Paläste
Der Kaiserpalast von Shenyang
Als Nurhaci die mandschurischen Stämme vereinigt hatte, machte er die alte Stadt Shenyang in der heutigen Provinz Liaoning, das damalige Mukden, 1625 zur Hauptstadt. Nach dem Vorbild chinesischer Paläste wie sie sich seit der Song-Zeit entwickelt hatten, wurde eine kaiserliche Residenz errichtet, die in ihrer Anordnung weitgehend dem Kaiserpalast in Peking vergleichbar ist. Gewisse Abweichungen bei einzelnen Gebäuden dienten speziellen Erfordernissen wie etwa bestimmten Zeremonien, schamanischen Kulten oder einer Symbolik der politischen Ordnung. Stilistisch wesentlich von der chinesischen Architektur geprägt, finden sich neben mandschurischer Überlieferung auch tibetisch-lamaistische Einflüsse. Wie Grundriss und Bauweise stimmte auch die Funktion der meisten Gebäude mit dem chinesischen Hofzeremoniell überein. Hierin spricht sich nicht allein die Bewunderung chinesischer Kultur und des chinesischen Kaisertums aus, sondern in den frühen Palastgebäuden latent bereits der später offiziell erhobene Anspruch, dessen Erbe anzutreten. Nachdem Peking Hauptstadt des Qing-Reichs geworden war, kehrten die Kaiser regelmäßig zur Verehrung ihrer Ahnen nach Shenyang zurück, das ihre zweite Hauptstadt blieb. Qian long ließ die Palastanlage erweitern und eine Reihe Gebäude restaurieren. Insgesamt wirkt der Palast weniger monumental als der Pekinger, nicht nur seiner geringeren Ausdehnung wegen - wovon sich die volkstümliche Bezeichnung „Kleiner Kaiserpalast“ (Xiao gu gong) herleitet - sondern auch wegen der geringeren Dimensionen der einzelnen Bauwerke und der augenfälligen Schmuckfülle, welche die Architektur der wichtigsten Gebäude überzieht.
Die mittlere Palastachse
Der von einer hohen Mauer umschlossene Komplex gliedert sich in drei benachbarte, südnördlich ausgerichtete Folge von Höfen, deren Achsen gegeneinander leicht verschoben sind . Die wichtigsten Gebäude und der Grundplan des Mitteltraktes entstanden unter Huang tai ji, dem Sohn und Nachfolger Nurhacis. Dieser zentralen Palastgruppe vorgelagert sind zwei quadratische Musikpavillons außerhalb der Mauer, die wie Wächter die Zentralachse flankieren und zugleich einleiten. Die zwischen ihnen und der Palastmauer west-östlich verlaufende Straße wird an beiden Seiten von einem Ehrentor unterbrochen, wodurch ein Palastvorplatz entsteht, ähnlich dem Platz vor dem „Mittagstor“, der einstmals durch seitliche Tore gesperrt war siehe auch. Nach Norden folgt hinter einem Durchgang durch die Umfassungsmauer die Torhalle der „Großen Klarheit“ (Da qing men). Sie entspricht ihrer Lage nach dem „Tor der Höchsten Harmonie“. Wie dieses hat sie drei Treppenaufgänge, aber nur fünf Joche in der Breite. Hier versammelten sich die hohen Beamten vor den Ratssitzungen mit dem Kaiser. Der dahinter gelegene Haupthof war früher im Unterschied zu dem in Peking eingeengt durch mehrere Nebengebäude - Wirtschafts- und Warteräume - die heute verschwunden sind. Eine weitere Abweichung von der strengen zeremoniellen Symmetrie des Ming-Layouts in Peking ist die Gebäudegruppe des Kaiserlichen Ahnentempels, die sich unmittelbar östlich an die Torhalle anschließt in einem abgeschlossenen Mauergeviert mit einem eigenen, gesonderten Torbau und Seitengebäuden. Vielleicht war westlich des Tors ein ähnlicher Komplex als Gegengewicht geplant. Die fünf mal vier Joche messende Haupthalle des Ahnentempels am Ende des kleinen Hofes steht auf einer erhöhten Plattform, Zeichen für den Rang des Bauwerks. Alle hochrangigen Gebäude des Palastes sind auf Terrassen errichtet. Aus der Gepflogenheit des mandschurischen Adels, seine Herrschaftssitze in gebirgigen Gegenden auf hohen Terrassen anzulegen, leiten sich die hohen Terrassen der Privatpaläste ab, während die staatlichen Gebäude auf niedrigeren Terrassen stehen.
Die Halle der Erhabenen Regierung
Dort wo sich in der „Verbotenen Stadt“ die „Halle der Höchsten Harmonie“ erhebt, steht hier der Thron- und Audienzpalast, die „Halle der Erhabenen Regierung“ (Chong zheng dian), die 1632 errichtet wurde und wo Huang tai ji die Gründung der Qing-Dynastie verkündete siehe auch . Im Vergleich mit ihrem Gegenpart nimmt sich die Halle geradezu bescheiden aus. Die Tai he dian besteht aus elf mal fünf Jochen, die Chong zheng dian aus fünf mal drei. Sie ist damit nicht größer als das Eingangstor Da qing men und gleicht ihm auch architektonisch. Im Pekinger Palast nehmen allein schon die Nebentore des Tai he men fünf Jochbreiten ein und sie sind mit Fußwalmdächern gedeckt. Tor- und Haupthalle in Shenyang haben einfache Giebeldächer, stellen also eine relative Frühform der Palastarchitektur dar, die der Konstruktionsweise des einfachen Wohnhauses noch nahesteht.
Was an bautechnischem Raffinement fehlt, wird allerdings durch reichen Dach- und Giebelschmuck ausgeglichen, wie er einer Palasthalle angemessen ist. Das leicht eingebogene Dach, das kaum Überstand an den Traufen hat, trägt auf dem First einen aufgemauerten Ziegelstreifen mit farbigen Keramikreliefs sich windender Drachen zwischen Wolken . Die drachenartigen chi wei, welche die Firstenden mit aufgerissenem Maul zu verschlingen scheinen, recken die Schwänze hoch und rollen sie zu einer Volute ein nach Art der Taranteln. Auf den Dachkanten der Giebelseiten verläuft das gleiche Reliefband wie auf dem First. Es beginnt an der Giebelspitze und nimmt auf jeder Seite zwei Drittel der Giebelkante ein. An seinem unteren Ende reckt sich ein reich gemusterter Drachenkopf empor mit drohend aufgesperrtem Rachen. Vor ihm sind bis zum Dachrand die üblichen glück- und schutzbringenden Dachreiterfiguren aufgereiht. Und noch einmal erscheint der Drachenfries an den Giebelfronten unterhalb eines Keramik-Schmuckbandes aus hängenden Blättern im Wechsel mit Medallionscheiben. Nun steigen die Drachen - blau vor grün-blauem Wasser- und Wolkenhintergrund - hintereinander zur Giebelspitze auf in der Jagd nach der Glücksperle. Das Dach ist mit gelben Keramikziegeln gedeckt, der kaiserlichen Goldfarbe. Die Dachränder sind von grünen Ziegelstreifen gesäumt. Vermutlich sollte die Kühle dieser Farbe die Hitze von Feuersbrünsten bannen. Der Dachschmuck der Chong zheng Halle wiederholt sich nahezu identisch an allen Palastbauten.
Das Gebäude steht auf zwei niedrigen Terrassen, auf einer vorspringenden mit drei dreistufigen Treppen im Süden und einer Treppe im Osten und im Westen, sowie auf einer zweiten Terrasse, welche nach Norden versetzt etwas mehr als die Hälfte der unteren bedeckt. Auch zu der oberen Terrasse führen drei Treppen, deren mittlere von einer Drachenrampe geteilt wird. Diese Terrasse und ihre Treppen sind mit Balustraden geschmückt. Ihr Dekor ist im Unterschied zu dem des Kaiserpalastes in Peking weit weniger standardisiert. Balustraden und Terrassengesims sind über und über mit Pflanzenmustern, Drachen und Wolken überzogen. Die Ornamente sind zwar einander ähnlich, jedoch nicht identisch, was die Wirkung einer größeren Lebendigkeit hervorruft. Die verschlungenen Motive der vierkantigen Pfostenköpfe sind plastisch stärker durchgebildet, als die zylindrischen Bekrönungen der Balustradenpfosten in Peking. Die Balustraden der Treppenfluchten tragen Skulpturen von Schutztieren. Die kaiserliche Mitteltreppe wird flankiert von zwei drolligen, dicken, kleinen Löwen, die auf Pfosten hocken und zwei ebenso naiv gestalteten, kleinen qi lin am Treppenaufgang . Zwischen den Tieren begrenzt auf jeder Seite eine runde Steinplatte den Treppenaufgang. Sie ruht zwischen Wolkenvoluten und ist mit einem Drachenrelief geschmückt. Ihre dunklere Färbung setzt sich ab vom Weiß der Balustraden und der Pfosten. Die verschiedenfarbigen Steinsorten, die hier verwendet wurden - darunter rötliche, grünliche und dunkelgraue - verleihen diesen Treppenfluchten eine erhöhte dekorative Wirkung und eine besondere Lebhaftigkeit.
Die Giebelfronten der Chong zheng Halle bestehen aus Backsteinmauern, vor die auf jeder Seite reich ornamentierte Steinpilaster gesetzt sind, denen die Dachenden aufliegen. Unterhalb der Traufen wird das Dach von sechs Pfeilern getragen. Da die Hallenwände zwischen vier innere Säulen zurückgesetzt sind, entsteht eine offene Pfeilervorhalle. Die Schäfte der äußeren Stützen sind vierkantig und von Flügelkapitellen gekrönt, die nach beiden Seiten ausgreifen. Sie tragen zwei schwere Querbalken, übereinander mit einer zahnschnittartigen Reihe Miniaturkonsolen, auf welchen eine doppelte Reihe Dachsparren ruht, wobei die obere über die untere vorkragt. Die Kapitelle sind mit geschnitztem und bemaltem Rankenwerk überzogen. In der Mitte des Kapitellblocks ist eine Hörner tragende Dämonenmaske im Relief dargestellt mit rund vorquellenden Augen und ohne Unterkiefer. Die Urform dieser Gestalt entstammt der altindischen Mythologie und findet sich an indischen Tempeln als Kopf des Dämons Rahu. Auf dem Umweg über den tibetischen Buddhismus, dem auch die Mandschu anhingen, ist das Motiv hierher gelangt .
Grundsätzlich zeigen eine Anzahl dekorativer Details des Palastes lamaistischen Einfluss. Die Gestaltung des verbindenden Deckenbalkens zwischen den Frontpfeilern der Vorhalle und den hinteren Säulen ist durchaus unchinesisch, so chinesisch das Motiv ist: ein gekurvter Balken, behauen zu einem Drachenleib, der sich aus der Rückwand herauszuwinden und den Tragbalken über den Frontpfeilern zu durchstoßen scheint. Der Kopf mit aufgerissenem Rachen, der detailliert Zunge und spitzige Hauer zeigt, sowie die seitlich weit ausgestreckten Vorderbeine mit ihren gespreizten Krallen, ragen vollplastisch aus dem Gebälk hervor. Sie sind von außerordentlicher Expressivität und steigern die durch Bemalung und Schnitzwerk ohnehin schon lebhafte Traufzone zu ungewohnter Lebendigkeit. Das gleiche Motiv findet sich an der Da qing-Torhalle.
Die hinteren Säulen der Vorhalle sind rund. Zwischen ihnen sind Holzwände, Fenster und Türen eingelassen, die alle mit filigranem Holzgitterwerk versehen sind. Bis auf die Trauf- und die Deckenzone ist die gesamte Vorhalle in Zinnoberrot angelegt. Es ist die Farbgebung aller Palasthallen.
Drei Türen führen ins Innere. Auch hier ist die Halle von einfachem architektonischen Zuschnitt: ein weiter, rechteckiger Raum, der von keinen tragenden Säulen unterbrochen wird. Dachstuhl und Balkenwerk liegen frei. In regelmäßigem Abstand überspannen jeweils drei Balken übereinander die Hallentiefe und stützen das Dach. Zwischen diesen Balken sind niedrige Stuhlsäulen eingefügt. Ein noch größerer ornamentaler Reichtum als an den Außenseiten entfaltet sich im Inneren. Kaum ein Quadratzentimeter des Holzwerks ist ohne Bemalung mit den bekannten ranghohen Mustern kaiserlicher Gebäude (he xi): florales Rankenwerk, Drachen und Wolken, klar gegliedert innerhalb von Kartuschen oder anderem Rahmenlineament, das die Struktur der Bauglieder unterstreicht.
In der Hallenmitte und nach hinten versetzt, um Raum davor zu gewinnen, erhebt sich der Thron . Zu einer balustradengeschmückten Empore führen drei Treppen von vorne und zwei von den Seiten. Ein Baldachin in Form eines Palastdaches ruht auf sechs Säulen. Vier Säulen stehen um den eigentlichen Thronsitz, zwei enger stehende sind davor gesetzt. Sie tragen ein Vordach und bilden so ein Vestibül vor dem Thron. An diesen beiden Säulen stürzen sich vollplastische Drachen in wild verschlungenen Bewegungen herab und recken sich mit ausgestreckten Krallen wieder empor. Die vergoldeten Schlangenleiber heben sich wirkungsvoll vor den blauen und weißen Wolken ab, die auf die roten Säulenschäfte gemalt sind. Auch auf dem Paravent hinter dem Thronsessel windet sich ein goldener Drache. Baldachin, Empore, Treppenwangen und Thron sind vollständig mit dekorativem Schnitzwerk überzogen und mit Bemalung unter reicher Verwendung von Gold. Die Rückfront der Thronhalle entspricht bis in die Einzelheiten der Vorderfront, nur führen die drei Treppenfluchten nicht auf eine Terrasse, sondern unmittelbar in den dahinter liegenden Hof. Zwei Torbauten von dreimal drei Jochen und mit je einer Treppe im Süden und Norden flankieren die Thronhalle. Ihre Satteldächer wiederholen verkleinert die Form der Haupthalle und sind in gleicher Weise dekoriert.
Der innere Palast
Der hinter der Chong zheng Halle gelegene Bereich des zentralen Trakts ist ähnlich wie der Bezirk der Privatpaläste in Peking in parallele Hofkomplexe aufgeteilt. Hier sind es drei, von denen der mittlere den breitesten Raum einnimmt. Er ist selbst noch einmal in einen südlichen und einen nördlichen Hof unterteilt. Architektonisch entspricht dieser Teil der Palastanlage den „lnneren Gemächern“ (nei ting) in Peking: auf die zur Achse quer stehende Haupthalle mit dem üblichen Rechteckgrundriss folgt ein quadratisches Mittelgebäude und darauf wiederum ein quer stehender, rückwärtiger Palast. Anstelle umlaufender Galerien, wie in Peking, finden sich im Hof hinter der Chong Zheng Halle vier längsgerichtete Seitengebäude, die als Studios oder Wohnräume dienten und auch hier den Hofraum einengen.
In den beiden seitlichen Hoffluchten sind Paläste und Pavillons in jeweils vier Höfen hintereinander angeordnet, die sogenannten „Östlichen und Westlichen Loggien“. Sie wurden von dem Qian long-Kaiser für seine private Nutzung dem Mitteltrakt hinzugefügt. In der Westlichen Loggia befindet sich der „Palast der Erhaltung der Oberhoheit“, zu dem ein erhöhter Dammweg führt. Der Name weist darauf hin, dass Qianlong hier wichtige Staatsgeschäfte tätigte .
Das mittlere der drei Hauptgebäude des Mitteltraktes ist der „Phönixturm“ (Feng huang lou) an der Stelle, wo in Peking die „Halle der Mittleren Harmonie“ (Zhong he dian) steht, beziehungsweise die „Halle der Kosmischen Vereinigung“ (Jiao tai dian) im privaten Teil des Palastes . Der dreigeschossige Pavillon wurde zwischen 1627 und 1635 erbaut. Hier fanden Beratungen, Empfänge und Bankette statt. Das Gebäude stellte funktionell eine Art Übergang vom offiziellen zum privaten Teil des Palastes dar, denn hierher zog sich der Kaiser auch zeitweise zurück. Möglicherweise befand sich hier auch einmal der Wohnsitz der Kaiserin, worauf die Bezeichnung „Phönix“ - das Symbol der Kaiserin - hinzudeuten scheint. Der Turmpavillon erhebt sich am südlichen Rand einer 3,80 Meter hohen Plattform zusammen mit fünf Wohnpalästen, je zwei im Osten und im Westen - und dem „Palast der Reinheit und Ruhe“ (Qing ning gong) am nördlichen Ende. Die seitlichen Paläste - Wohnungen der Nebenfrauen - haben ihre Zugänge nicht wie üblich im Süden, sondern ihre Fronten sind einander gegenüber zur Hofseite ausgerichtet. Die Plattform hat einen quadratischen Grundriss und ist von zwei Mauern umschlossen, zwischen denen ein schmaler Umgang für die Wachen frei gelassen wurde: eine abgeschlossene Festung innerhalb des Palastes. Der Phönixturm hat umlaufende Dächer über den beiden Untergeschossen und ist mit einem Fußwalmdach gedeckt. Die oberen Geschosse sind jeweils etwas zurückgesetzt. Die ringsum führenden Säulengalerien bestehen aus fünf Interkolumnien nach jeder Seite, wobei die äußeren schmaler sind als die inneren. Im Untergeschoss werden sie von Rundsäulen gebildet, in den oberen Geschossen sind die Säulen abgekantet. Über den Säulen mit ihren typischen seitlichen Flügelkonsolen ist jeweils ein zweites reichgeschnitztes Kapitell mit einem Dämonenkopf angebracht. Der Innenraum eines jeden Geschosses ist in drei mal drei Joche eingeteilt. Der Reichtum des bemalten Schnitzwerks innen und außen an Decken, Konsolen, Kapitellen und Balustraden steht der Chong zheng Halle in nichts nach. Ebenso die Keramikdekoration der Dächer am First, an den Ziegeln und an den Figuren entlang der Dachkanten. Das chi wei-Motiv findet sich hier sogar an den Ecken eines jeden Geschosses, nicht nur an den Firstenden. Es scheint, als versetze dieser filigrane Dekor, der das Gebäude umspielt, seine gesamte Struktur in vibrierende Bewegung.
Der Palast der Klarheit und Ruhe
Der eigentliche Privatpalast Huang tai jis und seiner Kaiserin ist das dritte Gebäude auf der mittleren Achse, das von zwei kleinen Seitenhallen flankiert wird. Es entspricht der „Halle der Wahrung der Harmonie“ (Bao he dian) im offiziellen Teil des Kaiserpalastes in Peking, beziehungsweise dem „Palast der Irdischen Ruhe“ (Kun ning gong) im dortigen „lnneren Hof“. Es ist der 1625 errichtete „Palast der Klarheit und Ruhe“ (Qing ning gong), wo sich die kaiserlichen Schlafgemächer befanden und die Garküche für die kultischen Schweineopfer . Eine solche Ritualküche wurde zur Qing-Zeit auch im Kun ning gong von Peking eingerichtet und gehörte zu den täglichen schamanischen Riten der Mandschu.
Der Qing ning Palast ist von relativ einfachem Zuschnitt. Der fünfjochige Rechteckbau trägt ein leicht einwärts gebogenes, gelbes Satteldach mit grünen Rändern. Der farbige Keramikdekor des Firsts zeigt die Symbole von Kaiser und Kaiserin, Drachen und Phönix. Die Wände der Schmalseiten und teilweise die Frontwände bestehen aus Ziegelmauern, die von großen Fenstern unterbrochen werden. An der Süd- und der Nordseite ist eine Säulenveranda den inneren Räumen vorgelagert. Die rot lackierten, vierkantigen Stützen haben die bekannten Flügelkonsolen, die den Querbalken unter dem Traufdach abfangen. Wie an den beschriebenen Gebäuden krönt auch hier ein zweites reichgeschnitztes Kapitell jede Säule. Das Gebäude steht auf einer niedrigen Plattform, an die im Süden eine kleinere anschließt. Sie ist etwas nach Westen verlegt, also aus der Symmetrieachse gerückt. Eine undekorierte, niedrige Treppe aus fünf Stufen führt hinauf. Sie liegt genau in der zentralen Fluchtlinie der drei Hauptpaläste, also nicht in der Mitte der vorspringenden Plattform, sondern etwas weiter östlich. Rechts daneben führt eine zweite niedrige Treppe unmittelbar zur Hauptplattform, auf der das Gebäude ruht.
Der Grund zu dieser eigenartigen Anordnung liegt in einer Tradition der frühen Mandschu-Architektur: der Eingang liegt nicht in der Mitte, sondern in diesem Fall nach Osten versetzt zwischen das vorletzte Joch, vor dem die zweite Treppe liegt. Dadurch, dass der Eingang seitlich versetzt wurde, gewann man im Innern Platz für eine langgestreckte, aus Ziegeln gemauerte Sitzbank entlang der Außenwände sowohl an der Nord-, als auch an der Süd- und der Westseite. Hier nahm der Kaiser mit den höchsten Beamten das Ritualmahl ein. Vor der Sitzbank im Süden ist ein beheizbarer Tisch aufgemauert, im Norden ein Herd mit zwei großen Kesseln, worin das Fleisch der Opfertiere gegart wurde. Dieser Raum der Geisterverehrung nimmt vier Jochbreiten ein, während das fünfte Joch östlich des Eingangs dem kaiserlichen Schlafgemach vorbehalten blieb. Es ist in einen nördlichen und einen südlichen Raum unterteilt, in dem sich jeweils ein Bett befindet. Der aus Ziegeln bestehende Unterbau des Bettes im südlichen Gemach ist von der Veranda aus durch eine dreieckige Öffnung beheizbar.
Trotz seiner reichen Dekoration innen und außen wirkt das Gebäude für einen Palast geradezu bescheiden. Es spiegelt noch die architektonisch wenig anspruchsvolle Form der frühen mandschurischen Adelshäuser.
Die westliche Palastachse
Der westliche Trakt des Palastes wurde erst unter Qian long 1782 fertiggestellt . Hier hielten auch die späteren Qing-Kaiser Hof, wenn sie die alte Hauptstadt besuchten. Auch dieser Bereich gliedert sich in eine Folge von Höfen und Gebäudekomplexen. Im südlichen Hof umschließt eine rechteckige Pfeilergalerie einen Innenhof. Im Norden und Süden ist sie zu einer fünf Joche breiten Halle erweitert. Von der südlichen Halle aus ragt ein fast quadratisches, an drei Seiten offenes Gebäude in den Innenhof: die Bühne des Hoftheaters . Typischerweise ist die Halle größer, als die eigentliche Spielstätte. Es ist die Theatergarderobe, wo die aufwendigen Masken der Schauspieler gebildet und die Kostüme hergestellt wurden. In dem nördlichen Gebäude, der Jia Yin Halle, steht ein Thronsitz, von wo aus der Kaiser den Aufführungen zusah. Minister und Hofstaat konnten sie von der offenen Galerie aus verfolgen.
Der Pavillon der Literarischen Erinnerung
Im nächsten Hof erhebt sich hinter einem Torbau eine der sieben Bibliotheken, die unter Qian long an verschiedenen Orten Chinas errichtet wurden, um die „Vollständige Sammlung der vier Schätze“ (Si ku quan shu) aufzunehmen, eine Sammlung aller damals bekannten Schriften der Alt- und der Neuzeit. Der „Pavillon der Literarischen Erinnerung“ (Wen su ge), erbaut 1781, folgt nicht dem Schema der üblichen Bautypen . Von außen erscheint er wie ein zweigeschossiger Bau mit einfachem Satteldach. Im Obergeschoss zieht sich eine mit Gitterwerk verschlossene Fensterfront über die gesamte Breite des Gebäudes, im Untergeschoss verläuft eine überdachte Säulenveranda an Vorder- und Rückfront. Durch die Höhe des Obergeschosses, wodurch die Traufdächer beider Geschosse weiter auseinander rücken, entsteht nicht mehr der Eindruck eines Doppeldachs wie es die Norm ist. Die Veranden erscheinen als vor das Gebäude gesetzte, selbständige Einheiten. Dies wird dadurch betont, dass an den massiv aufgemauerten Giebelseiten prachtvoll dekorierte Bogenportale eingelassen sind, welche die seitlichen Zugänge zu den Veranden bilden. Eine weitere Eigenart ist die Jocheinteilung. In der Tiefe nimmt das Gebäude drei Jochbreiten ein. Es ist ungewöhnlicherweise mit sechs Jochen in der Breite konstruiert. Während der Säulenabstand bei allen anderen gleich bleibt, ist das westliche Joch schmäler. Es nimmt gerade die Breite eines Treppenaufgangs ein, der zum Obergeschoss führt. In jedem Geschoss reihen sich mit Schnitzwerk dekorierte Bücherschränke an den Wänden. Über den Bücherschränken des Untergeschosses ist an der Ost-, Nord- und Westseite ein Zwischengeschoss eingezogen, wodurch der untere Bibliotheksraum doppelte Höhe gewinnt. In der Raummitte wurde der Schreibtisch des Kaisers aufgestellt. Das Zwischengeschoss ist mit Holzgitterwerk und Vorhängen abgeschlossen, die Bücherregale in der unteren Halle ebenfalls, nur unterschiedlich rhythmisiert, wodurch die Wände bis zur Decke von lebhaften, geometrisch gegliederten Mustern überzogen sind.
Die farbige Gestaltung des Pavillons zeugt vom Glauben an eine Art magischer Wirkung der Farbe. Mit Ausnahme der Farbe Rot, die an einigen Stellen erscheint, wie an Kapitellen und Sturzbalken, wurden durchweg kalte Farben benutzt und solche, die mit Wasser und Feuchtigkeit in Verbindung gebracht werden. Das Dach ist mit schwarzen Keramikziegeln gedeckt, der Symbolfarbe des Wassers, die Dachränder sind grün, ebenso die Säulen sowie Fenster- und Türrahmen . Blau kompensiert Rot. Weiß, vorwiegend als Streifen an Konsolen und Balkenrändern, ergibt eine besonders kühlende Wirkung im Kontrast mit intensiven Farben. Und eine Feuer abweisende Wirkung sollten auch die Motive des Keramikdekors am First haben: Wolken- und Wasserornamente in blau und weiß.
Unmittelbar hinter der Bibliothek schließt sich ein rechteckiger Säulenumgang an, der nach außen abgeschlossen ist und sich nach innen zu einem Garten öffnet. Den Nordteil dieser Säulengalerie nimmt das Yang xi Studio ein, zu dem ein erhöhter Dammweg durch die Gartenmitte führt. Es diente Qian long als Arbeitsraum und nimmt sieben mal drei Joche ein. Im dahinter liegenden nördlichen Hof stehen zwei kleine Seitenhallen und ein langgestreckter neunjochiger Bau mit einer nach Süden offenen Säulenveranda, während die Rückwand nach Norden geschlossen ist. Architektonisch antwortet er auf ein ähnliches, älteres Bauwerk im östlichen Trakt des Palastes. Der sogenannte „Hof der Sonnenschirme“ fängt zugleich die Abfolge der Palastbauten im Westtrakt auf und schließt ihn nach Norden ab.
Die östliche Palastachse
Der östliche Teil des Gu gong von Shenyang ist der älteste . Er entstand unter Nurhaci ab 1625 und ist der originellste Bereich des Palastes, der in dieser Form auch keine Vorbilder in China hat. Auf zwei seitliche Musikpavillons, welche den Zugang im Süden flankieren, folgt eine Allee, die aus zehn Pavillons mit annähernd quadratischem Grundriss gebildet wird, je fünf auf jeder Seite. Am Ende der Allee erhebt sich eine große, achteckige Halle. Ein langgestrecktes, quer stehendes Gebäude mit einer elf Joche zählenden Veranda - der „Kaiserliche Wagenpark“ - riegelt dahinter die Gebäudefolge ab. Sie nimmt die gesamte Länge des östlichen Palasthofs ein, ohne von Mauern unterbrochen zu werden. Für eine solche Pavillon-Allee gibt es keine Beispiele . Allenfalls die quadratischen Stelenpavillons im Konfuziustempel von Qufu siehe auch, die jedoch kaum als Vorbild gedient haben dürften. Denn die Pavillons in Shenyang weisen noch eine Besonderheit auf: sie sind nicht exakt in einer geraden Flucht ausgerichtet, sondern die einander gegenüber stehenden sind geringfügig enger zusammengerückt, je näher sie dem Achteck-Pavillon am Kopfende der Allee stehen. Auf diese Weise sind sich die beiden letzten Pavillons nicht nur einander am nächsten, sondern auch dem Kopfgebäude. Diese Anordnung entsprach der Sitzordnung in einem Staatsrat oder bei Banketten: am Kopfende der Kaiser, die Würdenträger in einer Doppelreihe sich gegenüber entsprechend ihren Rängen, die höchsten dem Kaiser am nächsten. Die Achteckhalle, die „Halle der Großen Regierung“ (Da zheng dian) war zur frühen Qing-Zeit Sitz des Kaisers als oberster Feldherr, und hier wurden die Riten durchgeführt, die ihn als Herrscher über die Mandschu-Stämme legitimierten. Hier fand die Inthronisierung statt, wurde die Armee in den Krieg entlassen und die siegreichen Heerführer empfangen. Die beiden nächstgelegenen Pavillons waren den ältesten Prinzen, „dem zur Rechten“ und „dem zur Linken“ vorbehalten, die übrigen den Befehlshabern der „Acht Banner“ siehe auch als Residenz und für Ratssitzungen. Die Funktion und Bedeutung dieser Pavillons als Sitz der acht Bannergeneräle wird in dem schwalbenschwanzartigen Layout ausgedrückt: es gleicht dem chinesischen Zeichen für die Zahl Acht.
Die Pavillons der Acht Banner
Die Bauweise der zehn Pavillons ist identisch . Sie sind mit einem grauen Fußwalmdach gedeckt, dessen First in Richtung der Haupthalle verläuft. Die Dachüberstände ragen markant vor, im Unterschied zu den beschriebenen Satteldach-Hallen. Entsprechend sind die Dachecken auch stärker aufwärts gekrümmt. Eine offene Veranda umschließt die kleine Halle, die an drei Seiten aus Ziegelmauern errichtet ist, während die Seite mit der Eingangstür aus Holztäfelung und Gitterwerk besteht. Sie öffnet sich nach dem Prozessionsweg, der zu dem großen Pavillon führt. Das Dach wird von zwölf Säulen getragen, die an den Ecken zu einer Dreiergruppe zusammengefasst sind, sodass ein breites Mitteljoch entsteht. Die Ecksäulen sind rund, die inneren achtfach abgekantet. Nur über den Säulen sind Konsolen angebracht, nicht wie in anderen Fällen auch über den Querbalken zwischen den Säulen. Insgesamt steht die Konstruktionsweise dieser Pavillons noch deutlich in der Tradition der Song und Yuan.
Die Halle der Großen Regierung
Das achteckige Bauwerk am Ende der Pavillon-Allee ist das erste Regierungsgebäude, das Nurhaci errichten ließ, als er Shenyang (Mukden) unter dem Namen „Blühende Hauptstadt“ (Shengjing) zu seiner Hauptstadt machte . Auch die Da zheng Halle folgt in ihrer Bauweise chinesischer Tradition. Ihre Grundkonzeption geht zweifellos auf das Rundzelt zurück, wie es von Nomaden und Steppenvölkern benutzt wurde und wird. Gewiss gab es Zwischenstationen in der Entwicklung von der Jurte zu einem solchen Gebäude, wie etwa die Rundhütte, deren Dach auf Pfosten ruht. Bekannt ist ein oktogonaler Vorgängerbau, den Nurhaci in Liaoyang, Liaoning, errichten ließ. In der Holzkonstruktion kommt eine polygonale Architektur dem Rundbau am nächsten, weshalb auch die Holzpagoden meistens als Sechs- oder Achtecktürme errichtet wurden. Die eingeschossige Da zheng Halle hat den Zeltcharakter noch bewahrt: in ihren Proportionen, das heißt in dem Verhältnis des niedrigen Unterbaus zum dominierenden Dach und vor allem in der Dachform selbst. Es ist ein oktogonales Zeltdach mit einem separaten Traufdach darunter, ein Doppel- oder Stufendach also, das auf der jahrhundertealten Erfahrung chinesischer Zimmerleute in der Konstruktion solch komplizierter Dachformen beruht. Der Zusammenfluss dieser Überlieferung mit einer nomadischen Bautradition ermöglichte dieses ungewöhnliche Bauwerk. Es ist nicht auszuschließen, dass das „Kaiserliche Himmelsgewölbe“ oder „Himmelszelt“ (Huang qiong yu) im Himmelstempel von Peking siehe auch den gleichen Ursprung hat.
Die Da zheng Halle ruht auf einem achteckigen, marmorverkleideten Sockel mit reich skulptierten Balustraden gleich denen der Chong zheng Halle. An den Seiten der Haupthimmelsrichtungen führen Treppen hinauf, an der südlichen eine Doppeltreppe mit der drachenreliefgeschmückten Rampe, über welche die kaiserliche Sänfte getragen wurde. Die Säulenveranda, die das untere Traufdach trägt, besteht aus 24 äußeren und 8 inneren rot lackierten Rundsäulen. Die Außensäulen sind an den Gebäudeecken so gruppiert, dass jeweils drei enger zusammenstehen und dadurch an jeder Seite ein breites Mitteljoch frei bleibt. Dieser Wechsel von zwei engen Jochen und einem breiten ergibt einen lebendigen Rhythmus im Ablauf des Säulenumgangs. Zwischen den inneren Säulen bilden Türpaneele die Außenwände der Halle.
Im oberen Teil sind Holzgitterfenster in sie eingelassen, unten umrahmt reiches Schnitzwerk Medaillons mit Drachenreliefs. Die Bemalung ist gold und rot. Die Haupttüren öffnen sich nach den Kardinalrichtungen. Am augenfälligsten ist der Eingangsbereich im Süden gestaltet. Hier winden sich vollplastisch zwei riesige, vergoldete Drachen aufwärts um die beiden Außensäulen, die den Haupteingang flankieren . Wie die Drachen in der Chong zheng Halle sind sie detailgenau wiedergegeben: die phantastischen Köpfe mit aufgerissenen Rachen, mit Zunge und Reißzähnen, ihre Leiber mit Schuppen, Rückenkamm, den ausgefächerten Schwanzspitzen und den dolchspitzen Krallen - jeweils fünf, die sie als kaiserliche Drachen kennzeichnen. Ein Vorderlauf greift schräg nach oben, wo die flammende Glücksperle als Relief am unteren Sturzbalken schwebt, der andere ist diagonal weit nach hinten gereckt in so heftiger Bewegung, dass sie äußerste Anspannung ausdrückt. Die Vorderklauen sind im Zugriff gefährlich weit gespreizt, die hinteren krallen sich fest an den Säulenschaft. Diese Phantasiegeschöpfe sind von einer eindringlichen Expressivität, die Kraft und Gefährlichkeit signalisiert. Die dynamische, gleichsam knochenlose, schlangengleiche Geschmeidigkeit, mit der sie die Säulen spiegelbildlich umschlingen, bildet einen dramatischen Gegensatz zu den statischen Strukturen von senkrechten Säulen und waagerechten Balken. Auf diese Weise gelingt eine wirkungsvolle Hervorhebung des Haupteingangs, der sich architektonisch von den übrigen Zugängen nicht unterscheidet. Diese Drachensäulen bilden bereits von weitem einen unübersehbaren Blickfang, der den gesamten Vorhof beherrscht. Das Motiv erscheint schon in der Song-Zeit, am eindrucksvollsten und in verschiedenen Varianten an den Frontsäulen der Sheng mu Halle des Jin ci Tempels bei Tai yuan, Shanxi siehe auch.
Die Zone unter den vorspringenden Dachtraufen ist ähnlich gestaltet wie die der Chong zheng Halle: die doppelten Sturzbalken werden von Flügelkonsolen unterfangen, die seitlich aus den Säulen hervortreten, während sie an der Chong zheng Halle auf den Pfeilern ruhen, also ein Kapitell bilden. Eine ähnliche Dämonenmaske wie an diesen Kapitellen sitzt hier unmittelbar über der Säule vor dem unteren Sturzbalken . Zu beiden Seiten sprießen geringelte florale Muster empor, ebenfalls zu symmetrischen Flügelformen zusammengefasst. Die Hände des Dämons erscheinen zwischen den Ranken neben seinem Kopf, so als kauere er zum Absprung bereit. Es ist die gleiche Haltung, die sich in abstrahierter Form bei der tao tie Maske findet siehe auch.
Im Unterschied zur Chong zheng Halle sitzen hier nun in klassischer Weise Konsolen unter den Traufen, und zwar nicht wie im allgemeinen bei den Ming- oder den späteren Qing-Bauten in dichten Reihen, sondern klar voneinander getrennt über den Säulen und in der Jochmitte . Die aus den Konsolen zweifach herausragenden Balkenenden der ang sind ähnlich wie Elefantenrüssel zu Voluten nach oben eingerollt. Besonders an den Eckkonsolen, wo sie vervielfacht sind und nach drei Seiten abstehen, ergibt sich ein äußerst komplexes Bild. Das komplizierte und reich bemalte Konsolensystem verleiht den Traufzonen eine hohe Lebendigkeit. Dasselbe gilt für die reich verzierten Dächer, deren Dekor dem der anderen Palastdächer gleicht, von den gelben und grünen Ziegeln bis zu den glasierten Figuren der Dachreiter. Auf den acht Keramikfirsten sitzt hier noch jeweils eine kleine Kriegerfigur nahe der Dachspitze, die von einem vergoldeten, reich ornamentierten Knauf gekrönt ist.
Ein dritter Kranz von acht Säulen stützt im Halleninneren die Kuppel des Zeltdachs. Sie zeigt eine enge Verwandtschaft mit polygonalen Kuppeln der Song- und der Liao-Epoche. Über den Sturzbalken, die auf den inneren Säulen ruhen, kragen sechzehn Doppelkonsolen vor. Sie sind so gefügt, dass jeweils ein Konsolenpaar übereinander die Ecken besetzt und eines die Mitte des Feldes. Obwohl sie als Reihe erscheinen, sind sie klar voneinander abgesetzt. Ihre Funktion bleibt erkennbar, ohne dass ihre dekorative Wirkung verloren geht, auf die allein es in der späteren Qing-Architektur ankam. Von den Eckkonsolen steigen acht Balken schräg zur Laterne an. Die trapezförmigen Felder zwischen ihnen sind mit Rankenornament dekoriert, dessen Mitte ein Kranz von stilisierten Lotosblättern einnimmt. Er umschließt in jedem Feld ein tibetisches Zeichen für eine der acht kosmischen Richtungen. Im Inneren der nach oben sich weiter verjüngenden Laterne sind noch einmal fünf Konsolenschichten übereinander getürmt, in deren Zentrum eine Rundplatte mit einem vergoldeten Drachenrelief die Laterne abschließt. Dort, wo nach buddhistischen Vorstellungen der höchste Buddha seinen Sitz hat und nach den acht Weltrichtungen wirkt, ist hier der kaiserliche Drache abgebildet. Im Zusammenhang mit den Richtungssymbolen verkündet er den Anspruch des Kaisers auf die Herrschaft über alle Himmelsrichtungen.
Drachendarstellungen herrschen auch am Angelpunkt der Halle vor, dem Thron . Ähnlich wie am Thron der Chong zheng Halle bestehen die Rückenlehne und die Seiten aus einem durchbrochenen Geflecht verschlungener Drachen, das kaum zu entwirren ist. Der Sockel des Thronsitzes und die siebenteilige Stellwand dahinter sind vollständig mit Drachendekor bedeckt, ein „barockes“ Geschlinge von neun Drachenleibern krönt die Stellwand . Nirgendwo findet sich eine Stelle an Thron und Mobiliar, die frei von Ornament ist, so wie das gesamte Halleninnere mit Dekor überzogen ist: Demonstration von Reichtum, der überwältigen soll. Und die Überfülle von Drachenbildnissen wirkt geradezu wie eine magische Formel, mit der die unüberwindliche Macht des Kaisers nicht nur dargestellt, sondern auch beschworen und befestigt werden soll, so als müsse sie dem Herrscher immer wieder bestätigt werden.
Die Da zheng Halle, wenn sie auch weitgehend von chinesischer Bautradition beeinflusst war, zeigt am Beginn der Qing-Architektur eigenständige Züge, die aus dem Zusammenfluss verschiedener Überlieferungen entsprungen sind. Nachdem die Mandschu die Macht in China errungen hatten, dominierte das chinesische Vorbild in der Palastarchitektur so gut wie uneingeschränkt.
Der Palast von Chengde
Die beliebteste Sommerresidenz der frühen Qing-Kaiser war das heutige Chengde, Hebei, damals Jehol, nach den in der Nähe der Stadt entspringenden warmen Quellen: „Warmer Fluss“ (Re he). Das Gebiet, das von den Qing-Kaisern regelmäßig zur Jagd aufgesucht wurde, ist vom Kang xi-Kaiser 1711 offiziell zum Sommersitz bestimmt worden. Die Jagden, die in der weiteren Umgebung stattfanden, wurden wie Feldzüge durchgeführt und dienten nicht nur der Erholung, sondern sie galten als taugliches Mittel der Prinzenerziehung und um kriegerische Fähigkeiten in Übung zu halten. Nicht zuletzt bestimmten politische Gründe die Ortswahl. Es ging um gute Kontakte zu den Steppenvölkern der Inneren Mongolei und ihre Bindung an das Qing-Regime, sowie die Sicherung der Nordgrenze gegen Expansionsbestrebungen des zaristischen Russland. Chengde wurde so zum zweiten politischen Zentrum des Qing-Reichs. Hier fand auch der berühmt gewordene erste - allerdings ergebnislose - Empfang einer westlichen Gesandtschaft durch Qian long statt unter dem Engländer Earl Georg Macartney. Chengde wurde aufgegeben, nachdem der Jia qing-Kaiser 1820 hier durch Blitzschlag umkam.
Zwar gab es bereits früher Pavillons und Unterkünfte für die Jagdgesellschaften, mit den Arbeiten an der kaiserlichen Residenz wurde nicht vor 1703 begonnen. Sie zogen sich bis 1790 hin. Unter Qian long wurden weitere Gebäudekomplexe hinzugefügt.
Das Areal von 5,6 Quadratkilometern, das aus Hügeln, Seen und wildreichen Wäldern bestand in einer sonst baumarmen Gegend, wurde von einer den topographischen Gegebenheiten folgenden Verteidigungsmauer mit Zinnen und Wehrgängen umgrenzt, durch die zehn Tore führten . Die Gesamtlänge der Mauer beträgt ca. zehn Kilometer, das Gelände übertrifft in seiner Ausdehnung Sommer- und Kaiserpalast in Peking zusammengenommen. Kang xi nannte die Anlage treffend „Bergzuflucht vor der Sommerhitze“ (Bi shu shan zhuang). Als allgemeines Vorbild für die eigentlichen Palastbauten diente wiederum der Kaiserpalast. Drei Palastanlagen liegen im Süden nebeneinander in der üblichen Süd-Nord Ausrichtung. Die Seengruppe liegt nordöstlich der Paläste. Auf den Inseln der Seen und an ihren Ufern sind mehrere Lustpavillons in einer weniger strengen Anordnung errichtet, Der weitaus größte Teil des Gebietes wird von einem Naturpark eingenommen, in dem Kang xi und Qian long zweiundsiebzig Aussichtspunkte auswählten, von denen Qian long die von ihm bevorzugten in sechsunddreißig Gedichten besang. Von den einzeln stehenden Gebäuden außerhalb der Palastgruppe kam der Bibliothek „Pavillon des Meeres der Literatur“ (Wen jin ge) besondere Bedeutung zu. Architektonisch entspricht sie der Bibliothek von Shenyang siehe auch. Sie ist eine der sieben Bibliotheken, die der Qian long-Kaiser an seinen Lieblingsaufenthaltsorten bauen ließ. Auf seinen Befehl wurde auch die Mehrzahl der elf Tempelkomplexe errichtet, die im Norden und Osten außerhalb der Mauer liegen siehe auch.
Die südlichen Paläste
Der Hauptpalast
Die Palastgruppe im Süden besteht aus einem Hauptpalast (Zheng gong) im Westen, dem „Kiefern- und Kranich Palast“ (Song he zhai gong), der von Qian long für seine Mutter errichtet wurde mit fast dem selben Grundriss und der Ausdehnung des Hauptpalastes, und der „Östliche Palast“ (Dong gong), von dem nur noch Fundamente vorhanden sind. Nördlich des Song he zhai Palastes schließt sich eine Gebäudegruppe an mit der „Halle der Rauschenden Kiefern in Tausend Tälern“ (Wan he song feng dian). Der Pavillon liegt auf einer Anhöhe, die von Kiefern bestanden ist, mit Blick auf den nördlich gelegenen See. Hier befand sich das Arbeitsstudio des Kang xi Kaisers. Die wichtigste Gebäudegruppe war der Hauptpalast, wo Kang xi und seine Nachfolger Hof hielten . Hier herrscht wiederum die selbe, gleichsam unverrückbare Symmetrie wie im Kaiserpalast. Der langgestreckte Grundriss ist in neun Raumeinheiten aufgeteilt, die jeweils einen Vorhof mit einem Hauptgebäude einschließen, sowie in den meisten Höfen jeweils zwei identische Nebengebäude, die einander genau gegenüber stehen. Dort, wo in Peking die beiden Flügel des Mittagstors den ersten Palastvorhof bilden, entsteht hier ein Vorplatz zwischen dem Haupttor, dem „Tor des Glanzes“ (Li zheng men) und der Geisterwand, die den Zugang nach außen abschirmt und den Beginn der Palastachse bezeichnet. Hinter dem Haupttor schließt sich ein erster Vorhof an mit dem zweiten Tor. Während die übrige Palastanlage von geradlinigen Mauerrechtecken eingeschlossen wird, hat die Umfassungsmauer des ersten Hofs eine eigenartige Form. Ihre Ähnlichkeit mit dem Layout des „Goldwasserflusses“ (Jin shui) im Kaiserpalast ist unverkennbar. Mauer und Flussbett beschreiben einen gleichmäßigen Bogen nach Süden. Nimmt man die seitliche und die nördliche Begrenzung beider Höfe hinzu, ergibt sich eine weitere Ähnlichkeit der umschlossenen Flächen. In Cheng de ist dieser Vorhof breiter, als die übrige Palastanlage. Seine Seitenmauern sind in der Nähe der nächsten Hofmauer rechtwinklig nach innen gezogen und stoßen dann schräg auf sie. Während der Jin shui einen Schießbogen evoziert, gleicht hier der Umriss von Vorhof und Palastanlage auf verblüffende Weise der Form einer Armbrust.
Es folgen der zweite Vorhof mit dem Palasttor, der Haupthof mit der Thronhalle, der „Halle der Aufrichtigkeit und der Bescheidenheit“ (Dan bo jing cheng dian), der Hof vor dem „Studio der Vier Kenntnisse“ (Si zhi ge) und der Hof vor der „Neunzehn-Joch Halle“ (Shi jiu jian dian), mit welcher der „Äußere Hof“ (Wai chao) endet, also die offiziellen und amtlichen Gebäude. Dahinter liegen die kaiserlichen Privatpaläste, der „lnnere Hof’ (Nei chao) mit Vorhof und Torhalle, dem Haupthof mit dem Wohnpalast „des Erfrischenden Plätscherns“ (Yan bo zhi shuang). Die letzte Raumeinheit bildet der „Pavillon des Reichs der Wolken und Berge“ (Yun shan sheng di ge) mit seinem Vorhof, ein zweigeschossiges Gebäude, das sich über einer langgestreckten Halle erhebt, welche ebenfalls die gesamte Hofbreite einnimmt und die Raumfolge abschließt. Die drei Gebäude des „lnneren Hofes“, die auf der Achse liegen, sind durch Galerien verbunden. Die kleineren Seitenhallen beherbergten die Wohnungen der Konkubinen und Hofdamen. Ein kleiner Torbau führt durch die Nordmauer aus dem Palastbereich hinaus, das „Tor der Bergwolken“ (Xiu yun men). Ein solcher Durchgang auf der allgemein als gefahrbringend angesehenen Nordseite ist nicht die Regel. Offenbar betrachteten die Geomanten den Palast als genügend geschützt durch die Seengruppe und die Hügel im Norden.
Die Halle der Aufrichtigkeit und Bescheidenheit
Die Haupthalle des Palastes, die „Halle der Aufrichtigkeit und Bescheidenheit“ (Dan bo jing cheng) wurde zunächst unter Kang xi 1710 errichtet und unter Qian long erneuert . Dem duftenden Edelholz, das dabei verwendet wurde, verdankt der Bau den Beinamen „Nan mu Halle“. Zwei fünfjochige Seitenflügel umfassen wie zwei vorgestreckte Arme den baumbestandenen Vorplatz. Zwei kleine quadratische Musikpavillons stehen im Süden vor ihren Schmalseiten. Das fünfjochige Palasttor mit drei Durchgängen bildet den südlichen Zugang.
Die große Halle zählt neun Joche in der Breite und fünf in der Tiefe, wobei die äußeren Säulenabstände an den Palastecken im Vergleich zu den inneren wesentlich geringer sind . Und zwar entsprechen sie der Breite des Säulenumgangs. Während die gesamte Frontseite der inneren Halle mit der üblichen reich geschnitzten Täfelung und Gitterfenstern bzw. -türen versehen ist, sind an der Rückseite nur die drei mittleren Joche vertäfelt, die restlichen Wände sind gemauert. Das langgestreckte Fußwalmdach hat Rundgiebel und einen abgerundeten First. Es gibt hier keine aufgemauerte Keramikdekoration auf dem First und auch die chi wei an den Firstenden fehlen, wie dies auch bei den abgerundeten Giebeln einfacher Wohnhäuser üblich ist. Wie der First verlaufen die Dachtraufen geradlinig und sind nur an den Enden leicht angehoben. Dies verleiht dem Gebäude eine gewisse Steifheit und Strenge, die vielleicht angestrebt wurde, um den Eindruck zeremonieller Würde zu vermitteln. Konsolen unter den Traufen spielen hier keine Rolle mehr. Die Plattform, auf welcher die Halle ruht, hat keine Marmorbalustrade und die mittlere der drei Treppen, die zu ihr hinauf führen, keine Drachenrampe. Dies vielleicht als Zeichen von Bescheidenheit, worauf ja auch der Name der Halle hindeuten soll. Reichtum und Prachtliebe drücken sich hier wesentlich in der Fülle des Schnitzwerks aus. Überall an Täfelung und Kassettendecken finden sich die Glückssymbole: Fledermaus in einem labyrinthischen Geflecht und das doppelte Swastikazeichen . Im architektonisch einfachen Innenraum steht der Thron auf einer niedrigen Empore, die an drei Seiten über Treppen zugänglich ist. Brüstungen und Treppenwangen sind vollständig mit Schnitzereien überzogen.
Gebäude des Parks
Außerhalb der Paläste sind zahlreiche Einzelgebäude und Architektur-Ensembles über das gesamte Areal des Naturparks verstreut: Studios, Aussichtspavillons, Ruheplätze, Tempel, die Bibliothek. In diesen Bauwerken konnten die Entwerfer - stets unter persönlicher Aufsicht des Kaisers - in phantasievollen Kombinationen die beschränkte Anzahl überlieferter Grundformen zu immer neuen und reizvollen Gruppierungen zusammenfügen. Ledig vom Zwang repräsentativer Palastbauten konnte hier auf eine absolute Axialität, auf Symmetrie und Süd-Nord Ausrichtung verzichtet werden, obwohl eine axiale Ordnung noch in den freisten Gebilden chinesischer Architektur stets erhalten bleibt. Diese relative Freiheit, die in den Gartenhäusern von Privatleuten und Literaten schon Tradition hatte, verdankt sich hier der Naturauffassung der frühen Qing-Kaiser, besonders Kang xis und Qian longs. Von Menschenhand geschaffene Strukturen in einem Garten sollten sich auf natürliche Weise der naturgegebenen Szenerie einordnen, ob dies nun Wasserläufe oder Seen waren, Bäume, Felsformationen oder Berggipfel.
Auf seinen zahlreichen Inspektionsreisen besuchte der Qian long Kaiser berühmte Landschaften und Gärten, die er skizzieren ließ, um sie nachbauen zu lassen, wenn sie sein Gefallen erregten. Ebenso verfuhr er mit Einzelgebäuden, die in seine Landschaftsgärten integriert wurden. In einzigartiger Weise erfüllte sich unter ihm der alte Traum kaiserlicher Bauherrn, die schönsten Landschaftspanoramen in die eigenen Gärten zu verpflanzen. Das berühmteste Beispiel dieser Art ist der Neue Sommerpalast bei Peking, der „Garten der Pflege der Harmonie“ (Yiheyuan) siehe auch.
Die Pavillons im Herzen des Sees
Zu der Fülle poetischer Szenerien in Chengde zählt eine technische Anlage, deren Zweckmäßigkeit hinter der ästhetischen Gestaltung vollständig zurücktritt: die „Pavillons im Herzen des Sees“ (Shui xin xie) . Es handelt sich um ein Schleusensystem zwischen zwei Seen, dem „Silber“- und dem „Unteren See“ (Yin hu und Xia hu). Die drei Pavillons stehen auf einem Damm, durch den drei Schleusen führen. Der mittlere Pavillon ist auf einer schmalen und länglichen Steinbrücke errichtet, unter der sechs Schleusenkammern liegen, die seitlichen Pavillons erheben sich auf sechseckigen, gemauerten Steininseln, die jeweils durch eine schmale und kurze Brücke mit den äußeren Enden des Damms verbunden sind. Unter den beiden Brücken befindet sich jeweils eine weitere Schleusenkammer. Die beiden Dammenden erweitern sich trapezförmig zur Breite der Steininseln. Diese Verengungen und Erweiterungen erinnern an die Glieder einer Kette. Ebenso symmetrisch wie diese Kette aus Brücken und geometrischen Inseln sind auch die Pavillons angelegt . Der mittlere ist ein schmaler Rechteckbau, dessen Plattform die gesamte Breite der Brücke einnimmt. Das zweistufige Dach ruht auf acht Säulen. Das obere ist ein Fußwalmdach mit Rundgiebel und -first. Die äußeren Pavillons haben einen quadratischen Grundriss und ihre Dächer ruhen auf sechzehn Säulen, je vier an einer Ecke zu einer Gruppe zusammengefasst. Ihre Zeltdächer sind von einem Knauf gekrönt. Der Dekor, wie das Gitterwerk im Obergeschoss und unter den Traufen, wie Dachkanten oder die Bemalung, entspricht dem Schmuck von Palastgebäuden. Die Traufränder und Dachkanten, besonders der oberen Dächer, sind konkav gebogen und verleihen den zierlichen Gebäuden eine beschwingte Leichtigkeit, fast so als schwebten ihre Dächer über den Säulen der offenen Hallen, durch die nach der einen Seite die flimmernde Wasserfläche des Sees hindurchschimmert, nach der anderen sich die Kelche und Blätter eines Lotosteichs ausbreiten. Auf diese Weise vollkommen in die Umgebung eingebettet, verliert dieses Ensemble jede Strenge trotz seiner konsequenten Symmetrie und gewinnt an bezaubernder Anmut.
Die Insel Goldhügel
Ein Beispiel scheinbar lockerer und völlig freier Gruppierung, sozusagen das dialektische Gegenstück zu den drei Pavillons, ist die lnsel „Goldhügel“ (Jin shan) im „Oberen See“ (Shang hu), ein daoistischer Tempelkomplex . Die annähernd ovale Insel ragt nach Westen in den See und ist an ihrer „Rückseite“ im Osten durch einen Wasserlauf vom Land getrennt. Eine kleine Brücke im Südosten bildet die einzige Verbindung. Die „Vorderseite“ ist nach Westen gerichtet und durch eine Doppeltreppe definiert - eine Bootsanlegestelle - hinter der sich nach einem Vorhof die Eingangshalle erstreckt . Sieben Joche breit und ein Joch tief, gleicht sie eher einer Säulengalerie. Tatsächlich erhebt sich ihr abgerundetes Satteldach nur wenig über die unmittelbar anschließenden Säulenkorridore. Nur mittels einer leichten Vergrößerung der Säulenabstände und einer geringfügigen Erhöhung der Säulen hervorgehoben, ist die Eingangshalle in das Korridorsystem integriert, das mit einer Ausnahme alle Gebäude der Insel miteinander verbindet. Von den Enden der Halle ausgehend umschließen zwei kurze Korridorarme den Vorhof. Sie reichen bis an die Ufermauer, von wo die Säulengalerie nach beiden Seiten dem Bogen des Seeufers folgt.
Im Norden endet die Galerie an einem offenen quadratischen Pavillon mit Zeltdach, dem „Pavillon des Duftenden Landes“ (Fang zhou ting), der auf einer quadratischen Plattform steht, die in den See ragt . Im Süden biegt die Galerie nach Osten ab und steigt dem Gelände folgend bergan. Dann knickt sie rechtwinklig nach Norden ab, um in den vorderen Säulenumgang der „Halle der sich im Wasser spiegelnden Wolken und Berge“ (Jing shui yun cen) zu münden. Sie erhebt sich oberhalb der Eingangshalle und zwar so, dass ihr Mitteljoch genau in der Achse des Mitteljochs der Eingangshalle und der Ufertreppe liegt. Obwohl hier die typische axiale Ordnung von Palastbauten angewendet wurde, ist die große Halle nur über den Umweg der Säulengalerie zu erreichen, da zwischen der Eingangshalle und der Jing shui yun cen Halle keine Treppe angelegt wurde. Die Säulenveranda der Halle zählt an den Frontseiten sieben Joche, wobei die äußeren wiederum die schmalsten sind. An den Schmalseiten besteht die Veranda aus drei Jochen, den schmaleren äußeren und einem Mitteljoch, das die gesamte Breite der inneren Halle einnimmt. Diese ist in fünf gleich breite Joche eingeteilt. Ein langgestrecktes Fußwalmdach mit Rundgiebeln deckt das Gebäude. Nördlich schließt unmittelbar eine kleine, rechteckige Satteldach-Halle an.
Hinter dem rechtwinkligen Knick, den der Säulengang im Süden beschreibt, zweigt um zwei Jochbreiten versetzt eine Galerie nach Osten ab, die steil bergan steigt. Im Inneren führen Treppenstufen hinauf. Wie die übrigen Säulengänge trägt auch diese Galerie ein Satteldach mit abgerundetem First.
Auch sie stößt seitlich an die Veranda einer großen Halle und bildet deren einzigen Zugang, denn das Gelände fällt nach drei Seiten steil ab. Die „Halle der Kosmischen Freude“ (Tian yu xian chang dian) liegt auf der zweithöchsten Erhebung, die aus künstlichen Felsen besteht. Das Gebäude hat eine fünf zu dreijochige Säulenveranda, eine inneren Halle, die aus drei Jochen in der Breite besteht, und ein Fußwalmdach mit gerundetem First. Es überragt alle übrigen Hallen der Insel und stellt die Verbindung her zwischen den unteren Gebäuden, deren Dachhöhen nur allmählich ansteigen, und dem höchsten Bau, dem „Pavillon der Himmelskaiser“ (Shang di ge), der sich auf dem höchsten Punkt erhebt, ebenfalls einem künstlichen Felsenhügel .
Der dreigeschossige Turmpavillon ist den höchsten daoistischen Gottheiten geweiht. Jeder von ihnen ist in jedem Stockwerk eine Kapelle eingerichtet. Für sich betrachtet hält der pagodenförmige Turm keinem Vergleich etwa mit einer Liao- oder einer Song-Pagode stand. Das sechseckige Gebäude hat in jedem Geschoss eine ringsum führende, begehbare Säulenveranda, die von Stockwerk zu Stockwerk enger wird, da der Durchmesser der inneren Räume gleich bleibt, während die dächertragenden Stützen wie üblich nach oben hin zurückgesetzt sind. Die Veranden ruhen unmittelbar auf dem darunter liegenden Geschoss. Dem Qing-Bau fehlt das Konsolensystem, das bei älteren Bauten unter jedem Geschoss ein reiches Spiel von Licht und Schatten entfaltete und das ihnen Plastizität, Kraft und Lebendigkeit verlieh. Der Dachüberhang nimmt nach oben hin so stark ab, dass zuletzt das obere Dach zu leicht wirkt im Verhältnis zum Baukörper - eine schwächliche Krönung des Turms, die noch von der Winzigkeit des Knaufs auf der Spitze betont wird. Diese architektonischen Defizite fallen jedoch nicht übermäßig ins Gewicht, betrachtet man den Pavillon im Kontext der gesamten Tempelanlage und seiner Umgebung. In der vertikalen Schichtung der Gebäude bildet er den bedeutendsten Akzent, das Zentrum, um das sich alles ordnet, ohne dass er im geometrischen Mittelpunkt steht. Er bildet zugleich die Spitze der Bedeutungshierarchie: je höher die Gebäude stehen, um so wichtiger ihre rituelle Funktion, was sich zugleich in ihren Dimensionen ausdrückt. Von keiner Seite erscheint das Ensemble symmetrisch, gleichsam als sei es zufällig entstanden, so natürlich wie die Felsen oder die Büsche und Bäume, die zwischen den Hallen, Galerien und Pavillons emporwachsen.
Und dennoch wirkt auch hier der Sinn für Symmetrie und Axialität fort: die Tian yu xian chang Halle liegt südlich des Shang di Turms genau in seiner Süd-Nord Achse. Die Eingangs- beziehungsweise Ausgangstüren beider Gebäude liegen einander gegenüber, verbunden durch eine künstliche Felsentreppe. Halle und Stockwerkpavillon stehen im gleichen Verhältnis zueinander wie in der idealen Tempelanlage die Verehrungshalle zur Pagode. Doch das Spiel aus Achsen und Fluchtlinien greift noch weiter. Es erfasst alle Hallen und Pavillons und vernetzt sie untereinander. Verlängert man zum Beispiel die Rückseite der Jing shui yun cen Halle, also ihre Ostseite, nach Norden, so verläuft diese gedachte Linie entlang der kleinen Rechteckhalle und trifft auf die Westseite des Fang zhou Pavillons. Oder die Verlängerung der nördlichen Schmalseite der Jing shui yun cen Halle nach Osten trifft auf die Nordseite des Shang di ge, während die Südseite von dessen Basis fast genau in der Flucht des Mitteljochs der Halle liegt. Und ebenso stößt die Verlängerung ihrer südlichen Schmalseite nach Osten auf die Nordfront der Tian yu xian chang Halle. Geringfügige Abweichungen von diesen Fluchten und Achsen mögen sich aus technischen Gründen oder Berechnungsfehlern erklären. Keinesfalls können diese Bezüge zufällig entstanden sein, dazu ist das System zu genau durchdacht. Es entspringt einer geometrisch geplanten Ordnung, deren horizontale und vertikale Gliederung in einem empfindlichen Gleichgewicht zwischen Symmetrie und Asymmetrie verharrt.
Dem Betrachter, der außerhalb oder innerhalb der Anlage umherwandelt, erschließen sich stets wechselnde und überraschende Ansichten, die sich vielfach auch im Spiegel des Sees verdoppeln: Architektur und Natur in jener engen und harmonischen Verbindung, die dem Idealbild des chinesischen Gartens entspricht.
Der Sommerpalast
Um die Sommer in einer angenehmeren Umgebung zu verbringen, als in der Hitze der Hauptstadt, ließen sich die Beherrscher Nordchinas schon früh Residenzen außerhalb der Mauern von Peking errichten. Bereits 1153 entstand so unter dem Jin-Kaiser Wan yan liang eine erste Palastanlage in einem Hügelgelände wenige Kilometer nordwestlich der Stadt am Fuße der Westberge. Quellen, Wasserläufe und ein See brachten Kühlung und Frische. Unter den Yuan wurde der See erweitert und die Ming fügten mehrere Lustpavillons und einen Tempel hinzu. Unter den Qing wurden nicht nur weitere Gebäude errichtet, sondern es entstanden in dieser Gegend eine Reihe von Parkanlagen mit Pavillons, größeren Palasthallen, Sakralbauten und in sich abgeschlossenen Gärten, vorwiegend unter Kang xi und Qian long. Die bedeutendsten Anlagen waren der Alte Sommerpalast, der „Garten der Vollkommenen Klarheit“ (Yuan ming yuan) und der Neue Sommerpalast, der „Garten der Pflege der Harmonie“ (Yiheyuan).
Gärten anzulegen bedeutete in China schon früh nicht allein Blumen, Büsche und Bäume zu pflanzen, sondern die gesamte vorgefundene Landschaft umzugestalten und zwar so, dass sie am Ende wiederum „natürlich“ wirkt. Es wurden Hügel und Täler angelegt, Bach- und Flussläufe, Teiche und Seen, Felsgruppierungen und Höhlen, dazwischen Stege und Brücken sowie Aussichtspavillons, deren Lage eine bestimmte Ansicht bot oder deren Fenster- und Maueröffnungen bestimmte Landschaftsausschnitte vermittelten. Dieser Landschaftskunst unterlag stets eine kosmische Symbolik oder eine ästhetische Absicht, wie zum Beispiel die Verwandlung einer gemalten Landschaft oder eines Gedichtes in eine reale Landschaft oder die Übertragung einer wirklichen Landschaft an einem anderen Ort in die Wirklichkeit der nachgebauten Landschaft. Eine künstliche Welt, die vermittels realer Mittel Illusionen schafft. Die Abgrenzung eines solchen Areals durch Mauern - ob es sich um einen bescheidenen Privatgarten handelt oder eine kaiserliche Parkanlage - verdeutlicht dies anschaulich: die Realität wird ausgeschlossen. Darauf deuten auch die poetischen Namen dieser Gärten hin.
Der „Bauwut“ des Qian long Kaisers, die seine „Sammelwut“ vielleicht noch übertraf, ist die Entstehung eines der erstaunlichsten Landschaftsparks Chinas zu verdanken. Da alles, was er unternahm, in großem Stil geschehen musste, ließ er die Anlage der Ming um gut zwei Drittel auf 290 Hektar erweitern: der heutige Yiheyuan. Künstliche Hügel und Wasserläufe wurden angelegt, die gewaltigsten Erdarbeiten betrafen jedoch den alten „Westsee“ wie ihn die Yuan hinterlassen hatten. Nach Abschluss der Arbeiten, die von 1751 bis 1764 dauerten, bedeckte der neue See ca. vier Fünftel der Gesamtfläche des Parks. Deiche, durch Brücken miteinander verbunden, durchzogen den See, und Inseln ragten daraus hervor . Er wurde in Kun ming See umbenannt nach einem See im Changan der Han-Zeit, die Gesamtanlage nannte man „Garten der klaren Wellen“ (Qing yi yuan). Der sich am Nordufer des Sees hinziehende Berg wurde mit mehreren Gruppen von Pavillons und Palasthallen bebaut, in deren Mitte und als integraler Bestandteil der Palastanlagen verschiedene buddhistische Heiligtümer errichtet wurden. Qian long verlieh dem Berg den Namen „Berg des Zehntausendfachen Lebens“ (Wanshou shan) . Anlass dieser Namensgebung und des Baubeginns war der sechzigste Geburtstag der Kaiserinmutter. Einige ihrer Lieblingsgegenden in Südchina wurden nachgebaut, so die Dämme des Westsees von Hangzhou, eine Ladenstraße entlang einem Kanal von Suzhou oder ein Garten aus Wuxi.
Als nach dem zweiten Opiumkrieg britische und französische Truppen im Jahre 1860 Peking besetzten siehe auch, verwüsteten und plünderten sie die kaiserlichen Parkanlagen und Sommersitze als Warnung an die Qing-Regierung, das Friedensabkommen einzuhalten und um neue Zugeständnisse zu erpressen. Von den bedeutendsten Anlagen blieb der Yuan ming yuan in Trümmern, der Qing yi yuan jedoch wurde ab 1888 wieder aufgebaut und in Yiheyuan umbenannt. Er war der Lieblingsaufenthalt der Kaiserinwitwe Ci Xi siehe auch, welche Steuergelder, die zum Aufbau der chinesischen Flotte vorgesehen waren, dafür verwandte. Die Arbeiten wurden 1895 abgeschlossen. Als während des Boxerkrieges 1900 europäische Truppen Peking wiederum einnahmen, wurde der Sommerpalast abermals zerstört. 1903 ließ die Kaiserinwitwe den Park erneut anlegen und die Baulichkeiten zu einem großen Teil wieder errichten. Die meisten erhaltenen Gebäude stammen daher aus dem Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Dabei blieb das überlieferte Layout weitgehend erhalten. Im Detail jedoch war die Architektur vom Geschmack der Ci xi geprägt, besonders Mobiliar und Innenausstattung: überladen mit Dekor und mit verspieltem, luxuriösem Nippes - es war zugleich auch der Zeitgeschmack.
Das Gesamtensemble, die Verbindung von Architektur und gestalteter Natur, sucht seinesgleichen in diesen Dimensionen. Obwohl die Paläste und Sakralbauten symmetrisch und fast durchweg in strenger Süd-Nord-Axialität angelegt sind, wirken sie wie locker hingestreut zwischen der Bepflanzung . Dort, wo sie enger gruppiert sind, entsteht der gleiche Eindruck einer labyrinthischen Verschachtelung wie im Kaiserpalast. Die Paläste und Pavillons sind in drei Hauptgruppen zusammengefasst: eine Mittelgruppe im Zentrum des Wanshou-Berges, eine westliche am Seeufer und eine östliche, die größte, die sich am Fuß des Berges zwischen dem Ufer und der Außenmauer erstreckt. Im Norden des Berges zieht sich ein länglicher See entlang von wechselnder Breite wie ein langsam dahinfließendes Gewässer, der „Hintere See“ (Hou hu). Nur wenige Gebäude sind hier noch erhalten. Einst führte hier die „Suzhou Straße“, der Nachbau einer Kanalstraße der südchinesischen Stadt. Einige Pagoden, bzw. Aussichtstürme und Pavillons stehen vereinzelt an den nördlichen Hängen des Wanshou shan. Auch auf den dem Ufer des Kunming Sees vorgelagerten Inseln befinden sich einige Tempelgruppen, die größte auf der größten Insel, welche auf halbem Wege vor der schmalen Uferpromenade liegt, die nach Süden führt: die „Südsee Insel“ (Nan hu dao). Der Schrein des „Drachenkönigs“ (Long wang miao) stammt in seiner heutigen Form aus dem 18. Jahrhundert. Zur Ming-Zeit stand an dieser Stelle ein Vorgängerbau am Seeufer. Die „Siebzehn-Bogen-Brücke“ (Shi qi kong qiao), die zur Insel führt, ist ein Meisterwerk der Brückenbaukunst siehe auch. Der Süden und Westen des Sees wird von Deichen durchzogen, die durch weitere sechs Brücken verbunden sind. Hinter dem schmalen Weg, der das Seeufer säumt, folgt die Umfassungsmauer der Gestalt des Sees. Nur im Nordosten nimmt sie die strenge Geradlinigkeit einer Palastmauer an, gleich den Palästen, die sich unmittelbar hinter ihr verbergen.
Die Mittelachse
Die Mittelgruppe der Paläste bildet die zentrale Süd-Nord Achse der gesamten Anlage. Sie steigt von Seeufer an bis zum Gipfel des Wanshou shan und führt über seinen Nordhang hinab zum hinteren See und über eine Brücke zum Nordtor. Der Beginn der Achse wird durch den eleganten Uferbogen betont, der hier am weitesten in den See ausschwingt und wo die Terrasse der zentralen Anlegestelle in den See ragt. Hier erhebt sich ein reich dekoriertes Ehrentor mit drei Durchgängen . An beiden Seiten sind zwölf grotesk geformte Steinblöcke (tai hu) aufgereiht, die als die Tierkreiszeichen gedeutet werden. Hinter dem Ehrentor staffelt sich ein Folge von Toren, Höfen, Hallen und Treppen bergan, auf beiden Seiten umrahmt von Nebenhöfen und -hallen. Zur Ming-Zeit stand hier der „Tempel der Vollkommenen Ruhe“ (Yuan jing si), der von Qian long erneuert wurde. Nach den Zerstörungen von 1860 wurden seine Reste auf Befehl der Ci xi in einen Privatpalast umgewandelt. Er beginnt mit dem „Tor der zerteilten Wolken“ (Pai yun men) , ein glückverheißender Name, der sich auf die Himmelswesen bezieht, welche die Wolken zerteilen und so die himmlischen Terrassen und Paläste sichtbar machen, ein Vergleich dieses Palastes und seiner Bewohnerin mit den Himmelswesen und ihrer Wohnstatt. Die Vorstellung von Himmelsfeen (fei tian) geht auf die altindischen Himmelsnymphen, auf die Apsaras zurück. Zu beiden Seiten des Tors schließt die „Lange Galerie“ an (Chang lang), die sich über das gesamte Nordufer erstreckt und die Ost-West Achse der Anlage bildet. Beide Achsen treffen hier aufeinander. Das Pai yun Tor ist fünfjochig und mit einem einfachen Fußwalmdach gedeckt. Zwei monumentale Bronzelöwen der Qian long Epoche bewachen es .
Dahinter liegt der erste lnnenhof, von Galerien und zwei Seitenhallen umschlossen: im Osten die „Halle der Vollkommenen Jade“ (Yu hua dian), im Westen die „Halle der Rosa Wolken“ (Yun jin dian). In diesen und den Seitenhallen des nächsten Hofes fanden bei besonderen Anlässen Bankette statt. In der Hofmitte führt eine Brücke über ein quer zur Mittelachse liegendes, rechteckiges Wasserbecken, das wie die Brücke selbst mit weißen Marmorbalustraden eingefasst ist: die „Goldwasserbrücke“ (Jin shui qiao), in Analogie zu der Brücke über den gleichnamigen Kanal im Kaiserpalast . Das „Zweite Palasttor“ (Er gong men) ist eine kleine, dreijochige Torhalle mit einem Fußwalmdach, zu der drei Treppenfluchten ansteigen. Parallel dazu führen zwei seitliche Treppen zu der erhöht gelegenen Galerie des nächsten Hofes. Es ist der Haupthof, der flankiert wird von der „Halle des Duftenden Lichts“ (Fang hui dian) und der „Halle der Purpurwolken“ (Zi xiao dian).
Die Halle der Zerteilten Wolken
Im Hintergrund erhebt sich die Haupthalle, die „Halle der Zerteilten Wolken“ (Pai yun dian) auf einer Marmorterrasse mit dem üblichen Balustradenschmuck der Paläste, die an drei Seiten über eine Treppe zugänglich ist und einen Großteil des Hofes einnimmt . Auf der Terrasse sind die Insignien der Macht aufgestellt: bronzene Dreifüße, Drachen und Phönix. Die mit einem doppelten Fußwalmdach gedeckte Halle zählt sieben Interkolumnien in der Breite, wobei die äußeren Stützen enger zusammenstehen. Eine Säulenveranda umschließt die innere Halle. Sie ist mit aufwendigstem Luxus ausgestattet und angefüllt mit einer Unzahl kunsthandwerklicher Gegenstände von höchster Fertigkeit. Der äußerst reich geschnitzte Neun-Drachen-Thron steht im Hintergrund des mittleren Raumes. An ihren Geburtstagen nahm die Kaiserinwitwe von hier aus Geschenke entgegen und die Kotaus von Prinzen und Ministern. Sogar der Guang xu Kaiser musste sich dem unterziehen. Die beiden flankierenden Hallen stehen mit dem Hauptgebäude auf gleich hohen seitlichen Terrassen, jedoch weiter nach hinten versetzt wie aufwartende Diener. Es sind kleinere Wiederholungen der Palasthalle, zählen aber nur fünf Jochbreiten .
Ein dritter, erhöht gelegener Hof von gleicher Breite wie die unteren, jedoch von geringerer Tiefe, liegt hinter der Haupthalle. Er wird an den Seiten eingerahmt von zwei Galerien, die langgezogene Treppenfluchten überdachen und bergauf führen. Die Rückseite des Hofs wird von einer weißen Steinmauer abgeschlossen, die von beiden Seiten schräg ansteigt. Auf ihrem Scheitel führen nach einer rechtwinkligen Biegung die beiden Galerien weiter hinauf zur „Halle der Glänzenden Tugend“ (De hui dian), wo sich die Mauer zu einem mächtigen Steinsockel erweitert . An seiner Hofseite führt zunächst eine Mitteltreppe hinauf zu zwei Treppen, die parallel zur Mauer bis zur halben Höhe auseinander streben, um dann in Gegenrichtung anzusteigen und oben vor der Halle zusammenzutreffen. An der Rückseite führen ebenfalls zwei Treppenfluchten zur „Halle der Glänzenden Tugend“.
Alle Hallen und Tore des Palastes sind im konventionellen Qing-Stil erbaut mit gelb glasierten Fußwalmdächern und bunt bemaltem Gebälk. Obwohl goldgelbe Dachziegel bis dahin allein kaiserlichen Hallen und Ahnenschreinen sowie buddhistischen Heiligtümern vorbehalten waren, ließ Ci xi auch ihren Privatpalast, der zur Feier ihrer Geburtstage errichtet wurde, mit den kaiserlichen Ziegeln decken, sodass mit Ausnahme einiger weniger Gebäude nur die Mittelachse des Sommerpalastes im kaiserlichen Goldgelb erstrahlt . So verdankt sich die Wirkung des so reizvoll in die Landschaft eingebetteten Architekturensembles der Selbstüberhebung jener Kaiserinwitwe. Eine dichte Bepflanzung zieht sich nicht nur über den Berghang, sondern auch in den Palasthöfen wachsen immergrüne Bäume, welche die symmetrische Ordnung auflockern.
Der Pavillon des Wohlgeruchs Buddhas
Hinter der De hui dian ragt ein gewaltiger, weißer Steinkubus von 20 Metern Höhe empor. An der Frontseite führen in seiner gesamten Breite zwei Treppenfluchten entlang, welche den Verlauf der Treppen zur De hui dian noch einmal in doppelter Größe wiederholen. Sie treffen vor einem kleinen Torpavillon zusammen. Von hier führt eine überdachte Pfeilergalerie rings um den Sockelrand zu einem identischen Pavillon an der gegenüber liegenden Seite. In der Mitte der Plattform erhebt sich ein Achteckturm von ca. 41 Metern Höhe: der „Pavillon des Wohlgeruchs Buddhas“ (Fo xiang ge) . Es ist die zentrale, alles beherrschende Landmarke des gesamten Landschaftsparks, sozusagen der Nabel des Yiheyuan. Die Monumentalität des Baus deutet seine Herkunft an: er war eine Ming-Gründung und wurde nach seiner Zerstörung 1860 im Jahre 1894 unter Ci xi wieder aufgebaut, nachdem bereits Qian long ihn einreißen und neu errichten ließ. Zwar scheint man sich bei Grundriss und Durchmesser an das Ming-Vorbild gehalten zu haben, jedoch nicht in der Höhe. Das Bauwerk hat nur vier Geschosse, was ungewöhnlich für eine Pagode ist. Es handelt sich jedoch tatsächlich um einen Sakralbau. Innen sind Bildnisse Buddhas und seiner Jünger aufgestellt. Vermutlich weil die geheiligte Stockwerkzahl - gewöhnlich neun - nicht eingehalten wurde, bezeichnete man den Bau als Pavillon (ge) und nicht als Pagode (ta). Nach den Dimensionen der unteren Geschosse zu schließen, ist ein Turm mit fünf, sieben oder neun Geschossen durchaus vorstellbar. Was ihm an Höhe fehlt, gewinnt er an Wucht. In seiner Gesamterscheinung wirkt er kraftvoll untersetzt. Vorbilder waren die Achteckpagoden der Song- und der Liao-Zeit. So erlaubt der Fo xiang ge mit seiner monumentalen Wirkung und seiner wuchtigen Gestalt einen Vergleich mit der Shakyapagode (Shi jia ta) von Yingxian, Shanxi, siehe auch. Beide ruhen auf einem oktogonalen Sockel, der im Falle des Fo xiang ge mit Balustraden und Ornamenten geschmückt ist, welche auch die Treppen an den vier Kardinalseiten flankieren. Um das Untergeschoss führt jeweils ein überdachter Säulengang mit drei Interkolumnien an jeder der acht Seiten. In den oberen Geschossen sind die Säulenzwischenräume beibehalten, wobei der mittlere jeweils etwas größer ist. Diese verbreitete Eigenart der späteren Architektur erscheint bereits auch bei der Shi jia Pagode. In der älteren Baukunst war die Betonung des „Lichten Jochs“ (ming jian), also des Mitteljochs, noch nicht die Regel. Während bei der Shi jia ta die äußere Reihe der Stützpfosten mit Zwischenwänden geschlossen ist, vor welchen ein schmaler Umgang verläuft, geschützt von den konsolengestützten Stockwerkdächern, bilden die Stützen des Fo xiang ge eine offene Pfeilergalerie . Hier ist erst die innere Stützenreihe mit Wänden versehen, die von Holzgitterfenstern und -türen durchbrochen sind. Das oberste Geschoss des Fo xiang Pavillons ist vollständig geschlossen. Die Stockwerke sind nach oben hin weiter zurückgesetzt, als bei der alten Pagode, die umlaufenden Dächer an den Ecken stärker aufgebogen, das Zeltdach ist stärker einwärts gekrümmt, die Dachgrate sind wulstiger und an ihren Enden mit Dachreiterfiguren geschmückt. Nur das buddhistische Juwel (bao ding) auf der Spitze der Shi jia Pagode ist reicher als die birnenförmige Dachbekrönung des Fo xiang Pavillons. Der entscheidende Unterschied betrifft wiederum die Gestaltung der Konsolen. Bei der Shi jia ta sind sie überall erkennbar und ihrer Funktion gemäß deutlich gegliedert als Träger der Galerien und der Dächer sowie über den Säulen als Kapitelle. Beim Fo xiang ge sind sie praktisch verschwunden unter den kurzen Überständen der umlaufenden Dächer - erkennbar nur noch unter dem weiter vorstehenden Zeltdach. Unterhalb der Galerien ist die Konstruktion von einer breiten, mit Ornamenten dekorierten Holzbrüstung überdeckt. Die Pfeiler der Galerien sind unmittelbar mit den Horizontalbalken verbunden und mit Flügelkapitellen versehen wie sie von den Palasthallen der Ming und der Qing bekannt sind . Im Vergleich zu dem ruhigen Ernst und der Klarheit des Aufbaus der alten Pagode, wirkt der neuzeitliche Bau verspielter und unruhiger trotz seiner Monumentalität, nicht zuletzt wegen seines kleinteiligen Schmucks und seiner reichen Bemalung.
Wie Wächterfiguren stehen zu beiden Seiten zwei zierliche, doppelgeschossige Pavillons von quadratischem Grundriss . Die Spitzen ihrer Zeltdächer reichen nur wenig über die Plattform des Fo xiang ge hinaus. Sie sind auf turmartigen Steinfundamenten errichtet, deren Mauerwerk so roh aufgeschichtet ist, dass es wie natürlicher Fels wirkt.
Die Terrasse der Drehbaren Speicher
Östlich schließt sich eine mehrstufige Terrassenanlage an. In der Mitte der oberen Terrasse steht eine quadratische Marmorplattform, zu der eine Treppe hinauf führt, beide geschmückt mit Palastbalustraden. Hier erhebt sich eine mächtige, vierkantige Stele von fast 10 Metern Höhe mit prächtigem Reliefschmuck am Sockel und einem riesenhaften, noch reicher skulptierten Kapitell . Rings um den Sockel sind dickleibige Dämonen dargestellt und andere schutzgewährende Wesen. Auf dem von Lotosblättern getragenen Gesims des Sockels sind es Tiere als Glücksbringer zwischen Rankenwerk, an den Rändern der Stele kleine schlangenartig aufsteigende Drachen zwischen Blüten und Ranken. Auf dem breiten Wulst unterhalb des Kapitells findet sich wiederum Rankenornament, das in Drachenköpfe übergeht. In der Mitte über einer vertieft eingelassenen Tafel duckt sich ein dämonisches Wesen. Der große Kopf ist frontal gesehen mit drohendem Ausdruck - die Arme oder Vorderbeine angewinkelt aufgestützt wie zum Sprung bereit - ein ferner Nachklang der uralten tao tie Masken siehe auch. Darüber springt kissenartig abgerundet das rechteckige Kapitell vor, über und über mit gewundenen Pflanzenornamenten bedeckt. Oben winden sich von den Ecken aus vier vollplastische Drachen aufwärts zu dem buddhistischen Juwel, das die Säule krönt . Es ist eine Erinnerungsstele des Qian long Kaisers, auf deren Vorderseite in seiner Kalligraphie die Namen „Wanshou shan“ und „Kun ming hu“ stehen. Die Inschrift auf der Rückseite ist ein Bericht über die Erweiterung der Gesamtanlage und des Sees.
Links und rechts der Stele stehen zwei achteckige, doppelgeschossige Holzpavillons, die beide über eine gekurvte Galerie mit der Haupthalle verbunden sind, welche sich im Hintergrund erhebt . Die Pavillons haben in jedem Geschoss außen einen offenen Säulenumgang mit Balustraden im oberen Geschoss. Ihr Innenraum ist von Holzwänden abgeschlossen, in die Gitterfenster und -türen eingelassen sind. Jeder Raum birgt eine ebenfalls oktogonale Holzpagode mit konsolengestützten Zwischendächern und balustradengeschmückten Säulenveranden in Miniaturform. Es sind Karusselle, die um eine Achse gelagert sind und vom Untergeschoss bis zur Dachkonstruktion reichen: „Drehbare Speicher“ (Zhuan lun cang), Sutrenbibliotheken zur Aufbewahrung buddhistischer Schriften und Bildnisse. Sie sind mit Schnitzwerk versehen und farbig gefasst, die Querbalken unter den Konsolen mit den traditionellen Mustern, die Holzteile hauptsächlich rot, die Dächer grün. Allerdings reicht ihr dekorativer Reichtum nicht heran an den plastischen Schmuck eines ihrer Vorläufer, der berühmtesten Sutrenbibliothek der Song-Zeit, des Drehbaren Speichers im Long xing Tempel von Zhengding, Hebei siehe auch. Die achtseitigen Zeltdächer der beiden Pavillons sind stark einwärts geschwungen. Sie tragen den juwelenförmigen Knauf an ihrer Spitze und die Feuer und Übel abweisenden Dachreiter an jedem Firstende wie alle ranghohen Gebäude des Palastes. Die Feingliedrigkeit der Säulen und der gesamten Holzkonstruktion, die Beschwingtheit des Formenspiels, unterstützt von reicher ornamentaler Bemalung der Horizontalbalken und der Holzverkleidung am Boden des Obergeschosses, sowie von dem Gegensatz des roten Holzwerks zu den grün glasierten Dächern, verleiht den Archiven heiliger Schriften die Leichtigkeit von Vergnügungspavillons.
Die Gebetshalle, die den Komplex im Hintergrund abschließt, überragt die beiden Archive. Sie wirkt ebenso beschwingt mit ihrem ausgreifenden Traufdach über dem Untergeschoss und dem konkav rhythmisierten Dach des Obergeschosses, und sie ist ebenso reich dekoriert in der gleichen Farbigkeit wie die beiden Pavillons. Das Dach weist eine ungewöhnliche Konstruktion auf. Es besteht eigentlich aus drei aneinander gefügten Zeltdächern mit jeweils vier konkav abfallenden Dachgraten und drei Dachspitzen. Acht das Dach schützende, grün glasierte chi wei-Figuren sitzen jeweils auf den Graten: dort wo sich die Grate treffen und an den vier äußeren Dachenden hinter den üblichen Schutztieren. Eine weitere Besonderheit stellen die Keramikfiguren dar, welche die drei Dachspitzen krönen und um derentwillen, so könnte es fast scheinen, diese eigenartige Dachform gewählt wurde . Sie stehen auf Sockeln aus bunten Blüten. Die größte und höchste Gestalt in der Mitte ist die eines Unsterblichen in einem gelben Obergewand mit kahlem Schädel und Vollbart in Begleitung eines weißen Vogels: des Kranichs, einem Symbol des langen Lebens. Links davon vom Vorhof aus steht eine Figur, ehemals wohl dunkelblau gekleidet, deren Kopfbedeckung einem aufgesteckten Haarknoten ähnelt wie ihn manche Göttinnen oder Guan yin tragen. Sie hält einen goldgelben, gebogenen Stab: das Szepter der Wunscherfüllung. Rechts neben dem Unsterblichen steht eine Figur mit Beamtenhut in hellblauem Gewand. Wie auch bei den Dachziegeln und anderen Keramikteilen ist die farbige Glasur teilweise ausgewaschen. Die drei gelten als Personifikationen von Langlebigkeit, Glück und Reichtum. Es handelt sich also um daoistische Wesenheiten, die hier in einem buddhistischen Kontext an einer buddhistischen Stätte erscheinen: Beispiel eines typisch chinesischen Synkretismus.
Der Pavillon der Kostbaren Wolken
Westlich des Fo xiang ge befindet sich eine im Quadrat angeordnete Gebäudegruppe als Pendent zu den „Drehbaren Archiven“ . Sie besteht aus länglichen Seiten- und quadratischen Eckpavillons, die durch überdachte Korridore miteinander verbunden sind. Eine balustradengeschmückte Terrasse füllt den Innenhof fast vollständig aus. Auf ihr erhebt sich ein quadratischer Pavillon in durchaus konventionellen Formen. Er ist zweigeschossig mit einem umlaufenden Traufdach und einem Fußwalmdach, das reichen plastischen First- und Giebelschmuck trägt. Das Obergeschoss wird von vier Ecksäulen getragen, zwischen denen Fenstergitterwerk angebracht ist. Das Untergeschoss hat an jeder Seite drei Säulenzwischenräume, zwischen denen an Vorder- und Rückfront in der Mitte Türen, an den Seiten Fensteröffnungen eingebaut sind. Die Besonderheit dieses Baus: alle seine Teile sind in Bronze gegossen in genauer Nachbildung der Holzarchitektur. Deshalb wird der „Pavillon der Kostbaren Wolken“ (Bao yun ge) auch Bronzepavillon genannt (Tong ting). Er stammt aus dem Jahre 1750. Dahinter überragen ihn auf hohen Steinsockeln der „Pavillon der Fünf Himmelsrichtungen“ (Wu fang ge) und die flankierenden Eckpavillons. Sie schließen den Komplex zur steil ansteigenden Hangseite hin ab.
Das Meer der Vollkommenen Weisheit
Oberhalb des Fo xiang Turms krönt ein eigentümlicher Sakralbau den Gipfel, ein Bautypus, der in der chinesischen Architektur nicht allzu oft erscheint: eine „Halle ohne Balken“ (Wu liang dian) siehe auch, ein Massivbau aus Backstein. Es ist die Gebetshalle „Meer der Vollkommenen Weisheit“ (Zhi hui hai), ebenfalls 1750 erbaut. Die rote Umfassungsmauer, welche alle Palastgruppen des Südhangs umgibt, wird von einem Torbau unterbrochen, zu dem ein breiter Anstieg von künstlichen, treppenartig angelegten Felsen hinauf führt . Das Tor ist der Zugang zu der Tempelhalle und führt zugleich aus dem Palastbereich hinaus. Es hat die typischen drei, mit Fußwalmdächern gedeckten Kioske. Der mittlere und größte trägt die Namenszeichen des Heiligtums, die seitlichen zeigen Drachenreliefs in ihrem Fassadenfeld. Im Unterschied zu den üblichen hölzernen Ehrentoren besteht es aus Ziegelmauerwerk und hat daher drei Bogendurchgänge, innerhalb derer noch einmal rechteckige Portale eingelassen sind. Die Holzstruktur der Vorbilder ist in den Lisenen genau nachgebildet, die nur wenig aus der Wand hervortreten aber deutlich erkennbar sind, da ihre blaugrüne Glasur sich deutlich absetzt vom Purpur des Wandputzes. Zwischen diese Nachahmung von Holzstützen sind die Rundbögen gesetzt, die von einem breiten, mit Rankenornament geschmückten Marmorfries umschlossen sind. Die das Holzwerk darstellenden Keramikplatten wie auch die imitierten Holzkonsolen unter den Traufdächern, sind mit ähnlichen Mustern versehen wie die Balken von Tempeln oder Palasthallen, vorwiegend in Gelb, Grün, Türkis und Blau. Dieses Spiel von Elementen des Holzbaus und gemauerter Konstruktionen verleiht diesem Torbau jenen eigentümlichen Reiz, wie er bei manchen Ziegelbauten der Ming-Architektur bereits zu beobachten ist siehe auch.
Hinter ihm erhebt sich das zweigeschossige Hauptgebäude . Der Fassadenaufbau suggeriert eine fünfjochige Holzkonstruktion, aber die „Pfeiler“ sind hier ebenso nur Lisenen, die im Unterschied zu den meisten Qing-Bauten gleichmäßigen Abstand haben. Und wie am Tor sind auch hier die Fenster im Obergeschoss und die Eingänge im unteren als Bogenöffnungen in die lnterkolumnien gesetzt, ebenfalls stark betont durch breite, umlaufende Marmorfriese . Am auffallendsten jedoch ist die Behandlung der gesamten Fassadenoberfläche: sie besteht aus farbig glasierter Keramik. In die goldgelben Felder zwischen den ebenfalls gelben Lisenen und den Bogenöffnungen sind kleine, hochformatige Spitzbogen-Nischen, innen grün glasiert, in regelmäßigen Reihen schachbrettartig eingelassen. In jeder Nische sitzt eine kleine, goldgelb glasierte Buddhafigur, weshalb das Gebäude auch „Halle der Zehntausend Buddhas“ (Wan fo dian) genannt wird . Dort, wo sie leicht erreichbar waren, wurde eine Vielzahl von ihnen während der europäischen Invasion beschädigt. Auf einem Lotosthron sitzend, die Hände in Meditationshaltung, halten sie ein Gefäß in Form eines tibetischen Flaschenstupas, Symbol für das Wasser des ewigen Lebens, das sich herleitet vom Trank der altindischen Götter, dem Amrita. Die Buddhas tragen Halsschmuck und die tibetische Lamakrone.
Unter den Traufen der beiden Dächer ist die Holzkonstruktion ebenfalls imitiert - Querbalken, Konsolenreihen, Hebelarme - bis bin zur Bemalung wie sie an den Holzhallen üblich war . Wo allerdings an zweigeschossigen Holzbauten im allgemeinen eine Veranda mit Brüstung verläuft - über dem umlaufenden Traufdach des Untergeschosses - findet sich hier ein breites Wulstgesims. Naturgemäß ist der Dachüberstand geringer, als bei Holzkonstruktionen. Das Fußwalmdach des Obergeschosses, dessen Dachziegel sogar als Ornament in den Farben der Fassaden ausgelegt sind, ist besonders reich an plastischem Schmuck: es hat die üblichen Dachreiter an den leicht aufwärts gebogenen Kanten und den chi wei an den Firstenden. Der gesamte First ist als wellenförmig bewegter Steg ausgebildet, an dessen Seiten Schlangen- und Wolkenreliefs in Gelb und Grün stark plastisch hervortreten. Den First krönen zwei kleine Schutzfiguren und in der Mitte zwischen ihnen drei Flaschenstupas mit den turmartig aufragenden Spitzen der Ehrenschirme, also in der Form der tibetischen Chörten.
Die Sockelzone des Gebäudes besteht aus einem marmornen Wulstgesims, in das Lotosblätter und Wolkenornamente ziseliert sind. Eine anschauliche Symbolik: die Welt der Buddhas schwebt über den Wolken. Obwohl dieses Gebäude in jeder Einzelheit chinesischer Bautradition entspricht, gewinnt es in seiner Gesamtheit einen exotisch anmutenden Charakter, den es mit nur wenigen ähnlichen Bauwerken Chinas teilt.
Das Reich der Seele des Sumeru
Die zentrale Achse des Wanshou Berges setzt sich leicht nach Osten versetzt am Nordhang fort und zwar so, dass der Westflügel einer ausgedehnten Tempelanlage genau in der Hauptachse des Zhi hui hai Tempels und des südlichen Palastkomplexes liegt. Die Mauern dieses nördlichen Tempelbezirks erstrecken sich von der Höhe knapp unterhalb des Gipfels bis zur Brücke über den Hinteren See. Sie umschließen drei große Vorhöfe, die in Stufen angelegt sind. Auf der vierten und höchsten Terrasse über den Höfen steht hinter einem Tor die Haupthalle des Heiligtums „Reich der Seele des (heiligen Berges) Sumeru“ (Xu mi ling jing), eine Gründung Qian longs. Sie ist umgeben von Türmen und Stupas in tibetischem Stil . Wie ein Großteil der Bauwerke des Nordhangs wurden die Gebäude des Tempels nach den Zerstörungen im Jahre 1900 nicht wieder aufgebaut. Erst in neuster Zeit fanden umfangreiche Rekonstruktionen statt. Außergewöhnlich ist die Ausrichtung der Tempelanlage. Sie ist nach Norden orientiert, sozusagen Rücken an Rücken mit der Halle Zhi hui hai. Offenkundig befanden die Geomanten die Situation als zufriedenstellend mit einem Gewässer zu Füßen und einem Berg im Rücken der Anlage.
Die Lange Galerie
An der Südseite des Berges verbindet ein Bauwerk die drei großen Palastgruppen, das als Typus bis in die Anfänge der chinesischen Architektur zurückreicht, das hier jedoch in der Form seines Layouts und in seiner Dimension eine Besonderheit darstellt: die „Lange Galerie“ (Chang lang), in ihrer ursprünglichen Form unter dem Qian long Kaiser entstanden . Sie zieht sich am See entlang zwischen dem „Tor, das den Mond einlädt“ (Yao yue men) im Osten und dem „Pavillon der Steininschriften“ (Shi wen ting) im Westen. Parallel zu der Galerie verläuft eine Uferpromenade zwischen dichtem Baumwuchs, die an der Seeseite in ihrer ganzen Länge von einer prächtigen Marmorbalustrade gesäumt wird. Streng symmetrisch angelegt, folgt die Galerie dem Verlauf des Ufers, das in Form eines riesenhaften Schießbogens in den See ausschwingt. In der Mitte des Bogens, vom Ufer etwas zurückgesetzt, treffen die beiden Flügel der Galerie auf das „Tor der Zerteilten Wolken“. Jeweils im Osten und im Westen unterbricht ein am Wasser gelegener Pavillon die Flucht der „Langen Galerie“. Zwei Achteckpavillons bilden an jeder Seite im Abstand von annähernd hundert Metern Ruhepunkte . Die Galerie erstreckt sich über 728 Meter, das schier endlos ausgedehnte Dach wird von 273 Jochen getragen.
So eindrucksvoll dieser Pfeilergang im Entwurf ist, die architektonischen und dekorativen Details zeigen alle Schwächen des späten Qing-Stils. Nach den Verwüstungen durch europäische Truppen unter der Kaiserinwitwe wieder aufgebaut, ist diese Galerie ein Musterbeispiel von Manierismus. Handwerklich von höchster Perfektion, ist in den Baugliedern nicht die kleinste Abweichung zu beobachten. Jedes Joch gleicht dem anderen, jeder Pfeiler, jeder Querbalken, jede Pfette, Konsole oder jedes Gitter gleicht dem anderen bis in die letzte Einzelheit, so als sei das Ganze fabrikmäßig hergestellt. Den Zimmerleuten und Kunsthandwerkern war nicht die geringste Variationsfreiheit gestattet. Diese absolute Reglementierung nach Maßgabe der amtlichen Bauvorschriften entsprach ganz dem starren Hofzeremoniell. Das gleiche gilt für den überreichen Dekor im sogenannten su shi-Stil wie er in Suzhou gepflegt wurde. Das gesamte Holzwerk ist bemalt bis hin zu den niedrigen Stuhlsäulen (tuo dun), die den offenen Dachstuhl tragen . Die vierkantigen Säulen des Korridors sind grün lackiert, die Rundsäulen der Pavillons rot, ebenso die Gitter, die als kniehohe Brüstung unten zwischen den Säulen und oben unterhalb der Längsbalken des Daches verlaufen. Das Balkenwerk der Dachzone ist innen und außen mit Ornamenten überzogen, in denen Rot, Grün, Blau und Weiß dominieren, alles von einer schreienden Buntheit. Auch hier wiederholen sich die Muster in genau gleicher Folge. Ausnahmen bilden die länglichen Kartuschen auf den Querbalken und die Halbmedaillons auf den Längsbalken, alle identisch umrahmt. Sie sind angefüllt mit Blumen- und Vogelmalerei, vor allem im Gebälk der vier Pavillons . Hauptsächlich sind es jedoch Veduten berühmter Landschaften und Architekturen in europäischer Perspektive, Farbgebung und Schattierung, sowie mythologische und historische Szenen in eher traditionellem Stil. Von diesen ca. 8.000 Kompositionen gleicht keine der anderen. Und obwohl es sich im einzelnen durchaus um weitgehend qualitätvolle Malerei handelt, werden diese Bilder in ihrer ungeheuren Menge und endlosen Reihung nicht anders wahrgenommen als die sie umgebenden Muster, als schmückendes Beiwerk. Die Kleinteiligkeit des Ornaments wie auch der Bilder ergibt zwar den Eindruck einer bewegten farbigen Oberfläche. Sie bewirkt aber immerhin, dass die Struktur der Konstruktion optisch nicht aufgelöst, sondern betont wird, ganz im Sinne der traditionellen chinesischen Baudekoration.
Die östlichen Paläste
Ein Teil der östlichen Palastgruppe weist eine Merkwürdigkeit auf, die bei Tempel- oder Palastbauten in der chinesischen Architektur äußerst selten auftritt: sie ist ost-westlich ausgerichtet. Seit dem Wiederaufbau des Parks nach seiner ersten Zerstörung durch europäische Truppen, befindet sich hier auch das Haupttor. Vorher lag der Haupteingang im Norden, und zwar genau in der Mittelachse des Wanshou shan Nordhangs, die sich vom Nordtor über die „Drei-Bogen-Brücke“ (Chang qiao), welche den „Hinteren See“ überspannt, und durch das Sumeru-Heiligtum bis unterhalb des Gipfels erstreckt. Der Grund, weshalb man das Osttor zum Haupteingang gemacht hat, liegt vermutlich in seiner größeren Nähe zur Hauptstadt. Bedenkt man nämlich die Langsamkeit eines kaiserlichen Zuges, dessen Tross aus über tausend Personen bestand, aus Zugtieren, Wagen und Sänften, wobei es zudem noch zahlreiche Rastplätze gab, die entlang der Route eingerichtet waren, so ist es verständlich, dass man die Mühseligkeit eines solchen Reisens abzukürzen suchte. Der Einzug über das Nordtor bedeutete außerdem einen erheblichen Umweg, denn die Wohnpaläste lagen in der Ostgruppe. Eine solche Abweichung vom strengen Hofzeremoniell war also offenbar bei zeitweiligen Residenzen möglich. Es gab noch ein Tor im Nordwesten und einen südlichen Zugang, sodass die kaiserliche Residenz von vier Himmelsrichtungen erreichbar war, eine Konzeption, die symbolhaft auf deren Mittellage hindeutet.
Die Ost-West Achse der Palastgruppe beginnt bei einem hölzernen Ehrentor mit drei Durchgängen und drei Hauptdächern, die wie die niedrigeren, verbindenden Zwischendächer auf übereinander geschichteten Konsolen ruhen . Die Konstruktion dieses Pai lou entspricht den meisten dieser Tore. Auffällig sind insbesondere die typischen, beidseitigen Schrägstützen, welche die vier Hauptpfosten sichern und so den Eindruck eines Provisoriums vermitteln. Reiches Schnitzwerk und stark farbige Bemalung war bei allen Ehrentoren obligatorisch. Hier herrschen Gold und das Purpurrot der kaiserlichen Paläste vor. Es folgt ein weiträumiger Platz, der an den Rändern mit Weiden bepflanzt ist und dahinter ein Wasserlauf in Form eines Schießbogens, ähnlich dem Jin shui im Kaiserpalast. Nur über seinen nördlichen und seinen südlichen Arm führt eine Brücke. Für eine kaiserliche Palastanlage, selbst wenn es sich nur um einen Reisepalast handelte, eine merkwürdige Anordnung. Denn der kaiserliche Weg führte stets entlang der zentralen Achse, der Kaiser bewegte sich in der Mitte über Brücken und durch Tore mit Ausnahme der kaiserlichen Begräbnisstätten, wo das Mittelportal nur dem toten Kaiser vorbehalten war. Hier kommt noch hinzu, das hinter dem Wasserlauf eine Dämonen abwehrende Mauer errichtet ist, die eine geradlinige Fortbewegung auf der Mittelachse verhindert. Da offenbar auch früher hier keine mittlere Brücke bestanden hat, könnte die Erklärung darin liegen, dass das Osttor, das ja ehemals ein Nebeneingang war, zu den Privatpalästen führte, also keines offiziellen, zeremoniellen Prozessionswegs bedurfte.
Das östliche Palasttor
Hinter der Mauer öffnet sich ein weiter Vorhof, dessen Nord- und Südseite von jeweils zwei Seitengebäuden gesäumt wird. Es waren die Unterkünfte der Palastgarde. Am westlichen Ende des Vorhofs liegt das „Östliche Palasttor“ (Dong gong men) , an welches die Palastmauern anschließen, die an beiden Seiten noch einmal von einem kleinen Nebentor unterbrochen werden . Das Torgebäude besteht aus fünf gleich großen Jochen in der Breite. In die drei mittleren sind die Portale eingelassen. Sie sind um eine Jochtiefe zurückgesetzt, wodurch eine Säulenvorhalle entsteht. Die beiden äußeren Joche sind zwischen den Säulen mit Gitterfenstern geschlossen, wodurch zwei seitliche Räume abgeteilt werden, die als Wachlokale dienten. Das Fußwalmdach ist mit grauen Ziegeln gedeckt. Der First verläuft gradlinig und ist abgerundet. Diese Konstruktionsweise bezeichnete man als „gerollte Matte“ (juan peng). Sie findet sich häufig in der ländlichen und der Gartenarchitektur. Zur Terrasse, auf der das Gebäude ruht, führen zwei Treppen. Die prachtvolle Drachenrampe zwischen ihnen stammt aus der Qian long Epoche und befand sich ursprünglich in dem zerstörten Garten siehe auch. Zwei gewaltige Bronzelöwen, noch aus der Zeit Qian longs, flankieren den Zugang.
Die Halle des Wohlwollens und des Langen Lebens
Es folgt der erste Hof mit zwei langgestreckten Seitengebäuden und einem kleineren Tor am Ende. Dahinter liegt der innere Hof mit dem Hauptgebäude dieses Palasttraktes, der „Halle des Wohlwollens und des Langen Lebens“ (Ren shou dian) . Der Name sollte als glückliches Omen für die Kaiserinwitwe wirken. Vor dieser Umbenennung, die nach dem Wiederaufbau der Halle im Jahre 1891 vorgenommen wurde, war dies die „Halle der Tüchtigkeit in Staatsangelegenheiten“ (Qin zheng dian). Da auch während des Sommeraufenthaltes des Kaisers die Regierungsgeschäfte nicht ruhten, gab es in jedem kaiserlichen Garten seit einer Anordnung Qian longs eine Halle dieses Namens, worin Ministerberatungen und Empfänge stattfanden, wo also regiert wurde, jedoch keine der großen, staatstragenden Zeremonien abgehalten wurden. Es sei daran erinnert, dass auch im Kaiserpalast die eigentliche Regierungsarbeit im privaten Teil geleistet wurde.
Bereits im Hof vor der Halle finden sich Hinweise auf den halb offiziellen, halb privaten Charakter des Komplexes. Einerseits waren in den Nebengebäuden an beiden Seiten des Hofs Minister und hohe Beamte untergebracht, andererseits waren die grotesken Felsen, die hier aufgestellt sind - begehrte Sammelobjekte für Liebhaber - und die Bepflanzung des Hofs dem privaten Bereich angemessen, nicht aber der streng geregelten Förmlichkeit des „Äußeren Hofs“ (Wai chao), also des offiziellen Teils des Kaiserpalastes. Die bronzenen Weihrauchbrenner, die Drachen- und Kranichpaare und nicht zuletzt das glückverheißende Bronzetier in der Hofmitte, das qi lin, sind Symbole der kaiserlichen Macht, also dem offiziellen Aspekt des Gebäudes zuzuordnen . Sein Dach wiederum ist nicht mit den goldgelb glasierten Ziegeln des Kaiserpalastes gedeckt, sondern mit grauen Ziegeln, während die sieben mythologischen Tiere an den aufgebogenen Traufenden auf die Hochrangigkeit der Halle hinweisen. Seltsamerweise sind diese Dachreiter hier alle identisch, vermutlich dank einer inkorrekten Restaurierung. Und im Unterschied zur Thronhalle im Kaiserpalast, der Tai he dian, die mit einem doppelten Walmdach gedeckt ist, trägt die Ren shou dian ein rangniedrigeres, einfaches Fußwalmdach. Die Anzahl der Joche in der Breite - neun, den Säulenumgang mitgerechnet - weist wieder auf die Bedeutung des Gebäudes. Das Halleninnere zählt sieben Jochbreiten. In der Mitte nach hinten versetzt erhebt sich eine Estrade aus reich ornamentierten Edelhölzern mit dem „Neun-Drachen-Thron“, dessen Rücken- und Seitenlehnen aus einem Schnitzwerk kompliziert verschlungener Drachenleiber bestehen. Fünf Treppen führen auf die Empore. Die üblichen Symbolgegenstände der kaiserlichen Macht stehen ringsum: Dreifüße als Weihrauchbrenner, Kraniche als Kerzenhalter, Phönixe und andere kunsthandwerkliche Gegenstände wie kleine Fabeltiere und Elefanten auf Beistelltischen. Vor dem Thron ein Tisch, im Hintergrund ein mit dem Schriftzeichen für „Langes Leben“ (shou) geschmückter Stellschirm und die kaiserlichen Pfauenwedel. An den Wänden Schriftbänder und -tafeln sowie Seidenmalerei mit Motiven von Phönixen und Kiefern. Eine reich dekorierte Kassettendecke verschließt den Dachstuhl. Dieser offizielle Thronraum wird flankiert von zwei Seitengemächern, Ruheräume für die Kaiserinwitwe Ci Xi und für den Guang xu-Kaiser, bevor er von ihr entmachtet wurde siehe auch. Wieder erscheint hierin der private Aspekt des Gebäudes. Auch die Wandbilder lassen sich eher dem privaten Bereich zurechnen. Malerei dieser Art, wenn auch akademisch, so doch mit künstlerischem Anspruch, die über eine rein dekorative oder nur symbolische Funktion hinausgeht, war Liebhaber- und Sammlerobjekt und in den kaiserlichen Privaträumen und Akademien zu finden, nicht jedoch im offiziell zeremoniellen Bereich. Dass in diesen Bildern der Phönix - als Symbol der Kaiserin - eine so prominente Rolle spielt, ist natürlich symptomatisch für den Machtanspruch der Cixi.
Der private Bereich
Hinter der Ren shou Halle und nördlich von ihr sind die Achsen der Gebäudekomplexe wieder nach Norden gedreht. Die Rückseite der Ren shou dian grenzt an einen Garten mit künstlichen Hügeln und verschlungenen Pfaden. Dahinter liegt am Seeufer die nächste Palastgruppe, die „Halle der Jadewellen“ (Yu lan tang) mit einem Tor im Süden, einem Vorhof und zwei Seitengebäuden . Es war der Privatpalast des Guang xu Kaisers und sein späteres Gefängnis. Ci xi ließ ihn darin einmauern, um ihm jede Fluchtmöglichkeit zu nehmen. Die Mauern wurden durch die Wohnräume des Kaisers gezogen und trennten ihn auch von den nördlich hinter einem zweiten Hof gelegenen Palast seiner Gemahlin, dem „Gemach des wiegenden Duftgrases“ (Yi yun guan). Alle Gebäude dieser Gruppe sind von relativ bescheidenen Dimensionen entsprechend ihrer Funktion als Wohnräume, jedoch luxuriös ausgestattet. Sie sind eingeschossig und mit abgerundeten Satteldächern gedeckt, was ihren „ländlichen“ Charakter betont. Lediglich ein Gebäude ist zweigeschossig, der „Turm des Wunderbaren Abendlichts“ (Xi jia lou), ein Aussichtspavillon direkt am Seeufer, der die westliche Seite des Hofs zwischen den Gemächern des Kaisers und denen der Kaiserin beherrscht. Die Seitenwände des Pavillons sind in Ziegeln aufgeführt und er besitzt an Vorder- und Rückfront in jedem Geschoss eine dreijochige Säulenveranda.
Der Garten der Tugend und der Harmonie
Das imposanteste Ensemble der Ostgruppe ist der „Garten der Tugend und der Harmonie“ (De he yuan). Er schließt unmittelbar östlich an den Yi yu guan Palast an und liegt nördlich der Ren shou Halle, deren östliche Front eine Achse bildet mit der Ostseite des „Gartens“. Es handelt sich jedoch um eine palastartig angelegte Gebäudegruppe mit drei lnnenhöfen, die von Galerien umschlossen sind. Ein zusammenhängender Komplex aus drei Gebäuden ragt in den südlichen und in den nördlich gelegenen mittleren Hof hinein. Der südliche Teil der Dreiergruppe hat zwei Geschosse und ist mit einem Fußwalmdach gedeckt. Ebenso der Mitteltrakt, der im Osten und Westen über die beiden anderen hinausragt und so zwei kurze Seitenflügel bildet. An sie schließen beidseitig eingeschossige Korridore an, welche die beiden Höfe trennen. Das alles beherrschende Hauptgebäude, welches in den mittleren Hof vorspringt, ist ein 21 Meter hoher, dreigeschossiger Turm mit quadratischem Grundriss und drei mal drei Jochen in jedem Geschoss. Es ist der 1891 errichtete „Große Bühnenturm“ (Da xi lou), das größte der kaiserlichen Theater, größer als das im Kaiserpalast oder das in Chengde . Der mittlere und der hintere Trakt beherbergten die Garderoben, die Schmink- und Requisitenräume. Auch der Bühnenturm ist mit einem Fußwalmdach gedeckt und hat in jedem Geschoss umlaufende Traufdächer. Die an jeder der aufgebogenen Dachecken angebrachten sieben Dachreiter - auch hier sind sie identisch - weisen auf die Hochrangigkeit, in welche das Gebäude eingestuft war, ebenso wie der Reichtum und der Stil der Bemalung. Die Stützen des Untergeschosses - Rundsäulen, die an den Seiten durch vierkantige Vorsprünge verstärkt sind - wurden grün gefasst, die Rundsäulen des Obergeschosses purpur und die Vierkantpfeiler des Obergeschosses wieder grün. Allerdings lassen sich verschiedene Abweichungen der farbigen Fassung nach neueren Renovierungen feststellen. Die Hauptbühne im Untergeschoss ist ein nach drei Seiten offener Raum. Um die oberen Stockwerke führen niedrige Balustraden. Das mittlere hat eine offene Säulenveranda, die nach der Hofseite ausgerichtet ist, die beiden hinteren Joche sind mit Gitterfenstern verschlossen. Im Obergeschoss ist die Veranda nach allen Seiten hin offen und umschließt einen inneren Bühnenraum. Denn hier ist jedes Stockwerk mit einer Bühne ausgestattet, die durch Falltüren und eine aufwendige Theatermaschinerie mit den anderen verbunden ist. Es gab Drehbühnen und das Szenenbild konnte gehoben oder abgesenkt werden. Auf diese Weise konnten die Schauspieler in jedem Stockwerk und vor veränderter Szene erscheinen. Ein Brunnen und fünf Becken unter der Hauptbühne sorgten für eine verstärkte Resonanz und ermöglichten es, die Bühne - jedoch wahrscheinlich eher den Hof - unter Wasser zu setzen, um Überflutungen darzustellen oder andere Effekte zu erzielen, wie wasserspeiende Drachen und anderes mehr. In diesem Theater wurde die Peking-Oper zur Blüte gebracht, die ja nicht nur aus Musik und Gesang besteht, sondern auch aus Drama, Komik, Tanz und Akrobatik.
Die Halle der Gesundheit und des Glücks
Die Nordseite des Hofs nimmt die „Halle der Gesundheit und des Glücks“ ein (Yi le dian), von wo aus das Kaiserpaar und die Kaiserinwitwe die Aufführungen beobachteten. Aus dieser Entfernung über den Hof hinweg betrachtet, mussten die Bewegungen der Schauspieler in ihren bunten Masken und Kostümen verstärkt einem Puppenspiel gleichen, ganz im Sinne dieser hochstilisierten Theaterform. Die übrigen Angehörigen der kaiserlichen Familie sowie hohe Beamte nahmen nach Alter und Rang geordnet ihre Plätze in den seitlichen Galerien ein. Nicht mehr als etwa fünfzig Personen waren zu diesen Aufführungen zugelassen, was eine hohe Ehre bedeutete.
Die Yi le dian ist eine fünfjochige Palasthalle mit einer Säulenveranda, zu der eine einzige breite Mitteltreppe hinaufführt. Im mittleren Raum steht der Thronsitz der Ci xi, dessen Wandschirm von einem vergoldeten Relief verschlungener Drachen gekrönt wird . Die Malereien dieses Paravents stellen zwischen symbolträchtigen Blumen, Pflanzen und Bäumen den Phönix im Mittelfeld dar, die vier Seitenflügel zeigen eine Anzahl Vögel, die, so ist zu interpretieren, den Phönix verehren. Im westlichen und östlichen Seitengemach befanden sich die Sitze der Kaiserin bzw. des Kaisers. Durch die geöffneten Verandatüren konnten die Aufführungen verfolgt werden. Den nördlichen Hof des De he yuan schließt der „Pavillon des glänzenden Berges“ (Qing shan tang) ab, wo Ci xi zuweilen Privataudienzen gab.
Die Halle der Glückseligkeit und des Langen Lebens
Westlich des Yi yun guan Palastes der Kaiserin schließt der Wohnpalast „Halle der Glückseligkeit und des Langen Lebens“ an (Le shou tang), der aus der Zeit Qian longs stammt und zuletzt von der Kaiserinwitwe bewohnt wurde. Die Anlage zieht sich vom Seeufer nach Norden bis an den Fuß des Wanshou Berges. Sie besteht aus einem zentralen Trakt mit einer Torhalle, der Haupthalle und einer rückwärtigen Halle, sowie aus zwei Innenhöfen und zwei Seitenhallen im ersten Hof. Die Gebäude sind durch Galerien miteinander verbunden. Östlich und westlich sind diesem Haupttrakt zwei schmale, langgestreckte Grundstücke von gleichem Zuschnitt angegliedert, deren Nordmauer einen Halbkreis beschreibt, die jedoch unterschiedlich bebaut sind.
Die „Halle des Gleichklangs von Wasser und Gehölz“ (Shui mu zi qin) steht auf einer balustradengeschmückten Terrasse, die in den See hineinragt . Eine Mitteltreppe endet im Wasser: es war die Anlegestelle des Palastes. Die Torhalle trägt ein Fußwalmdach mit Rundgiebeln und abgerundetem First. An Vorder- und Rückfront hat sie eine fünfjochige Säulenveranda. Die Schmalseiten der Halle bestehen aus massiven Mauerscheiben. Zu beiden Seiten stoßen geschlossene Korridore an die Halle, die mit dem gesamten Galeriesystem verbunden sind, das am Seeufer entlang führt. Die Korridorfenster, die in das Mauerwerk eingelassen sind, zeigen vielfältige Formen: Kreise, Kreuze, Fünf- oder Sechsecke und andere mehr . Von innen gewähren sie stets wechselnde Bildausschnitte des Sees. Es ist das gleiche ästhetische Prinzip, wonach der chinesische Garten angelegt ist: dem Blick immer neue, möglichst überraschende Gesichtswinkel zu bieten. Wenn die beiden Wandelgänge bei Nacht beleuchtet wurden, erschienen die Fenster vom See aus wie verschieden geformte Laternen.
Hinter der Zugangshalle erhebt sich ein gewaltiger Felsblock im ersten lnnenhof. So zerklüftet er ist, seine Form erinnert an einen Schiffsrumpf . Und so hat es offenbar auch der Qian long-Kaiser gesehen, der den Findling hierher schaffen ließ, denn der Steinsockel ist mit einem Relief schäumender Wellen überzogen. Seltsamerweise trägt er den Namen „Blauer Schwertlilienhügel“ (Qing zhi xiu), vielleicht weil man darin auch die Gestalt einer Lilienblüte gesehen hat. Magnolienbäume und andere Zierpflanzen schmücken den Hof. Vor der Haupthalle Le shou tang stehen zwei Bronzevasen und die Bronzeskulpturen eines Hirsch- und eines Kranichpaares . Drei Treppen führen auf die niedrige Terrasse, auf der sich die Halle erhebt. Sie hat keine offene Veranda, sondern die Säulenzwischenräume sind mit Holzgitterfenstern geschlossen, die reich geschnitzte Tür füllt das Mitteljoch. Die Rückfront, die zum zweiten Innenhof führt, gleicht der Vorderfront. Das Gebäude ist dreischiffig angelegt, wobei das Hauptschiff an den Schmalseiten über das vordere und das hintere Schiff hinausragt, sodass ein kreuzförmiger Grundriss entsteht. Dementsprechend wurde das Dach aus drei aneinandergefügten Dächern konstruiert, von denen das mittlere das höchste ist . Es sind wiederum Fußwalmdächer mit abgerundeten Firsten und Rundgiebeln. Das Halleninnere ist wie die anderen Paläste prunkvoll ausgestattet. Der Hauptraum in der Mitte war das Wohn- und Speisezimmer der Ci xi, im Westflügel lag ihre Schlafkammer, im Ostteil ihr Frühstückszimmer. Die hintere Halle, welche die gesamte Hofbreite einnimmt, diente als Schmuck- und Kleiderkammer.
Das östlich anschließende Grundstück ist als Garten angelegt, dessen nördlicher Teil durch ein Mondtor zugänglich ist. Hier befinden sich zwei hintereinander liegende Hallen. Das Hauptgebäude ist das „Studio der Ewigkeit und des Langen Lebens“ (Yong shou zhai), in dem sich ehemals die Wohnräume des Oberhofeunuchen befanden. Auch das westlich angrenzende, leicht bergan steigende Grundstück ist eine Gartenanlage. Es wird durch eine Mauer zweigeteilt, durch die ebenfalls ein Mondtor führt . Der Ausschnitt, den der Durchblick durch das Rundtor nach Norden gewährt, bietet ein besonders reizvolles Bild. Hinter einem von Felsen gesäumten Teich, alten Kiefern und anderem Baumbestand steht auf einer Terrasse ein ungewöhnlicher kleiner Pavillon . Er ist halbrund angelegt, sodass seine Rückseite den Bogen der Nordmauer aufnimmt. Seine Ost- und seine Westfront sind um 45 Grad nach Süden gedreht, wodurch beide Giebelfronten zugleich sichtbar sind. Ein Fußwalmdach deckt das Gebäude. Die kleinen Fenster in den Mauerscheiben zwischen den Holzstützen sind Variationen von Fächerformen. Der Plattenbelag der Terrasse strahlt fächerförmig aus und ebenso gleicht der gesamte Grundriss des Pavillons einem geöffneten Fächer. Die „Fächerhalle“ (Shan mian dian) wurde 1888 im Garten „Wind der Tugend“ (Yang ren feng) errichtet, in dem einst Ziervögel und -fische gehalten wurden. Die Westmauer des Gartens stößt an das „Tor, das den Mond einlädt“ (Yao yue men), hinter dem die „Lange Galerie“ beginnt.
Der Garten des Harmonischen Vergnügens
Zahlreiche Einzelgebäude und Gebäudegruppen sind an den Hängen des Wanshou shan verstreut. Am Fuße des Osthangs, nordöstlich der Wohnpaläste, liegt der „Garten des Harmonischen Vergnügens“ (Xie qu yuan). Es handelt sich um einen „Garten im Garten“. Im Gegensatz zur landschaftlichen Weite des kaiserlichen Parks zeigt seine Abgeschlossenheit und Intimität die wesentlichen Charakteristika von Privatgärten wie sie vornehmlich im Süden entwickelt wurden. Nach der Gegend „Südlich des Flusses“ (Jiang nan), nämlich des Yangzi jiang, wurde der Stil dieser Gärten Jiang nan-Stil genannt. Bei der Anlage solcher Gärten ließen sich die Gartenbauer weitgehend von Erfindungen der Landschaftsmalerei anregen. So mancher berühmte Maler war auch ein bedeutender Gartenarchitekt.
Der „Garten des Harmonischen Vergnügens“ wurde 1751 angelegt und ist einem Garten in Wuxi, Jiangsu, nachempfunden, den Qian long bei einer seiner Inspektionsreisen in den Süden voller Begeisterung besichtigt hatte. Vermutlich wurde schon damals nicht jedes Detail übernommen, weder was den Stil der Pavillons und der Galerien angeht noch was die Vegetation betrifft. Jedoch gelang es, durch die Art des Layouts und der Proportionen eine Stimmung zu erzeugen, die dem Charakter eines Jiang nan-Gartens nahe kommt und die auch nach einer Erneuerung des Gartens gewahrt blieb .
Den Kern der Anlage bildet ein unregelmäßig geformter Weiher, der in etwa einen rechten Winkel bildet, von welchen ein Arm sich nach Süden erstreckt, der andere nach Osten. Um diesen Weiher sind kleine Pavillons, Galerien und Brücken arrangiert in scheinbar willkürlicher, lockerer Anordnung. Die Gebäude sind jedoch alle rechtwinklig angelegt, ihre Achsen stets in Ost-West oder Nord-Süd Richtung orientiert. Die überdachten Wandelgänge winden sich im Zickzack und zuweilen in Kurven von Pavillon zu Pavillon um den gesamten Teich, der großenteils mit Lotos bedeckt ist. Die zahlreichen Windungen und Biegungen dieser offenen Pfeilergalerien ergeben nicht nur ständig wechselnde Ansichten der gegenüber liegenden Seiten, sondern sie vermitteln auch den Eindruck größerer Raumtiefen, als das relativ kleine Areal tatsächlich besitzt. Die Vielfalt der Perspektiven wird auch erzeugt durch die Lage der Lauben und Pavillons, die zwar rechtwinklig, doch mit verschobenen Achsen zueinander stehen, die vor- oder zurückspringen, einmal dicht am Wasser und sich spiegelnd oder weiter zurückgesetzt zwischen Kiefern und verschiedenen Laubbäumen. Vornehmlich wachsen Weiden am Ufer, das von Felsen gesäumt wird, die von einem See in Südchina hierher transportiert wurden.
Der Stil der Hallen und Laubengänge ist nicht südchinesisch, sondern entspricht dem Hauptstil der nördlichen Palastarchitektur. Die Hallen sind mit Fußwalmdächern gedeckt mit abgerundeten Firsten und Giebeln, den „Gerollten Matten“ (juan peng), die Dachecken sind nur wenig nach oben gekrümmt . Quadratische Aussichtspavillons haben Zeltdächer mit leicht konkav gebogenen Dachkanten und ein kleiner Rundpavillon, der sich turmartig über einer Galerieecke erhebt, wird von einem doppelten Kegeldach gekrönt . Die offenen Wandelgänge haben Satteldächer. Da, wo die Galerien unmittelbar an der Außenmauer entlang führen, ist diese durch „Laternenfenster“ unterbrochen, das heißt durch unterschiedlich geformte Öffnungen. Konstruktion und Pfeilerformen unterscheiden sich nicht von denen der anderen Hallen und Gänge des Sommerpalastes. Untergeordnete Strukturen, wie Wandelgalerien oder kleine Aussichtspavillons, haben grün lackierte Vierkantpfeiler, bedeutendere Hallen werden durch rot lackierte Rundpfeiler hervorgehoben. Dekor und Farbgebung im su shi-Stil der offenen Korridore entsprechen der „Langen Galerie“.
Das größte der dreizehn Gebäude des Gartens liegt an der Nordseite des Weihers. Es ist der „Pavillon der Weite“ (Han yuan tang), welcher der kaiserlichen Familie als Salon diente . Er besitzt eine umlaufende Säulenveranda mit sieben mal vier Jochen. Ihm gegenüber im Süden liegt ein kleines Gebäude mit einer dreijochigen Vorhalle unmittelbar am Seeufer, die Halle „Das Grün trinken“ (yun lu). Hier pflegten Kaiser und Kaiserinnen eine ihrer Vergnügungen: den Fischfang. Auch die größte der fünf Brücken, die in den Verlauf der Galerien eingefügt sind und eine reizvolle Abwechslung bieten, diente der Beobachtung der Goldkarpfen des Teichs und dem Angeln: die „Brücke Fische betrachten“ (Zhi yu qiao) . Auch sie ist einer ähnlichen Brücke im Garten von Wuxi nachempfunden. Es ist eine flache Steinbrücke, die auf sechs blockhaften Pfeilern ruht, also fünf Durchlässe hat. Sie wird von einer niedrigen Balustrade gesäumt. Ein steinernes Tor in Nachahmung eines Holztors bildet den Zugang an der Ostseite . Die Brücke überquert eine kleine Bucht des Weihers in Ufernähe, wo der Wandelgang entlang führt, ist also als Verbindungsglied zweier Ufer nicht notwendig. Ihre einzige Funktion war die Betrachtung des Teichs und der Fische, weshalb sie dicht über das Wasser gebaut wurde.
Gebäude des östlichen Wanshou Berges
Westlich des Xie qu yuan steigt der Wanshou Berg an. Auf seinem östlichen Gipfel finden sich mehrere Gebäudegruppen: der „Pavillon der Freude und des Landbaus“ (Le nong xuan), ein langgestrecktes Gebäude, flankiert von zwei Seitenflügeln, die Nachahmung eines Bauernhauses; der „Pavillon des Langen Lebens“ (Yi shou tang), eine Anlage, in der sich ein Wandelgang und drei Hallen um einen quadratischen Hof gruppieren. Der interessanteste Bau ist der „Turm des höchsten Segens“ (Jing fu ge) . Es ist eine dreischiffige Halle, deren Mittelschiff über die beiden äußeren hinausragt, was einen kreuzförmigen Grundriss ergibt . Jedes der drei Schiffe ist mit einem Fußwalmdach gedeckt, das abgerundete Giebel und einen Rundfirst hat. Die offenen Vorhallen zählen fünf Joche an ihren Breitseiten und drei Joche an den Schmalseiten. Das dritte Joch beider Vorhallen bildet zugleich das äußere Joch der Mittelhalle an ihren Schmalseiten. Im übrigen entsprechen Konstruktion und Dekor den anderen Palasthallen: rote Rundsäulen, farbige Querbalken und Kassettendecken im su shi-Stil der „Langen Galerie“. Das Gebäude ist auf einer niedrigen Plattform errichtet, die den kreuzförmigen Grundriss der Dreierhalle wiederholt und zu der im Norden und Süden eine Treppe hinaufführt. Als Basis dient eine von einer niedrigen Mauer umschlossenen Terrasse, welche die Kreuzform aufnimmt und die von allen vier Seiten zugänglich ist. Nach jeder Richtung bietet der Pavillon ein großartige Aussicht, insbesondere nach Süden auf den Kunming See.
Neben einer Anzahl weiterer Aussichtspavillons wurde nahebei, etwas weiter nach Westen, auf dem Kamm ein kleiner Zwillingspavillon errichtet, eine eigenwillige Kombination aus einer bekannten architektonischen Grundform: zwei offene, hexagonale Pavillons mit Kegeldächern, die an einer Seite zusammengefügt sind, der „Pavillon des Reichen Blattwerks“ (Hui Ting) . Weiter westlich erhob sich auf einer halbrunden Terrasse einst eine Gebäudegruppe, zu der eine prachtvolle, kleine Pagode gehörte, die erhalten geblieben ist: die „Pagode der Zahlreichen Kostbarkeiten“ (Duo bao ta) . Der 16 Meter hohe Turm gehört zum Typus der Pagodenpfeiler, die nicht betretbar sind und bei denen die Verehrung Buddhas durch Umschreiten des Heiligtums vollzogen wird. Die Pagode steht in einem kleinen Mauerviereck, der Zugang führt durch ein kleines Ehrentor. Ihr Fundament besteht aus einem weißen Marmorsockel, der von einer Marmorbalustrade gesäumt wird und Raum lässt für den Umwandlungspfad. Die Pagode ist oktogonal, wobei die Seiten der Kardinalrichtungen breiter sind, als die der Nebenrichtungen. Sie hat drei Geschosse, die sich nach oben verjüngen, besitzt aber sieben Dächer, zwei über jedem der beiden unteren Geschosse, drei krönen das obere. Kleine Glöckchen hängen an den Dachrändern. Um jedes Stockwerk führt eine niedrige Balustrade und kennzeichnet symbolisch den Verehrungsweg. Der vergoldete Ehrenschirm auf der Dachspitze gleicht einer Glocke und nimmt damit die Form eines Stupas auf. Jedes konstruktive Detail entspricht dem klassischen Holzbau: die Halbsäulen an den Gebäudeecken, die doppelten Querbalken, die vorstehenden Verzapfungen, die Konsolen unter den Traufdächern und die Hebelarme. Und dennoch ist das gesamte Bauwerk aufgemauert und vollständig mit farbiger Keramik überzogen . Vorherrschend ist Goldgelb an den Wandflächen, Blau und Grün an Halbsäulen, Balustraden und Dachziegeln. In die Wände zwischen den Ecksäulen sind Reihen von Nischen eingelassen, in denen kleine Buddhafiguren sitzen. Die breiteren, nach den Haupthimmelsrichtungen ausgerichteten Seiten der Pagode haben außerdem Rundbogenportale, die von einem Relieffries umschlossen sind. Sie stellen jedoch keine Eingänge in das Heiligtum dar, sondern diese „Portale“ sind besetzt von größeren Buddhaskulpturen im Lotossitz.
Ihre plastische Behandlung, ihr Dekor, ihre Farbigkeit, ihre zierlichen Proportionen und die lebendige Bewegtheit ihrer Oberfläche machen die „Pagode der Zahlreichen Kostbarkeiten“ zu einem Schmuckstück des Sommerpalastes.
Gebäude des westlichen Wanshou Berges
Auch die westliche Seite des Wanshou shan, jenseits seiner zentralen Nord-Süd Achse, weist eine umfangreiche und gleichzeitig lockere Bebauung auf. Die Gebäude des Nordhangs sind weitgehend zerstört. Von denen des Südhangs, also der westlichen Palastgruppe, ist der Komplex des Pavillons „Durch ein Bild Wandern“ (Hua zhong you) der originellste . In der Tat ist er auf halber Höhe so angelegt, dass man mit jedem Schritt einen neuen Landschaftsausschnitt gewinnt, so wie bei der Betrachtung einer Handrolle. Die Hauptstruktur der Anlage ist ein zweigeschossiger, achteckiger Pavillon mit Doppeldach, der an allen Seiten von offenen Veranden umgeben ist und dessen schmälere Seiten wie die der Duo bao Pagode den Nebenrichtungen der Windrose zugewandt sind . Dies ergibt einen spannungsvollen Rhythmus von breiten und engen Säulenabständen. Die Dächer sind mit grünen und gelben Ziegeln gedeckt, wodurch ein angenehmer Zusammenklang mit den roten Säulen und Brüstungen entsteht. Konstruktive Details und die Bemalung von Balken und Decken gleichen den meisten Gebäuden des Parks. Links und rechts, dicht hinter dem Turmpavillon, stehen etwas oberhalb am Hang zwei identische Achteckpavillons, verkleinerte Versionen des Hauptgebäudes. Obwohl sie höher stehen, reichen ihre oberen Dächer nur bis an dessen unteres Dach. Entsprechend sind auch die Geschosshöhen zueinander verschoben, ein weiteres Spannungsmoment in dieser verwickelten Bauweise, welche die Variationsbreite der Blickpunkte durch verschiedene Höhen und Einrahmungen der Aussicht vermehrt. Verstärkt wird dieses Moment und konstruktiv noch weiter kompliziert durch zwei überdachte Galerien, die flügelförmig vom Untergeschoss des Hauptpavillons hinauf zu den kleinen Satelliten-Pavillons führen . Von hier aus steigen zwei weitere Galerien diagonal bergan, um an zwei symmetrisch angelegten, doppelgeschossigen Seitenhallen zu münden, deren offene Veranden weitere Seeblicke bieten. Von diesen Pavillons aus führen wiederum symmetrisch auf jeder Seite Galerien bergauf, die nach einer Wendung zunächst schräg ansteigen, um dann von Osten und Westen an einer Halle zu enden, die auf der Kammhöhe genau in der Achse des Hauptpavillons liegt. Die Halle diente dem buddhistischen Fasten- und Meditationsritual. Eine Treppenflucht verbindet beide Gebäude, unterbrochen von einer steinernen Ehrenpforte, in Form eines weißen Rundbogenportals.
Unmittelbar südlich unterhalb der Hua zhong you Gruppe liegt ein umfangreicher Gebäudekomplex, vom Seeufer nur durch die „Lange Galerie“ getrennt. In der üblichen Weise sind vier Hallen um einen Innenhof arrangiert und durch kurze Galerien miteinander verbunden. Die Nordseite nimmt eine nach dem Hof offene Halle ein, zu der drei niedrige Treppen führen. Östlich und westlich schließen zwei kleinere, nach innen offene Hallen die Hofseiten ab. Das größte Gebäude im Süden, das aus einer Mittelhalle und zwei niedrigeren seitlichen Anbauten besteht, bildet einen langgestreckten Querriegel, der die beiden kleineren Seitenhallen überflügelt . An seiner Südseite führen drei gegenläufige Doppeltreppen zu der hohen Steinterrasse, auf welcher der Bau ruht. An seiner Nordfront greift ein zweigeschossiger Turm in den Hofraum aus. Über einem T-förmigen Grundriss erheben sich ein breiterer vorderer Flügel, der zum Hof gerichtet ist, und ein schmälerer an der Südseite. Ihre aneinander stoßenden Fußwalmdächer verlaufen auf gleicher Höhe, während First und Giebel des hinteren Flügels niedriger sind. Dieser Turm war die Theaterbühne des „Hauses, wo man dem Pirol lauscht“ (Ting li guan) . Die Bühne war in beiden Stockwerken bespielbar. Von den anderen Gebäuden sah die Hofgesellschaft den Aufführungen zu.
In der Verlängerung des südlichen Theatertraktes nach Osten erhebt sich ein achtseitiger Aussichtsturm . Er hat drei Dächer über seinen drei Geschossen, von denen nur die beiden unteren zugänglich sind und um die eine äußere Säulenveranda führt. Auch hier entsprechen der reiche Dekor und die Konstruktionsweise denen der anderen Turmpavillons. Ein überdachter Gang führt von hier direkt nach Süden, kreuzt die „Lange Galerie“ und endet an der westlichen der beiden am Seeufer gelegenen Hallen, welche mit der „Langen Galerie“ verbunden sind, dem „Pavillon der Fische und Wasserpflanzen“ (Yu zao xian). Sein Pendant im Osten wird „Zwei Möwen-Barke“ (Dui ou fang) genannt.
Westlich des Ting li guan endet die „Lange Galerie“ an dem dreiflügeligen „Pavillon der Steininschriften“ (Shi wen ting) oder „des Älteren Shi“. (Shi zhang ting). Die Front des Hauptgebäudes ist nach Westen gewandt, die beiden Seitenflügel ragen nach Osten und empfangen gleichsam mit geöffneten Armen die „Lange Galerie“ und die parallel verlaufende Promenade. Vor der Westfassade des Pavillons unterbricht eine Anlegestelle die nun nordwärts führende Ufermauer. Schräg gegenüber ragt ein ungewöhnliches Gebilde vom nördlichen Ufer nach Süden in den See hinein und bildet so zusammen mit der östlichen und nördlichen Ufermauer ein kleines Hafenbecken.
Das Marmorboot
Die seltsame Struktur gehört zu den bekanntesten Attraktionen des Sommerpalastes, wenn auch nicht zu den gelungensten: das sogenannte „Marmorboot“ (Shi fang), auch „Boot der Stillen Bankette“ oder „der Reinheit und Ruhe“ (Qing yan fang) . Der Steinsockel in Form des Rumpfes einer Dschunke mit den an stilisierte Wellen erinnernden Voluten an Bug und Heck wurde unter dem Qian long-Kaiser 1755 als Mole angelegt. Vorbilder waren ähnliche, an Seeufern in Bootsform errichtete Gebäude des Südens, die als Festhallen dienten. Da ein Steinschiff nicht kentern könne, betrachtete der Kaiser es als Symbol für die Unsinkbarkeit des Staatsschiffs, also seiner Dynastie. Die Deckaufbauten wurden während der Zerstörung des Sommerpalastes 1860 verbrannt. Beim Wiederaufbau ließ die Kaiserinwitwe Ci xi zwei steinerne Räder am Rumpf anbringen in Nachahmung moderner Raddampfer. Die zweigeschossigen Deckaufbauten, die sie hinzufügen ließ, sind lmitationen westlicher Architektur mit Arkaden, in deren Rundbögen teilweise bunte Bleiglasfenster eingelassen sind. Das doppelte Schiffsdeck erscheint wie Marmor, besteht aber aus bemaltem Holz. Die beiden Satteldächer in chinesischem Stil auf dem Oberdeck, das eine quer gestellt, das andere in Längsrichtung, krönen die Disproportionen des hybriden Gebildes. Spötter bezeichneten es als einzigen Überrest der geplanten modernen Flotte und der Marineakademie, die angeblich hier ihren Sitz haben sollte. Bereits Qian long hatte auf dem See Schiffsmanöver abhalten lassen. Mit den für die Flotte vorgesehenen Geldern wurde jedoch der Wiederaufbau des kaiserlichen Lustgartens finanziert.
Unmittelbar nördlich des „Marmorboots“ führt eine Steinbrücke zu einer in rechtwinkligem Zickzack ummauerten Insel, an deren Südende ein kleiner quadratischer Tempelhof mit vier Hallen liegt: der „Tempel der Fünf Weisen“ (Wu sheng si). Nördlich der Insel liegen die kaiserlichen Bootshallen. Der dem Kriegsgott geweihte „Turm der Wolkenspeichernden Traufen“ (Su yun yan) siehe auch nahe den Hallen bildet den Zugang zum Bereich des „Hinteren Sees“ . Es ist ein doppelstöckiger Achteckturm über einem zinnengekrönten Steinblock, durch den ein gewölbter Torgang zum „Hinteren See“ (Hou hu) führt.
Entlang dem „Hinteren See“, der einem Flusslauf gleicht, wurde auf beiden Uferseiten eine Einkaufsstraße von Suzhou nachgebaut (Suzhou jie), damit der Hofstaat „Einkaufen“ spielen konnte wie das einfache Volk .
Brücken des Sommerpalasts
Die Brücke zur Insel des „Tempels der Fünf Weisen“ gehört zu einer Anzahl von Brücken des Sommerpalasts, die von Pavillons gekrönt sind und die den Brücken von Yangzhou, Jiangsu, nachempfunden wurden, was wiederum die Vorliebe Qian longs für die südliche Architektur unterstreicht. Über verbreiterte Vorsprünge der Ufermauern führen von beiden Seiten symmetrisch ansteigend balustradengeschmückte Treppen hinauf zur „Goldlotos Brücke“ (Xing qiao) bis zur Höhe der zwei Brückenpfeiler, die durch einen waagerechten Steg verbunden sind . Auf den Vorsprüngen der Pfeiler, dreiseitigen Halbsäulen, bewachen steinerne Löwen die Brücke. Sie stehen in Profilsicht, die Köpfe nach außen gewendet, auf Kapitellen, die aus vorkragenden Stufenkonsolen bestehen. Der mittlere der drei Durchlässe ist breit und hoch genug, ein großes Ruderboot passieren zu lassen - vielleicht auch noch die schrägen seitlichen Durchlässe - jedoch kein Schiff mit hohen Deckaufbauten. Über dem Steg erhebt sich ein rechteckiger Holzpavillon mit Doppeldach und drei Jochen, die nach der Wasserseite ausgerichtet sind. Obwohl er eine starke Ähnlichkeit mit solchen Brückenpavillons des Südens hat, fehlen ihm die hoch aufgebogenen Dachecken, die den südlichen Dächern jenen besonderen dynamischen Schwung verleihen. Die nur leicht angehobenen Traufkanten entsprechen der Bautradition und dem Geschmack des Nordens.
Von den ca. 30 Brücken des Yiheyuan gehören die des „Westdeichs“ (Xi di) zu den anziehendsten . Sie illustrieren ein Grundprinzip der chinesischen Architektur: durch geringfügige Änderungen ähnlicher Strukturen im Detail einen großen Reichtum an Variationen zu erzielen. So ähneln sich beispielsweise die „Brücke der Hirtengedichte“ (Bin feng qiao) im Norden des Deichs und weiter südlich die „Spiegelbrücke“ (Jing qiao), die „Brücke der Weißen Seide“ (Lian qiao) und die „Weidenbrücke“ (Liu qiao). Sie sind mit Pavillons besetzt, zu denen Treppen über die schrägen seitlichen Stützmauern hinauf führen. Der Übergang besteht aus waagerechten Steinplatten, die den Brückenpfeilern aufliegen. Die statische Funktion der Pfeiler, auf denen auch die Pavillonsäulen ruhen, wird dadurch betont, dass sie von den schrägen Stützmauern rechtwinklig vorspringen. Steinbalustraden schmücken Treppenaufgänge und Pfeiler, während die Pavillons mit niedrigen Holzgeländern versehen sind.
Die seitlichen Mauern der Bin feng Brücke sind von zwei kleinen Bogenöffnungen durchbrochen. Der rechteckige Pavillon hat ein doppeltes Walmdach, drei Joche an der Wasserseite und eine Jochbreite an der Treppenseite . Die Brückenwangen der „Seidenbrücke“ sind geschlossen, der Pavillon ist quadratisch mit doppeltem Zeltdach. In Richtung der Treppenaufgänge öffnen sich drei Joche, ein breites in der Mitte und zwei seitliche, nach der Wasserseite öffnet sich ein Joch . Auf der „Spiegelbrücke“ erhebt sich ein achteckiger Pavillon mit Doppeldach. Die Traufkanten sind hier stärker konkav gebogen, da die acht Dachgrate in jedem Geschoss enger zusammen liegen, als bei vierseitigen Dächern . Der Pavillon der „Weidenbrücke“ besitzt ein doppeltes Fußwalmdach und öffnet sich nach jeder Seite mit einem Joch. Durch beide Brückenwangen führen zwei Rundbogenöffnungen .
Die Farbigkeit der Brückenpavillons mit ihren roten Säulen und bunten Balken bildet einen klangvollen Gegensatz zum Weiß oder Hellgrau des Mauerwerks. Und ihre Spiegelung auf der bewegten oder glatten Oberfläche des Wassers ergibt ein weiteres reizvolles Spiel von Farben und verdoppelten Formen. Zugleich wechselt von Brücke zu Brücke die Szenerie.
Die „Jadegürtelbrücke“ (Yu dai qiao) besitzt keinen Pavillon. Sie gehört mit einer geringen Anzahl gleichartiger Brücken zu den vollkommensten Schöpfungen der chinesischen Brückenbaukunst. In einem einzigen Bogen schwingt sie sich von Ufer zu Ufer über einen Durchstich des Deiches zum westlichen Teil des Sees. Die doppelte Kurve aus Granit und Marmor, über die sich eine Treppenflucht ohne Unterbrechung hinzieht, ist hoch genug, um den kaiserlichen Drachenbooten mit ihren hohen Deckaufbauten Durchlass zu gewähren. Der innere Bogen, fast ein vollkommener Halbkreis, schließt sich im Scheitel zu einer Spitztonne. Diese leichte Andeutung eines Spitzbogens verleiht der Kurve eine besondere Spannung, die stärker wirkt, als die eines vollkommenen Rundbogens. Die zweite Kurve bildet die äußere Silhouette. Symmetrisch von beiden Ufern in einem sanften, konkaven Schwung ansteigend, wiederholt sie über dem Scheitel konvex den Verlauf der Bogenöffnung. Das schmale Band eines Wulstgesimses betont die große Bewegung der auf- und absteigenden Kurve. Wie der Schmuck eines Diadems bildet die Marmorbalustrade mit ihren zylindrischen Pfosten einen filigranen Saum gegen den Himmel. Die Pfosten sind in gleichem Abstand aufgereiht. Es zeugt von einem äußersten Feingefühl für Rhythmus und Proportionen, dass nur auf dem höchsten Punkt der Brücke an beiden Seiten das Pfostenpaar etwas weiter auseinander steht, gleich dem Verharren einer aufsteigenden Bewegung im Zenit ihrer Bahn. Die Wirkung von nahezu schwebender Leichtigkeit entsteht durch das Verhältnis zwischen der dünnen Steindecke über der Wölbung und der weiten Bogenöffnung einerseits und den kleineren, aber massiven Brückenwangen andererseits. Und nicht zuletzt ist es das leuchtende Weiß des Mauerwerks, das zu der scheinbaren Gewichtslosigkeit dieser Brückenskulptur beiträgt. Im stillen Wasser des Sees ergänzt sich ihr Bogen zu einem beinahe vollkommenen, flimmernden Kreis, der den Eindruck einer unwirklichen Erscheinung hervorruft.
Am Südende des Sees überspannt eine nahezu identische Schwesterbrücke einen Kanal, über den die kaiserlichen Boote von Peking aus in den Kunming See einfuhren: die „Brücke der Kostbaren Wellen“ (Xiu yi qiao) . Der Brückenbogen bildet ein vollkommendes Halbrund.
Gebäude des Ostufers
An der östlichen Uferpromenade des Sees, die man auch als „Ostdeich“ (Dong di) bezeichnet, liegen in größeren Abständen voneinander mehrere bemerkenswerte Bauwerke. Unmittelbar südlich der östlichen Palastgruppe führt eine Brücke zu einer kleinen, mit Weiden bestandenen Insel nahe dem Ufer. Am Ende der Brücke erhebt sich der „Pavillon, der den Frühling verkündet“ (Zhi chun ting) . Es ist ein quadratischer, nach allen Seiten offener Bau mit einem doppelten Zeltdach. Nach jeder Seite zählt er drei Joche, wobei die äußeren Säulen eng zusammen stehen, sodass ein breites Mitteljoch frei bleibt. Innen tragen vier weitere Säulen den Aufbau des oberen Daches. Da sie im gleichen Abstand wie die äußeren Säulen voneinander stehen, ergibt sich an jeder Gebäudeecke eine Vierergruppe, sodass ein kleiner „Säulenwald“ entsteht. Eine kurze Brücke verbindet die Insel des Pavillons mit einer weiteren, noch kleineren Insel, auf der eine Baumgruppe die Aussicht auf den See umrahmt.
Wenige Schritte in Richtung Süden versperrt ein mächtiges, festungsartiges Gebäude die Promenade des Ostufers: der „Turm der Kulturellen Blüte“ (Wen chang ge) . Auf einem gewaltigen quadratischen Granitblock erhebt sich ein zweigeschossiger Holzpavillon, der von vier Kiosken an den Ecken der Plattform umgeben ist. Der Unterbau ist leicht geböscht und mit Zinnen versehen. Ein tonnengewölbter Gang führt hindurch. Der Pavillon auf der Plattform hat in jedem Geschoss eine umlaufende Veranda mit sieben Jochen nach jeder Seite, wobei auch hier das mittlere Joch jeweils das breiteste ist, sodass sich die Säulen an den Ecken bündeln. Da das Gebäude jedoch nicht den quadratischen Grundriss des Unterbaus aufnimmt, sondern die Grundform eines gleichschenkligen Kreuzes bildet, springen Säulen und Veranden in gleichmäßigem Rhythmus vor und zurück. Die Kreuzform bedingt zugleich eine hochkomplizierte Dachdeckung: drei zusammengefügte Fußwalmdächer krönen den Pavillon. Das mittlere, also das Hauptdach, steht quer zur Wegachse. Auf diese Weise werden der nördliche und der südliche Kreuzarm zu Annexen mit kleineren und niedrigeren Dächern. Die achtfach aufschwingenden Traufecken verstärken das bewegte Spiel der Dachformen. Die vier Kioske sind nicht rechteckig oder quadratisch, sondern als zwei Flügel erbaut, die rechtwinklig aneinander stoßen. Jeder Flügel endet mit einem Giebel über einem Fußwalmdach. Dies ergibt eine ungewöhnliche Bauform, so wie das gesamte Gebäude durch die Kombination seiner unterschiedlichen Elemente Eigenart erlangt. Es gehört zum Typus der Stadttore. Zusammen mit dem Su yun yan Turm im Westen siehe auch, der einem Kriegsgott geweiht ist, markiert der Wen chang Turm den wehrhaften Zugang zur Palaststadt. Und so wie das westliche „Stadttor“ die militärischen Stärke des Reiches symbolisieren soll, so das östliche Tor das blühende Wachstum der Kultur und der Literatur. Das heißt sie sind den Stützen des Staates gewidmet, den Institutionen der militärischen und der zivilen, also literarisch gebildeten Beamtenschaft. Eine entsprechende Symbolik findet sich im Kaiserpalast: in der „Halle der Literarischen Blüte“ (Wen hua dian) und der „Halle der Militärischen Tapferkeit“ (Wu ying dian) siehe auch.
Das Ensemble der Siebzehn-Bogen-Brücke
Weiter im Süden, etwa in seiner Mitte, beschreibt die Uferlinie des Ostdamms einen weit ausschwingenden Bogen nach Westen, der einmündet in die sanft ansteigende Kurve einer Brücke, die seinen Schwung aufnimmt und hinüberleitet zur „Insel im Südsee“ (Nan hu dao). Es ist die „Siebzehn-Bogen-Brücke“ (Shi qi kong qiao), auch sie einer der Höhepunkte chinesischer Brückenbaukunst . Mit der Insel und dem „Pavillon der Grenzenlosen Ausdehnung“ (Kuo ru ting) bildet die Brücke ein zusammenhängendes Ensemble. Architektur und vom Menschen gestaltete Natur sind hier in einen rhythmischen Zusammenhang gebracht, dessen harmonische Verhältnisse unverändert bleiben, von wo aus man das weithin sichtbare Ensemble auch betrachtet.
Unmittelbar am See, dort wo der Uferbogen des Ostdeichs beginnt, bewacht ein bronzener Ochse (Tong niu) den Zugang zur Brücke und den See. Der lebensgroße, im Unterschied zu den meisten Tierdarstellungen, wie etwa den Löwen, äußerst realistische Guss stammt aus dem Jahre 1755. Die Inschrift auf seinem Leib erklärt seine mythologische Herkunft. Seine Aufgabe ist es, bei Hochwasser die Fluten zu beruhigen und Überschwemmungen vom Lande fernzuhalten, indem er das Wasser säuft. Er bildet den ersten Akzent auf dem Weg zur Siebzehn-Bogen-Brücke.
Ungleich dominierender ist der zweite Akzent, der „Pavillon der Grenzenlosen Ausdehnung“ (Kuoru ting) wegen der Fernblicke nach allen Seiten. . Er steht vor dem Aufgang zur Brücke, jedoch nicht in ihrer Achse, sondern etwas nach Süden versetzt. Auf diese Weise blieb genügend Raum für das kaiserliche Gefolge, wenn sich der Zug von den östlichen Palästen zur „lnsel im Südsee“ bewegte. Der Pavillon erhebt sich auf einer flachen, achteckigen Steinplattform mit Treppenzugängen an vier Seiten. Er nimmt die Grundform des Achtecks auf. Das zweistufige Zeltdach überdeckt eine der größten offenen Säulenhallen des traditionellen Stils. Vierzig Säulen stützen in drei konzentrischen Ringen die Dachkonstruktion. Der äußere Ring, der das untere Traufdach trägt, hat an jeder Ecke eine Rundsäule, die flankiert wird von zwei Vierkantsäulen. Diese Dreiergruppen stehen enger zusammen, wodurch zwischen ihnen an jeder der acht Seiten ein breites Joch entsteht. Die beiden inneren Ringe bestehen aus Rundsäulen. Alle sind in leuchtendem Zinnoberrot lackiert, und die übrige farbige Fassung, wie auch die Konstruktionsweise, unterscheidet sich nicht von den meisten anderen Hallen. Hier wurden die kaiserlichen Prachtsänften abgestellt. Zuweilen lud der Kaiser Literaten hierher ein, wobei nach alter Weise beim Wein Gedichte und Gegengedichte vorgetragen wurden. Einige Beispiele sind auf Tafeln in der Halle festgehalten.
Hinter dem Pavillon ragt die Uferzunge des Ostdeichs in den See hinaus und stößt auf eine niedrige Rampe, die flankiert wird von zwei Marmor-Chimären (Xie zhi), die den Zugang zur Siebzehn-Bogen-Brücke bewachen . Danach verjüngt sich das Widerlager der Brücke bis auf eine Breite von acht Metern. Von hier erstreckt sich die eigentliche Brücke über 150 Meter. Ihr langgezogener Bogen steigt so allmählich an, dass das Bauwerk von Ferne eher einem Damm gleicht. Zu seinen Vorläufern gehören zwei berühmte Brücken: die „Brücke des Schwarzen Grabens“ (Lu gou qiao) bei Peking (12. Jh.), den Europäern nach der Beschreibung des berühmten Reisenden als „Marco Polo Brücke“ bekannt, und die „Brücke des Kostbaren Gürtels“ (Bao dai qiao) bei Suzhou, Jiangsu. Die „Marco Polo Brücke“ überquert den Yong ding Fluss fast horizontal. Nur unmerklich steigt sie an bis zum mittleren ihrer elf gleich großen Bögen. Auf den 280 Pfeilern ihrer Balustrade sitzen ebenso viele kleine Marmorlöwen. Dieses Schmuckelement, das gewiss auch Schutzfunktion haben sollte und zugleich die kaiserliche Macht symbolisierte, wurde auch für die „Siebzehn-Bogen-Brücke“ übernommen, deren Geländer von 544 kleinen Löwenskulpturen besetzt ist . Auch bautechnisch unterscheidet sie sich nicht von der alten Brücke: die mächtigen Wölbesteine der Brückenbögen haben eine Breite von fast einem Meter und werden von einem Steinwulst eingefasst . Die Ähnlichkeit mit der Bao dai Brücke, die über den Kaiserkanal führt und aus der Tang-Zeit stammt, besteht in den erhöhten Mittelbögen. Bei der Bao dai Brücke sind es drei, oberhalb derer von beiden Seiten eine flache Treppenrampe schräg ansteigt, während die übrigen 50 Bögen gleich hoch sind, über welche ein gerader Fahrweg führt. Bei der „Siebzehn-Bogen-Brücke“ steigt die Scheitelhöhe der Bögen von beiden Seiten schrittweise bis zur Mitte an, wodurch die weit gespannte Kurve des Brückenwegs entsteht . Die perfekte Symmetrie des An- und Absteigens, wodurch die Bewegungskräfte zur Ruhe kommen, und die gern mit der Form des Regenbogens verglichen wird, die Ausgeglichenheit aller Elemente, der Negativ- und Positivformen, machen aus diesem Zweckbau ein Marmorgebilde von vollendeter Klassizität.
Den Abschluss des Dreierensenbles von Pavillon, Brücke und Insel bildet die „lnsel im Südsee“. Sie ist vollständig von einer Marmorbalustrade umsäumt und dicht bewachsen mit Sträuchern und Bäumen, zwischen denen die Gebäude so versteckt sind, dass sie, zumal im Sommer, kaum wahrgenommen werden können. Nur die „Halle der Umarmung des Universums“ (Han xu tang) an der Nordseite ist weithin sichtbar und ein Pavillon am Südufer, der zum Komplex des „Drachenkönig Tempels“ (Long wang miao) gehört. Zum Drachenkönig beteten die Kaiser bei anhaltender Dürre, weshalb das Heiligtum auch „Tempel der Wohltätigen Nässe und des Segensreichen Regens“ (Guang run ling yu si) genannt wurde. Eine Gründung der Ming-Zeit, stand er damals am Ostufer des Sees. Bei dessen Erweiterung ließ Qian long den Tempel und das ihn umgebende Land unangetastet, sodass die Insel entstand. Wie alle Anlagen der Insel, die aus mehreren Höfen bestehen, sind die Gebäude in der üblichen Süd-Nord Richtung angelegt. Obwohl der Tempelbezirk im Süden bis ans Wasser reicht, liegt der Hauptzugang im Osten, markiert durch ein hölzernes Ehrentor wenige Schritte hinter der Stelle, wo die Brücke die Insel erreicht. Der Tempel ist in der traditionellen Form eines rechteckigen Hofes angelegt mit seitlichen Galerien und drei hintereinander liegenden Hallen.
Architektonisch origineller ist die Han xu tang am Nordufer . Auf einem künstlichen Felsenhügel errichtet, steht das Gebäude auf einer Terrasse, an deren Frontseite eine gegenläufige Doppeltreppe hinauf führt. In die Mauer unter der Treppe ist ein Rundbogenportal eingelassen, das zu einer höhlenartigen Kammer führt. Vor dem Portal liegt ein steinerner Landesteg. Die schrägen Treppenaufgänge und die Terrassen sind von einer weißen Marmorbalustrade eingefasst, welche den Treppenvorbau markant hervorhebt. Das Gebäude besteht aus zwei miteinander verbundenen, hintereinander liegenden Hallen mit rundgiebeligen Fußwalmdächern und umlaufenden Säulenveranden. Das leuchtende Rot der Rundsäulen hebt sich ab vom Grau des Mauerwerks und der künstlichen Felsen. Die vordere Halle zeigt an der Frontseite drei breite Mitteljoche und zwei schmale äußere Joche und an den Seiten ein breites Mitteljoch und zwei schmale Endjoche. Die hintere Halle ist höher und tiefer. Sie ragt über die Fronthalle an beiden Seiten hinaus mit einem breiten Mitteljoch und zwei schmalen Seitenjochen. Im Grundriss ergibt sich so eine Gestalt, die dem lateinischen „T“ angenähert ist. Ehemals stand hier ein dreistöckiger Turmpavillon. Seit Qian long beobachteten die Kaiser von hier aus die Bootsmanöver auf dem See.
Symbolik und Ästhetik des Yiheyuan
Das Ensemble der „lnsel im Südsee“ und der „Siebzehn-Bogen-Brücke“ hat eine wichtige Funktion in der Gesamtanlage des Sommerpalastes. Es bildet eine optische Sperre in der Mitte der östlichen Wasserfläche des Kunming Sees. Dadurch wirken die dahinter liegenden Teile des Parks, aus welcher Richtung aus auch immer betrachtet, in größere Entfernung gerückt. Es ist das gleiche Mittel, das in der Landschaftsmalerei als Repoussoir bekannt ist: ein Fels etwa oder ein Baum im Vordergrund erzeugen Tiefenwirkung. Die Lage der Insel verdeutlicht darüber hinaus wiederum das Denken der chinesischen Landschaftsplaner und Architekten in großen Zusammenhängen. Sie berührt die verlängert gedachte zentrale Achse des Wanshou Berges, die weiter führt zu einer kleinen Insel am Südende des Sees, dem „Phönixhügel“ (Feng huan dun), und bis ans Südufer, wo Ost- und Westdeich zusammentreffen und die einem Dreieck angenäherte Form des Sees abschließen. In der gleichen Weise, wie Achsen durch den Yiheyuan gelegt wurden, ohne dem Garten den Anschein von Natürlichkeit zu nehmen, wurden axiale Verbindungen zwischen sämtlichen fünf kaiserlichen Parks im Nordwesten von Peking hergestellt. Hierbei spielten nicht so sehr gestalterische Überlegungen die entscheidende Rolle, als vielmehr das Denken in kosmischen Bezügen und in einer beziehungsreichen Symbolik, wie es in vielfachen Varianten auch im Layout des Sommerpalastes zum Ausdruck kommt.
Die Erweiterung des Sees nach dem Vorbild des Westsees (Xi hu) von Hangzhou war eine der größten, wenn nicht die größte Landschaftsübertragung, die je vorgenommen worden ist. Man griff dabei nicht allein auf dieses Vorbild zurück, sondern nahm eine uralte Tradition auf. Nach daoistischen Vorstellungen gab es drei Inseln der Unsterblichen im Meer. Auf der Suche nach dem Unsterblichkeitselixier, das dort zu finden sei, sandte bereits der erste Kaiser Qin shi huang di (259-210 v. Chr.) Expeditionen aus. In mythischem Analogiedenken ließen spätere Kaiser in ihren Gärten Seen anlegen mit drei Inseln, welche die Wohnstätten der Unsterblichen repräsentieren sollten. Nach diesem Prinzip - ein See, drei Inseln - wurde auch der Kunming See mit den Inseln Nan hu, Fang zhang und Ying zhou angelegt, jedoch mit gewissen Abweichungen. Im Norden liegen die Insel mit dem „Tempel der Fünf Weisen“ und die Insel mit dem „Pavillon, der den Frühling verkündet“. Allerdings befinden sie sich so dicht am Ufer und sind mit ihm durch Brücken verbunden, dass man sie vielleicht zum Festland gehörig ansah. Es bleibt der „Phönixhügel“ als kleinste der mitten im See gelegenen Inseln. Auch in Hangzhou gab es einen Phönixhügel im Süden von Stadt und See, auf den die Benennung der kleinen Insel anscheinend Bezug nahm. Deutlicher jedoch ist die Nachschöpfung des viel besungenen und bewunderten Westsees im Bau des Westdeichs, dessen Verlauf sich an den beiden Deichen des Hangzhou Sees orientiert: der Nordteil in südwestlicher Richtung, der größere südliche Teil nach Südosten. Ebenso ähnelt die Lage des Wanshou shan der des „Hügels der Einsamkeit“ im Norden des Westsees. Und wie der Deich des Dichters Su dong po - zur Song-Zeit Gouverneur in Hangzhou - von sechs Brücken unterbrochen wurde, so auch Qian longs Westdeich. Mit einem weiteren Damm, vom Westdeich ausgehend nach Südwesten bis zum Westufer, gliederte man den Kunming See in drei große Wasserflächen, in deren Mitte jeweils eine der großen Inseln aus dem Wasser ragt. Durch einige Abzweigungen der Dämme entstanden weitere kleinere Wasserflächen. Während die Dämme des Westsees in erster Linie der Wasserregulierung dienten und erst danach der Landschaftsgestaltung, hatten die Deiche des Kunming Sees vorwiegend ästhetische Funktion. Durch die Abtrennung mehrerer Wasserflächen entstanden unterschiedliche Spiegelungen und ein abwechslungsreiches Spiel der Wellen zwischen den Deichen. Ihre Baumbepflanzung bewirkte ferner vielfältige Überschneidungen des Landschaftsbildes und eine größere Tiefenstaffelung von jedem Punkt des Parks aus. Da auch der schmale Ufersaum, an dem die Außenmauern des Parks entlang führen, wie die Deiche bepflanzt sind - vorwiegend mit Weiden und Pfirsichbäumen - wird die Begrenzung des Areals unsichtbar. Auf diese Weise wird die jenseits liegende Umgebung in das Landschaftsbild des Gartens einbezogen. Nach Süden und Osten geht der Blick über weite Ebenen, nach Westen reicht er bis an die Westberge, die, mehrere Kilometer entfernt, sich im See spiegeln und vor denen sich markant der „Hügel der Jadequellen“ (Yu quan shan) abzeichnet mit der Jadegipfel-Pagode (Yu feng ta) . Dieses Panorama ist eine der berühmtesten optischen Landschaftserweiterungen in der chinesischen Gartenkunst, das Musterbeispiel einer „geliehenen Landschaft“ (jie jing) .
Die beiden antithetischen Energien, welche das Leben, die Natur, den Kosmos in stetigem Rhythmus durchwirken, finden auch in einer vom Menschen gestalteten Landschaft ihren Ausdruck. So bildet der Wanshou shan im Gesamtplan des Sommerpalastes das Element der Festigkeit, während das Wasser des Sees das Fließende, Weiche und Nachgiebige darstellt. Der Berg ist die Positivform, der See die Negativform, die im Sinne der „geliehenen Landschaft“ bis zu den Westbergen reicht. In einer anderen Erscheinungsform manifestieren sich die gegensätzlichen und zugleich komplementären Elemente an den Hängen des Wanshou Berges. Die Nordseite ist kühl, schattig und feucht, sie wird dem yin Prinzip zugeordnet, die Südseite ist der Sonne zugewandt, sie ist warm und trocken, also dem yang zugehörig. Entsprechend unterschiedlich ist die Bepflanzung. Die hintere Seite, also der Nordhang, ist von Mischwald aus Nadel- und Laubbäumen bestanden, die Landschaftsstruktur ist hier und um den „Hinteren See“ aufgegliedert in kleine Parzellen mit Hilfe von gewundenen Wegen und Blicksperren durch Felsen oder Baumgruppen. Es gibt kaum Fernsichten, nur kleine Landschaftsausschnitte. Hier herrscht eine Atmosphäre von Intimität und Abgeschiedenheit. Ganz anders ist der Charakter des Südhangs. Von zahlreichen Aussichtspunkten geht der Blick ins Weite, die offene Landschaftsstruktur lädt nicht zu Kontemplation ein, sondern zu Aktivität. Diese Bergseite ist fast ausschließlich mit Kiefern und Zypressen bepflanzt. Ihre dunkle Tönung setzt sich ab gegen die helle Wasserfläche. Mehr noch jedoch als ästhetische Gesichtspunkte ist es die Symbolik dieser Bäume, welche ihre Anpflanzung bestimmte: sie stehen für langes Leben und die männlichen Tugenden von Beständigkeit, Treue und Selbstzucht.
Sobald die gegen- und miteinander wirkenden Kräfte des yin und yang derart ins Gleichgewicht gebracht sind, entsteht Harmonie. Im Yiheyuan ist dies im höchsten Maße gelungen. Und so könnte über seinem Eingangstor stehen, was einst der Mogulkaiser Shah Jahan an seine Palasthalle in Delhi schreiben ließ: „Wenn es ein Paradies auf Erden gibt, so ist es hier, so ist es hier, so ist es hier!“