Malerei

Die Traditionen der Nord-Song-Akademie sowie der Süd-Song-Malerei wurden von einer Reihe von Künstlern fortgesetzt, sowohl der lyrische Stil der Ma-Xia Schule, als auch der freie Stil, wie ihn die Chan-Maler vertraten. Sie bestimmten jedoch nicht mehr den Hauptstrom der Entwicklung.

Mit dem Wandel der Herrschaftsstrukturen, der veränderten Stellung der chinesischen Beamtenschaft, das heißt ihrem geschwundenen Einfluss, veränderte sich auch ihre Haltung gegenüber der neuen Obrigkeit und damit gegenüber dem Staat. Ein Großteil der Gebildeten zog sich von öffentlichen Pflichten zurück. Für einen konfuzianisch erzogenen Beamten war eine solche Entscheidung mit einem schweren Konflikt verbunden siehe auch. Einerseits schuldete er dem Himmelssohn Loyalität, welcher Herkunft dieser auch sein mochte. Sein vom Himmel erteilter Auftrag war es ja, die Wohlfahrt des Volkes zu gewährleisten, seine Legitimität war erwiesen - vom Himmel gleichsam bestätigt - allein schon durch seine Machtfülle. Andererseits waren Ungerechtigkeit und Willkür des mongolischen Herrschaftssystems so augenfällig, die kulturelle Unterlegenheit der fremden Unterdrücker so schwer erträglich, dass Angehörige der kulturellen Führungsschicht sich in vielen Fällen gegen ihre Loyalitätspflicht entschieden.

Eine Abwendung von den harten Realitäten und Widersprüchen der Gegenwart war die Folge. Ein Archaismus auf vielen geistigen Gebieten griff um sich, die Beschäftigung mit den Künsten der Tang- und der Fünf-Dynastien-Zeit - insbesondere der Malerei, wogegen die Formen der Süd-Song-Meister als überlebt und abgegriffen bzw. als ungenügend empfunden wurden. So beurteilten die intellektuellen Künstler gewöhnlich jene Malerei, die in der Nachfolge von Ma und Xia stand, als zu perfektionistisch, formelhaft und leer und die Chan-Malerei als zu flüchtig oder gar oberflächlich.

Man richtete den Blick also nicht auf die unmittelbare Vergangenheit, sondern auf weiter zurückliegende Vorvergangenheiten. Indem man vorgab, das Uralte zu bewahren, schuf man Neues. Dass zugleich auch Erfahrungen und Errungenschaften der gemeinhin vehement abgelehnten Vorgänger einflossen, in erster Linie ein größerer Subjektivismus, war den meisten Künstlern dabei kaum bewusst. Naturgemäß waren es Einzelgänger, die weitgehend unabhängig voneinander Wege suchten, einen persönlichen Stil zu formulieren. Frei von Verpflichtungen einem Auftraggeber gegenüber, folgten sie dem Ideal des Gelehrten-Künstlers, der auch Musik, Poesie und Kalligraphie pflegte. Sie betrachteten sich als Amateure, die für sich selbst oder einen kleinen Kreis von Freunden malten. Was sich unter den Song-Kaisern im Umkreis des Su Shi als Opposition gegen den vorherrschenden Akademiestil entwickelt hatte siehe auch, wurde nun zum Hauptstrom: die Literatenmalerei, wen ren hua. Während der knapp hundertjährigen Mongolenherrschaft gab es eine Reihe hervorragender Künstler, die in Grundhaltung und Lebensstil diesem Ideal folgten, die sich jedoch in ihren künstlerischen Konzeptionen erheblich voneinander unterschieden. Dennoch griff die chinesische Kunstgeschichtsschreibung - man ist fast versucht zu sagen willkürlich - vier bedeutende Maler heraus und erhob sie zu den „Großen Vier“ der Yuan-Periode siehe auch.

Die meisten dieser Künstler zogen das Leben in der Provinz dem der Hauptstadt vor. Möglichst weit entfernt vom Mongolenhof suchten sie eine Weltabgeschiedenheit - vorzüglich im Süden zwischen dem Yangzi und Hangzhou - wo sie ihren Interessen folgen konnten, sofern etwas Besitz, eine kleine Beamtenstellung oder ein Mäzen ihnen dies ermöglichte. Mancher von ihnen führte ein kärgliches Dasein. Sicher war die Wahl einer solchen Lebensweise auch durch die äußeren Verhältnisse beeinflusst. Denn was für das chinesische Beamtentum im allgemeinen galt, dass man nämlich chinesische Beamte aus führenden Stellungen entfernte und ihnen nur untergeordnete Posten zuwies, gilt für die beamteten Hofmaler im besonderen. So prachtvoll das Leben am Hofe der Yuan-Kaiser geschildert wird, das Interesse des mongolischen Adels an chinesischer Kultur war nur gering. Es gab keine Förderung der Malkunst, die mit der unter den Song vergleichbar gewesen wäre, höchstens die Protektion einzelner Künstler. Für eine große Anzahl hauptamtlicher Berufsmaler wie ehedem gab es keine Verwendung. Die Berufsmalerei verflachte im allgemeinen zu mehr oder weniger dekorativem Kunsthandwerk. Es entwickelte sich kein neuer höfischer Malstil, die Akademie verkam zur Bedeutungslosigkeit, ein abgestorbener Zweig der Hanlin Akademie, die als literarische Institution weiterbestand und zu deren Direktor der bedeutendste Künstler der frühen Yuan-Epoche berufen wurde, Zhao Mengfu siehe auch. Die am Hofe wirkenden Maler folgten konventionellen Formeln. Zhao Mengfu war in dieser Beziehung die überragende Ausnahme. Sein „Traditionalismus“ war ganz anderer Art.

Die entscheidenden Veränderungen vollzogen sich außerhalb der höfischen Sphäre. Sie gingen aus von solchen Intellektuellen, die den Rückzug in die Verinnerlichung angetreten hatten, welcher ganz ihrer äußeren Zurückgezogenheit entsprach. Will man die Grundzüge dieser Neuerungen auf einen Nenner bringen, so könnte man sagen, dass Malerei mehr und mehr zu einer Symbolsprache wurde. In den divergierenden Ausdrucksformen dieser Künstler findet sich keine Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, weder der sozialen - wie etwa im Genrebild - noch mit der Wirklichkeit der Natur, und sei es nur mit einem Teilaspekt - wie etwa der Atmosphäre oder der wechselnden Witterung. Nicht das Gefühl des Zusammenhangs von Mensch, Natur und Kosmos, wie es sich in den Werken der frühen Landschaftsmeister ausspricht, prägt diese Kunst, sondern das unerschöpfliche Formenrepertoire der Natur bietet Anlass und Anregung zur persönlichen Formulierung. Die Künstler verfahren sozusagen eklektizistisch mit den Naturformen, um aus ihnen einen eigenständigen Ausdruck zu destillieren. So zerfällt die Bildgestalt in kalligraphische Elemente, deren Zusammenhang durch die persönliche Handschrift hergestellt und erhalten wird.

Das Leben in der Einsamkeit und in enger Verbindung mit der Natur veranlasste Landschaftsmaler wie die „Großen Vier“ nicht zu einer unverstellten Sicht auf die Natur, zu einer unmittelbaren Auseinandersetzung mit ihr. Ihre Natursicht war gefiltert durch die Folie der alten Kunst. Dies war die zweite wesentliche Komponente der neuen künstlerischen Haltung. Das Studium der vor- und frühsongzeitlichen Meister, der Wille zur Archaisierung prägten ihre Kunst wie die der Figuren-, Tier- und Pflanzenmaler. Es war eine Haltung des geistigen Protests gegen die politische Realität, der sie sich im Leben unterwerfen mussten. Um so weniger taten sie dies in der Kunst, wo sie ihren geistigen Freiraum fanden. Im Widerspruch zu ihrer Suche nach persönlichem Ausdruck steht die überraschende Tatsache, dass besonders Maler, die verschiedene gegenständliche Kategorien bearbeiteten, in ihrem Oeuvre keinen einheitlichen Stil produzierten, sondern verschiedene Stilhaltungen, je nachdem, ob sie Figuren, Landschaften, Tiere oder Pflanzen malten. Wie gegenüber den Naturformen schlägt bei diesen Künstlern der gleiche Eklektizismus durch, in diesem Fall in der Wahl der jeweils bewunderten Vorbilder. Dies entspricht der kühlen, distanzierten, verstandesmäßigen Annäherung an ihre Gegenstände, welche diese Intellektuellen als ihr Ideal ansahen. Zugleich lag in ihren Interpretationen alter Meister ein bildungsmäßiger Anspruch: die Anspielungen auf die jeweiligen Stiltraditionen sollten von dem kleinen Kreis befreundeter Kenner mitgesehen werden, das historische Umfeld versunkener „goldener Zeitalter“ heraufgerufen werden.

Diese veränderten Auffassungen verlangten adäquate Stilmittel und Techniken. Die bevorzugten Motive waren scheinbar anspruchslos: keine gewaltigen Landschaftsdramen, sondern ein paar Felsen, Wasser, mittelhohe Berge bzw. flache Hügel. Oder Bambus, Pflaumenblüte, Orchidee und Chrysantheme, Lotos und Kiefer. Alles Pflanzen, deren Symbolik jedem Betrachter geläufig war siehe auch. Der Bescheidenheit dieser Bildgegenstände entsprachen die bildnerischen Mittel: relative Flachheit des Bildraums, d. h. Vermeidung von Tiefenillusion mit Hilfe Dunst evozierender Lavierungen, geschlossene Formen, zusammenhängendes Lineament, eher zeichnerische als malerische Definition der Oberflächen und eine grundsätzlich zeichnerische, vom graphischen Duktus bestimmten Bildstruktur. Gerne wurde dabei mit halbtrockenem Pinsel gearbeitet, die Linie „gerissen“, sodass der Malgrund noch hindurchscheint: das „überflogene Weiß“ (fei bai). Es ist eine Technik, die große Sicherheit in der Pinselführung erfordert, da keinerlei Korrektur möglich ist wie nachtupfen oder überlavieren. Es ist die Pinselführung des geübten Kalligraphen. Den engen Zusammenhang von Kalligraphie und dieser Art Malerei hat der größte Schreibmeister der Epoche Zhao Mengfu so gekennzeichnet: „Felsen werden in überflogenem Weiß gemalt. Für Bäume benutzt man zhou (eine archaische Schriftform). Bambus verlangt Beherrschung aller acht Strichformen (des Zeichens yong = ewig). Erst wer dies versteht, erkennt die Einheit von Mal- und Schriftkunst.“ siehe auch

Zu diesen im Wesen zeichnerischen Bildmitteln trat nun auch wieder die Farbe: die dichte Flächigkeit des Blau-Grün-Stils mit seiner stark dekorativen Wirkung im Rückgriff auf Zhao Boju und Li Sixun oder die duftige, leichte Farbigkeit eines Dong Yuan als zarte Begleitmelodie zu einem graphischen Gewebe.

Weil sie größere Unmittelbarkeit des Ausdrucks ermöglichte, verdrängte die Tusche-auf-Papier Technik mehr und mehr die langsamere, oft peinvoll mühsame Malerei auf Seide. Nicht zuletzt wurde Papier als Malgrund bevorzugt, weil es auch das Medium der Kalligraphie war. Denn gewöhnlich fügten von nun an die Maler eigene Gedichte ihren Bildern hinzu, ganz im Sinne der Literatenkunst.