Kultplastik

In der Kultplastik, die in Tempelhallen Aufstellung fand, setzte sich die Song-Tradition fort, besonders in den Holzarbeiten. Nach wie vor gehörte Guan yin zu den Gestalten, deren Anbetung im Volke am tiefsten verwurzelt war.

Ein sitzender Guan yin

Ein hölzerner Guan yin des Rietberg-Museums, Zürich, siehe auch mit Resten polychromer Bemalung vom Ende des 13. Jahrhunderts, könnte unter den Yuan noch von einem Song-Meister angefertigt worden sein. Der Erlöser sitzt in der Haltung der königlichen Lässigkeit (maharaja lila), das linke Bein angezogen am Boden, das rechte aufgestellt. Der ausgestreckte rechte Arm ruht locker auf dem hochgestellten Knie, die rechte Hand scheint die Lehrgeste (vitarka mudra) anzudeuten: Mittelfinger und Daumen berühren sich wie zufällig. Den hochaufgerichteten Oberkörper stützt der vertikal gestreckte linke Arm. Das vollwangige Antlitz mit den halbgeschlossenen Augen strahlt hoheitsvolle Ruhe und Milde aus. Der schlanke Hals zeigt deutlich die Schönheitsfalten, Merkmale eines erleuchteten Wesens, ebenso wie das „Dritte Auge“ auf der Stirn, da, wo sich bei Darstellungen Buddhas die Haarlocke (Urna) befindet. In der Vertiefung saß einst ein Edelstein. Der Kronreif ist mit Lotosknospen umwunden. Die zu zwei Zöpfen verknoteten Haare öffnen sich auf den Schultern zu fließenden Strähnen, die über ein dünnes Tuch drapiert sind, welches die Schultern bedeckt. Den schlanken Leib umspielt nur eine verschlungene Schärpe. Über der Brust hängt eine reich ornamentierte Kette. Das Untergewand besteht aus einem indischen Dhoti, der in schwingenden Falten Hüften und Beine umhüllt. Die Gewandbehandlung erinnert von Ferne an den Faltenwurf unserer Barockstatuen, ist hier aber so sparsam eingesetzt, dass Körperlichkeit und klarer Aufbau der Figur in voller Plastizität zur Geltung kommen. Obwohl ohne feminine Merkmale, geht von der Gestalt der Eindruck warmer Weiblichkeit aus, wozu die Weichheit der Körperdarstellung beiträgt, die Gelöstheit der Haltung und nicht zuletzt das Verhältnis der großen Augenbögen und -lider zu der schmalen Nase und dem kleinen, sensiblen Mund.

In der Haltung, welche der Bodhisattva einnimmt, ruht er nach der ikonographischen Überlieferung an der Küste des Südmeeres, auf seinem Berge Potala. Andere Skulpturen dieses Typus zeigen noch den Sitz des Guan yin, der hier fehlt. Es ist meist ein zerklüfteter Fels, der im Tempel gerne zu einer ganzen Grotte erweitert wurde, Darstellung des Gebirges und der Wohnstatt des Bodhisattvas. Sein angezogenes Knie verdeutlicht nicht nur die königliche Ruhehaltung, sondern weist darauf hin, dass er jederzeit bereit ist, sich von seinem Felsenthron zu erheben und herabzusteigen zu den notleidenden Menschen.

Porzellan-Skulpturen: zwei Bodhisattvas

Äußerst selten ist der künstlerische Rang einer Gattung von Bodhisattva-Darstellungen, von welchen sich Beispiele im Rietberg-Museum, Zürich, und im Metropolitan Museum New York finden . Selten auch nicht wegen ikonographischer oder stilistischer Besonderheiten, sondern wegen ihres Materials. Es sind Porzellan-Skulpturen, deren Realismus ihrer Lieblichkeit und ihrem Schmelz die Waage hält. Denn ohne die Strenge und Präzision, mit welcher Gewand, Schmuck und körperliche Details wiedergegeben sind, besäßen diese Figuren eine unerträgliche Süße. Sie sitzen im Lotossitz, die Beine am Boden kreuzweise verschränkt, die Fußsohlen nach oben. Die rechte Hand hängt locker über dem rechten Knie und weist zur Erde in der Art der Erdanrufungsgeste Buddhas. Die Linke liegt im Schoß (bei dem Züricher Exemplar), was auf den Meditationsgestus hinweisen könnte, die linke Hand bei der New Yorker Figur ist vor die Brust gehoben, in der Weise der Lehrgeste. In keinem Fall ist jedoch die Fingerhaltung eindeutig. Den Künstlern scheint alles auf elegante Natürlichkeit angekommen zu sein, wie sie sich in der gesamten Körperhaltung ausspricht. Das reiche Geschmeide soll den überirdischen Glanz der Bodhisattvas manifestieren. Besonders die New Yorker Figur trägt einen prachtvollen Kopfputz und ist über ihrem hochgeschlossenen Gewand von netzförmigen Juwelenketten eingehüllt, welche sogar die Füße überziehen . Noch schimmert auf den liebreizenden Gesichtern ein kaum merkliches Lächeln und der Ausdruck innerer Sammlung. Das edle Material verleiht diesen Gestalten einerseits kostbare Transparenz und Oberflächenreiz, andererseits die Wirkung glatter Perfektion, die bei späteren Porzellanfiguren vorherrschend wird. Es sind Werke an der Grenze zwischen künstlerischer Aussagekraft und hohem Kunsthandwerk.

Luohan im Moment der Erleuchtung

Auch unter den Yuan erfuhr die Gestalt des Luohan weiterhin hohe Verehrung und blieb künstlerisches Thema. Er stellt den Gegenpol zum Bodhisattva dar: er gewinnt die Erleuchtung schon in diesem Dasein und damit endgültige Erlösung, ohne noch weitere Stationen in der Kette der Wiedergeburten durchlaufen zu müssen.

Diesen Augenblick der höchsten Erkenntnis zeigt eine lebensgroße, farbig gefasste Holzskulptur im Besitz des Seattle Art Museums . Sie zeugt von einem erstaunlichen psychologischen Einfühlungsvermögens des Bildhauers. Den Mönch durchfährt eine heftige Bewegung, als sei er von einem elektrisierenden Schock emporgerissen. Die Fäuste sind krampfartig geballt, die Linke umfasst eine von der Schulter gerutschte Schärpe, der rechte Arm ist seitlich weggestreckt. Das linke Bein ruht noch auf dem Oberschenkel des rechten, das soeben vom Felsensitz herabgeglitten zu sein scheint, als wolle sich der Luohan aus der Meditationshaltung erheben, die er zuvor innehatte. Der kahle Schädel ist leicht nach hinten geneigt, der Mund wie im Erstaunen geöffnet. Der angespannte Blick geht unter den buschigen Augenbrauen hervor ins Unendliche, als erschaue er dort ein Unsagbares. Keinerlei glättende Idealisierung verharmlost den gewaltigen Vorgang. Die Gestaltungsmittel sind realistisch bis ins Detail: Wangen und Doppelkinn sind fettgepolstert, Nase, Mund und Ohren fleischig. Die Dynamik der Gewandfalten betont die heftige Erschütterung, welche die gesamte Gestalt durchzuckt. Eine Inschrift nennt ihn „Drachenzähmer“, ein Hinweis auf seine magischen Kräfte.

Eine solch gesteigerte Expressivität findet sich selten in der chinesischen Skulptur. Nur in den Wächterfiguren treffen wir heftige Gestik und übersteigerte Gemütsbewegung an. Es ist der Ausdruck von Zorn, welcher den Bösen abschrecken soll. Da aber Schutz und Abwehr ihre wesenseigenen Funktionen sind, wurde die Expressivität von Haltung und Gesichtsausdruck der Wächter gleichsam kanonisiert. Es sind Formeln und nicht Ausdruck individuellen Erlebens wie bei dieser Figur.

Individualität liegt schon im Wesen des Luohan, da er allein und aus eigener Kraft den Weg zur Erlösung findet. Er wird immer als ausgeprägter Charakter dargestellt siehe auch.

Ein kauernder Luohan

Die farbig gefasste Tonfigur eines Luohan des Museums für Ostasiatische Kunst in Köln sitzt mit hochgestelltem linken Knie in sich versunken, den Kopf leicht nach vorne geneigt . Wenn auch der plastische Aufbau des Körpers, die Durchführung der asymmetrisch auf den Knien ruhenden Hände, der sandalentragenden Füße und des Gewandes den üblichen Realismus und hohe handwerkliche Qualität erkennen lassen, so ist es doch der Kopf, welcher alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Die glatte, unregelmäßige Wölbung des Schädels endet in den markant eingekerbten Querfalten der Stirn, welche den doppelten Bogen der Augenbrauen wiederholen. Die zwischen den Halbkugeln von Lidern und Tränensäcken eingeschnittenen Augen vermitteln den Eindruck eines Lächelns. Die Falten, welche von den scharfgeschnittenen Nasenflügeln zu den tiefliegenden Mundwinkeln führen, verstärken diese Wirkung. Der schmallippige Mund ist leicht geöffnet, die Zähne schimmern hervor. Dieses Lächeln hat jedoch nichts von der überirdischen Gelöstheit eines Bodhisattva, sondern entspringt der Überwindung irdischer Bindungen: es trägt die Zeichen eines angestrengten Ringens, welches tiefe Spuren in das asketische Antlitz des alten Mannes gegraben hat.

Ein kauernder Buddha

Ein relativ seltener Skulpturentypus stellt den kauernden Buddha dar. Er erscheint offenbar erstmals in der Yuan-Zeit. Das eine Bein angezogen, das andere aufgestellt, kauert er am Boden. Beide Hände lagern übereinander auf dem hochgestellten Knie, darauf ruht das Kinn. Unterschenkel und Kopf bilden so eine zentrale Vertikalachse, welche den Körperaufbau stützt. Die vergoldete Lackfigur eines Shakyamuni des Philadelphia Universitäts-Museums trägt alle Erleuchtungszeichen der konventionellen Buddha-Interpretation: den Schädelauswuchs (ushnisha), die langen Ohrläppchen, die Haarlocke (urna) auf der Stirn. Das jugendliche Antlitz ebenmäßig gebildet, die großgeschnittenen Augen halb geschlossen. Das Lächeln des sensibel modellierten Mundes, die entspannte Gelassenheit der gesamten Gestalt atmen den Geist der Chan-Schule.

Dieser Buddha-Typus wird auch als Pratyeka-Buddha bezeichnet, als „Buddha für sich“, da er die Erleuchtung gewonnen hat, die Lehre jedoch nicht verbreitet. Insofern steht er dem Luohan nahe.

Shakyamuni als Asket

Der Auffassung des Chan-Buddhismus entspricht in noch höherem Grade eine ebenso seltene Darstellung des historischen Buddha Shakyamuni als Asket im Besitze des Detroit Institute of Arts . Er hat annähernd die gleiche Haltung wie der Pratyeka-Buddha inne, ist jedoch gänzlich verschieden in der Aussage. Die entblößte rechte Schulter und der rechte Arm, die aus den Gewandfalten hervorschauenden Unterschenkel sind so abgemagert, dass Schienbein und Muskulatur des aufgestellten Beines deutlich hervortreten. Das bärtige Haupt ist erschöpft nach vorne gesunken. Stilles Leiden prägt das Antlitz. Die stilistischen Mittel von Gewand- und Körperbehandlung und insbesondere der Ausdruck des Leidens erinnern überraschend an spätgotische Christusdarstellungen.