Malerei
Die Etablierung einer einheimischen Dynastie, das wiedererlangte Selbstbewusstsein der Gebildeten-Schicht führten auch zur Rückbesinnung auf Traditionen der chinesischen Kunst, die während der Yuan-Zeit weitgehend ignoriert worden waren: auf den Akademiestil der Nord-Song und die Landschaftsmalerei der Süd-Song. Und ebenso hatten die Kaiser das größte Interesse, an Traditionen der Song-Zeit anzuknüpfen, wie ja auch schon der Staatsaufbau, zumindest in seiner äußeren Form, weitgehend nach Vorbild der Tang und der Song erfolgte. So befahl Hongwu die Wiedereinrichtung einer Malakademie (Hua Yuan), die jedoch nicht selbständig organisiert war wie unter Huizong siehe auch, sondern unter direkter Kontrolle des Hofes stand und von Eunuchen überwacht wurde. Für die meisten Künstler mochte dies allein schon demütigend gewesen sein. Die aus allen Teilen des Reichs berufenen Talente hatten die Aufgabe, die neu errichteten Paläste auszuschmücken mit Wandbildern und Wandbehängen, Stellwänden und Hängerollen. Eine besondere Halle wurde für die Hofmaler errichtet: der „Pavillon der literarischen Tiefe (Wen yuan ge) in Nanking und später die „Halle der Tugend und des Wissens“ (Ren zhi dian) im Palast von Peking. Auch wurden wieder die alten Ehrentitel verliehen, wie der des Daizhao, oder die Hofmaler wurden Mitglieder der Kaiserlichen Garde und erhielten hohe Militärränge ohne militärische Pflichten, um sie von den Zivilbeamten zu unterscheiden. Denn im Unterschied zu den Akademiemalern der Song-Zeit entsprach ihr Prestige nicht mehr dem der Gelehrten der Hanlin Akademie, die ja zugleich hohe Zivilämter begleiteten.
Die Kunst am Hofe erfuhr auch schon deshalb Förderung, weil viele Mitglieder des Kaiserhauses kunstinteressiert waren - eine Reihe von Prinzen malten und wurden der Akademie zugerechnet. Der Hongwu-Kaiser selbst, wie auch etliche seiner Nachfolger, waren talentiert. Der Begabteste unter ihnen war Xuanzong (Xuande, Reg. 1426-1435) siehe auch, von dem einige ausgezeichnete Tierbilder erhalten sind. Unter ihm und den Regierungsperioden Chenghua (1465-1487) und Hongzhi (1488-1505) erlebte die Akademiemalerei ihre glanzvollsten Tage. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts sank sie zur Bedeutungslosigkeit herab und verlor jeden Einfluss. Einer der Gründe - nicht der einzige - mochte das abnehmende Interesse der kaiserlichen Auftraggeber gewesen sein angesichts der gewaltigen politischen Probleme.
Für die Anerkennung bei Hofe, für Ehrungen und gesicherten Wohlstand hatten die Hofmaler einen hohen Preis zu entrichten. Nicht allein, dass sie sich dem Geschmacksdiktat der Herrscher zu unterwerfen hatten, im Ränkespiel der Hofkreise konnte sogar die Kunst zu einer gefährlichen Tätigkeit werden. Eine noch so sehr an den Haaren herbeigezogene bösartige Interpretation genügte bereits, einen Künstler in Ungnade fallen zu lassen. Einer der bedeutendsten Maler der Akademie, Dai Jin siehe auch, kam noch glimpflich davon: er wurde „nur“ mit Ausstellungsverbot belegt, er durfte keine Bilder mehr zeigen, das heißt seinem Wirken an der Akademie wurde ein Ende gesetzt. Sein „Vergehen“ hatte darin bestanden, dass er aus Anlass eines Akademie-Wettbewerbs ein Bild zeigte, welches von den Höflingen und Kaiser Xuande selbst hoch bewundert wurde, worauf ein Fischer in rotem Gewand dargestellt war. Dies jedoch, befand der Hofmaler Xie Huan - Berater des Kaisers und sonst als generös geschildert - sei vulgär und zeige Mangel an Stil und Geschmack, da diese Farbe nur hohen Hofbeamten vorbehalten sei. Anderen erging es schlimmer, besonders unter Hongwu. Wang Meng siehe auch, der allerdings in eine politische Affäre verwickelt wurde, ist kein Einzelfall. Selbst vom Kaiser geschätzte Künstler in hohen Ämtern endeten im Gefängnis, wurden geköpft, zweigeteilt, zum Selbstmord durch Ertrinken gezwungen oder zum Arbeitskuli degradiert, um an Erschöpfung zugrunde zu gehen, wenn sie das Missfallen des Kaisers erregt hatten. Dazu genügte ein nichtiger Anlass, eine Verleumdung oder ein Bilddetail, das als Beleidigung des Kaisers ausgelegt werden konnte. Nicht nur die persönliche Gewalttätigkeit Hongwus zeigte sich in solchen Fällen, sondern Despotie und Willkür waren dem absolutistischen System immanent und traten immer wieder hervor.
Der kaiserliche Kunstgeschmack orientierte sich am Akademiestil der Song. Mithin setzten die Hofkünstler alles daran, die technische Vollkommenheit der Song-Meister zu erreichen, manche gewiss unter Aufopferung der eigenen Neigungen. Unter diesen Umständen war die Entstehung neuer Tendenzen oder auch nur die Weiterentwicklung des Song-Stils an der Akademie ausgeschlossen. Die Mehrzahl ihrer Maler identifizierte sich vollständig mit den ihnen vorgegebenen Modellen. Nur wenigen gelang es, eine gewisse persönliche Note in diesen eng gesteckten Rahmen einzubringen.
Dai Jin, nach wie vor überzeugter Vertreter des Song-Akademiestils, insbesondere des Landschaftsstils der Süd-Song, kehrte in seine Heimatprovinz Zhejiang zurück und konnte nun frei von den Zwängen des Hofs als Berufsmaler seine persönliche Malweise formulieren. Seine Arbeiten beeinflussten einige jüngere Maler und allmählich bildete sich eine lose Gruppierung lokaler Künstler, die sich Dai Jins freieren Umgang mit dem Süd-Song-Landschaftsstil zum Vorbild nahmen. Nach der Provinz Zhejiang nannte man diese Richtung später „Zhe-Schule“. Ihr schlossen sich mit der Zeit auch Künstler aus anderen Provinzen an. Da seine Grundauffassung mit dem an der Akademie verfolgten Trend ohnehin übereinstimmte, blieb Dai Jins Interpretation der Song-Vorbilder nicht ohne Rückwirkung auf einige Maler der Akademie, weshalb man auch diese der Zhe-Schule zurechnete.
Mit dem Machtwechsel hatte natürlich die Literatenmalerei kein Ende gefunden. Die große Tradition der Yuan-Meister in ihren verschiedenen Ausprägungen bestand fort und wurde von einer Reihe Malern weiter gepflegt, sofern sie nicht an den Kaiserhof berufen wurden. Immerhin wirkten noch zwei der „Vier Großen“ zu Beginn der Ming-Dynastie: Ni Zan und Wang Meng. Am Hofe hatten diese individualistischen Tendenzen naturgemäß keine Chance. Wie schon während der Song- und der Yuan-Zeit konnten sie sich nur fern vom Hof und in Opposition gegen den Akademiestil entwickeln. Wiederum waren es keine Berufsmaler, sondern Gelehrte, welche ihre künstlerischen Interessen neben ihrem Amt verfolgten, als „Amateure“, oder sie nahmen kein Amt an, da sie vermögend waren, bzw. vom Landbesitz lebten. So sammelten sich Mitte des 15. Jahrhunderts in Suzhou, Jiangsu, eine Gruppe von Gleichgesinnten um den Gelehrten Shen Zhou siehe auch, der neben Poesie und Kalligraphie vor allem die Malerei pflegte. Auch hochbegabte Berufsmaler wurden in diesem Kreis akzeptiert. Nach dem alten Königreich Wu, bzw. Wuxian, dem Distrikt, in welchem Suzhou liegt, nannte man diese Gruppe später „Wu-Schule“. Ihre Vorbilder wurden die Meister des Monumentalstils der Nord-Song und die großen Landschaftsmeister der Yuan-Zeit. In einer Zeit inneren Friedens, ungestört von den Eingriffen des Hofes, im gesicherten Wohlstand ihrer Klasse, konnten diese Männer ganz ihren Interessen leben, dem Sammeln von Bildern und Antiquitäten, der Literatur, der Philosophie, der Musik, der Kalligraphie. Die Malerei war für sie nur ein Mittel unter anderen, ihrer Persönlichkeit Ausdruck zu verleihen. Individualität innerhalb eines bestimmten Stiles zu zeigen, galt ihnen als erstrebenswertestes Ziel. Sie betrieben ihre Kunst in einer Art privatem Musenkreis, zu dem nur Freunde und Eingeweihte Zugang hatten. Es ist kennzeichnend, dass der große japanische Landschaftsmeister Sesshu (1420-1506) nicht ein Bild dieser Maler zu Gesicht bekam, noch von ihnen gehört hat, als er sich um 1468 in China aufhielt. Dennoch wirkte sich der Einfluss dieser Erneuerer des wen ren hua langsam auf weitere Kreise von Gelehrten- wie Berufsmalern aus, sodass ihre Stilhaltung im Laufe des 16. Jahrhunderts die der Zhe-Schule allmählich verdrängte. Deren Anhänger adaptierten teils den Literatenstil, teils verloren sie sich in einer überbetonten Expressivität des Pinselduktus, die zur Manier wurde. Das endgültige Übergewicht und allgemeine Anerkennung erfuhr die Literatenschule durch ihre theoretische Untermauerung, die von einigen Gelehrten Ende des 16. Jahrhunderts vorgenommen wurde.
Die Einteilung in Schulen, wie sie von den chinesischen Kunsthistorikern mit ihrer Neigung zum Kategorisieren gerne festgeschrieben wird, ist zwar in ihren Grundzügen richtig, kann jedoch nicht allzu wörtlich genommen werden. Oft ist es strittig, welcher Schule ein Künstler zuzurechnen ist. Der Grund liegt darin, dass in der Ming-Zeit die Maler begannen, mit Stilen zu experimentieren. Bereits einige Yuan-Meister hatten in verschiedenen Stilen gearbeitet, doch hatten sie die gewählte Stilhaltung dann meistens mit einer bestimmten gegenständlichen Kategorie verknüpft. Nun versuchten sich die Maler in mehreren überlieferten Stilen am gleichen Sujet. Stil war nicht mehr eine selbstverständliche Ausdrucksform in einer bestimmten Traditionslinie, Stil galt nun als eigentliches Ziel und höchste Errungenschaft des Künstlers. Man malte nach Art eines bestimmten Meisters, suchte aber zugleich persönliche Züge einzubringen. Malerei wurde zu einer intellektuellen Unternehmung, undenkbar ohne Studium der alten Stile. Ganz im Einklang mit der verstandesmäßigen, von klassischer Bildung bestimmten Annäherung an die Kunst, stand die Neigung zum Theoretisieren, die in einer großen Anzahl kritischer und maltechnischer Schriften ihren Niederschlag fand.
Auf den Vertretern beider Hauptrichtungen ruhte das Gewicht der malerischen Überlieferung so schwer, dass sie sich für eine der beiden großen Traditionslinien entscheiden mussten: sie wurden zwangsläufig zu Eklektikern. Dies gilt auch für die „Individualisten“, die gegen Ende der Epoche wirkten und so genannt wurden wegen der offenkundigen Schwierigkeit, sie einer Schule zuzuordnen.
Ende des 16. Jahrhunderts entwickelte der als Poet und Kalligraph gleichermaßen berühmte Maler Dong Qichang siehe auch zusammen mit einigen befreundeten Literaten eine Theorie, welche die gesamte bisherige Landschaftsmalerei erfasste. Ausgehend von einem sorgfältigen Studium der Komposition und der malerischen Mittel, das heißt der Anwendungsweisen der Tusche und der Analyse der verschiedenen Stricharten, der „cun“, suchte man die Überlegenheit der Literatenmalerei über den Akademiestil nachzuweisen siehe auch. Da im chinesischen Denken nichts ohne einen altehrwürdigen Stammbaum zu legitimieren ist, rekonstruierte man eine solche Traditionslinie für die Gelehrtenkunst. Die der Akademie war ja spätestens seit Kaiser Huizong längst etabliert. Als Ahnherrn der Literatenmalerei betrachtete man den Tang-Meister Wang Wei, den Erfinder der „gebrochenen Tusche“ und des monochromen Landschaftsbildes. Man zog die Linie weiter über die Landschaftsmeister der Fünf Dynastien-Zeit und der Nord-Song, wie unter anderen Dong Yüan, Juran, Jing Hao, Li Cheng, Guan Tong, Fan Kuan, Mi Fu über die „Vier Großen“ der Yuan-Zeit zu den Malern der Wu-Schule. Den anderen Strang zog man u. a. von dem Tang-Meister Li Sixun über die Süd-Song-Akademie, also Malern wie Li Tang, Liu Songnian, Zhao Boju und die Ma-Xia-Schule, bis hin zur Zhe-Schule. Dieser akademischen Tradition schrieb man eine Malerei technischer Perfektion, dekorativer Vordergründigkeit und äußerlicher Naturnachahmung zu, während man für die Literatenmalerei Freiheit des subjektiven Ausdrucks, individuelle Pinselführung und tiefere Einsicht in die Natur in Anspruch nahm. In Anlehnung an zwei Richtungen des Chan-Buddhismus nannte man die Traditionslinie der wenren-Malerei „Südliche Schule“, die andere entsprechend „Nördliche Schule“. Die Südliche chan Schule lehrte, dass die Erleuchtung intuitiv, in plötzlicher Eingebung zu erlangen sei, die Nördliche glaubte, dass nur ein lebenslanges Mühen den Schüler Schritt für Schritt der Erleuchtung näher bringe.
So richtig die Unterscheidung dieser beiden künstlerischen Haltungen im Grundsätzlichen war, so falsch ist sie in der Bewertung. Künstlerische Tendenzen, die nicht den eigenen entsprachen, wurden abqualifiziert. Dass es sich um eine moralisierende und ideologische Bewertung handelte, zeigt die Tatsache, dass man Zhao Mengfu, dessen Herkunft, Bildung und Werk in jeder Hinsicht dem Ideal des Literatenmalers entsprachen, nicht der Südlichen Schule zurechnete. Nachfolgende Kritikergenerationen hielten sich eng an dieses Schema und erweiterten es, indem sie auch andere Motivgruppen einbezogen. Es wurde Ursache zahlreicher Missverständnisse und Irrtümer, besonders deshalb, weil ein derart vereinfachendes System nicht jedem Künstler gerecht werden konnte. Es spiegelt das Selbstverständnis des konfuzianischen Gelehrten in einer aus den Fugen geratenen Welt. Er sah sich und Seinesgleichen verpflichtet, die überlieferten, in seinen Augen positiven Werte zu verteidigen. Als minderwertig musste er die ansehen, welche sich als Künstler der Macht unterwarfen, die sich in der zu Ende gehenden Ming-Zeit nur noch als korrupt darstellte.