gründen. Die Landschaft allein betrachtete er als wahrhaft kunstfähig, und demzufolge widmete er sich vorwiegend ihr, wenn auch überliefert ist, dass er ein hervorragender Kopist alter Meister war und die Porträt- und Figurenmalerei beherrschte. Die Darstellung von Figuren, sowie von Vögeln und Tieren sah er jedoch nicht als reine Kunst an, sondern als „Vergnügungen des Adels“, eine deutliche Spitze gegen die Malerei der Akademie, wie sie von Kaiser Huizong gepflegt wurde. Es ist daher kaum verwunderlich, dass sich in dessen Sammlung nicht ein Werk Mi Fus befand.

Trotz dieser verengten Sicht gehört Mi Fus „Geschichte der Malerei“ zu den profundesten Werken der chinesischen Kunstkritik. Darin beschreibt er in unsystematischen Bemerkungen nicht nur die ihm bekannten Werke treffend und oft genug mit überspitzter Kritik, sondern äußert sich auch über leichtfertige Praktiken der Zuschreibung anonymer Bilder an alte Meister, einfach nach den dargestellten Motiven. Auch gibt er praktische Hinweise zur Pinseltechnik, zum Reinigen und Montieren von Malerei und Kalligraphie. Kunstregeln im Sinne Xie Hes stellte er nicht auf. Offenbar widersprach dies seiner Forderung nach Individualität.

Sie war der höchste Maßstab, den er an ein Werk anlegte. Er erkannte nur die „Wahrheit der Natur“ an (tian zhen), im Gegensatz zu den „bloßen Kunstgriffen“ der wirklichkeitsbesessenen Kaiserlichen Akademie, welche in seinen Augen lediglich Geschicklichkeitsübungen waren.

So wenig ihn also der offizielle Kunstbetrieb schätzen musste, so sehr tat dies ein Kreis von Kennern und Freunden, zu welchen die führenden Künstler und Literaten der Epoche zählten: Su Dongpo, Wen Tong, Li Longmian u. a. Den Malern und Sammlern der Yuan- und Ming-Dynastien wurde Mi Fu zum Urbild des Gelehrten-Künstlers, des allseitig Gebildeten in Prosa und Poesie, in Musik und Kalligraphie, der allein zur eigenen Freude malte, welche ein kleiner Freundeskreis teilen mochte. Eine ganze Bewegung sollte daraus entstehen: die „Literatenmalerei“ (wen ren hua) siehe auch.

Gebirgslandschaft

Wir wissen einiges über Mi Fus Anschauungen, seine Lebensführung und seinen Charakter, jedoch ist ungewiss, ob ein einziges authentisches Werk seiner Malerei erhalten geblieben ist. Sein großes Vorbild war Dong Yuan siehe auch, sowohl in der Malweise wie in der Wahl der Sujets, weshalb man ihn später der „Südlichen Schule“ zurechnete siehe auch. Eine „Gebirgslandschaft“ der Sammlung Fusetsu Nakamura, Tokyo, könnte seiner Arbeitsweise nahe kommen . Datiert entsprechend dem Jahre 1102, trägt das Bild eine Inschrift in der Kalligraphie Mi Fus. Von einem erhöhten Standpunkt schauen wir auf eine Landzunge. Sie liegt uns am nächsten, jedoch bereits so weit entfernt wie der Mittelgrund eines europäischen Landschaftsbildes. Hier duckt sich ein Gehöft unter summarisch hingewischten Bäumen, deren Laubkronen wie Federbüsche wirken. Jenseits eines Flusses, der von einer kleinen Brücke überspannt ist, steigen spitze Bergkegel aus Dunstschleiern empor. Die Wolken- und Nebelbänke sind es, welche die Berge in die Ferne rücken und sie von der vorderen Bildzone trennen. Deutlich ist der Duktus des Künstlers zu erkennen: in immer gleicher Schrägrichtung mit waagerechter Tendenz führen die Pinselzüge von links oben nach rechts unten, was auf einen Linkshänder deutet. Die charakteristischen Horizontaltupfen und -flecken sind mit dem schrägangesetzten Pinsel erzeugt. Man bezeichnet sie nach dem Erfinder „Mi dian cun“. Doch ist es fraglich, ob Mi Fu sie bereits so ausgiebig angewandt hat wie auf diesem Bild. Dieses Stilmittel kann schnell zu einer Manier werden. Hier wirkt sein Vortrag noch frisch und lebendig. Mit relativ breitem Pinsel ist „nass in nass“ laviert. Diese Technik der fließenden Tusche erfordert schnelles Arbeiten, wobei Emotionen unmittelbar übertragen werden, die persönliche Handschrift sich zwanglos und frei entfaltet, ohne die Disziplinierung akribischer Detailtreue. Großzügig geht der Pinsel über Einzelheiten hinweg. Er fasst Vegetation und das Blattwerk der Bäume mit breiten Pinselzügen zusammen. Wendet er sich Einzelheiten zu, so definiert er sie mit knapper Linienzeichnung (Boote, Häuser, Brücke) und nutzt sie als grafischen Akzent im Gegensatz zur malerischen Behandlung der Landschaft. Die flüssige Malweise ist dem Motiv vollkommen adäquat: man spürt förmlich die Feuchtigkeit, die alles durchdringende Nässe, die aus Wolken und Bergwäldern aufsteigt. Mi Fu und seine Freunde nannten diesen Umgang mit der Tusche „mo xi“, Tuschespiel siehe auch, womit sie das Spielerische, Gelöste, Intuitive, nur der eigenen Vorstellung verpflichtete Schöpfen kennzeichneten im Gegensatz zum mühsamen Handwerk der Gegenstandsimitation. Um die Wirkung lebendiger Unmittelbarkeit zu erhöhen, benutzte Mi Fu gerne unkonventionelles Werkzeug: zerfasertes Zuckerrohr, Lotoskapseln oder Stangen aus zerknülltem Papier. Und er malte ausschließlich auf ungeleimtes, stark saugendes Papier.

Es war diese Freiheit des persönlichen Ausdrucks, welche bereits Guo Xi in seiner Weise anstrebte. Nach Mi Fus Auffassung war sie jedoch nur zu erreichen, wenn der Maler die Natur der Dinge in ihrem Wesen verstanden hat, die Gesetzmäßigkeit von Gegenständen begriffen hat, denen ein ewiges Prinzip innewohnt, wie dem Wasser und den Wolken, Bergen, Felsen und Bäumen. Deswegen missachtete er auch die Darstellung der anderen klassischen Sujets, deren Nachbildung leicht erlernbar sei, da sie „beständige Formen“ besäßen.

Das Spontane der Arbeitsweise Mi Fus, worin er unvermittelt seine Visionen niederschrieb, hängt eng zusammen mit einer anderen Kunstübung: sie entspricht ganz dem Schreibvorgang. Mi Fu galt als einer der bedeutendsten Kalligraphen der Epoche. Den subjektiven Ausdruck, wie er sich im Schriftzeichen manifestiert, übertrug er auf diese Weise in seine Landschaftsmalerei, die mehr von Stimmungen lebte als von imposanten Motiven. Er stellte keine grandiosen Landschaftsformationen dar. Einfachheit und Ruhe strebte er an (ping dan), kunstlose Natürlichkeit. Aufwendige malerische Raffinesse und spitzfindige Tüftelei des professionellen Akademiemalers versperrten nur den Zugang zu unmittelbarem Ausdruck und innerer Wahrhaftigkeit. Seine bescheidenen Sujets trug er mit jener sparsamen Vereinfachung vor, die weglässt und so der Phantasie weite Räume öffnet: eine Malerei, welche Strukturen der Poesiesprache mit ihren Mitteln anwendet. Diese innere Verwandtschaft der beiden Kunstübungen ist es, auf welcher der Begriff „Literatenmalerei“ gründet. Eine Kunst, die nicht dem äußeren Abbild vertraut, sondern der inneren Schau.

Ähnliche feucht-dunstigen Landschaften, wie die von Mi Fu, welche jedoch nur die naheliegenden Gegenstände zeigen, wie etwa Bäume an einem Flussufer, intime Landschaftsausschnitte, deren „Tiefen“ von dichten Nebelbänken eingehüllt sind, malten Zhao Danian (tätig ca. 1080-1100) und wahrscheinlich auch Li Anzhong (tätig ca. 1117-1140) siehe auch.

Mi Youren

Am authentischsten setzte jedoch vermutlich Mi Fus Sohn, Mi Youren, (1086-1165), den Stil seines Vaters fort.

Herrlicher Blick auf Xiao und Xiang

Ein bedeutendes Beispiel seiner Kunst ist die Querrolle „Herrlicher Blick auf Xiao und Xiang“ (Palast-Mus., Peking) . Das Werk besitzt alle Merkmale von Mi Fus Arbeitsweise, wie wir sie von Beschreibungen und Nachahmungen kennen. Es ist flüssig gemalt, und die Tupfentechnik ist nur sparsam und stark verwischt angewandt.

Dieser Stil war vordergründig leicht zu imitieren. Da er aber gänzlich von persönlicher Handschrift und Spontaneität abhing, dürften nur wenige Nachahmer den Nuancenreichtum, die Sensibilität und vor allem die Freiheit von Mi Fus Tuschespiel erreicht haben.