Frühe Landschaftskomposition

In die gleiche Zeit, also ins 6. Jahrhundert, gehört ein Sarkophag der Nord-Wei-Dynastie in der Nelson Gallery, Kansas City, etwa aus dem Jahre 525 n. Chr. . Er stellt ein entscheidendes Bindeglied in der Entwicklung der Landschaftsmalerei dar und ist mit feinziselierten Steingravierungen überzogen, welche eine zusammenhängende Komposition bilden. Sie stellen das hohe Lied der Kindesliebe dar, die „Taten der sechs guten Söhne“, ein konfuzianisches Thema siehe auch. Hier liegt nun zweifelsfrei eine Arbeit der Zeit vor, aus der zumindest der Bildaufbau zu ersehen ist, wenn auch nicht der Pinselduktus. Denn vermutlich handelt es sich um die Übertragung einer Wandmalerei oder einer Querrolle von Meisterhand.

Steingravuren nach berühmten Vorbildern waren nicht ungewöhnlich, sowohl nach Malereien als auch nach Kalligraphien. Sie ließen sich auf diese Weise mit Hilfe von Tuschabreibungen vervielfältigen.

Die Taten der sechs guten Söhne

Die Linienführung der Ritzzeichnung ist gleichbleibend ohne deutliches An- und Abschwellen im kalligraphischen Sinne, ganz in Übereinstimmung mit den besprochenen Kopien . Die Komposition ist ungewöhnlich dicht, ohne die Leerflächen der reinen Figurenmalerei. Das Geschehen ist hier eng mit der landschaftlichen Umgebung verwoben, im Unterschied zu Gu Kaizhi, in dessen Nymphen-Rolle siehe auch die Landschaftselemente locker verteilt sind. Seine lose Aufreihung von Raumzellen ist hier konsequent fortgeführt zu einer eng verzahnten Raumgliederung, die kleine Bühnen schafft, auf welchen die Szenen spielen. Auch hier erfolgt die Trennung durch Landschaftselemente wie Baumgruppen und Felsen, welche etwas manieriert als säulenartige, kristalline Gebilde gegeben sind, während Bäume und Pflanzen botanisch scheinbar korrekt deutlich unterschieden werden.

Es ergibt sich jedoch nicht nur eine Abwicklung von Raumnischen nebeneinander im horizontalen Sinne, sondern eine deutliche, wenn auch flache und schichtenartige Tiefenstaffelung. An einer Stelle ist ein Vordergrund dargestellt aus welligen Hügeln, wo Rotwild äst. Hier schaltete der Künstler so frei mit den Größenverhältnissen wie noch Gu Kaizhi: die Tiere sind kleiner als vergleichbare Figuren der Hauptebene, die im europäischen Bild als Mittelgrund angesprochen würde. Das Hauptgeschehen eines chinesischen Bildes findet gewöhnlich in einer gewissen Entfernung vom Betrachter statt, die etwa unserem Mittelgrund entspricht. Den Hintergrund endlich schließen Bergketten ab, die von ornamentalen Wolken überschnitten werden, wie man sie schon in der Zhou-Zeit findet. Dieses Mittel, Wolken vor Bergen, wird in der späteren Landschaftsmalerei als raumbildendes Element eine eminente Rolle spielen.

Die Bergketten führen am oberen Sarkophagrand entlang, deuten also einen hochliegenden Horizont an. Dies verdeutlicht den Standpunkt des Betrachters: er schaut von einem erhöhten Punkt auf das gesamte Bildgeschehen, klar ersichtlich an dem offenen Pavillon mit dem aufgebahrten Sarg. Man sieht von oben hinein, wie auch auf das Dach, in der gleichen Weise also, wie schon in der Han-Malerei. Alle diese bildnerischen Mittel werden von nun an konstitutiv für die chinesische Landschaftskunst. Sie werden nicht mehr daraus verschwinden.