Brückenbau
Eine der vordringlichsten Aufgaben bei der Vereinigung eines so riesigen Gebietes war es, eine möglichst enge Verkehrsverflechtung zu schaffen. Daher wurden Straßenbau, Flussregulierung und Kanalbau forciert. Naturgemäß konnte auf den Wasserwegen eine weit größere Warenmenge befördert werden, als auf dem Landweg. Das dichte Netz von Wasserläufen, Flüssen und gewaltigen Strömen, welches China durchzieht, führte schon früh zur Entwicklung des Brückenbaus. Aus der Fähre entstand die Schiffsbrücke, die schon zur Zeit der „Frühlings- und Herbst-Annalen“ (722-481 v. Chr.) in Gebrauch war. Je nach den topographischen Verhältnissen bildeten sich in verschiedenen Regionen bevorzugte Konstruktionstechniken aus. Für tiefe Gewässer, wo man möglichst wenige Pfeiler errichtete, eignet sich die Auslegerbrücke wegen ihrer großen Spannweiten. Sie werden ermöglicht durch ein überkragendes Konsolensystem mit darüberliegenden Tragbalken, die wiederum querliegende Bohlen tragen. Die stegartige Balkenbrücke ist vielleicht der älteste Typus. Sie wurde vorwiegend für mittlere und schmale Flussläufe benutzt. Allerdings bauten die Südlichen Song später steinerne Balkenbrücken in Fujian, welche die unglaubliche Länge von 1.200 Metern erreichten mit bis zu 20 Meter langen Steinbalken und fast 50 Stützpfeilern. In schluchtenreichen Gegenden herrschten Hängebrücken vor, während in den weiten Ebenen Ostchinas und in den Deltamündungen der großen Ströme hauptsächlich Bogenbrücken errichtet wurden. Sie überquerten jede Art von Gewässern, von schmalen Flüssen und Kanälen bis zu ganzen Seen. Die älteste Steinbogenbrücke wurde 282 erbaut und führte über den Huang He bei Luoyang.
Sämtliche dieser Brückentypen wurden sowohl in Holz, als auch in Stein errichtet, wobei die Holzkonstruktion jeweils vorausging.
Die Anji qiao-Brücke
Die steinerne Bogenbrücke gehört zu den Gipfelleistungen der chinesischen Baukunst und führt, obwohl ein reiner Zweckbau, weit über bloßes Ingenieurwesen hinaus, das sie zugleich im höchsten Maße verkörpert. Die älteste noch existierende Steinbogenbrücke Chinas ist ein Werk der Sui-Zeit. Es ist die Anji qiao, die „Brücke des Sicheren Übergangs“ in Zhaoxian, Provinz Hebei. Sie wurde zwischen 606 und 618 errichtet . Der Name des Erbauers ist überliefert: Lu Chen. Bereits zu seiner Zeit war er als einer der bedeutenden Baumeister anerkannt.
Allein schon die technische Leistung ist erstaunlich: in einem einzigen flachen Bogen überspannt die Brücke 37,47 Meter mit einer Scheitelhöhe von 7,24 Meter, was im Vergleich mit der Spannweite der Brücke niedrig ist, zugleich aber die Durchfahrt größerer Lastkähne erlaubt. Noch wichtiger ist die geringe Steigung der Brückendecke, denn sie erlaubt auch schweren Fuhrwerken einen bequemen Übergang. Die Steigung beträgt im Verhältnis zur Länge 1:5, ist also beinahe horizontal im Vergleich zu einer Halbkreisbogenbrücke (1:2). Damit ist die Anji Brücke die erste Flachbogenbrücke überhaupt. Ihre Spannweite erreichte keine Brücke des europäischen Altertums. Auf beiden Seiten des Brückenbogens hat Li Chun je zwei kleine Entlastungsbögen eingeführt, die einmal den Druck der seitlichen Widerlager auf den Bogen verringern. Zum anderen aber - und dies war der entscheidende Grund - gewährten sie bei Hochwasser den Fluten und dem mitgeführten Geröll Durchlass, wodurch der Staudruck auf ein Minimum zurückgeführt wurde. Erst im 18. Jahrhundert entdeckte man in Europa die Vorteile offener Entlastungsbögen beim Brückenbau .
Das hier angewandte Konstruktionsprinzip des gemauerten Bogens musste schon damals eine lange Tradition gehabt haben, denn es setzt lange Erfahrung voraus. Neben anderen Systemen kam es auch bei den viel häufigeren Halbkreis- oder Spitzbogenbrücken zur Anwendung. Der Hauptbogen besteht aus mehreren Reihen - in diesem Fall 28 - von leicht gewölbten Steinen, die der Bogenkurve angepasst sind. Diese Steinreihen verlaufen unverbunden nebeneinander. Die Steine jeder Reihe sind mit Eisenkrampen untereinander verbunden, obwohl ihr Zusammenhalt auch ohne Mörtel durch den Druck aufeinander gewährleistet ist. Zur weiteren Verfestigung sind alle fünf Meter Binder eingefügt, d. h. Querbalken aus Stein, welche den Brückenbogen in seiner gesamten Tiefe durchziehen. Die längslaufenden parallelen Steinreihen sind also Ketten vergleichbar, von denen jede unabhängig voneinander unter Druck verformbar ist, ohne dass das gesamte Gefüge zusammenbricht.
In diesem Meisterwerk der Ingenieurkunst ist einer der Schlüsselbegriffe moderner Architektur verwirklicht: „Form follows function“. Obwohl allein auf Zweckmäßigkeit ausgerichtet, hat dieser Bau in seiner Leichtigkeit und Ausgewogenheit der Proportionen ein so hohes Maß an ästhetischer Vollendung erreicht, dass er auch als Kunstwerk Gültigkeit hat, selbst wenn man von dem einfallsreichen plastischen Drachen- und Maskenschmuck der Balustraden absieht.
Die Anji Brücke wurde zum Prototyp für die Entwicklung späterer Bogenbrücken.