Religiöse Malerei und fremdländische Einflüsse

Um authentische Malerei dieser Epoche zu sehen, müssen wir uns nach Dunhuang wenden. Von den unterschiedlichen Einflüssen, die hier zusammentrafen, war bereits die Rede. In den Malereien, die unter den Nördlichen und den Westlichen Wei sowie den Nördlichen Zhou entstanden, vom Ende des 5. bis Ende des 6. Jahrhunderts, lassen sich zwei Stile unterscheiden, die hier nach den Haupteinflusssphären „indisch“ und „iranisch“ bezeichnet werden.

Wandmalerei der Höhle 428 von Dunhuang

Die Höhle 428 aus dem frühen 6. Jahrhundert ist an Decken und Wänden vollständig mit Malerei überzogen . Die Komposition entspricht der einfachen kubischen Gliederung des Innenraums, dessen Decke über dem Querschiff ein Satteldach imitiert. Die Felder zwischen den gemalten Deckenbalken sind mit floralen Motiven ausgeschmückt. Die flachen Deckenpartien zeigen ein sich kreuzweise überlagerndes Balkensystem, das eine Kassettendecke nachahmt. Jedes der Deckenquadrate ziert eine Lotosblüte. In den Deckengemälden der großen buddhistischen Kulthöhlen Indiens, wie z. B. in Ajanta und Bagh, sind sie vorgebildet. Während aber in den indischen Höhlen die Wände meist als einheitlicher Bildraum aufgefasst werden, in welchem eine zusammenhängende Komposition die buddhistische Heilsgeschichte erzählt, sind hier die Wände einfach in horizontale Streifen aufgeteilt. Im Giebeldreieck thront der Buddha mit seinen Begleitern wie der Pantokrator in einem byzantischen Tympanon . Darunter ziehen sich drei Streifen über die gesamte Wandbreite, welche den Aufbau des buddhistischen Universums vor Augen führen: fünf Reihen winziger sitzender Buddhas als farbige Stuckreliefs in ihren Aureolen. Es sind die Myriaden kosmischer Buddhas, von denen jeder einer ganzen Welt vorsteht. Darunter ein breiter Streifen mit sitzenden und stehenden Buddhas, umgeben von Bodhisattvas und fliegenden Himmelsnymphen, den Apsaras. Es handelt sich jeweils um den Buddha Skakyamuni, der in unserer Welt und dem jetzigen Weltzeitalter waltet. Zuunterst bilden drei Reihen kleiner Figuren die buddhistische Gemeinde: Mönche und Laien. Seltsamerweise bewegen sie sich nicht auf den zentralen Buddha zu, sondern wenden sich genau unter ihm voneinander ab, die einen nach links, die anderen nach rechts gerichtet, sodass sie zwei Prozessionszüge bilden, welche an den Höhlenwänden entlang führen. Dies mag bedeuten, dass sie vom Zentrum, dem Buddha, ausgehend, als seine Sendboten die Lehre weitertragen. Zugleich ist es der Versuch des Malers, ein Ehrenspalier darzustellen, das er den Wänden entlang aufreiht, da ihm sonst kein Gestaltungsmittel zur Verfügung steht, Raum anzudeuten.

In der Tat herrscht an den Decken und Wänden absolute Flächigkeit vor. Keinerlei Tiefenstaffelung, etwa durch Überschneidungen, findet sich. Die hierartischen Gestalten sind klar gruppiert nebeneinander geordnet. Dies gibt dem Kultraum eine Einheitlichkeit, die trotz aller Fülle nicht überladen wirkt. Der strenge, übersichtliche Aufbau erinnert verblüffend an einen frühchristlichen oder byzantinischen Kirchenraum. Die Ähnlichkeit beruht aber eher auf einer geistigen Analogie, gewiss nicht auf gegenseitigen Einflüssen: es ist die gleiche klare Weltsicht, die gleiche naive Sicherheit eines jungen Glaubens, das gleiche Denken in hierarchischen Ordnungen, welche die spätantike - frühchristliche Welt und der frühe Buddhismus zentralasiatisch-chinesischer Prägung gemein hatten und die zu ähnlichen Formen des Kultraums führten.

Bei aller Andersartigkeit im Vergleich zum indischen Kompositionsaufbau gehört die Malerei der Höhle 428 dennoch zu den typischen Beispielen des „indischen“ Stils in Dunhuang. Die großen Figuren des Tympanons und des Mittelstreifens tragen indische Gewänder. Ihr sorgfältiger, feingekräuselter Faltenwurf steht in seltsamem Gegensatz zu dem sonst sehr summarischen Vortrag von Körperpartien, Kopfschmuck und Aureolen . Dieses Faltenspiel, der Wechsel großzügig gekurvter Bahnen mit feinplissierten Wellenornamenten an den Gewandrändern, ist eine Übernahme des indo-hellenistischen Stils von Gandhara, besonders deutlich in der Versuchung des Buddha Shakyamuni .

Hier dringen wild gestikulierend die Dämonen Maras, des Versuchers, mit allerlei Waffen auf den Buddha ein. Einige der grotesken Teufel suchen ihr erschreckendes Aussehen und Gehabe dadurch zu steigern, dass sie nach Kinderart die Finger in die schon ohnehin großen Mäuler stecken, um Grimassen zu schneiden. Zum Teil tragen sie Schreckensmasken auf dem Bauch. Im Vordergrund umgirren Maras Töchter die beiden Wächter vor Buddhas Thron und suchen den Erhabenen dabei aus der Meditation aufzustören, worin er die Erleuchtung empfängt. Bis auf die Wächter ist dies alles rein indische Ikonographie: die Szene ist in fast identischem Aufbau und ähnlichen Details noch heute in der Höhle 1 von Ajanta erhalten. Allein die Wächter sind eine hiesige Hinzufügung und absolut unindisch: sie tragen iranisch-zentralasiatische Kriegertracht mit Helmen und langen Hosen. Vor dem Buddha liegt eine ausgestreckte Gestalt am Boden, vielleicht der überwundene Mara, jedoch auch dies ist kein indisches Motiv. Darunter treffen die beiden Prozessionen der kleinen Verehrerfiguren von links und rechts kommend wieder zusammen.

Nicht nur inhaltlich folgten die Maler im Wesentlichen dem indischen Vorbild, sondern auch stilistisch suchten sie einer malerischen Auffassung zu folgen, die ihnen offenkundig fremd war. Das ihnen geläufige Zusammenspiel von Linie und Fläche, welches den Gegenstand strukturiert, und die Umrisslinie, die ihn klar vom Hintergrund abgrenzt, waren sowohl iranische wie chinesische Tradition. Nun tritt indisches Kunstwollen hinzu: die möglichst plastische Modellierung von Körperformen, schwellenden Rundungen, volumenhafter Leiblichkeit.

Dies suchten nun die hier tätigen Künstler durch breite, an den Rändern weich verlaufende Umrisslinien zu erreichen, die sie nur an den nackten Körperpartien einsetzten, also an Gesichtern, Armen, Beinen, Händen und den nach indischer Art unbekleideten Oberkörpern . Im Ergebnis erreichten sie jedoch damit keine größere Reliefwirkung, sondern eine Verstärkung ihre Ornamentstils, eine Malerei von unbestreitbar eigenartigem Reiz, deren Frische und Unbekümmertheit von köstlicher Naivität sind.

Die Parallele zu der ikonenartigen Malerei eines George Rouault (1871-1958) drängt sich auf. Seine absichtsvoll „primitive“ Malweise ähnelt verblüffend diesen Wandbildern. Während Rouault jedoch auf der Höhe seiner Zeit stand, und zu den großen Meistern des 20. Jahrhunderts zählt, sind diese Malereien, bei all ihren Vorzügen, provinzielle Handwerkskunst. Ein Vergleich mit der zeitgenössischen indischen Guptakunst oder mit Kopien nach chinesischen Meistern der Epoche zeigt unmittelbar deren ungleich höheren künstlerischen Rang.

Wandmalerei der Höhle 249

Im Gegensatz zu den geschilderten hierartischen Darstellungen Buddhas und seiner Begleiter sind die erzählerischen Szenen, in welchen die Taten Buddhas in seinen früheren Geburten, den Jatakas, thematisiert werden, frei von indischen Stileinflüssen. So zeigt eine Szene in Höhle 249 Reiter, die in gestrecktem Galopp mit Pfeil und Bogen jagen . Einer wendet sich um und zielt auf ein Raubtier, das ihn verfolgt, während sein Pferd sich steil nach links aufbäumt. Die Raubkatze ist nur skizzenhaft angedeutet. Sollte es sich um einen Löwen handeln, weist dies auf Persien, denn in China war er als Jagdwild unbekannt. Iranisch ist auch das Motiv des Bogenschützen auf galoppierendem Pferd. Dieses Motiv erscheint allerdings auch schon in der Kunst der Han-Zeit. Es sei daran erinnert, dass die Han Verbindung mit dem zentralen und dem westlichen Asien unterhalten hatten siehe auch. So wenig also zu entscheiden ist, woher die Maler dieses Motiv übernommen haben - gegen eine Eigenerfindung spricht die Ähnlichkeit mit älteren Vorbildern - so sicher ist, dass diese Malerei stilistisch vom Impuls beider Kulturkreise getragen wird. Persisch daran ist die starkfarbige, silhouettenhafte Flächigkeit der Figuren. Umrisslinie und Binnenzeichnung fehlen, mithin die entscheidenden Stilmittel der chinesischen Malerei, wie wir sie schon seit der Han-Dynastie kennen. Und dennoch: dort, wo noch die skizzenhafte Vorzeichnung zu sehen ist, wie bei der springenden Großkatze oder dem wilden Büffel der benachbarten Szene, ist die Linie schwungvoll mit großer Sicherheit und ohne Korrektur ausgeführt, ganz im Sinne chinesischer Kunstauffassung. Und ebenso wie die Vorzeichnung ist der malerische Vortrag in den vollendeten Partien von solcher Verve, dass seine Dynamik an den Vorgang fließenden Schreibens erinnert. Die Kompositionsweise ist locker, die Gegenstände verstreut bis zur Beliebigkeit: Reiter, Wild, Bäume und Felsen vermischen sich übergangslos mit Wolken, Flügelwesen, auf Drachen reitenden Gottheiten und anderen Phantasiegebilden der Himmelszone: ein flächenhaftes Fleckenmuster ohne Andeutung von Raum.

Am unteren Bildrand ziehen sich schematische, baumbestandene Berge hin im Wechsel von roter Linienzeichnung auf hellem Grund mit flächiger Darstellung in Braun oder Blau mit Grün, Farben, die sich in der Jagdszene und im Bereich der Himmlischen wiederholen. Wo sich ein Bergmassiv oder ein einzelner Baum aus der zahnartigen Reihe gleichhoher Bergspitzen heraushebt, begrenzen sie verschiedene Szenen.

Verwandlung indischer und iranischer Bildauffassung: Sudana Jakata der Höhle 428

Noch deutlicher ist dieses Prinzip der Szenentrennung im Sudana Jataka der Höhle 428, worin erzählt wird, wie der spätere Buddha als Prinz Sudana sich selbst einer hungrigen Tigerin opfert, die ihre Jungen nicht mehr säugen kann .

In einer Streifenkomposition, wie sie schon typisch war für die Wandgestaltung der Han, entwickelt sich das Geschehen. Die in äußerst primitiver, flächiger Malweise dargestellten „Bergzähne“ bilden Raumnischen, indem sie vom unteren Streifenrand in „perspektivischer“ Schräge ansteigen. Einzelne Bäume und Baumgruppen übernehmen die gleiche Funktion und ergänzen das Landschaftsbild. Dazwischen bewegen sich die Akteure der Handlung. Dieses Kompositionsprinzip der Abwicklung ist das Wesensmerkmal nicht nur des Wandbildes, sondern auch der Querrolle, wie sie sich in dieser Zeit bereits entwickelt hatte siehe auch.

Der erhöhte Horizont

Ähnlich aufgebaut, doch in der lockeren Streuung des Dargestellten näher an der Jagdszene von Höhle 249, ist die Geschichte der fünfhundert geblendeten Räuber, denen Buddha das Augenlicht wiedergab, in Höhle 285 . Hier fällt insbesondere die Palastarchitektur auf mit ihren blauen Dächern. Die Gebäude sind in Parallelperspektive dargestellt und von oben gesehen, sodass man Einblick in die Höfe und Hallen hat mit den dort agierenden Figuren . Dieser erhöhte Standpunkt - bereits in der Han-Malerei entwickelt siehe auch, ist allen erzählenden Kompositionen Dunhuangs eigen. Was sich hier andeutet, sollte für die Raumdarstellung generell, besonders aber für die Landschaftsmalerei bedeutsam werden.

Raumauffassung im Kultbild

Im religiösen Figurenbild ist dieser erhöhte Horizont meist aufgehoben, es sei denn, die heiligen Gestalten sind in einer räumlichen Situation dargestellt, wie z. B. in einer Tempelhalle oder einem Paradiesgarten. Dort aber, wo der Anbetende den verehrten Wesen unmittelbar gegenübertritt, also nicht in der belehrenden Erzählung, sondern im Kultbild, sind Buddha und die Versammlung der Heiligen ihm zugewandt. Sie sind frontal vor ihm aufgereiht oder übereinander geordnet, sodass keinerlei Raumtiefe entsteht, sondern eine geschlossene Ikonenwand.

Sobald die Künstler solcher Ikonen sich freimachten vom indischen Vorbild und den Versuch aufgaben, plastische Qualitäten zu suggerieren, gelangen ihnen Werke von hoher Eigenständigkeit. Im lehrenden Buddha von Höhle 285 und seinen Begleitern zeigt sich der expressiv züngelnde, flammig-spitzige Ornamentstil, welcher so unverwechselbar die Bronzen der Wei-Kunst kennzeichnet, hier übertragen in eine scharf umrissene, stark farbige, flächige Malweise .

Die so geschaffene Flächenstruktur hebt jede Tiefenillusion auf. Sie gibt keine materielle Räumlichkeit wieder, sondern schöpft einen spirituellen „Raum“, in dem sich eine transzendente Welt spiegelt.