Plastik
Nachdem der Buddhismus unter den Yuan gefördert worden war - allerdings überwiegend in seiner tibetischen Form - sahen sich die Anhänger nun dem steigenden Einfluss der einheimischen Kulte gegenüber, dem volkstümlichen Daoismus und dem die Staatsideologie bestimmenden Konfuzianismus. In der Rückbesinnung auf die eigenen Werte und auf altchinesische Traditionen wurde dem Buddhismus nicht selten seine fremdländische Herkunft zum Vorwurf gemacht. Dennoch war der Glaube in China fest verwurzelt, ja vermutlich betete die Mehrzahl der Menschen die Gottheiten beider Religionen an, was in Einzelfällen durch Stifterinschriften belegt ist. Die ungeheure Förderung aber, die der Buddhismus unter den Tang erfahren hatte, wurde nie wieder erreicht. Künstlerische Impulse können jedoch nicht durch Stiftungen oder andere materielle Zuwendungen gegeben werden, die ja noch immer flossen, um religiöse Bauten und Bildwerke zu finanzieren, sondern durch geistige Motivierung. Es ist anzunehmen, dass ein extremer Konservativismus des buddhistischen Klerus in der Darstellung der überirdischen Heilsgestalten keinerlei Veränderungen des überlieferten Kanons zuließ. Dieser Kanon wurde dem Stil der Blütezeiten des Buddhismus entnommen, in erster Linie der Tang-Zeit, aber auch wesentlichen Zügen der Song-Periode. Diese Rückwendung ging übrigens konform mit einer ebensolchen Suche nach Vorbildern in den großen Epochen der Vergangenheit auf anderen Gebieten wie zum Beispiel der Architektur oder dem Grabkult. Im Buddhabildnis der Tang-Zeit sah man das sakrosankte Modell, dem die Bildhauer so getreu wie möglich nachzueifern hatten.
Der Buddha des Guang sheng si
Der Vergleich zweier Bildwerke des gleichen Motivs verdeutlicht diese Tendenz. Beide stellen den Buddha Shakyamuni dar, die Rechte erhoben, entweder in der Schutzgeste „Sei ohne Furcht“ (abhaya = shi wuwei yin) oder in der Geste des Lehrens (vitarka mudra = anwei yin) Die Linke ruht bei beiden auf dem Oberschenkel und beide haben den „Lotossitz“ (padmasana = lian hua zuo) inne, wobei die Beine so verschränkt sind, dass die Fußsohlen nach oben zeigen. Die Tang-Figur im County Museum of Art, Los Angeles, stammt aus dem 8. oder 9. Jahrhundert , die Ming-Plastik aus dem 15. oder 16. Jahrhundert. Sie steht im „Kloster des Überragenden Sieges“ (Guang sheng si), Kreis Hongdong, Shanxi . In traditioneller Weise ist beider Mönchsgewand über die linke Schulter gelegt und führt in einer durchhängenden Kurve quer über den Oberkörper, wobei die rechte Brust unbedeckt bleibt. Die rechte Schulter ist von einem Teil des herabfallenden Obergewandes bedeckt, aus dem der erhobene Unterarm vorragt. Die Hand der Ming-Figur ist mit eleganter Fingerhaltung leicht zur Seite gebogen in der Lehrgeste, wobei Zeigefinger und Daumen einen Ring bilden. Die Hand des Tang-Buddhas ist verloren gegangen. Die Falten seines Gewandes umfließen ihn in klaren Linien. Überschneidungen erzeugen Spannungsmomente, so etwa dort, wo die Kurven des diagonal abfallenden Untergewandes auf die senkrechte Linie des Überwurfs stoßen. Das sparsame Lineament der dünnen Faltenstege spürt der Körperform nach, ohne jedoch sie betont hervorzuheben wie die indischen Vorbilder dieses Figurentyps.
Das Gewand der Ming-Statue bauscht sich in einem plastischen Faltenstrom, der die Körperformen überdeckt und von der linken Schulter ohne Unterbrechung um den Körper und den erhobenen Arm schwingt hinauf zur rechten Schulter. Ebenso schwungvoll sind die Falten über die Unterschenkel und den linken Arm drapiert mit einem glockenförmigen Plissee an Schulter und Fußgelenk. Kein kontrastierendes Element, keine Überschneidung stört diesen Ablauf. Alles ist auf Harmonie angelegt. Die glatte, gewölbte Brust bildet dazu einen deutlichen Gegensatz, der die Dynamik des gerundeten Faltenflusses noch hervorhebt. Gleichzeitig erhält die Skulptur dadurch eine Stofflichkeit, die sich weit entfernt hat von der abstrahierenden Knappheit der Tang-Figur.
Die größte Gemeinsamkeit findet sich in den Köpfen. Beide folgen dem Kanon, der schon für die indischen Buddhadarstellungen festgelegt wurde. Sie unterscheiden sich äußerlich nur in der Behandlung des Haarschopfes. Der Schädelauswuchs (ushnisha = rou ji), das Erleuchtungszeichen des Buddha, wirkt bei dem Tang-Buddha wie ein Haarknoten. Er ist mit dem wellenförmigen Ornament des Haupthaars überzogen, eine Form, die sich vom indischen Gandhara-Stil herleitet. Die Frisur des Ming-Buddha ist kegelförmig aufgetürmt und besteht aus Reihen kurzer geringelter Löckchen, die der indischen Gupta-Kunst entstammen.
Alle anderen formalen Kennzeichen gleichen sich. Der Kopf ist gerundet wie die Wangen und das Kinn. Die hohen Bögen der Augenbrauen münden in den schmale Steg des Nasenrückens. Die Nasenflügel sind sensibel gebildet und in den vertieften Winkeln des herzförmigen Mundes spielt die Andeutung eines Lächelns. Unter der Kinnfalte mit dem Ansatz eines Doppelkinns zeigt sich eine dreifache Halsfalte, Kennzeichen einer erhabenen Persönlichkeit, worauf auch die langgezogenen Ohrläppchen hinweisen. Die mandelförmigen Augen sind halb geschlossen. Bei der Ming-Figur war neben einem Juwel am Ushnisha noch ein Bergkristall oder ein anderer Edelstein in die Stirn eingesetzt, der oft als drittes Auge missverstanden wurde, an der Stelle, wo von einer Haarlocke (urna = bai hao) Buddhas berichtet wird.
Trotz eines genau gleichen Formenrepertoires, ja fast identischer Proportionen der Köpfe, ist der Ausdruck der Gesichter grundverschieden. Ebenso unterscheidet sich die Behandlung der Körper. Die Tang-Figur drückt in ihrem festgefügten Aufbau und ihrer strengen Haltung Unerschütterlichkeit und in sich gefestigte Ruhe aus. Aus dem ebenmäßigen Gesicht spricht bewegungslose Versunkenheit, der Blick ist wie nach innen gerichtet, die Augen fast geschlossen.
Der Ming-Buddha blickt auf den Anbeter herab. Doch in seinem Antlitz liegt nichts von Weltferne. Der Blick ist voll dem Betrachter zugewandt, unendlich hoheitsvoll. Erhabenheit drückt sich auch in der gesamten Körperhaltung aus, in der vorgewölbten Brust, der erhobenen Hand. Die Verschiedenheit im Gesichtsausdruck entspringt kaum wahrnehmbaren Veränderungen, während die Gestaltungsunterschiede in der Körper- und Gewandbehandlung evident sind. Diese Unterschiede sind hier nicht durch das Material bedingt - Holz bei der Ming-, Stein bei der Tang-Plastik - beide farbig gefasst. Sie entspringen wahrscheinlich eher unbewusst einer künstlerischen Haltung, welche im Falle der Ming-Bildhauer auf ein geistig völlig anderes Buddhabild abzielt, als das ihrer Tang-Vorgänger, und dies gewiss im Einklang mit ihren Auftraggebern. Es ist zu vermuten, dass Künstler und Klerus davon überzeugt waren, sich im Rahmen der Überlieferung zu bewegen mit Hilfe des „wörtlich“ übernommenen Kanons, ähnlich den Künstlern der Renaissance, die glaubten, die Antike wiederzubeleben.
Mit dem Buddha des Guang sheng si ist den Ming-Bildhauern ein bedeutendes Werk gelungen, welches den Buddha in einer Idealvorstellung der Zeit charakterisiert: als Herrschergestalt. Dies geht einher mit einem Harmoniestreben, das keine Brüche, keine Kontrapunkte zulässt. Die Eleganz in der Bewegung, in der Handhaltung oder im Schwung des Faltenwurfs, das Gewicht des Dekorativen - an dieser Figur im Unterschied zu ihrer Umgebung noch zurückhaltend verwendet - ebenso wie die Betonung des Stofflichen kennzeichnen eine Veräußerlichung, ja Verweltlichung des Buddhabildes, die hinführen sollten zu seinem völligen Niedergang.
Die wichtigste und meistverehrte Gestalt des buddhistischen Pantheons nach dem Buddha war der Bodhisattva Guan yin. Das Modell für diese Figur entnahmen die Ming-Bildhauer vorwiegend dem Song-Repertoire. Die Gelöstheit und Schmuckfülle der Song-Bodhisattvas musste dem Zeitgeschmack näher stehen, als die strengeren, meist stehenden oder in aufrechter Sitzhaltung gegebenen Bodhisattvas der Tang-Zeit, auch wenn diese in reichem fürstlichen Ornat erschienen.
Zwei Bodhisattvas aus dem „Kloster Der Zwei Bäume“ (Shuang lin si), Pingyao, Shanxi
Der Name des Klosters bezieht sich auf die zwei Shalbäume, zwischen die sich der Buddha der Überlieferung nach zum Sterben niedergelegt hat. Die Tonfigur des einen Bodhisattvas sitzt auf einem Thron in der „Haltung königlicher Lässigkeit“ (maharajalila), ein Bein mit angezogenem Unterschenkel liegend, das andere aufgestellt . Der Bodhisattva wendet sich seitlich einem Anbeter zu und blickt mit der Andeutung eines Lächelns freundlich auf ihn hinab. Die Song-Formel ist mit Ausnahme der Handhaltung mit großer Treue übernommen: die schlanke Gestalt erscheint biegsam und entspannt, den linken Arm über das angewinkelte, aufrechte linke Knie gelegt, die Hand locker herabhängend. Der rechte Arm ruht auf der Armlehne des Throns. Die Handhaltung könnte als „Geste der Wunschgewährung“ (varada mudra = yu yuan yin) gedeutet werden, die in diesem Kontext angemessen wäre, wobei die Handinnenfläche nach unten und außen gerichtet sein müsste, allerdings stets die der Linken. Die Geste ist jedoch nicht ganz deutlich, da die Handfläche nach oben gerichtet und der Mittelfinger einwärts gebogen dem Daumen angenähert ist, ohne jedoch ihn zu berühren. Die zu einem Ring geschlossenen Daumen und Mittelfinger wie sie ein Guan yin des Rietberg-Museums, Zürich, zeigt siehe auch, würde der Darlegungsgeste (vitarka mudra = an wei yin) am nächsten kommen, wobei sich allerdings in der Regel Zeigefinger und Daumen berühren. Da auch der Mittelfinger der herabhängenden linken Hand in gleicher Weise eingebogen ist, scheint diese Handhaltung eher ihrer Eleganz, als ihrer Bedeutung wegen gewählt worden zu sein. Dies würde besagen, dass hier mehr Wert auf äußere Form gelegt wurde, als auf die religiöse Symbolik.
Schmuck und Gewänder entsprechen ganz der prinzlichen Erscheinung, als die man sich einen Bodhisattva in der Überlieferung vorstellte und welcher die Song-Bildhauer vor allem in den Holzskulpturen den treffendsten Ausdruck verliehen haben. Unter der hohen, reich ornamentierten Krone tritt sorgfältig gelocktes und gewelltes Haar hervor, aus dem lange, geflochtene Zöpfe auf die Schultern fallen. Der Kopf besitzt alle Kennzeichen eines heiligen Wesens (Iakshana) wie sie auch die Buddhadarstellungen zeigen: ein rundes Gesicht, lange Ohrläppchen vom schweren Goldschmuck, eine feine Nase und ein kleiner Mund, die dreifache Halsfalte und das Stirnjuwel. Von den Schultern fallen Tücher, die in schwungvollen Bögen über die Unterarme drapiert sind. Schweres, prachtvolles Kettengehänge bedeckt den Oberkörper und reicht über die Knie bis fast an die Füße. Der Unterkörper ist mit einem langen Lendentuch bedeckt, dessen tief eingeschnittener Faltenwurf ein größeres Interesse am stofflichen Charakter verrät, als an formaler Gliederung. Farbreste von Grün, Rot und Gold lassen den einstigen Farbenreichtum der Gewänder erahnen. Gesicht und Hautpartien sind weiß.
Um welchen der Heilsbringer es sich dabei handelt, ist nicht zu erkennen, da keine eindeutigen Attribute vorhanden sind.
Aus den über 2000 Tonfiguren des Klosters ragt eine andere Bodhisattva-Gestalt hervor, deren Haltung sie als Guanyin kennzeichnet . Sie hat die Position des „Gelösten Sitzens“ inne (lalitasana), wobei das rechte Bein aufrecht angewinkelt auf dem Sitz steht, das linke herabhängt. Der rechte Arm ruht auf dem Knie, die Hand hängt locker herab, der Mittelfinger ist eingebogen. Mit dem linken Arm und flach aufliegender Hand stützt sich die Gestalt ab. Schmuck und Gewänder entsprechen dem anderen Bodhisattva: hohe Krone, Brustschmuck, Armreifen, wallende Schärpen, die in fließenden Schwüngen über Schultern und Arme gelegt bis zum Fuß des Thronsitzes herabhängen. Die Falten des Untergewandes umhüllen in weiten Bögen die Beine und den Thron. Ihr Fluss wird begleitet von Rot-, Grün-, Gold- und Ockertönen. Von der Sitzfläche herabhängend treten unter dem Gewand flechtenartige Gebilde hervor, hinter dem Bodhisattva grüne Gewächse, an seinem herabhängenden Fuß Seegetier. Dies entspricht seinen Darstellungen auf dem pflanzenbewachsenen Felsenthron an der südlichen Meeresküste, als „Guan yin der Südlichen See“ (nanhai) siehe auch.
Der Kopf zeigt ebenfalls wie der des anderen Bodhisattvas die Zeichen eines „Erleuchteten Wesens“. Die Vertiefung des Stirnjuwels ist noch zu erkennen, das Juwel fehlt. Der Mund ist leicht geöffnet mit der Andeutung eines Lächelns. Die Augen sind halb geschlossen und der Bodhisattva richtet seinen Blick nach unten als „Der Herr, der (mitleidvoll) auf die Welt herabschaut“ (Avalokiteshvara).
Hals, Arme und Oberkörper sind nackt, die Brust ist männlich, es gibt keinerlei ikonographischen Hinweis auf die Weiblichkeit der Gestalt, die im Volksglauben allmählich zu einer Göttin umgedeutet wurde und die vor allem in der Qing-Zeit in weiblicher Form erschien siehe auch siehe auch. Auch ist es undenkbar, dass eine weibliche Figur - und zudem noch im sakralen Bereich - mit nacktem Oberkörper dargestellt wurde. Die leichte Gewandung und der unbekleidete Leib erklären sich aus der indischen Herkunft des Heilsbringers, der eigentlich als weder männlich noch weiblich gedacht wurde.
Trotz ihrer handwerklichen Qualität erreicht die Plastik dieses Bodhisattvas im Vergleich mit ihren Song-Vorbildern kaum deren atmende Lebendigkeit.
Waren schon die älteren Tempelhallen mit Figuren angefüllt und die Altäre reich geschmückt, so begann mit den Ming eine Entwicklung zur Überfülle, die unter den Qing zu wahren Exzessen führte. Prunk und verschwenderischer Aufwand an Dekor sollten überwältigen, ähnlich wie im europäischen Barock. Durch die Demonstration überirdischen Glanzes sollte ersetzt werden, was an geistiger Substanz fehlte. In diesen Wucherungen des Ornaments, wie auch hier im Umfeld der Bodhisattvas, drohten selbst Werke von künstlerischem Rang zu verschwinden, da ihnen meist kein Raum blieb, ihre Qualitäten in Ausdruck und Form, das heißt ihre Aura, zu entfalten. Diese Überladung der Altäre und der gesamten lnnenraumausstattung ließ keinen Quadratzentimeter frei von Figuren, Mustern und Farben - ein wahrhaftiger horror vacui. Diese geradezu manische Prunksucht griff auch auf die Skulpturen über und verwandelte beispielsweise das einfache Mönchsgewand des Buddha in eine Robe von ungeheurer Kostbarkeit.
Ein solcher Prachtwille musste zusammen mit dem Beharren auf den Regeln eines konventionellen Formenkanons zu einer Erstarrung führen, die den Bildnissen von Buddhas und Bodhisattvas einen puppenhaften Charakter verlieh, aus dem jede Andeutung von Lebendigkeit gewichen ist. Je perfekter eine solche Figur ausgeführt wurde - meistens in Ton oder Holz, um so manierierter war das Ergebnis. Dies trifft im Wesentlichen auf die höchsten Gestalten des Pantheons als Großplastiken zu.
Ein Beschützer der Lehre (Wei Tuo) des Shuang lin si, Pingyao, Shanxi
In der Behandlung von Figuren niedrigeren Ranges waren den Künstlern offenbar größere Freiheiten gestattet. Die kriegerische Gestalt eines in Ton aufgebauten Wei Tuo ist in heftiger Bewegung dargestellt . In ihrer dreifach gebogenen Körperhaltung wirkt die Erinnerung an die klassische indische dreifach gebogene (tribangha) Positur fort, wie sie noch in den Bodhisattva- und Wächterstatuen der Tang lebendig war. Das Gewicht ruht auf dem linken Bein, der gebogene Körper ist leicht nach hinten geneigt, der Kopf gerade aufgerichtet und nach rechts gedreht, das rechte Bein leicht vorgestellt, sodass in einer großen, fließenden Bewegung die gesamte Gestalt eine S-Kurve beschreibt. Der rechte Arm ist nach unten gebogen, die Faust geballt, die einst vermutlich ein Schwert hielt. Der linke Unterarm ist erhoben, die Hand fehlt, die einst wahrscheinlich einen Speer umfasste. Wie von einem Windstoß aufgebläht umweht ein schmaler Schal die gesamte Figur in schwungvollen Bögen, und die weiten Ärmel des Untergewandes scheinen im Wind zu flattern.
Die Rüstung des Himmelskriegers ist mit penibler Genauigkeit gegeben, in der offenbar nicht die geringste Einzelheit vergessen wurde: jeder Gürtel, jede Schnalle, jede Öse, jedes Tuch dieser komplizierten Gewandung. Das Haupt steckt im Maul eines Dämonenkopfes, der den Helm bildet. Über dem geschuppten Panzerrock, der an den Schenkeln aufgeschürzt ist und so nur bis zu den Knien reicht, schützen weitere Dämonenmasken Schultern und Bauch, ebenso tragen die Beinschienen Ungeheuermasken an Knien und Fußgelenken. Alles zielt hier auf Abschreckung. Die Detailversessenheit des Künstlers erlaubte auch hier keine Leerstelle: die gesamte Figur ist auf diese Weise mit Ornament überzogen, dessen dekorative Wirkung durch die Farben erhöht wurde, von denen noch Reste erkennbar sind: Gold, Rot, Blau und Grün. Zugleich ist die realistische Wiedergabe einer Prunkrüstung der Zeit Anlass für diese Entfaltung dekorativer Kunstfertigkeit. Schmuckbedürfnis und Wirklichkeitsnähe fallen zusammen. Dabei tut die akribische Dekordichte der Dynamik, welche die gesamte Gestalt durchfließt, keinen Abbruch. Auch hier standen Tang-Figuren Pate, insbesondere was die Bewegtheit der Körperhaltung angeht. Niemals findet sich jedoch an den Tang-Skulpturen eine solche Schilderung des Stofflichen. Auch war das Dekorempfinden der Tang abstrakter.
Am erstaunlichsten ist der Kopf der Figur . Sein fleischiges Ringergesicht lässt die Muskulatur und die Körperkraft ahnen, die unter der Rüstung schlummern. Die Stirn zwischen den buschigen Augenbrauen ist zornig gerunzelt, die schwarzen Pupillen der schräg stehenden Augen lauern mit stechendem Blick misstrauisch aus den Augenwinkeln. Die Nasenflügel sind gebläht, die aufgeworfenen Lippen entschlossen zusammengepresst, das Kinn vorgeschoben. Dies ist kein der Phantasie entsprungenes Schreckensantlitz wie es die Tang-Meister erfanden. Die Tang schufen Typen - dieser Krieger ist ein Charakter mit individuellen Zügen, wenn auch mit allen Kennzeichen des Typus. Der Realismus dieses Kopfes ist kaum zu übertreffen, der Ausdruck ohne karikierende Übertreibung, die Stofflichkeit der Fleischpartien geradezu haptisch spürbar.
Gewiss sind solche Werke der Ming-Zeit nicht häufig. Aber es zeigt, worin die Stärke der Ming-Plastiker liegen konnte, wenn künstlerische Einfühlung, handwerkliche Meisterschaft und die notwendige Entfaltungsmöglichkeit zusammentrafen.
Ein Luohan
Die Gestalt des „Verehrungswürdigen“ (Arhat = Luohan) siehe auch bot den Künstlern mindestens schon seit der Song-Zeit Anlass zu einer Menschendarstellung ohne die fesselnden Vorschriften eines mehr und mehr erstarrenden Kanons, wie er die überirdischen Wesen betraf. Das Thema forderte geradezu heraus, bestimmte Wesenszüge bei den einzelnen Figuren herauszuarbeiten, die sich bei Gruppendarstellungen deutlich voneinander absetzten durch Haltung, Gestik und Gesichtsausdruck. Denn nach der buddhistischen Überlieferung fanden diese Männer den Weg zur Erlösung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten aus eigener Kraft. Der übermenschlichen Charakterstärke, welche dies voraussetzte, suchten die Künstler durch eine betonte Individualisierung Ausdruck zu verleihen, die manchmal groteske oder gar karikierende Züge annehmen konnte. Bei aller Gestaltungsfreiheit unterlag jedoch auch dieses Motiv bestimmten Regeln. Ein Luohan war immer ein Mönch mit kahl geschorenem Schädel und langen Ohren, die denen des Buddha gleichen und als Erleuchtungszeichen galten. In Gruppen von sechzehn oder achtzehn bis zu „Fünfhundert“, wobei eine gewisse Anzahl für alle steht, erscheinen sie meist sitzend in verschiedenen Haltungen an den Seitenwänden der Haupthalle eines Tempelklosters oder in einer eigenen Halle. Als Begleiter Buddhas werden sie stehend dargestellt.
Die gusseiserne Figur eines Luohan des Palastmuseums Peking sitzt mit untergeschlagenen Beinen, die von dem herabfallenden Gewand überdeckt werden . Die Unterarme sind gleichmäßig angehoben. An einer Hand sind die Finger abgebrochen, die andere fehlt vollständig. Es scheint, als habe der Lohan einst eine Schriftrolle gehalten. Auch der nach unten gerichtete Blick könnte dafür sprechen. In Frontalsicht zeigt der Umriss der Gestalt eine perfekte Symmetrie, welche die Wirkung vollkommener Unbewegtheit hervorruft. Auch die Gewandfalten verlaufen nahezu symmetrisch. Ihr Fluss schließt die Figur auf beiden Seiten ein, wobei sie die Kontur betonen, indem sie sich an den Rändern konzentrieren. An den Schultern beginnend fallen die Falten der langen Ärmel über die Unterarme, von wo sie sich verdichten und um die Knie legen. Deren Rundungen werden von den Falten des weiten Überhangs gleichmäßig umfangen. Unten hängt das Gewand gleichmäßig über das Sitzpodest hinab. Während an Schultern und Oberarmen die Falten noch relativ flach ausgebildet sind, entwickeln sie sich nach unten zu immer plastischer bis sie wulstige Stege und tiefe Mulden bilden, die auf beiden Seiten fast spiegelbildlich erscheinen. Dabei folgen sie dem pyramidenförmigen Aufbau der Figur: an der breiten Basis des Verschränkungssitzes verlaufen sie in horizontalen Bögen, an dem sich nach oben verjüngenden Oberkörper vertikal. Einzig die Schrägen des übereinander geschlagenen Untergewandes und des in lockerem Bogen herabfallenden Obergewandes unterbrechen die ausgewogene Symmetrie des Faltenflusses und erzeugen ein Moment der Spannung.
Die entscheidende Wirkung gewinnt die Gestalt durch den Kopf. Der markante Schädel wölbt sich hoch über den ausgeprägten Jochbögen, die von dichten Augenbrauen überzogen sind. Zwischen ihnen, dort wo die Stirnlocke Buddhas sitzt, tritt eine kleine Verdickung vor und darüber eine zweite mitten auf der Stirn: Erleuchtungsmale. Der gesenkte Blick fällt durch den Spalt der gerundeten Lider, die tief in den Augenhöhlen sitzen. Der breite, geschwungene Mund unter der kräftigen Nase ist geschlossen. Die Backenknochen und das kraftvoll vortretende Kinn sind plastisch herausgebildet, die Mulden um den Adamsapfel tief in den Hals eingegraben. Deutlich ist hier die Gesichtsbildung eines Inders charakterisiert.
Die Gestalt dieses Luohan stellt einen äußersten Gegensatz dar zu der milden Erscheinung des Mahakanshthila. Es ist das Idealbild eines asketischen Chan-Mönchs, der in bewegungsloser Meditation zu verharren scheint, trotz der angehobenen Unterarme. Das Meditative drückt sich nicht im Gestus seiner Hände aus, nicht in der Meditationshaltung (dhyana mudra = ding yin), sondern in erster Linie im Ausdruck seiner Züge. Der Blick unter den gesenkten Augenlidern scheint in tiefer Versenkung nach innen gerichtet zu sein und zugleich auf die Schriftrolle, die der Luohan vermutlich einst hielt. Die Mund- und Kinnpartie drücken gesammelte Energie und Konzentration aus. All dies, eingefasst von dem knochigen Asketenschädel, schließt sich zu einem Charakterbild zusammen, das von tiefem Ernst geprägt ist. Die Symmetrie des Gesichts, kaum merklich unterbrochen von der Asymmetrie der oberen Lippenbögen, vertieft den Eindruck von Unbewegtheit und Unerschütterlichkeit.
So wurde ein Idealtypus geschaffen mit Mitteln realistischer Gestaltung. Trotz der relativ rauen, zum Teil porösen Oberfläche der Eisenplastik, die dank ihrer farbigen Fassung ehemals glatt war, sind noch Einzelheiten erkennbar, welche dazu beitragen, die realistische Wirkung zu erhöhen. Die starken Augenbrauen sind durch eine dichte Linienzeichnung, die jedes einzelne Haar zeigt, hervorgehoben. Stirn- und Wangenfalten und die Lidränder sind leicht eingeritzt, vertiefter die Nasenflügel. Nur um den Mund führt eine Umrisslinie, die den Ausdruck von Willensstärke zwar betont, aber dem hier vorherrschenden Realismus in der Gestaltung widerspricht: sie ist erhaben. Das bedeutet, dass eine Überarbeitung der Gussform stattgefunden hat, wobei in die noch feuchte Negativform aus Ton Korrekturen eingeritzt wurden. Dies könnte darauf hindeuten, dass ein vorhandenes Modell, etwa aus gebranntem Ton, mehrfach benutzt wurde, da der Schöpfer des Originals seine Korrekturen an der Positivform angebracht hätte. Die ebenfalls erhabene Inschrift mit dem Stiftungsdatum der Skulptur, die in gleicher Weise in das Negativ eingeritzt worden ist, entspricht dem Jahr 1497. Vom Typus und Ausdruck des Kopfes her ist nicht auszuschließen, dass das Urmodell aus der Song- oder Yuan-Zeit stammt. Die Figur ist in mehreren Teilen gegossen wie die erhaltenen Gussnähte deutlich zeigen. Sie könnte aus verschiedenen Gussformen zusammengesetzt worden sein, was die ungewöhnliche Dicke der Knie erklären würde. Unter den zahlreichen Eisenskulpturen der Ming-Epoche nimmt dieser Luohan einen hervorragenden Platz ein dank der Geschlossenheit seiner Form und der Eindringlichkeit seines Ausdrucks.
Während daoistische Tempel sich architektonisch nur unwesentlich von buddhistischen unterscheiden - sie haben keine Pagoden - entwickelte der Daoismus seit seinem Zusammentreffen mit dem Buddhismus Gestalten, Wesenheiten und Götter mit einer eigenen lkonographie. Anstoß gaben die Buddhas und Bodhisattvas des „Großen Fahrzeugs“, und nicht zuletzt beeinflusste das Aussehen und die Charakterisierung der Luohan das Erscheinungsbild der daoistischen Unsterblichen (xian).
Ein Himmlischer Urkaiser oder Jadekaiser
Auch die Gestalt des Himmlischen Urkaisers (Yuan shi tian zun) der Zui Art Foundation, Hong Kong, entstand in Anlehnung wahrscheinlich an den höchsten Buddha Vairocana . Als der Höchste (Tai qing) der Drei Reinen (San qing) siehe auch siehe auch war er Mittelpunkt einer Trias, die ihre Parallele hat in einer buddhistischen Trias, die aus den Buddhas von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft besteht.
Die lebensgroße, farbig glasierte Keramikfigur sitzt auf einem prachtvollen, zweistufigen Thron, der von kleinen Karyatiden gestützt wird. Als Polster dient ein Kissen aus Lotosblüten und -blättern. Die Beine sind wie im Lotossitz verschränkt, die Beinhaltung ist jedoch nicht genau erkennbar, da das weite Untergewand die Beine verhüllt und über das Polster herabhängt. Die Handhaltung hat starke Ähnlichkeit mit dem „Anstoßen des Rads der Lehre“ (dharmacakra mudra = juan fa lun yin) des Buddha Shakyamuni. Nur berühren sich die Hände des daoistischen Gottes nicht. Es ist ebenfalls unverkennbar eine Geste des Lehrens. Der Kopf ist oval, das Gesicht edel gebildet mit einem kleinen, sensiblen Mund, einer schmalen Nase und leicht schräg stehenden, mandelförmigen Augen, aus denen der Blick gerade und intensiv auf den Betrachter gerichtet ist. Über den hohen Bögen der Augenbrauen wölbt sich eine hohe Stirn bis zum Ansatz des schwarzen, zurückgekämmten Haares, auf dem eine Krone sitzt. Im Unterschied zu manchen Buddha- und Luohandarstellungen handelt sich um einen rein chinesischen Typus, dessen schmales Lippenbärtchen und der spitze Kinnbart der Barttracht von Beamten und Gelehrten entspricht. Lediglich die vergrößerten, fleischigen Ohrläppchen und die ringförmigen Halsfalten erinnern an buddhistische Heilsgestalten. Insgesamt ist es die Erscheinung eines Mannes in mittleren Jahren und zugleich von altersloser Jugendlichkeit.
Bis auf die unterschiedliche Position der Hände ist die Figur vollkommen symmetrisch aufgebaut. Die Gewandfalten sind auf beiden Seiten nahezu gleichmäßig angeordnet, die breite Schärpe fällt in der Mitte über Beine und Lotospolster. Bänder, Bordüren und Stickmuster entsprechen sich auf jeder Seite. Die Glasur besteht aus einem hellen lnkarnat an Kopf und Händen, Gelb auf dem Untergewand, Grün an Krone und Überwurf, Aubergine an der Schärpe und einigen Gewandsäumen. An einigen Stellen blitzen hellblaue Gewandstreifen auf und verleihen der lebhaften Farbigkeit einen kühlen Akzent. Der reich ornamentierte Thron ist in gleicher Weise gefasst, sodass sich Sitz und Figur nicht voneinander absetzen, sondern optisch miteinander verschmolzen eine unzertrennliche Einheit bilden: gleichsam ein Symbol der unveränderlichen Herrschaft des Urkaisers.
In der Behandlung des Stofflichen wie der Körperpartien zeigt sich ein geradezu portraithafter Realismus an einem Sujet, das der Imagination entsprang. Die lange Tradition des Modellierens in Ton, die zu einer Meisterschaft in der Beherrschung des Materials geführt hat, trifft hier zusammen mit einem Wirklichkeitswillen, der dem Wesen einer geistigen Sphäre anfassbare Nähe und eine glaubwürdige, irdische Erscheinungsform verleiht.
Mit der Größe von Skulpturen dieser Art - hier zusammen mit dem Thronsitz etwas über zwei Meter - haben die realistischen Gestaltmittel ihre Grenzen erreicht. Der Schritt zur Überlebensgröße und zur Monumentalität musste auf andere Weise erfolgen.
Statue eines Beamten
Von einer solchen Figur wie oben beschrieben ist der Schritt nicht weit zum echten Portrait. Die nicht ganz lebensgroße Holzfigur des Metropolitan Museums of Art, New, York, ist in aufrechter Sitzhaltung dargestellt . Die linke Hand ruht auf dem Oberschenkel, die angehobene Rechte hält ein Beamtenzepter (ruyi), das eine diagonale Kurve vor dem Körper bildet, die in der sonst völlig symmetrischen Haltung eine lebendige Spannung hervorruft. Auch hier ist dies die einzige Asymmetrie in der Komposition der Figur. Der Faltenwurf ist auf beiden Seiten nur wenig variiert. Das sonst schmucklose Gewand zeigt auf der Vorderseite über der Brust ein Flachrelief von Phönixen in Wolken, was ein Dienstverhältnis im Gefolge der Kaiserin andeutet. Unter der Beamtenkappe schaut das zerfurchte Antlitz eines alten Mannes hervor, bei dem jeder einzelne Zug individuell geprägt ist. Ohne Zweifel handelte es sich um eine bestimmte Person. Auch die knochigen Hände weisen auf das Alter des Beamten. Dieser genau beobachtende Realismus wird noch dadurch erhöht, dass echte Haare als Bart angebracht sind. Die ehemalige Lack- und Farbfassung muss die Lebensechtheit der Figur noch weiter gesteigert haben. Die Parallele zu den gemalten Totenporträts der Ming ist offenkundig.
Bronzestatue des Zhang Sanfeng, Kulturhort des Wudangshan, Hubei
Die Statue stellt den Meister eines daoistischen Ordens dar im Kulturhort des Wudangshan, Hubei . Die lebensgroße Sitzfigur hat fast die gleiche Haltung inne wie die Beamtenfigur. Die Hände liegen auf den Oberschenkeln. Eine Unterbrechung der sonst konsequent durchgehaltenen Symmetrie der Faltendrapierung wird dadurch erreicht, dass der rechte Ärmel die Hand verhüllt und fast bis zum Boden herabhängt. Die Falten sind fließend gerundet und ohne harte Brüche gearbeitet. Reste der Vergoldung sitzen noch in den Vertiefungen. Die Gewandoberfläche ist sorgfältig geglättet, der Dekor der herabhängenden Schärpe in der Mitte fein ziseliert. Das Gesicht zeigt die gleiche Glätte, in seiner Regelmäßigkeit sind keine ausgeprägten individuellen Züge zu erkennen. So könnte zwar ein bestimmter Mensch aussehen, jedoch ist seine Idealisierung unübersehbar. Der spitze Kinnbart entspricht der Barttracht von Würdenträgern, die langen Ohrläppchen und der halbrunde Aufbau über dem Scheitel erinnern an das Erscheinungsbild des Buddha und heben so die Gestalt in die Sphäre des Heiligen. Der freundliche, unbewegt ruhige Ausdruck des Gesichts verkörpert die Idealvorstellung eines Weisen. Es ist die Annäherung an ein Idealbild mit Hilfe realistischer Mittel. Die klassizistische Strenge dieser Skulptur ist zwar nicht denkbar ohne die handwerkliche Perfektion der Ausführung. Ihre Klassizität jedoch beruht darauf, dass das Real-Stoffliche einer klar ordnenden Formalisierung unterworfen wird.
Eine vergoldete Bronzestatuette des Zhen wu
Eine vergoldete Statuette des Zhen wu befindet sich im Art Institute, Chicago . Ursprünglich als „Schwarzer Krieger“ (xuan wu) bezeichnet und dargestellt als Doppeltier aus Schlange und Schildkröte, vertrat die Gottheit den Norden unter den Tiersymbolen der Vier Himmelsrichtungen siehe auch siehe auch. Allmählich erschien sie in manchen Darstellungen fragmentarisch als Mensch bis sie während der Song-Zeit vollständig in menschlicher Gestalt auftrat. Zu dieser Zeit wurde dem Gott der Name „Vollkommener Krieger“ (zhen wu) verliehen. Ursprünglich war dies auch die Bezeichnung für das Nordtor des Kaiserpalastes „Zhen wu men“, ehe der Name aus Gründen der Tabuisierung in „Shen wu men“ siehe auch geändert wurde. Zur Ming-Zeit genoss der Gott in seiner Funktion als Beschützer des Kaisers und des Reichs, als Dämonenaustreiber und Heilgott den Höhepunkt der Verehrung, was die große Zahl seiner Bildnisse aus dieser Epoche erklärt.
Die Stiftungsinschrift der Figur im Art Institut, Chicago, nennt die Regierungsperiode, die dem Jahr 1439 entspricht und sogar den Künstler, von dem einige wenige Werke bekannt sind, Chen Yan qing aus Hangzhou.
Die aufrechte, breitbeinige Sitzhaltung eines Würdenträgers, die Symmetrie der Gestalt und des Faltenwurfs mit kaum merklichen Varianten, die Perfektion und Glätte der Oberfläche entsprechen ganz der stilistischen Auffassung der Skulptur des Ordensmeisters Zhang Sanfeng. Die leichte Störung der Symmetrie wird hier erreicht durch einen seitwärts abstehenden Gewandzipfel und durch unterschiedliche Handhaltungen. Während die Rechte flach aufliegt, bildet die Linke einen Ring aus Daumen und den beiden Mittelfingern während Zeige- und kleiner Finger ausgestreckt sind, eine Geste, die seine Göttlichkeit bezeugt. lkonographisch kennzeichnend sind das Kettenhemd, das unter dem in Brusthöhe offenen Obergewand sichtbar ist, die nackten Füße und die zurückgekämmten Haare, die über den Rücken hinabfallen. Das lächelnde Antlitz des Gottes mit den wie in Meditation fast völlig geschlossenen Augen ist absolut symmetrisch. Jede menschliche Unregelmäßigkeit, jeder persönliche Zug ist ausgetilgt, ein überindividuelles Wesen mit den üblichen Kennzeichen des Heiligen wie den langen Ohren, der dreifachen Halsfalte sowie mit dem spitzen Kinnbart einer hochrangigen Persönlichkeit: eine Maske des Numinosen.
Realismus und monumentale Form
Was den Plastikern der Epoche mit den Großskulpturen fast ohne Ausnahme misslang, im Kleinformat ist es vielfach gelungen: eine künstlerisch gültige Sprache zu finden, die ihrem Thema gerecht wird. Tatsächlich gehören die herausragenden und bedeutenderen Werke der Ming-Plastik in der Mehrzahl der Kleinkunst an und mittleren Formaten, welche die Lebensgröße nicht überschreiten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Werke der Sakralkunst oder der Profankunst angehören, wenn man schon davon ausgeht, dass es in dieser Zeit eine profane plastische Kunst gab. Ein Ahnenbildnis oder eine Grabskulptur gehören der Sphäre des Sakralen an. Das Versagen des „profanen“ Plastikers, die Vorzüge der kleineren Werke auf die größeren zu übertragen, wie einmal festgestellt wurde, liegt nicht am profanen Sujet, sondern gilt in der Ming-Zeit fast durchweg für die gesamte plastische Kunst.
Die Gründe sind vielfältig. Einer der wesentlichsten ist eine Weltsicht, die der materiellen Wirklichkeit eine größere Aufmerksamkeit entgegenbrachte als frühere Epochen, die zugleich aber vom Blick auf das Transzendentale durchwirkt war. Die künstlerische Konzeption, die dem entsprang, war das Bemühen einer Annäherung an die Wirklichkeit, an das Stoffliche der Gegenstände und bei der Menschendarstellung bis hin zum Porträthaften. Sieht man ab von den zahlreichen Überlagerungen durch einen traditionellen Formenkanon, so zeigt diese Grundauffassung stark realistische Züge.
Realistische Gestaltung verlangt Detailgenauigkeit, das Eingehen auf die praktisch unbegrenzten Varianten des Erscheinungsbildes der Wirklichkeit. Eine nach diesen Prinzipien geschaffene Skulptur gewinnt an Lebensechtheit, je mehr sie sich der Lebensgröße annähert, und sie verliert auch nicht an Wirkung in der Verkleinerung, ja sie kann durch die Konzentration an Intensität gewinnen. In der Vergrößerung wirken die Detailformen weitgehend unmotiviert, sie verlieren die Funktion der Wirklichkeitsbeschreibung in dem Maße, wie sich die gesamte Gestalt durch ihre Übergröße von der Wirklichkeit entfernt. Eine Großskulptur unterliegt anderen Formgesetzen, soll sie zu einer künstlerisch gültigen Aussage gelangen. Ihre Dimension zwingt zu einem anderen strukturellen Aufbau, zur Vereinfachung und zu einem Rhythmus, der sich von dem realistischer Werke unterscheidet. Deshalb mussten die Künstler, die im Kleinformat zum Teil Bedeutendes leisteten, am Großformat scheitern. Dies belegen Myriaden von Sakralplastiken. Das Unvermögen der Übersetzung des realistisch-klassizistischen Konzepts in eine Monumentalform führte zu einem sterilen Manierismus, der überdeckt wurde mit einer Überfülle an Dekor.
Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass Monumentalität mit materieller Größe zu tun habe, dass also ein riesiges Standbild automatisch monumental sei. Umgekehrt kann in einem Kleinformat Monumentalität angelegt sein, wie zweifellos in der Zhen wu-Statuette des Chen Yan qing, was in der Ming-Plastik die Ausnahme blieb.
Der überwiegende Teil aller plastischen Werke Chinas, und eben auch der Ming-Zeit, beruht auf der uralten Tradition der Keramikherstellung. Das Modellieren in Ton und die Kapazität der Brennöfen bedingten, dass gewisse Dimensionen nicht überschritten werden konnten. Klein- und Mittelformat herrschten vor, und darin hatten die Künstler und Kunsthandwerker die größte Erfahrung. Darüber hinaus ermöglichte das weiche, formbare Material die Herausarbeitung jeder Einzelheit. Dies kam dem Dekorbedürfnis entgegen und nicht zuletzt realistischer Detailgenauigkeit, die in Verbindung mit einem überlieferten Formenrepertoire zu einem halbrealistischen Klassizismus führte. Die besten Werke der Ming-Plastik existieren in diesem Spannungsfeld zwischen Wirklichkeitsnähe und Formalisierung. So unterschiedlich die verschiedenen Werkprozesse und Materialien waren, ob Ton, Porzellan, Wachsform für das Ausschmelzverfahren des Bronzegusses oder Keramikform für den Eisenguss, jede Form musste im Modellierverfahren hergestellt werden. Jeder Stilwandel schlug sich darin zuerst nieder. Vermutlich folgten die Holzbildhauer dem, was in der Keramik-Kunst vorgeprägt wurde.
Skulpturen der Grabwege
Zu einer echten Monumentalität, wobei die Gestaltmittel der Größe des Objekte entsprachen, gelangten die Ming in den Steinskulpturen entlang der Grabwege. Seit der Song-Zeit waren keine Seelenwege (Shen dao) mit solchen Ehrenspalieren mehr angelegt worden, als die Ming an die Macht kamen. Sie knüpften im Grabkult an die Tang- und die Song-Traditionen an, wodurch unmittelbar ein großer Bedarf an Steinbildhauern entstand. Über mehr als zweieinhalb Jahrhunderte lagen die Hauptaufgaben der kunsthandwerklichen Steinbearbeitung wesentlich in dekorativen Arbeiten wie dem Schmuck von Terrassen, der Herstellung von Balustraden und Treppen oder Ähnlichem. Bildkünstlerischen Aufgaben am nächsten kam noch der ornamentale Dekor, worin Tiermotive vorkamen, nie aber die menschliche Figur. Aus der Yuan-Epoche sind nur wenige bedeutende Werke figürlicher Steinbildhauerei bekannt, wie die am Feilaifeng von Hangzhou oder die Reliefs des Juyong guan-Passes nördlich von Peking siehe auch. Es bestand also offenbar keine bedeutende Tradition figurativer Steinbildhauerei.
Vor die neuen Aufgaben gestellt, waren die Steinmetzen gehalten, sich an den Motiven der Tang- und der Song-Grabwege zu orientieren, wobei ihnen ein gewisser Freiraum gelassen wurde, insbesondere bei der Erfindung des Aussehens von Fabeltieren, was die überwachenden Kultbeamten freilich nicht leisten konnten. Bis dahin eingebunden in eine Handwerkstradition, in der Vorlagen und Muster festgeschrieben waren, ergab sich nun die Möglichkeit, ähnlich wie für die abendländischen Bildhauer des Mittelalters, die eigene Phantasie und eigene Erfindungen einzubringen. Die Menschen- und Tierfiguren des Shen dao gewährten gerade noch den Spielraum, der notwendig ist, um einer schöpferischen Inspiration folgen zu können, trotz der genauen Vorgabe eines Bildprogramms.
Naturgemäß unterscheidet sich die Vorgehensweise des Steinbildhauers vollständig von der des Keramikers, welcher, vom Gefäß ausgehend, eine Skulptur ebenso aufbaut. Der Steinbildhauer muss nicht vergrößern, um zu einer Großform zu gelangen, er nimmt weg. Im Stein steckt seiner Beschaffenheit nach die größere Möglichkeit zur monumentalen Gestaltung. Seine Härte fordert zur Vereinfachung heraus, seine Brüchigkeit legt blockhafte Geschlossenheit nahe. Jedoch ist Monumentalität nicht durch das Material bedingt, sie entspringt einer geistigen Haltung. Und so scheint es, als seien diese Bildhauer vom Geist der neuen Herrschaft erfasst, mit Begeisterung ans Werk gegangen - wenn auch nicht immer mit glücklicher Hand.
Skulpturen des Huang ling, Fengyang, Anhui
Die erste Anlage, die der Gründer der Dynastie Hong wu zwischen 1370 und 1379 in kaiserliche Dimensionen umwandeln ließ, war das Grab seiner Eltern, das Huang Ling. Zum ersten Mal seit der Song-Zeit wurde hier ein Grab mit einer Skulpturenallee ausgestattet . Es ist erstaunlich, dass es gelang, sozusagen mit dem ersten Wurf, Großfiguren mit wahrhaftig plastischen Qualitäten zu schaffen. Dies zeigt, dass Talente vorhanden waren, die vermochten, an eine Jahrhunderte unterbrochene Tradition anzuknüpfen.
In ehrfurchtsvoller Haltung stehen die im Schnitt etwas über drei Meter messenden Statuen einander gegenüber und bilden ein Ehrenspalier. Die Zivilbeamten halten ihr Zepter vor die Brust , die Militärs stützen sich auf ihr Schwert . In Frontalsicht gesehen erscheinen sie durch die Symmetrie ihrer Haltung und des Faltenwurfs vollkommen unbewegt. Die Körperformen sind plastisch gerundet, ebenso Gesichter und Hände. Im oberen Teil sind die Proportionen der Figuren organisch und die Volumen von Kopf, Armen und Körper stimmen zueinander. Im Verhältnis zum Oberkörper sind die Beine zu klein und die Füße zu kurz. Dies ist besonders auffällig bei den Kriegern, deren Beine unter dem Rock sichtbar sind, weniger bei den Zivilbeamten, deren Gewänder bis zum Boden fallen und nur die Fußspitzen frei lassen. Wenn auch anatomische Genauigkeit kein künstlerischer Maßstab sein kann, so ist doch das Bemühen zu erkennen, eine solche Figur „richtig“ darzustellen, wie die Behandlung von Uniformen und Gewändern zeigt siehe auch.
Die Ursache dieser Disproportion liegt vermutlich in der Arbeitsweise der Bildhauer. Nachdem die Rohform grob herausgeschlagen war, arbeiteten sie von oben nach unten die Einzelheiten heraus und verfehlten so das Maß. Nur so ist es zu erklären, dass dies auch später nach längerer Erfahrung, als der Stil zur Reife gelangt war, den Bildhauern immer wieder unterlief. Diese Beobachtung lässt sich auch bei den Steinplastiken stehender Tiere machen, nicht aber bei Arbeiten, die in Ton modelliert wurden. Es kann sich also nicht um eine stilistische Eigenart handeln. Bedenkt man, dass die Bildhauer der frühen Grabplastiken keinerlei Vorbildung auf diesem Gebiet hatten, so ist ihre Einfühlung in das Körperhafte um so bemerkenswerter. Ihre Erfahrung gewannen sie aus der Anschauung und wahrscheinlich erhielten sie auch Zeichnungen von Song-Skulpturen als Vorlage. Anatomische Studien waren vollkommen unbekannt.
Dagegen befanden sie sich auf vertrautem Terrain bei der Bearbeitung der Oberfläche. Die Barthaare, Gürtel und Gewandfalten der Zivilbeamten sind deutlich, aber nicht tief eingekerbt - die lang herabfallenden Ärmel sind im Relief stärker betont - sodass die plastische Geschlossenheit gewahrt bleibt. Die Kriegerfiguren sind etwas kräftiger reliefiert, ohne an Geschlossenheit zu verlieren. Die Arme treten gerundet hervor, die herabhängenden Ärmel sind geknotet, um größere Bewegungsfreiheit zu bieten. Weit mehr, als das relativ einfache Beamtengewand, gibt die Uniform Anlass, handwerkliche Meisterschaft in der Darstellung ornamentaler Vielfalt zu zeigen. Und zwar bis ins feinste Detail aus Schnüren und Knoten, aus Perlenfriesen und Blütenmustern, vom Flügelhelm mit dem Rosshaarschweif über die Schulterstücke aus Dämonenmasken und dem Flechtwerk des Kettenhemdes bis zum Untergewand und den Beinschienen.
Offenbar bestand bei den Ritenbeamten keine sichere Kenntnis über die zeremoniell korrekte Abfolge der Figuren, die hier nicht in gleicher Weise angeordnet sind wie die Song-Vorbilder. Erst allmählich formierte sich eine eigene Ordnung der Ming-Statuen. Eines der letzten Song-Gräber mit einem Skulpturen-Spalier ist das Grab des Generals Yue fei in Hangzhou (um 1142), wo sich der Reihe nach Löwe, Widder, gesatteltes Zeremonialpferd, Militär- und Zivilbeamte paarweise gegenüber stehen. Allerdings war dies kein kaiserliches Grab wie die Mausoleen von Gongxian (Henan). Dort finden sich Widder, Löwen, Tiger, Elefanten und Pferde mit ihren Pflegern, die hohen Mandarine, sowie Gesandte der Tributstaaten.
Eine der aufschlussreichsten Veränderungen am Huang ling ist die Reihenfolge der Beamten: die Militärs stehen dem Grab am nächsten, also in höherer Stellung, als die zivilen Würdenträger. Hier finden sich auch noch die Stallmeister in Beamtenkleidung und -kopfbedeckung, die festlich geschmückte und gesattelte Pferde halten wie sie bereits an den Seelenwegen der Tang und der Song auftraten . Sie gehörten zu den Ehrenformationen dieser Gräber wie die Mandarine und die fremden Botschafter: die Begräbnisprozession sollte so in die Ewigkeit verlängert werden. Später, an den Gräbern der Ming-Kaiser, tauchen die Pferdehalter nicht mehr auf. Ein Bedeutungswandel hatte sich vollzogen.
Auch am Huang ling reiht sich eine Allee von Tieren vor dem Spalier der Würdenträger . Während die Darstellung bestimmter Tiere, wie Widder oder Pferde, noch auf eigener Anschauung beruhte, mussten sich die Bildhauer bei Löwen und Tigern auf Vorlagen, Beschreibungen und die eigene Phantasie stützen. Die Löwen wurden zu phantastischen Wesen umgedeutet, deren Erscheinung später gewisse Abwandlungen erfuhr, jedoch nichts von ihrer Phantastik verlor. Dagegen sind aus der Tang-Zeit wesentlich naturähnlichere Löwendarstellungen erhalten. Die Tiger, die später völlig verschwanden, gleichen zwar großen, aber possierlichen Katzen, die brav in einer Reihe sitzen. Ihre Leiber und Köpfe sind glatt gerundet, die Zeichnung des Fells ist nur sparsam eingeritzt. Ihre Nacken zeigen eine mächtige Schwellung, als trügen sie Mähnen. Die gewisse Unbeholfenheit, mit der sie dargestellt sind, macht sie geradezu liebenswert und nimmt ihnen jeden Anschein von Gefährlichkeit.
Skulpturen des Zu ling, Hongze-See, Jiangsu
Das Zu ling war die Grabstätte der Großeltern Hong wus. Der Ausbau des Mausoleums wurde 1385 in Angriff genommen und zog sich bis 1413 hin. Die Veränderungen, die der Grabkult in diesem Zeitraum erfuhr, schlugen sich auch in den Skulpturen des Grabwegs nieder. Die Offiziere stehen nun in der Mitte zwischen den hohen Zivilbeamten am oberen Ende des Spaliers und den Hofbeamten am unteren Ende, die durch Kleidung und Bartlosigkeit als Eunuchen gekennzeichnet sind.
Die eindrucksvolle Wucht dieser über drei Meter hohen Riesengestalten wirkt hier noch verstärkt durch ihre dichte Reihung . Unterschiede in der plastischen Behandlung weisen darauf hin, dass hier ältere und jüngere Figuren nebeneinander stehen. So verläuft der Faltenwurf der Eunuchen in einfachen, nur wenig eingekerbten Linien. Auch haben sie den besonders für die frühen Grabfiguren der Ming so typischen verkürzten Unterteil. Ebenso gibt es zwischen den Beamten am oberen Ende der Reihe deutliche Unterschiede. Das Faltenspiel der ersten Figur differenziert in feinen Abstufungen zwischen tiefen und flachen Falten, scharfen und gerundeten Vertiefungen, besonders an den lang herabfallenden Ärmeln. Trotz ihrer klaren Symmetrie wirken die Falten an keiner Stelle mechanisch. Die Figur zeigt keine Disproportion. Wesentlich einfacher und sparsamer sind die Falten der anderen Beamtengewänder angelegt: in regelmäßigen Bögen und Winkeln und annähernd gleichmäßigen, nicht sehr starken Vertiefungen. Zugleich werden die Körperrundungen deutlich hervorgehoben .
Plastisch am bewegtesten sind wiederum die Kriegerfiguren. Ihre komplizierten Rüstungen, Überröcke und Tücher fordern zu gesteigerter Plastizität und stärkerem Relief heraus. Auch hier erscheinen die Standbilder mit einfacherem, gleichmäßigem Faltenwurf als die älteren, die mit einer differenzierteren Oberfläche als die jüngeren.
Eine Kuriosität ist bei einigen Würdenträgern zu beobachten. Obwohl ihre langen Gewänder gleichmäßig und unbewegt herabhängen, sind ihre Bärte geschwungen, als fahre der Wind hindurch .
Unter den Tieren scheint man dem Löwen eine besondere magische Kraft zugeschrieben zu haben bei der Abwehr von Dämonen . Inmitten der Tierallee sind sechs Paare aufgestellt. Sie sitzen hoch aufgerichtet wie zum Sprung bereit und zeigen drohend ihre Krallen. Insofern gleichen sie den realistischeren Tang-Löwen. Auch ihre Gesichter sollen Schrecken verbreiten: die vorquellenden Augen unter einer zornig gerunzelten Stirn, breite Nüstern und ein riesiges Maul, aus dem bis in die Winkel eine Zahnreihe bleckt, über der zwei mächtige Hauer hervorstehen. Ein doppelter Spitzbart, ähnlich dem Backenbart von Kriegern, wellt sich unter der Kinnlade. Augenbrauen und Mähne bestehen aus geringelten, schneckenförmigen Locken. Die Bildhauer haben sich damit ein Untier erdacht, das in der langen Tradition apotropäischer Schutzwesen steht. Auf die Zeitgenossen muss es schreckenerregend gewirkt haben, für den heutigen Betrachter entbehrt dieses Ungeheuer nicht einer grotesken Komik.
Die plastischen Qualitäten einer solchen Skulptur werden geschickt ausgespielt gegen die züngelnden Ornamente auf dem Löwenkörper, die entweder zottiges Fell darstellen oder, noch wahrscheinlicher, den Eindruck erwecken sollen, als sei das Tier von Flammen umgeben. Einzig der Löwe trägt ein prächtiges, plastisch ausgearbeitetes Halsband, an dem kugelförmige Glöckchen hängen und Quasten, die von Ringen in Tiermaskenmäulern gehalten werden. Die Bedeutung dieses Halsschmucks ist rätselhaft. Sollte es ein Ehrenband sein, eine Art Orden, um die höchste Stellung des Löwen als mächtigstes unter den Tieren zu kennzeichnen? Oder zeigt es die Domestizierung des Königs der Tiere im Dienste des Kaisers an? Auch später tragen alle Löwenplastiken diesen Halsschmuck.
Die andere Bilderfindung, die nun vollständig aus der Phantasie ihrer Schöpfer hervorging, ist ein Mischwesen, das schon in Berichten aus der Zeit der „Streitenden Reiche“ auftritt: das „Einhorn“ (qi lin) siehe auch. Es erscheint immer während einer guten Regierung. Die Ming-Bildhauer scheinen dabei von Schilderungen fremdartiger Tiere angeregt worden zu sein, die von Afrika- oder Indienreisenden stammten. Zwar veränderte sich sein Aussehen im Laufe der Ming-Zeit, doch wies es stets gemeinsame Merkmale auf. Nicht immer findet man es mit einem einzigen Horn dargestellt. Es wurde nicht wehrhaft gedacht mit spitzen Hörnern, sie werden als fleischig und stumpf beschrieben. Es trägt Bart und Mähne, hat einen Löwenleib mit einer Schuppenhaut, krokodilartige Zacken über dem Rückgrat, einen schuppigen oder buschigen Schwanz und Spalthufen. Die frühen Exemplare, wie die des Zu ling, stehen steif auf allen Vieren. Sie haben einen runden Felidenkopf mit kurzer Schnauze, die eher einer menschlichen Nase gleicht. Die Ähnlichkeit mit dem Löwen wird noch durch die Reißzähne betont, die seitlich aus dem Maul vortreten. Der plastisch wenig durchgebildete Leib ist überzogen von einer feinen Ritzzeichnung, die Mähne, Flammenornament und die panzerartigen Schuppen präzise abbildet.
Grabplastiken der Provinz
Kaiserliche Prinzen, Fürsten und hohe Würdenträger ließen sich Grabanlagen errichten, welche die Kaiser-Mausoleen imitierten. Dabei folgte das Programm der Grabwege im allgemeinen dem Song-Schema bzw. dem der frühen Ming, zuweilen auch noch der Tang. So finden sich unter den Tieren die „Himmlischen Pferde“ der Tang-Grabwege, die einst mit Flügeln ausgestattet waren, oder der frühen Ming-Gräber, wo sie über den Wolken stehend dargestellt sind. Und es finden sich Widder, Tiger und Pferde mit ihren Pflegern - alles Motive, die an den Grabwegen der Ming-Kaiser nicht mehr vorkommen. Mit wenigen Ausnahmen lagen diese Gräber weit von den Machtzentren entfernt. In der Menschen- und Tierdarstellung fallen dabei große Rangunterschiede auf. Die Bauherrn mussten auf lokale Steinmetze zurückgreifen, in vielen Fällen brave Handwerker, die oft nur plumpe Kolosse von unfreiwilliger Komik zustand brachten. Dies gilt auch weitgehend für nichtkaiserliche Gräber in der Nähe der Hauptstadt, wie manche Figuren an den Grabwegen einiger hochgestellter Persönlichkeiten in der Umgebung von Nanking zeigen. Offenbar standen die besten Kräfte nur für die kaiserlichen Mausoleen zur Verfügung. Mit der Entfernung vom Kaiserhof nahm allem Anschein nach auch der Einfluss ab, den die Ritenbeamten auf das Bildprogramm nehmen konnten. Hier scheinen sich eher die Vorstellungen der Provinzgouverneure oder anderer örtlicher Autoritäten durchgesetzt zu haben, die lokale Traditionen förderten. Befreit von den hauptstädtischen Vorschriften, konnten die Bildhauer ihrer Phantasie und Erfindungsgabe freieren Lauf lassen, freilich immer noch gebunden an die vorgegebenen Motive. Sie konnten örtlich überlieferte Erfahrungen anwenden hauptsächlich im Dekorativen, bei tradierten Mustern und Schmuckformen. Es bildete sich eine Vielzahl lokaler Stile heraus, deren künstlerisches Niveau unterschiedlich war. Wo Talent und Förderung zusammentrafen und den Bildhauern ein gewisser Freiraum gewährt wurde, entstanden zum Teil Werke von verblüffender Originalität.
Skulpturen am Grab des Prinzen Zhu Luhu
So zeugen die recht primitiven Beamtenstatuen am Grab des Prinzen Zhu Luhu, dem Jing Jiang Mausoleum bei Guilin, Guangxi, Anfang des 17. Jahrhunderts, vom Unvermögen der Bildhauer, die menschliche Figur überzeugend darzustellen . Dagegen entfalteten sie ihre Fähigkeiten an Säulen, um die sich ein vollplastischer Drache windet. Der Drache, ein Motiv also, das den Bildhauern altbekannt war, wurde hier auf eigene Weise und in ungewöhnlicher Form neu „erfunden“. Die vom Drachen umwundene Säule ist ein in der Ming-Zeit verbreitetes Motiv, das sich zum Beispiel an den Schmucksäulen (hua biao) des Tian an men-Platzes in Peking findet oder an den Schmucksäulen der Dreizehn Ming-Gräber (Shi san ling). Die Drachen dieser Prachtsäulen sind jedoch in flachem Relief gearbeitet. Es gibt nur wenige Beispiele vollplastischer Drachen an Säulenschäften wie die aus der Song-Zeit stammenden des Jinci-Tempels bei Taiyuan, Shanxi siehe auch oder die des Kong miao von Qufu, Shandong siehe auch. Abgesehen von deren völlig verschiedenen Form ist es kaum anzunehmen, dass die Bildhauer von Guilin davon Kenntnis hatten.
Wie eine Python umschlingt das mächtige Tier die schlanke Achtecksäule. Die Rundungen und der Verlauf des Körpers erscheinen weich und geschmeidig. Der phantastische Kopf mit den vorquellenden Augen entspricht dem traditionellen Bild eines Drachens, die Klauen und Krallen dagegen wirken realistisch. Rückenwirbel, Schuppen und Wolkenornamente ergeben ein abwechslungsreiches Oberflächenrelief. Einem tausendfach variierten Thema haben hier Künstler weitab von den Kulturzentren eine eigenständige Lösung hinzugefügt .
Die Skulpturen am Grab des Prinzen Lu Jian
Eine Bildhauerschule von überdurchschnittlicher Begabung entwickelte sich auch in Xinxiang, Henan, im Umkreis des Hofes. Die Skulpturen am Mausoleum des Prinzen Lu Jian, Anfang des 17. Jahrhunderts, zeugen von bildhauerischer Erfahrung und einer reichen Erfindungsgabe. Der Stil der Menschendarstellung unterscheidet sich vollständig von dem der frühen Ming-Gräber oder der kaiserlichen Mausoleen. Ein Bemühen um realistische Wirkung ist erkennbar, was an Gesichtern und Händen nur bedingt gelingt. Sie sind nur ungenügend durchgebildet und relativ flach. Wie Barthaare und Brauen sind auch die Augen nur eingeritzt. Dennoch ist die Gesamtwirkung einer solchen Figur überzeugend, in erster Linie wegen ihrer plastischen Geschlossenheit. In der Gewandbehandlung gelingt die Wirkung von Stofflichkeit. Die Falten fallen weich, das Stickwerk der Bordüren ist in fein ziselierten Blumenmustern wiedergegeben .
Am ungewöhnlichsten jedoch ist die Allee der Tiere . Während Kamel, Elefant und Pferd noch wirklichen Tieren gleichen, reiht sich vor ihnen am Beginn der Allee ein Bestiarium von einzigartiger Phantastik auf. Neun Paare mythischer Ungeheuer, darunter Qilin, von denen einzelne nicht genau zu bestimmen sind, sitzen einander gegenüber. Obwohl sie positive Kräfte symbolisieren, sollten sie furchterregend und abschreckend erscheinen . Die felidenartigen rollen die vorquellenden Augen und haben den Rachen drohend aufgerissen, wobei sie ihre gefährlichen Zahnreihen entblößen. Ihre Körperformen sind löwenähnlich, plastisch durchgeformt und scheinbar realistisch. Die genau gearbeiteten Details aber machen sie zu unbekannten Geschöpfen. Sie haben eine Schuppenhaut wie die Qilin oder tiefe Einschnitte im Rumpf, die wie Rippenbögen wirken. Ihre Beine enden in Hufen oder in krallenbewehrten Tatzen. Ihre Mähnen können fächerförmig abstehen oder wie Flammen am Körper entlang züngeln. Sie können Hörner tragen und buschige Schwänze oder geschuppte. Andere tragen auf dem Leib eines Vierbeiners einen mächtigen Vogelkopf mit gebogenem Geierschnabel . Er tritt aus einem maskenartigen Mähnenkranz hervor, in den die Augenöffnungen eingeschnitten sind. Ein Schuppenpanzer überzieht den Leib und aus den Schultern wachsen die gebogenen Rippen gezackter Fledermausflügel.
Zugleich aber wirken diese Skulpturen trotz ihrer plastischen Qualitäten merkwürdig starr und leblos. Ihnen fehlt jene Modulation der Oberfläche, die atmendes Leben suggeriert. Stattdessen sind sie von den tief eingeschnittenen Mustern und Ornamenten mit manieristischer Gleichmäßigkeit überzogen. Dennoch: für diese Art Mischwesen gibt es keine unmittelbaren Vorbilder, obwohl die chinesischen Künstler zu allen Zeiten dämonische und phantastische Kreaturen hervorgebracht haben.
Die Skulpturen des Xiao ling, Nanking
Der erste Ming-Kaiser Hong wu ließ sein Grabmal noch zu seinen Lebzeiten zwischen 1381 und 1383 in seiner Hauptstadt Nanking errichten siehe auch. Hier fand die Aufstellung der Skulpturen des Grabwegs jene Ordnung, die von nun an für die kaiserlichen Mausoleen gelten sollte und die auch von den Qing übernommen wurde.
Wie die früheren Skulpturenalleen beginnt auch diese mit den Tieren. Dabei wurde eine eigenartige Neuerung eingeführt: zwölf jeweils gleiche Tierpaare sind einmal kauernd oder sitzend und einmal stehend einander gegenüber aufgestellt. Es gibt keine befriedigende Erklärung für diese Anordnung. Das Sitzen oder Kauern scheint eine Ehrfurchtshaltung zu signalisieren. Wenn sie aber dem „Kotau“ (ko tou) entspricht, warum steht dann das zweite Paar? Hat es sich erhoben, nachdem die Prozession des toten Kaisers vorbei gezogen war? Nach einer lokalen Überlieferung sollen die Tierpaare sich in der Ehrenwache einmal bei Tag und einmal bei Nacht ablösen. Warum sitzt dann aber das eine Paar und ist nicht schlafend dargestellt?
Es sind also jeweils vier Tiere der gleichen Art, die den Grabweg flankieren beginnend mit dem Löwen. Es folgen das mythische xie zhai, Kamel, Elefant, Einhorn (qi lin) und Pferd. Neben anderen Tieren gibt es auch keine gesattelten Pferde mehr, keine Pferdepfleger oder aufwartende Stallmeister, keine Eunuchen, keine Gesandten. Während die Skulpturen der alten Seelenwege mindestens schon seit der Tang-Zeit teils symbolische Bedeutung hatten, teils die Begräbnisprozession und die Ehrenformation darstellten, treten nun offenbar die Tiere als Träger einer veränderten Symbolik in den Vordergrund.
Nach einer Theorie sollen Kamel, Elefant und Pferd die Ausdehnung des Reiches nach Norden, Süden und Westen symbolisieren. Dagegen spricht schon die Reihenfolge ihrer Aufstellung, die vom Einhorn unterbrochen ist. Vor allem aber wird nicht erklärt, welches Tier den Osten vertritt. Es ist undenkbar, dass in einer Symbolik des Reichs der Mitte der Osten fehlen könnte. Es widerspricht den kosmischen Vorstellungen der Chinesen und auch ihrem Sinn für Symmetrie.
Überzeugender ist da schon der Gedanke, dass die mythischen Tiere das Wesen der kaiserliche Herrschaft repräsentieren. So galt zum Beispiel das qi lin schon in der Frühzeit als glückbringend, friedfertig und weise. Bedenkt man die Eigenschaften der dargestellten Tiere, die wirklichen wie die zugeschriebenen, so könnte man folgende Bedeutungen ableiten, welche die Tugenden des Kaisers und seiner Herrschaft beschreiben sollten:
Löwe | Macht und Kraft |
xie zhai | Gerechtigkeit und Schutz |
Kamel | Ausdauer |
Elefant | Geduld und Stärke |
qi lin | Friede, Weisheit und Tugend |
Pferd | Wachsamkeit und Loyalität |
Die Tiere sind in einer monumentalem Vereinfachung lebendig erfasst, besonders Kamel und Elefant . Es sind mächtige Kolosse. Die runden Rücken der stehenden Elefanten wölben sich fast 3,50 Meter hoch, die der kauernden ca. 2,50 Meter. Das organische An- und Abschwellen der Körperformen all dieser Tiere, welches sich auf der sanft geglätteten Oberfläche abzeichnet, ist sensibel nachempfunden. Graphische Mittel sind auf das Notwendigste reduziert, Augen, Nüstern, Zehen oder Hufe sparsam eingezeichnet. Die stehenden Pferde sind etwas plump geraten - auch wegen ihrer allzu kurzen Beine - aber ebenfalls kraftvoll und lebendig .
Die gleiche lebensvoll gerundete Körperlichkeit haben die Bildhauer den Fabelwesen verliehen. Dabei unterscheiden sich xie zhai und qi lin siehe auch siehe auch kaum voneinander . Ihre Leiber mit den kurzen Beinen und Spalthufen gleichen Schweinekörpern, ihre schweren Köpfe Nilpferden. Beide schauen freundlich, obwohl ihre Hauer aus den Mäulern ragen, deren hochgezogene Winkel gleichzeitig ein Lächeln anzudeuten scheinen. Sie unterscheiden sich nur durch das Horn des qi lin, seinen buschigen Schwanz und einige Körpermuster . Während das Fell des xie zhai glatt ist, seine Mähne in langen Strähnen über den Nacken fällt und sein Backenbart sich zu einem großen Schnörkel aufrollt, trägt das qi lin eine Schuppenhaut und eine geringelte Mähne. Nach wie vor blieb der Löwe für die Bildhauer ein Fabeltier . Auch hier ist er mit einem Halsband geschmückt und einer Mähne aus dicken Locken. Auf dem vergleichsweise schmächtigen Körper sitzt ein mächtiger Kopf mit rund vortretenden Augen unter einer wulstigen Stirn. Die riesige, abgeplattete Schnauze macht ihn einem Pekinesen-Hündchen ähnlicher, als einem gefährlichen Raubtier oder gar dem majestätischen König der Tiere.
Die Naivität ihrer Darstellung macht diese Fabeltiere zu liebenswerten Bestien. Mit der gleichen Naivität in der Vereinfachung sind auch die „wirklichen“ Tiere geschaffen. Diese unvoreingenommene Herangehensweise der Schöpfer dieser Wesen an eine ungewohnte Aufgabe, ihre Einfühlung und Phantasie machen den ganz besonderen Charme dieser Skulpturengruppe aus.
Der obere Teil der Skulpturenallee besteht aus einem Ehrenspalier von vier Offizieren und vier Zivilmandarinen, welche nun die höchste Position einnehmen . Diese geringe Anzahl von Würdenträgern zeigt, dass es sich hier nicht um die Darstellung einer Delegation handeln kann, die bei der Begräbnisfeier ihre Aufwartung macht, sondern dass sie, wie die Tierskulpturen, symbolische Bedeutung haben. Sie repräsentieren die Stützen, auf welchen die Staatsmacht beruht: das zivile und das militärische Beamtentum.
Die teilweise stark verwitterten Figuren wirken steif in ihren symmetrisch herabfallenden Gewändern. Die Zivilbeamten halten ihr Zepter gerade, die Militärs ihren Kommandostab mit beiden Händen schräg vor die Brust, wodurch die einzige Abweichung von der Symmetrie entsteht . Auch hier sind die Soldaten plastisch ergiebiger, als die zivilen Würdenträger. Helm, Panzerung, Kettenhemd, Umhang, Gürtel und Schwert bieten größere Möglichkeiten der Reliefierung, ohne dass dadurch die Steifheit dieser Figuren gelockert wird . Augenscheinlich fehlte den Bildhauern bei der Menschendarstellung das gleiche Gespür für lebendiges Gestalten, das die Tierplastiken auszeichnet. Erschwerend kommt hinzu, dass ihnen offenbar keine Änderung der zeremoniellen Haltung gestattet war. Das Hauptaugenmerk galt den Gewändern der Beamten sowie den Uniformen der Palastgarde, die korrekt wiedergegeben werden mussten.
Die Skulpturen der Dreizehn Ming-Gräber (Ming shi san ling), Kreis Changping, Hebei
Die „Allee der Steinstatuen“ (Shi xiang sheng dao), die zu den Ming-Gräbern siehe auch führt, wurde 1435 errichtet. Sie stellt den Höhepunkt der mingzeitlichen monumentalen Figurenplastik dar und wurde auch später nicht übertroffen.
Das Bildprogramm entspricht dem des Xiao ling, nur wurden den Zivilbeamten an der ranghöchsten Stelle zwei Paare Minister hinzugefügt. Auch die Reihenfolge der Tiere und der Würdenträger ist unverändert, die Paare stehen sich hier jedoch in etwa 10 Metern Abstand gegenüber, wodurch eine weite Prozessionsstraße entsteht, die der Ausdehnung der Gesamtanlage gemäß ist und einen riesigen Trauerzug aufnehmen konnte.
In dem halben Jahrhundert seit dem Skulpturenweg des Xiao ling hatte sich bildhauerische Erfahrung in der Figurendarstellung herausgebildet und es müssen Talente herangewachsen sein, die, wie man annehmen darf, unter Anleitung eines bedeutenden Künstlers, ein Werk von solcher Einheitlichkeit schaffen konnten. Der Stil war zur Reife gelangt. Nichts hatte sich geändert an dem monumentalen Geist der frühen Steinskulpturen der Ming, nichts an der blockhaften Gestaltungsweise und der Vereinfachung der Großform, die immer einem Monolithen abgewonnen wurde. Geändert hatte sich die plastische Differenzierung, mit der die Bildhauer eine größere Naturnähe anstrebten.
Vergleicht man beispielsweise die Elefanten des Hong wu-Grabes mit den späteren, so fällt die stärkere Vereinfachung der älteren auf. Bei den Elefanten der Ming-Gräber ist die Schädelwölbung betont herausgearbeitet, ebenso die Wirbelsäule . Das typische Ohr des asiatischen Elefanten ist wirklichkeitsgetreu erfasst. Die faltige Haut um die Augen, am Ansatz der Stoßzähne und an den Gelenken ist genau und organisch richtig wiedergegeben, wie auch die wulstigen Elefantenfüße mit ihren großen Zehen. Bei den Tieren des Hong wu-Grabes sind fast alle diese Details in die gerundeten plastischen Formen integriert und nur wenige Einzelheiten sparsam dargestellt: die Fußzehen und die Augen graphisch als eingekerbte Zeichnung, und die Ohren, plastisch stärker hervorgehoben, gleichen großen, herzförmigen Blättern. Es ist diese unbekümmerte Vereinfachung, welche diesen älteren Werken das Flair des Naiven verleiht.
Mit seiner Annäherung an das Naturvorbild hat der Stil der Ming Gräber diese Unschuld verloren. Gewonnen hat er Klassizität. Trotz einer größeren Wirklichkeitsnähe, trotz der zahlreichen realistischen Details handelt es sich nicht um eine realistische Darstellungsweise, sondern um eine idealisierende. Keines dieser Tiere zeigt Merkmale eines Einzelexemplars, also Varianten wie sie in der Natur auftreten, individuelle Abweichungen oder Zufälligkeiten. Die jeweiligen Tierarten gleichen einander vollkommen. Dargestellt wird ein Idealtypus, dessen Charakter treffend erfasst ist: nicht e i n Elefant, sondern d e r Elefant. Der Wille zur Stilisierung zeigt sich in jedem Detail. Bart- und Halshaare der Kamele bilden regelmäßige und parallel verlaufende Muster, die Löwenmähnen und -augenbrauen sind sorgfältig geringelt, die Rippenbögen der Pferde streng parallel herausgemeißelt, ihre Mähnen fallen in ordentlichen, gleichmäßigen Wellen . Und ebenso fern von einer vollständigen Wirklichkeitsnachahmung ist die Anatomie. Muskulatur und Knochenbau von Pferd und Löwe sind frei erfunden nach den Vorstellungen der Künstler. Dennoch erscheinen die Leiber der Tiere von Atem erfüllt, von einem lebenden Organismus, dessen schwellendes Formenspiel allein einem plastischen Rhythmus folgt. Selbst da, wo am Naturvorbild gemessen die Beine der Tiere zu kurz sind, wie bei den stehenden Kamelen oder Pferden, wirkt ihre Gesamterscheinung in sich stimmig.
Das gleiche gilt für die Fabeltiere. Sie wirken organisch, als seien sie Abbilder wirklicher Wesen, dargestellt mit den gleichen stilistischen Mitteln wie die anderen Tiere. Sie haben Muskeln und Gelenke und ihre typischen Merkmale wie die Schuppenhaut und die Rückenzacken des qi lin oder das glatte Fell des xie zhai und seinen löwenähnlichen Leib . Auch bei ihnen sind die Einzelheiten der Oberfläche sorgfältig ausgearbeitet und zu Mustern geordnet. Am interessantesten sind die Köpfe . Die Gesichter gleichen sich bis auf kleine Unterschiede im Bartschmuck. Die Schnauzen sind länglich ähnlich wie menschliche Nasen, die Nüstern breit, die Ränder der halboffenen Mäuler gewellt. Zahnreihen und Fangzähne schauen daraus hervor. Beide haben runde, vorquellende Augen und die gleichen wulstigen Brauen, die ähnlich flammenartig nach oben züngeln. Und auch aus den Winkeln ihrer Mäuler treten flammende Ornamente. Die Mähne des xie zhai fällt in geordneten Strähnen nach hinten . Die Mähne des qi lin ist eine neue Erfindung: wie von einem Windstoß erfasst, sind die Haarsträhnen in Wellen aufwärts nach hinten geweht und laufen in einer flammenden Spitze aus. Ein Kranz züngelnder Ornamente hinter dem Kiefer, dort wo die Mähne austritt, verstärkt den Eindruck, als stelle dieser eigenwillige Aufbau eine Feuermähne dar. Seltsamerweise trägt das qi lin hier zwei Hörner, die weich gerundet und ohne Spitzen auf der Mähne liegen. Das xie zhai dagegen besitzt nur ein Horn, das dicht am Schädel nach hinten gebogen ist. Eine ikonographische Verwechslung?
Der Löwe bleibt ein Phantasiewesen . Während Kamel, Elefant und Pferd in ihren natürlichen Dimensionen dargestellt sind, tritt der Löwe in mindestens doppelter Naturgröße auf. Zwar ist er seinem wirklichen Vorbild ähnlicher, als die Löwen des Xiao ling. Auch er trägt den Halsschmuck. Sein Körper ist nun muskulös und aus seinen mächtigen Pranken treten drohend die Krallen hervor. Doch sein dämonischer Kopf gleicht in fast allen Einzelheiten den Fabeltieren mit Ausnahme der gelockten Mähne. Und wie bei den mythischen Tieren ist es den Bildhauern gelungen, auch diesen bedrohlichen Kolossen Leben einzuhauchen.
Das obere Ende des Statuenspaliers nehmen sechs Beamtenpaare ein, die entsprechend ihren Rängen angeordnet sind. An unterster Stelle stehen sich zwei jüngere Offiziere gegenüber, es folgt ein Paar Generäle mit Kommandostab. Die nächsten Paare stellen zwei jüngere und zwei ältere Großsekretäre dar, denen zwei Paare älterer Mandarine folgen, Minister oder Präsidenten eines der sechs Kabinette siehe auch. Obwohl hier keine individuellen Charaktere abgebildet sind, wird genau unterschieden zwischen jüngeren und älteren Beamten durch minimale Änderung der Gesichtsbildung. Die älteren Beamten werden etwas fülliger gegeben, ihr Bartwuchs ist breiter, die Augenbrauen dichter. Die Rangunterschiede sind unter anderem erkennbar an den Beamtenhüten. Anders als die Minister tragen die Großsekretäre einen eckigen Aufsatz über dem Hut, von dem ein Tuch auf die Schultern herabfällt . Die Ränge sind auch abzulesen an sehr feinen Ornamenten der Kopfbedeckung sowie dem Stickwerk an den Roben und natürlich den Uniformen der Militärs.
Alle Zivilmandarine stehen in gleicher Weise aufrecht und halten ihr Zepter vor die Brust, wobei stets die linke Hand die rechte überdeckt. Bei den Gardisten halten die Befehlshaber den Kommandostab in der angehobenen Rechten schräg an die Schulter gelegt und den Schwertgriff in der Linken. Auch hier ist dies die einzige Asymmetrie im Aufbau der breitbeinig stehenden Gestalten. Die jüngeren Offiziere halten die Hände vor die Brust mit den Handrücken nach außen und die Linke über der Rechten.
Man hat in diese Standbilder eine schmerzvolle Haltung hineininterpretiert. Weder aus ihren Gesten noch aus ihren Gesichtern ist dies abzulesen, was ganz mit ihrem Symbolcharakter übereinstimmt siehe auch. Die Haltungen sind zeremoniell, die Gesichter stereotyp. Hier wird kein psychologischer Ausdruck angestrebt, hier werden keine Emotionen illustriert. Die Gesichter der Krieger sind ihrer Funktion gemäß streng bis finster, etwa durch weit geöffnete, „rollende“ Augen oder durch eine gerunzelte Stirnfalte zwischen den Augenbrauen. Die Zivilbeamten schauen gelassen ernst bis freundlich . Ein junger Großsekretär zeigt die Andeutung eines Lächelns . Wie die Tiere durch ihre positiven Eigenschaften eine gute Regierung symbolisieren, erscheinen diese Männer als idealtypische Repräsentanten ihres Amtes und somit des Staates.
Die grundsätzlichen Gestaltungsmittel dieser Statuen sind die gleichen wie die der Tierskulpturen, sie zeigen die gleiche monolithische Geschlossenheit. Jedoch bedurfte es einer noch stärkeren Differenzierung, sowohl im Gesamtkonzept einer Figur wie auch in den Einzelheiten, um die genannten, kaum merklichen Unterschiede relativ gleichartiger Gestalten herauszuarbeiten. Die Erscheinung eines Militärbefehlshabers ist von Anfang an wuchtiger angelegt, als die eines jüngeren Offiziers . Die Gestalt des Kommandeurs ist breiter, gedrungener und untersetzt, die Arme sind stärker und es geht der Eindruck gewaltiger Körperkraft von ihr aus. Die jüngeren Militärs sind ebenfalls kraftvoll, jedoch schlanker gebildet . Auch bei diesen Kriegerfiguren, wie schon bei früheren siehe auch, fallen der kurze Unterkörper und die zu kleinen Füße auf, was andererseits die Vierschrötigkeit des Kriegers unterstreicht. Diese Gestalten sind vollständig von stark reliefierten Mustern bis hin zu äußerst fein ziselierten Ornamenten überzogen, welche die hochkomplizierte Rüstung in allen Einzelheiten beschreiben: den Flügelhelm mit dem Rosshaarschweif, die Kettenpanzerung, die Löwenköpfe an Schulterstücken und Gürtelschnallen, Tücher, Schnüre, Röcke. Die rundplastischen Volumen erhalten dadurch einen Oberflächenreiz von außerordentlichem Reichtum. Dabei unterbricht die dichte Musterung nirgends den Verlauf der Großform. Obwohl die Militärmandarine in unbewegter Haltung dargestellt sind, fallen Schleifen und Bänder in Kurven unter dem Gürtel hervor und schwingen unten flatternd zur Seite, wobei sie sich vollkommen symmetrisch bauschen. Die Bögen des langen Untergewandes, das bis zum Boden reicht, sind zwischen den Füßen leicht asymmetrisch gefaltet. Die aufgeknoteten, langen Ärmel sind von den Ellenbogen an nach hinten hochgeworfen, so als seien die Krieger von einem heftigen Sturm umtost. Auch dies kein realer, sondern ein symbolischer Sturm: er gehört zum Bild des Kriegers.
Dies wird deutlich an den Gewändern der daneben stehenden Zivilbeamten . Ihre Gewänder fallen ruhig und absolut symmetrisch ohne die geringste Abweichung, obwohl ja auch sie im Freien stehen. Trotz seiner symmetrischen Anordnung erscheint der Faltenwurf natürlich. Die abgerundeten Vertiefungen, die gebauschten, lang herabfallenden Ärmel erwecken den Anschein weichen Stoffes, durch den sich die Körperform teilweise abzeichnet, teilweise erahnen lässt . Bis zum Boden fallende Schärpen, seitliche Gehänge und lange Schleppen an der Rückseite mit symbolischen und Ziermustern in penibel ausgeführtem Flachrelief, bilden einen belebenden Kontrast zu der glatten Oberfläche und den weichen Rundungen der Stoffbahnen. Die langen Gewänder verhüllen zwar den zu kurzen Unterkörper, es ist jedoch das gleichsam organische Spiel von Faltenfluss und Körperform, welches den Rhythmus dieser Skulpturen bestimmt und nicht die Proportion der Figur.
Das Skulpturenensemble am Seelenweg der Ming-Kaiser stellt durch die Eigenständigkeit, mit der die strengen Vorgaben eines Bildprogramms gemeistert wurden, einen einzigartigen Glücksfall dar, ein Gesamtkunstwerk, dem in dieser Epoche nichts Vergleichbares zur Seite gestellt werden kann.