Spätere Stiltendenzen der nördlichen Dynastien
Votivbronze eines stehenden Buddhas aus Zhengding, Hebei
Dieser lineare Stil entwickelte sich immer ausgeprägter unter den Nördlichen Wei und unter den ihnen im Osten ab 535 nachfolgenden Östlichen Wei. Auch hier zeigt sich die stilistische Eigenart am prägnantesten an den Bronzen. Beliebt waren Votivstatuen eines stehenden Buddhas oder reich ornamentierte Altaraufsätze aus vergoldeter Bronze, die einen Buddha mit Begleitern zeigen. Die Mehrzahl dieser Buddhafiguren steht aufrecht ohne Körperdrehung (samabhanga), die Rechte erhoben in der Schutzgeste, die offene Linke gesenkt in der Geste der Wunscherfüllung. Sie sind durch keine ikonographischen Kennzeichen unterschieden. Nur aus den Weihe-Inschriften ist zu entnehmen, ob es sich um einen Shakyamuni oder einen Maitreya handeln soll.
Ein solches Votivbildnis eines stehenden Buddhas im Universitätsmuseum, Philadelphia, wird als Maitreya bezeichnet . Es ist auf das Jahr 536 datiert und setzt den Buddhatypus der späten Nord Wei Tradition nahtlos fort. Das Antlitz erscheint nicht mehr rundlich wie das des Maitreya von 477, sondern asketisch verdünnt. Brauenbögen, Augenschlitze, Nasenrücken, Mund und Kinn sind kantig und scharf geschnitten. Die Körperformen sind nun vollständig unter den übereinander geschichteten Gewandhüllen verschwunden. Im Gegensatz zu der unbeweglichen Haltung der Gestalt sind die Faltenströme in eine energiegeladene Dynamik von hoher Expressivität versetzt. Zugleich sind Stege und Kanten des Gewandes scharf gebrochen und die Falten tief eingeschnitten, was ihnen einen geometrisch abstrahierenden Charakter verleiht. Die Drapierung ist annähernd symmetrisch. Nur da, wo das Obergewand über den angewinkelten linken Unterarm gelegt ist, verschieben sich die großen Faltenkurven zu einer leichten Asymmetrie. Von den Armen abwärts fallen und spreizen sich die Gewandspitzen. Sie züngeln flammenförmig nach außen in vielfach gezackter Umrisslinie. Unter der dreifachen, symmetrisch gefalteten Gewandschicht schauen die Füße hervor, die fest und gleichmäßig auf dem Lotossockel stehen. Gegenläufig zu dem abwärts fallenden Linienstrom des Gewandes steigt die einer Flamme gleichenden, oben spitz zulaufenden Aureole an, die selbst noch mit Flammenornamenten ziseliert ist, das Licht des Buddha symbolisierend. Durch diese Gegenbewegung entsteht eine ungeheuer spannungsvolle Dynamik, welche die Gestalt des Buddha in einen scheinbar schwebenden Zustand versetzt.
Die Entkörperlichung der Figur hat nunmehr einen Grad erreicht, der kaum noch weiter zu treiben war. Die Skulpturen des linearen Wei Stils gewannen damit eine Vergeistigung, die in der buddhistischen Kunst Chinas einzigartig blieb.
Ein Buddha auf dem Löwenthron aus Henan
Bereits unter den östlichen Wei beginnt sich eine Veränderung anzuzeigen. Eine Votivstele von 536 mit dem „Buddha auf dem Löwenthron“ des Museums Rietberg, Zürich, zeigt Shakyamuni mit der üblichen Segens- und Wunscherfüllungsgeste umgeben von sechs Begleitfiguren . Er sitzt in einer Nische wie sie sich in den Kulthöhlen findet. Der Kopf hat eine kubische Form angenommen, die jedoch stark abgerundet ist. Dieser Blockhaftigkeit entspricht die Behandlung der Figur: die Umrisse fließen in ruhigen, klaren Linien um die Gestalt, Schultern und Knie sind gerundet. Ebenso die Gewandfalten, deren Bögen in annähernd gleichen Abständen über dem Oberkörper verlaufen, während der untere Gewandteil noch immer in reichem Faltengeriesel über den Thronsitz fällt. Jedoch sind die Falten nun in flachem Relief gegeben und nicht mehr kantig gebrochen, und nirgends finden sich züngelnde Gewandspitzen oder ein dynamisch gezacktes Faltenmuster.
Diese Tendenz hat sich um die Jahrhundertmitte durchgesetzt. Unter den auf die östlichen Wei folgenden Nördlichen Qi verschwindet das graphisch züngelnde Linienspiel vollends. Die Figuren nehmen allmählich wiederum eine körperhafte Plastizität an, die jedoch nichts mehr zu tun hat mit der monumentalen Wucht der Yungang-Skulpturen.
Eine Maitreya-Triade des Tianlongshan, Shanxi
Eine Dreiergruppe der Kulthöhle 2 von Tianlongshan stellt einen Buddha dar, flankiert von zwei Bodhisattvas , heute stark beschädigt. Die Hauptfigur hält die Hände in der bekannten Doppelgeste. Sie hat die „europäische“ Sitzhaltung inne, beide Füße parallel auf den Boden gestellt (bhadrasana), was sie als Maitreya kennzeichnet. Die Statuen sind fast vollplastisch ausgehauen. Ihre Rückseiten sind noch mit der Felswand bzw. mit ihren Aureolen verbunden. Die Gestalten sind wohlproportioniert, die Falten fallen weich und gerundet. Obwohl die langen Gewandbahnen leicht geschwungen sind, entsteht keine Dynamik, da die vertieften Falteneinschnitte in einem mechanisch wirkenden Gleichmaß die Oberfläche modellieren, wobei sorgfältig auf einen harmonischen Bewegungsablauf geachtet wurde. Trotz ihrer starken Plastizität wirken diese Figuren dadurch merkwürdig spannungslos. Alles „Gotische“ ist nunmehr verschwunden.
Neben solchen Großplastiken entstanden während der Nord-Qi Zeit zahlreiche Votivstelen, an welchen die erneuerte Neigung zu einer plastischen Rundung aller Motive hervortritt, nicht nur der Körperformen. Dieser auffällige Wandel in kürzester Zeit seit jener linearen Auffassung der Wei-Kunst legt fremdländische Einflüsse nahe. Es scheint, als habe für kurze Dauer eine unmittelbare Berührung mit der indischen Gupta-Kunst stattgefunden.
Ein Maitreya mit Gefolge aus Dingzhou, Hebei
Die Marmorstele des Asian Art Museums, San Francisco, aus dem Jahre 551 zeigt den künftigen Buddha in prinzlichem Schmuck, also noch im Stadium eines Bodhisattvas . Er sitzt in nachdenklicher Haltung auf seinem Thron siehe auch, den Zeigefinger der rechten Hand an der Wange, den Ellenbogen auf das rechte Knie gestützt, das rechte Bein über das linke gelegt, dessen Fuß auf einem Lotossockel am Boden ruht. Seitlich wachsen zwei Baumstämme empor, die im unteren Teil von Drachen umschlungen sind. Die Bäume stützen die Aureole des Maitreya. Ihre Kronen bilden einen Bogen, den oberen Abschluss der Stele. Die Baumgruppe stellt einen doppelten Bodhi-Baum dar in Analogie zum Baum der Erleuchtung, unter dem Shakyamuni die Erkenntnis gewann. Gelegentlich wird er als Shal-Baum bezeichnet, der im alten Indien Fruchtbarkeit symbolisierte. Aus der Baumkrone schweben Apsharas herab, in der Bogenmitte wird eine kleine Pagode von einem zwergenhaften Erdgeist (yaksha) gestützt, Symbol des vorhergegangenen Buddha Prabhutaratna. Außen neben den Baumstämmen stehen zwei Bodhisattvas in gerader und aufrechter Haltung auf Lotosblüten. Vor der niedrigen Thronempore sind außen zwei kleine Wächter mit drohenden Gebärden aufgereiht, zwei Löwen und in der Mitte ein Weihrauchbrenner. Wie alle solche Gruppendarstellungen sind die Figuren in ihrer Größe gemäß ihrer Bedeutung hierarchisch geordnet. Demgemäß ist der Maitreya die größte Figur, danach folgen die Bodhisattvas und die übrigen Gestalten.
Die als Relief behandelten Motive, wie die Wächter und Löwen am Sockel, sind plastisch und in gerundeten Formen herausgearbeitet. Noch einen Schritt weiter ist der Bildhauer im oberen Teil der Stele gegangen: sie ist vielfach durchbrochen, sodass die einzelnen Gestalten und Gegenstände vollplastisch in Erscheinung treten. Die Figur des Maitreya zeichnet sich mit allen Rundungen und zugleich silhouettenhaft ab, die Bodhisattvas, die Baumstämme und die Äste sind säulenhaft gerundet. Die zurückhaltende Behandlung der Details, wie Gesichter, Hände, Kronen, Schmuck, Gewänder oder Blätter durch eine flache Ritzzeichnung lässt die rundplastische Form unangetastet und hebt so das Körperhafte von Figuren und Pflanzen hervor.
Durchbrochene Stelen dieser Art erinnern an Bildwerke der indischen Jain-Religion. Die sinnenhafte, rundplastische Auffassung von Leiblichkeit, wie sie der indischen Skulptur generell eigen ist, scheint in den Übergangsstilen der Nördlichen Qi, der Westlichen Wei, der Nördlichen Zhou und der Sui in gewisser Weise fortgewirkt zu haben, jedoch ohne deren Lebendigkeit und mit einer zunehmenden hieratischen Strenge.
Dies zeigt sich an den Votivstelen, deren Figuren immer stärker gerundete Körperformen aufweisen, die rigoros vereinfacht aus wenigen geometrischen Grundformen entwickelt sind wie Rechteck, Quadrat oder Zylinder. Vielfach betont der Kompositionsaufbau im wesentlichen nur die Vertikale und die Horizontale, abgesehen von dem meist bogenförmigen oberen Abschluss. Die sitzenden oder stehenden heiligen Gestalten erscheinen vollkommen unbewegt, sogar die sonst so heftig agierenden Wächter deuten auf manchen Stelen kaum eine Körperbewegung an. Nur den Himmelsnymphen und den Drachen wird die Dynamik zugestanden, die ihrem Charakter entspricht. Die Gewänder sind mit einfachem, gleichförmigem Faltenornament überzogen, dessen weiche Rundungen der Körpermodellierung entsprechen. Der säulenhafte Charakter stehender Figuren entfaltet sich in besonderem Maße an den Großplastiken, nun wiederum ins Monumentale gesteigert.
Ein stehender Bodhisattva aus den Grotten von Xiangtangshan, Henan
Die Statue aus der Nord-Qi Zeit im Universitätsmuseum, Philadelphia, gehört zu einer Dreiergruppe aus zwei Bodhisattvas und einem Pratyeka-Buddha siehe auch . Sie steht gerade aufgerichtet in samabhanga. Die Arme sind angewinkelt. Der linke ist höher erhoben als der rechte, welcher abgebrochen ist, ebenso wie das Attribut in der linken Hand. Ein stehender Buddha im Diadem könnte als Amitabha gedeutet werden, was den Bodhisattva als Avalokiteshvara (Guan yin) kennzeichnen würde. Jedoch wird Amitabha in einer Guan yin Krone gewöhnlich sitzend dargestellt.
Die Körperformen der wuchtigen Figur sind kaum differenziert. Lediglich die Taille ist unterhalb der Arme mit Hilfe zweier Durchbrüche in der sonst geschlossenen Säulengestalt umrissen. Herabhängende Bänder schließen diese Öffnungen wieder, um die blockhafte Form zu bewahren. Ebenso bilden die breiten, gerundeten Schultern und die Oberarme mit dem Oberkörper einen geschlossenen Block. Auch die Beine sind von dem gerade herabfallenden Gewand verhüllt und durch keine Vertiefung angedeutet. Der Kopf besteht aus einem kubischen Block, der ringsum gerundet ist. Falten und Bänder fallen in senkrechten, parallelen Bahnen oder in großzügigen Kurven, ebenso Brustschmuck, Ketten, Schnüre und die langen Haarflechten über den Schultern. Jeder Falte, jedem Detail einer Seite antwortet spiegelbildlich das Pendant der anderen Seite. Diese betonte Symmetrie verstärkt zusammen mit der aufrechten Haltung den Eindruck unerschütterlicher Ruhe und hieratischer Strenge.
Die Falten sind nicht tief eingeschnitten. Sie bilden zusammen mit dem Schmuck ein scharf und präzise ausgemeißeltes Ornament, das die Großform des Leibes überzieht. Dieser Kontrast von blockhafter Form und detailliertem Ornament erzeugt Spannung: glatte, leicht gewölbte Flächen gegen ziseliertes Relief. Dies verleiht der plastischen Form Festigkeit, da so ihre Geschlossenheit erhalten bleibt und ihr Säulencharakter. Das fein geschnittene Antlitz mit den halb geschlossenen Augen und der schmalen, sensiblen Nase deutet kaum ein Lächeln an. Ernst und hoheitsvolle Würde sprechen sich darin aus, wie sie sich auch in der unbeweglichen Statik dieses Bodhisattvas manifestieren.
Ein stehender Guan yin aus Xi’an (Changan), Shaanxi
Die kubische Form, der säulenartige Charakter der menschlichen Figur bleiben auch in den folgenden Perioden die bestimmende plastische Grundauffassung. Die überlebensgroße Skulptur eines Guan yin im Museum of Fine Arts, Boston, entstand vermutlich in der Übergangszeit am Ende der Nord-Zhou und zu Beginn der Sui-Zeit .
Er steht auf einem von Löwen flankierten Lotossockel in samabhanga. Ein winziger sitzender Buddha im aufgesteckten Haar, ein Stengel mit Lotosknospen in der erhobenen Linken machen ihn kenntlich als den mitleidvollen Bodhisattva. In der leicht angewinkelten Rechten hielt er vermutlich ehemals die Amrita-Flasche mit dem Wasser des Lebens.
Noch immer blockhaft geschlossen, sind hier die Körperformen deutlicher modelliert. Hals- und Schulterpartie werden durch Öffnungen umrissen, die von herabhängendem Kopfschmuck umschlossen sind. Die Arme sind vom Rumpf gelöst, Taille und Hüften zeichnen sich an den Durchbrüchen ab, die sich zwischen Leib und Armen, bzw. den herabhängenden Schärpen öffnen. Diese Stoffbahnen, die gebündelt an beiden Seiten bis zum Lotossockel herunterführen, lösen sich etwa in Kniehöhe noch einmal vom Körperblock, sodass zwei weitere Durchbrüche entstehen. Eine leichte Vertiefung, die zwischen den Füßen am deutlichsten ist, macht die Beine unter dem Gewand als zarte Wölbungen spürbar. Ein stärkeres Körpergefühl scheint sich hier anzudeuten. Auch bei dieser Figur sind Gewandfalten und Schmuck als flaches Relief über die Körperformen gelegt. Dabei wurden alle Details mit der Präzision von Goldschmiedearbeiten herausgearbeitet. Im Gegensatz zu dem Nord-Qi Bodhisattva aus Xiangtangshan, bei dem der Wechsel von glatter Oberfläche und Ornament eine rhythmische Spannung erzeugte, ist hier kein Raum gelassen für deren Entfaltung. Die Einzelheiten heben einander in ihrer Wirkung auf durch ihre Massierung. Die Überfülle des Ornaments überwuchert ungegliedert die Körperform, wodurch deren plastische Wirkung weitgehend zurückgenommen wird. Detailbesessenheit und handwerkliche Perfektion führen zur Schematisierung eines monumentalen Ansatzes, in dem die Chance einer lebendigen Körperlichkeit steckt.
Diese Stiltendenzen der kurzlebigen Nördlichen Dynastien sind in einem Gürtel von Grottenheiligtümern präsent, der sich von Zentralasien bis ins Herz des Reiches erstreckt. Neben den erwähnten Höhlen gehören zu den bedeutendsten Pinglingsi und Maijishan, Gansu und Gongxian, Henan. Überall an den großen Handelsstraßen und in der Nähe von Häfen blühten buddhistische Heiligtümer und Wallfahrtsorte auf. Wo es möglich war, legte man sie als Grottentempel an. Ihre Spuren finden sich heute in fast allen Provinzen Chinas.