Porträtmalerei
So, wie in anderen Richtungen die Gestalt Buddhas als Lehrer verehrt wurde, weshalb er in den Klosterkapellen oft in der Lehrgeste dargestellt ist, so erfuhren im Chan-Buddhismus die Ordensmeister als Vermittler des Weges zur Erleuchtung hohe Verehrung. Ihre Bildnisse ersetzten offenbar ihre reale und geistige Präsenz, wenn sie abwesend oder gestorben waren, sodass die Schüler in ein stummes Gespräch mit ihnen eintreten konnten. Auf diese Weise fand das Porträt Eingang in das Ritual der Chan-Schule, ein entscheidender Impuls für die Entwicklung dieser Kunst in der Malerei wie auch in der Skulptur.
Wahrscheinlich handelte es sich nur zum Teil um „echte“ Porträts wie wir sie verstehen, das heißt entstanden aus der unmittelbaren Anschauung oder aus dem Gedächtnis des Malers. Das früheste Beispiel dieser Art ist das Porträt des Patriarchen der Zhen Yen-Schule (jap. Shingon) Amoghavajra von Li Zhen siehe auch.
Sicherlich schöpften die Künstler solche Bildnisse auch aus ihrer Vorstellung von der jeweiligen Persönlichkeit. Diese Art des Idealporträts hatte bereits Tradition: berühmte Gestalten der Vergangenheit wurden schon früh dargestellt: Kaiser, Staatsmänner, Helden, Gelehrte, Dichter und Heilige. Es ging dabei nicht so sehr um ihre persönliche Charakterisierung, als um ihre ethische Vorbildlichkeit, wie etwa die 13 Kaiserporträts von Yan Liben siehe auch. Von Konfuzius gibt es zahlreiche Darstellungen, meist in Stein geschnitten und als Abreibungen, die alle Jahrhunderte nach ihm entstanden sind. So steht an seinem Geburtsort in Qufu eine Gedenkstele im Konfuzius Tempel, deren Ritzzeichnung auf ein Bildnis zurückgehen soll, das der Tang-Meister Wu Daozi angefertigt hat, der 1200 Jahre nach dem Weisen lebte. Und das wahrscheinlich berühmteste Bildnis der chinesischen Malerei, der singende Tang-Dichter Li Taibo, ist Jahrhunderte später entstanden, als der große Liang Kai seiner Vorstellung des Dichters, ja des Dichtens selbst, unübertrefflichen Ausdruck gab.
Dem wahren Porträt näher stand die Hofmalerei, wenn sie als „Hofberichterstattung“ fungierte. Aber auch hier waren die Maler gehalten, die hochgestellten Persönlichkeiten zu idealisieren. Hervorragende Beispiele dieser Art sind das „Hofkonzert“ von Zhou Wenju siehe auch und die „Vergnügungen des Han Xizai“ von Gu Hongzhong siehe auch.
Spätestens seit der Song-Zeit wurde jedoch nicht nur in den Chan-Klöstern eine echte Porträtmalerei gepflegt, die wirkliche Personen nach der Natur abbildete: das Ahnenbildnis. Es wurde von Spezialisten hergestellt, also Handwerksmalern, deren Tätigkeit nicht als Kunst angesehen wurde. Tatsächlich handelte es sich in den meisten Fällen um bescheidene Arbeiten ohne künstlerischen Anspruch, da naturgemäß die Nachfrage groß war. Wer immer es sich leisten konnte, von den Herrscherfamilien bis zu den kleinsten Handwerkern, ließ ein Ahnenbildnis des Familienoberhaupts anfertigen. Das Porträt wurde meist noch zu seinen Lebzeiten auf ein Albumblatt gemalt, später ausgeschnitten und auf das eigentliche Ahnenbild montiert. Die sitzende, manchmal auch stehende Figur wurde immer frontal dargestellt im Festgewand und mit Rangabzeichen. Diese Gewandfiguren stammen ebenfalls von Spezialmalern und unterscheiden sich in ihrer schematischen Malweise deutlich von den sorgfältig gemalten, um Naturnähe und Ähnlichkeit bemühten Gesichtern. Die Porträtmaler konnten sich bei ihrer Arbeit auf Modellbücher stützen, welche detaillierte Hinweise auf die verschiedenen Gesichtstypen enthielten.
Das Ahnenbildnis wurde an hohen Festtagen, besonders zum Neujahrsfest in der Haupthalle des Familiensitzes aufgehängt. Vor ihm wurden Rauchopfer dargebracht, der Ahne oder die Ahnin wurden verehrt und um Schutz und Segen für die Familie angerufen.
Unter den Kaiserporträts, die auch für den Ahnenkult gemalt wurden, finden sich Werke von treffsicherer Charakterisierungskunst, weil offenbar fähige Hofmaler dazu herangezogen wurden. Dennoch fällt die distanzierende Starrheit dieser Bildnisse auf und die Kälte ihrer dekorativen Pracht .