Literatenmaler
Schätzte man in der Tang-Zeit noch die Fähigkeit religiöser und architekturgebundener Malerei, womit mancher große Meister hohes Lob erntete, so trat während der Song-Epoche ein Wandel in der Einschätzung der angewandten Künste ein. Allmählich betrachtete man die Herstellung von Kultbildern als nicht kunstfähig. Man billigte den Berufskünstlern hohes handwerkliches Geschick zu, jedoch jenseits wahrer Ausdruckskunst. Am Beispiel der Skulptur, die diesem Verdikt schon lange unterlag, haben wir gesehen, wozu religiöse Kunst auch in dieser Periode noch fähig war. Mochte die Bindung der Maler religiöser Themen an ikonographische Vorschriften im allgemeinen die Gefahr der Erstarrung in sich bergen, so entsprang deren negative Beurteilung einem gesellschaftlich geprägten Vorurteil. Der Auffassung nämlich, dass nur ein Mann von hoher Bildung zu wahrer künstlerischer Offenbarung fähig sei, also ein Intellektueller, ein Gelehrter, ein Literat siehe auch. In dem fraglos hohen Anspruch, der in dieser Ansicht steckt, spiegelt sich das Bild des gelehrten Beamten, der in der Song-Gesellschaft höchstes Ansehen und größten Einfluss genoss. Es bildete sich immer deutlicher ein Klassenunterschied heraus zwischen gebildeten Künstlern - Mitgliedern der Akademie, beamteten Hofmalern, Laienmalern im Beamtenrang - und den Berufskünstlern, die man sozusagen als „Dekorateure“ ansah, als fähige Kunsthandwerker. Die gebildeten Maler schufen jedoch keineswegs einen einheitlichen Stil - das verhinderte schon ihre überwiegende Individualität - sondern sie entwickelten unterschiedliche Tendenzen. Auch umfasste ihre Kunst weiterhin alle Themenbereiche.
Das Mitglied der Akademie von Kaifeng Guo Xi (ca. 1020-1090), ein hervorragender Landschaftsmaler und über Generationen schulbildend, stellte in einem Essay den Maler neben den Philosophen. Da es Zweck des Malens sei, die allen stofflichen Gegenständen zugrunde liegende Idee zum Ausdruck zu bringen, könne man sein Werk kaum von der Betrachtung und der Beweisführung des Philosophen unterscheiden. Zugleich stellte er die Malerei neben die Dichtkunst: „Die Poesie ist Malerei ohne Form, die Malerei ist mit Form begabte Poesie“. Ein solcher Anspruch setzte Maßstäbe, Guo Xis Axiome kennzeichnen das Niveau, auf dem sich die nicht kultische, freie Malerei von nun an bewegte.
Ende des 11. Jahrhunderts formierte sich in Kaifeng ein Kreis von Intellektuellen - Gelehrten, Poeten, Künstlern - die sich im „Westgarten“ des Malers Wang Shen trafen, eines Schwiegersohns des Kaisers. Bei diesen „Zusammenkünften der Schöngeister“, festgehalten in einem Bild und datiert mit dem Jahre 1087, trafen sich Männer, die in Opposition standen zur offiziellen Kulturpolitik mit ihren programmatischen Wettbewerben und zu der vom Kaiser geförderten Kunst der Akademie siehe auch. Die führenden Köpfe waren zugleich Exponenten eines politischen Widerstandes gegen die Reformen des Wang Anshi siehe auch. Allen voran der Politiker Su Shi (1036-1101), berühmt als größter Dichter der Song-Zeit, als Essayist, Kalligraph und Maler unter dem Namen Su Dongpo, und der Staatsmann und Dichter Ouyang Xiu. Unter anderen zählte zu dieser Gemeinschaft der bedeutende Landschaftsmaler Mi Fu (1051-1107) siehe auch, dessen Schriften neben denen des Su Dongpo zu den wichtigsten theoretischen Erörterungen der Zeit über die Malerei gehören. Die sich in diesem Kreis erstmals herausbildende Auffassung einer „Malerei der Literaten“ (wen ren hua) geht wesentlich auf ihn zurück.
Trotz ihres konservativen Selbstverständnisses wiesen diese Männer der Kunst neue Wege. Ihnen gemeinsam war eine subjektivere Sicht der Natur, die sich nicht sklavisch an die äußere Form der Dinge hielt. Es ging auch nicht mehr darum, dem Betrachter durch die Malerei ein Naturerlebnis zu vermitteln, so, als stünde er unmittelbar vor der Natur. Es kam nicht mehr so sehr auf den dargestellten Stoff an, als auf die Ausdruckskraft, mit welcher er anschaulich gemacht wurde. Auf persönliche Aussage, das Eigenschöpferische des Vortrags wurde nun Gewicht gelegt, der individuellen Handschrift bei der Pinselführung größte Bedeutung beigemessen. Nicht zufällig waren sie alle Kalligraphen von Rang. Trotz seiner vielgerühmten Naturtreue galt dies auch für den Figurenmaler Li Gonglin, der diesem Freundeskreis angehörte.
Li Gonglin (Li Longmian)
Bekannter unter seinem Künstlernamen Li Longmian, nach einer Berglandschaft seiner Heimat Anhui, diente Li Gonglin (1049-1106) als hoher Beamter am Hof von Kaifeng. Er studierte die alten Figurenmeister der Tang, die sich im Familienbesitz befanden, indem er sie sorgsam kopierte und wurde zum letzten bedeutenden Vertreter der großen Tradition des Tang-Figurenstils, ja er wurde gelegentlich als der größte Meister seit Wu Daozi apostrophiert. Auch als Dichter und kenntnisreicher Sammler von Antiquitäten erwarb er sich einen Ruf.
Er fand bald einen eigenen Stil und entwickelte sich zu einem Meister der knappen linearen Darstellung, der „ungeschmückten Zeichnung“, bai miao, also der reinen Tuschlinien-Zeichnung, die ohne Farbe auskommt und nur selten leicht getönt ist. Diese Arbeitsweise macht den Vergleich mit Wu Daozi verständlich, der ja gleichfalls vorwiegend zeichnerisch gearbeitet haben soll. Während jedoch dessen schwungvoller Linienstil stets hervorgehoben wurde siehe auch, sagte man Li minutiösen Realismus nach und sparsamsten Einsatz einer dünnen, sensibel modellierenden Pinselzeichnung. Kaum jedoch eines der uns noch bekannten Werke, die ihm zugeschrieben werden, entspricht dieser Beschreibung.
Fünf Tributpferde
Einzig eine Querrolle mit fünf Tributpferden und ihren Pflegern zeigte wahre Meisterhand . Sie gehörte ehemals zur Sammlung der Mandschu-Kaiser und befand sich später in der Sammlung Kikuchi, Tokyo. Vermutlich wurde die Rolle im Krieg zerstört. Erhaltene Reproduktionen zeigen einen unbemalten Seidengrund, auf dem mit wenigen feinen Pinselzügen die Pferde und fremdländische sowie einheimische Wärter dargestellt sind, ganz im Sinne des Tang-Meisters Han Gan siehe auch, nur noch prägnanter formuliert in den anatomischen Details siehe auch wie der prallen Rundung des Pferdeleibes im Gegensatz zu den dünnen kraftvoll-knochigen Beinen, wie Zeichnung und Falten des Fells mit dem Spiel der Muskulatur darunter. Und ebenso überzeugend sind Gestalten und Köpfe von Pferden und Pflegern als Einzelcharaktere geschildert. Dieser genau registrierenden Beobachtung entsprechen die sachlichen Angaben von Name, Alter, Rasse und Maßen des Pferdes, die jeweils vermerkt sind. Als Freund des Obersten Stallmeisters konnte Li seiner Vorliebe für diese Motive nachgehen, die ihn früh berühmt machten.
Uiguren huldigen Guo Ziyi
Andere Interessengebiete betrafen daoistische und buddhistische Themen, sowie historische Ereignisse. So stellt eine Querrolle des Nationalen Palast-Museums, Taipei, eine Episode der Tang-Zeit dar, in welcher sich Uiguren einem chinesischen General unterwerfen, obwohl seine Streitmacht ihnen zahlenmäßig unterlegen war: „Uiguren huldigen Guo Ziyi“ . Zwar sind die Szenen hervorragend komponiert und von hohem graphischen Reiz, auch sind sie in reiner Linientechnik gezeichnet, doch fehlt dieser der Realismus und die Präzision anatomischer Details, welche die „fünf Tributpferde“ auszeichnen. Die Linienführung ist weicher und viel aufwendiger, ihr fehlt die Knappheit und Lakonik des Vortrags. Die Barbaren sind karikierend dargestellt, ja sogar die Köpfe der Pferde, die ansonsten in interessanten Drehungen und Überschneidungen gruppiert sind.
Auftrieb der Pferde
Eine Querrolle im Palast-Museum, Peking, „Auftrieb der Pferde“ demonstriert die Fähigkeit einer großen, rhythmisch gegliederten Komposition mit hunderten von Pferden und über hundert Reitern in einer mit wenigen zarten Linien angedeuteten Landschaft: die Darstellung eines kaiserlichen Gestüts der Tang-Zeit . Die Zeichnung wirkt brav und besitzt nichts von der Spannung der Fünf-Pferde-Rolle. Gestalten und Gesichter der kleinen Reiter, von denen keiner dem andern gleicht, erscheinen in ihrer abkürzenden Kennzeichnung der verschiedenen Personen humorvoll und witzig, was zusammen mit der Leichtigkeit des Kolorits und der Lockerheit des Bildrhythmus der Rolle eine heitere Stimmung verleiht.
Trotz der Signatur Li Gonglins: nimmt man die „Fünf Pferde“ als Maßstab, so fehlt hier der große Atem, die bündige Großzügigkeit der Darstellung bei treffsicherer Genauigkeit und Schärfe der Linie, womit jenes Werk dem Ruf des Meisters gerecht wird.