Architektur
Bewundertes Vorbild der Ming wurde die Tang-Dynastie, deren imperiale Macht man zu erreichen suchte. Die Song-Epoche wurde allgemein als eine Epoche des Verfalls angesehen. Das gleiche galt für die Architektur. Der Monumentalität der Tang-Bauwerke eiferte man in der offiziellen Architektur nach, während der verfeinerte Geschmack der Song als dekadent angesehen wurde, was nicht ausschloss, dass man zuweilen nach Song-Konstruktionsweisen verfuhr. Zweifellos waren es aber außer den Tang-Werken die monumentalen Yuan-Befestigungen und Palastanlagen, welche die Ming beeindruckten und auf deren Trümmern sie ihre eigenen Entwürfe errichteten.
Die Darstellungen der Yuan-Architektur in der Malerei siehe auch zeigen zwar eine Anhäufung von Architekturformen, die nicht mit strenger Regelmäßigkeit, sondern relativ locker zusammengefügt sind. Es handelt sich dabei um Lustgärten und Vergnügungspaläste, also um private und nicht um offizielle oder zeremonielle Gebäude. Nach den Beschreibungen müssen die Palast- und Regierungskomplexe der Yuan von einer gewaltigen Monumentalität gewesen sein. Hier knüpften die Ming an. Aber auch wesentliche Architekturdetails, die später im Baustil der Ming Aufnahme fanden, erscheinen auf diesen Bildern: Traufdächer, die überschwer wirken durch die massierte Anhäufung übereinander auskragender Konsolenreihen, wobei die Einzelkonsolen verschwinden in einem zahnschnittartigen Muster. Oder die Konsolen sind ganz und gar verdeckt, ohne dass die Schwere der Dachformen dadurch aufgehoben wird. Ebenso finden sich langgestreckte Galerien und Säulenvorhallen, wie sie in der Ming-Palastarchitektur regelmäßig auftreten.
Die Palastarchitektur, das gesamte offizielle und religiöse Bauwesen, wie Tempelklöster, Gedenkhallen, Ahnentempel, Altäre und Grabanlagen standen unter der Herrschaft strengster Symmetrie, soweit dies die landschaftlichen Verhältnisse nur irgend zuließen. Ein wahrhaft „absolutistisches“ Baudenken herrschte, das alle Teile der Architektur einer einheitlichen Ordnung unterwarf. Sie drückt sich in einer rigorosen Axialität aus, in Linearität der Gebäudeordnung, in der Vereinfachung der Baukörper, die in ihrer Eigenwertigkeit hervorgehoben werden können, ohne jedoch aus dem Gesamtensemble herauszufallen. Unregelmäßigkeiten des Bauplans, allzu starke Kurvaturen der Dächer, komplizierte Dachstrukturen oder verspielte Bauformen wurden aus dem offiziellen Bereich verbannt. Allenfalls in Nebengebäuden - bei Wahrung der Symmetrie - konnten sie zugelassen werden und im privaten Bereich, vorzüglich in den Pavillons der Gartenanlagen. Vereinfachung der architektonischen Großformen, gepaart mit der Disposition riesenhafter Räume, ergaben jene beeindruckende Monumentalität, womit die Ming sich an den Werken der Tang zu messen suchten. Die Horizontale dominiert, die breite Lagerung von Gebäuden und Terrassen betont deren erdgebundene Schwere. Nirgends durchbrechen Vertikaltendenzen die Homogenität einer Gebäudegruppe, etwa durch aufragende Türme. Und selbst einzelstehenden, hochragenden Bauwerken verleiht die Horizontalgliederung ein Gewicht, das aufwärtsstrebenden Formkräften entgegen wirkt. Einzig die Pagode bewahrt ihren Turmcharakter.
Der Wille zur Monumentalität spricht sich auch aus in Materialien und Konstruktionsverfahren, die bis dahin außer der Pagode weitgehend der unterirdischen Grabarchitektur und dem Festungsbau vorbehalten waren: massives Stein- und vor allem Ziegelmauerwerk und die Anwendung der echten Wölbung. Die Mauer also nicht als Füllung zwischen Holzfachwerk, sondern als selbsttragendes Element. In dieser Technik gelangen den Ming Werke von monumentaler Größe nun auch in Torbauten, Glocken- und Trommeltürmen, Tempeln, Ehrenhallen oder in den Seelentürmen der Grabanlagen.
Stadtplanung und Palastarchitektur
Die kosmische Analogie, welche schon seit der Zhou-Zeit in die Städte- und Palastplanung einfloss siehe auch und die vom Konfuzianismus bekräftigt wurde, stellt den Kaiserpalast ins Zentrum der Weltordnung, von wo der Sohn des Himmels heilstiftend über dem Reich der Mitte waltet. Immer soll der Palast auf der zentralen Nord-Süd Achse liegen, im Norden der Stadt oder in deren Mittelpunkt. In der menschlichen Ordnung spiegelt sich die Ordnung des Universums, und diese wird in der Architektur zur Anschauung gebracht. Diese Ordnung ist streng hierarchisch und verbindet Stadt und Palast zu einer unauflöslichen Einheit.
Peking
An keiner bis heute erhaltenen Stadt ist dies deutlicher abzulesen, als am Plan von Peking . Nachdem der Ming-Kaiser Zhu Di (Regierungsdevise Yong le) 1406 mit dem Wiederaufbau des Kaiserpalastes begonnen hatte und danach den Regierungssitz von Nanking wieder nach Peking verlegte, wurde auch der Gesamtplan der Äußeren Stadt verändert. Zugleich erhielt die Stadt ihren neuen Namen „Nördliche Hauptstadt“ (Beijing), im Gegensatz zur „Südlichen Hauptstadt“ (Nanjing). Die Breite der Yuan-Stadt blieb bestehen, die Nord-Mauer wurde weiter nach Süden verlegt, später auch die Süd-Mauer. Damit wurde die Ming-Stadt um etwa ein Drittel verkleinert. Dies mag praktische Gründe gehabt haben, wie etwa die Einbeziehung von Gewerbegebieten im Süden, die sich außerhalb der Stadtmauern entwickelt hatten oder weil die Nordstadt wahrscheinlich mittlerweile entvölkert war, denn hier hatte ehemals hauptsächlich die mongolische Oberschicht ihre Landhäuser. Diese Veränderungen hatten zur Folge, dass der Umriss der Stadt sich einem Quadrat annäherte, der Gestalt also, welche nach uralter Überlieferung die Erde symbolisiert. Zugleich rückten Kaiserstadt (Huang cheng) und Kaiserpalast, die zur Yuan-Zeit im Südteil des Mauergevierts lagen, näher zum Mittelpunkt.
Der Ring der Kaiserlichen Altäre
Damit erfüllte die Hauptstadt der Ming in beinahe idealer Weise die Vorschriften der alten Riten. Und ebenso sind die kaiserlichen Tempel und Altäre nach diesen Vorgaben angelegt. Im Süden außerhalb des Palastes liegen östlich der zentralen Nord-Süd-Achse der Kaiserliche Ahnentempel (Tai miao) und westlich der Achse der Altar des Ackerbodengottes (She) und des Getreidegottes (Ji), der She ji tan. Ein Kranz von Altären umgab die Stadt: außerhalb der Mauern im Süden der Ackerbaualtar (Xian nong tan) westlich der Achse und der Himmelsaltar (Tian tan) östlich der Achse. Im Osten der Sonnenaltar (Ri tan), im Westen der Mondaltar (Yue tan), im Nordosten der Erdaltar (Di tan). Der Logik der Symmetrie zufolge müsste sich einst im Nordwesten ein Altar befunden haben. Tatsächlich lag der She ji tan zur Yuan-Zeit nordwestlich des Kaiserpalastes, bevor ihn Kaiser Yongle verlegen ließ. Alle diese Altäre dienten dem Kaiserlichen Ritual, wobei der Sohn des Himmels den Segen der Mächte des Universums und der Natur herbeirief. Die Lage dieser heiligen Orte, ihre rituell richtige Platzierung, ebenso wie die Gesamtplanung von Stadt und Palast nach den Regeln der Geomantik siehe auch galten als wirkmächtig und fähig, glückspendende Kräfte anzuziehen. So bildeten diese kaiserlichen Gebets- und Opferstätten einen heilbringenden Schutzkreis um Stadt und Palast gleich Satelliten um einen Fixstern. Diese kosmische Parallele war in der Planung vorgesehen: der Kaiserpalast galt als das Gegenstück zum Polarstern siehe auch, Tempel und Altäre, die ihn umgeben als seine Begleitsterne.
Ummauerung und zentrale Achse
Um die Mitte des 16. Jahrhunderts hatten sich außerhalb der Mauern Vorstädte gebildet, da die anwachsende Bevölkerung innerhalb der Stadt keinen Platz mehr fand. Besonders im Süden entstanden durch Neubesiedlung der Jin-Hauptstadt Zhongdu Wohn- und Gewerbequartiere. Man errichtete eine Umwallung, die 1564 fertiggestellt wurde, ein langgestrecktes Rechteck, das im Osten und Westen etwas über die Mauern der Nordstadt hinausreichte. Die umschlossene Fläche war noch im 20. Jahrhundert nicht vollständig besiedelt. Unter den Qing wurde die einheimische Bevölkerung der Nordstadt gezwungen, sich hier anzusiedeln, wodurch sich Handel und Handwerk hierher verlagerten. In der Folge wurde die Südstadt „Chinesenstadt“ genannt, die Nordstadt „Tatarenstadt“, da hier nur Mandschuren wohnen durften.
Die zentrale Achse der Stadt, die sich von Süden nach Norden erstreckt, begann nun am mittleren Eingangstor der Südmauer dieser neuen Einfriedung und führte zwischen dem Ackerbau- und dem Himmelsaltar hindurch, die nun innerhalb der Stadtmauern lagen. Wie schon zur Yuan-Zeit zog sich diese Achse als Triumphstraße bis zum Kaiserpalast und darüber hinaus durch das „Tor des Irdischen Friedens“ (Di an men) - das Nordtor der Kaiserstadt - bis zum Trommel- und zum Glockenturm. Diese beiden Türme, die sich zur Yuan-Zeit genau in der Stadtmitte über das Marktviertel erhoben und als Feuerwache und zur Zeitangabe dienten, lagen nun im Norden der Stadt, da die Nordmauer jetzt weiter südlich verlief. Die Achse endete bei den Türmen. Sie wurde nicht weitergeführt bis zur Nordmauer, wo sich auch kein zentrales Tor befand. Auch dies entsprang geomantischen Überlegungen: auf diese Weise konnten keine unheilbringenden Einflüsse von Norden eindringen und den Palast unmittelbar bedrohen. Nach uralten Vorstellungen konnten sich dämonische Kräfte nur in gerader Richtung bewegen. Deshalb wurden die beiden Nordtore im östlichen und im westlichen Teil der Nordmauer angelegt. Dem Schutz des Palastes diente auch die künstlich angelegte höchste Erhebung der Stadt, der „Kohlenhügel“ (Mei shan) - in ihm sollen die Kohlen für die Palastheizung gelagert worden sein - oder „Aussichtshügel“ (Jing shan). Er erhebt sich direkt hinter dem Palast im Norden, also im Rücken des Kaisers. Dem Hügel gegenüber liegt das Nordtor der Palaststadt. Sein Name beschwört ebenfalls Schutz und Abwehr: „Tor des Geisterkriegers“ (Shen wu men) siehe auch. Ein Wassergraben vor den Mauern umschloss die gesamte Stadt. .
Die Rangpyramide der Stadtviertel
Der Gesamtplan des ming-zeitlichen Peking, so wie er sich bis heute erhalten hat, lässt sich in eine symbolische Stufenpyramide übertragen, welche die Hierarchie der sozialen Ordnung anschaulich macht. Die Innere Stadt, das heißt die Nordstadt, welche die Kaiserstadt umgibt, sowie die hinzugekommene Südstadt, also die Äußere Stadt, bilden die Basis der Pyramide. Hier lebte die Bevölkerung, die Handel und Handwerk betrieb und aus der sich die niederen Beamten, Armee und Dienerschaft rekrutierten. Die nächste Stufe ist die Kaiserstadt, die ausschließlich der Oberschicht vorbehalten war: dem Adel, der die hohen Zivil- und Militärbeamten stellte. Außerdem befanden sich hier die Wachtruppen und die Zivilverwaltung. Die höchste Stufe besteht aus dem Kaiserpalast und innerhalb dessen bilden die drei Zeremonialhallen (San da dian) den Gipfel. Außer Kaiser und Kaiserin wohnten im dahinter liegenden Privatbereich die Kaiserwitwen, die Konkubinen, Prinzen und Prinzessinnen und Eunuchen in verschiedenen Rängen. Sie stellten auch die Dienerschaft. Allein einem ausgewählten Personenkreis, zumeist Beamten, war der Zutritt gestattet zu festgelegten Zeiten und Bereichen des Palastes. Überwiegend geschah dies an hohen Festtagen, an denen Paraden, Prozessionen und Massenaudienzen im offiziellen Teil des Palastes stattfanden. Einfachen Untertanen war der Zugang untersagt. Daher stammt der Begriff „Verbotene Stadt“ (Jin cheng), mit dem der Kaiserpalast auch bezeichnet wurde.
Jeder dieser Bezirke war von Mauern umschlossen und besaß mehrere Tore. Die Innere Stadt hatte neun, die Äußere Stadt sieben Außentore, ein jedes eine veritable Festung. Innerhalb der Bezirke waren weitere Gebäudekomplexe von Mauern und Toren umgeben bis hin zu den Privatgehöften. Trotz der meist rechtwinklig und gerade angelegten Straßen gab es keinen ungehinderten Durchblick auf eine längere Entfernung, denn die Quartiere wurden immer wieder von Toren abgeriegelt: eine Stadt der Dächer, Mauern und Tore, was auch ganz allgemein auf chinesische Städte zutraf.
Die Parade der Tore
Die bedeutendsten Tore waren auf der Zentralachse aufgereiht und akzentuierten die Triumphstraße zum Palast. Außerhalb der „Verbotenen Stadt“ waren es Bauwerke von gewaltiger Monumentalität, jedes Tor eine Festung. Da die nachfolgende Qing-Dynastie die wichtigen Gebäude der Ming-Zeit praktisch unverändert ließ, ja sie restaurierte oder rekonstruierte, bieten sie noch heute weitgehend den gleichen Anblick wie zur Ming-Zeit. Überlieferte Bildrollen geben darüber genaue Auskunft wie zum Beispiel die berühmte „Südreise des Kaisers Kangxi“ siehe auch des Wang Hui (Palast Museum, Peking).
Die Parade der Tore beginnt an der Südmauer der Außenstadt mit einem Paukenschlag, dem „Tor der Ewigen Festigkeit“ (Yong ding men) . Ein mächtiges Bollwerk, das aus einem vorderen Turm bestand, der sich auf einem halbrunden, geböschten Wall erhob. Eine Brücke über einen Wassergraben führte zum einzigen Torbogen. Dahinter sperrte ein zweiter Turm den unmittelbaren Zugang zur Stadt, ein massiv gemauerter Quader mit nur einer Toröffnung, darüber ein breit gelagertes Gebäude mit Doppeldach. Zu beiden Seiten dieses Torturms schloss die Südmauer an. Von hier nahm die Kaiserliche Prozessionsstraße ihren Anfang, bzw. sie endete hier. Auf diesem Weg verließ der Kaiser die Stadt oder kehrte auf ihm zurück. Es war sein Weg zum Himmelstempel oder zum Ackerbau-Altar, wenn er die jährlichen Rituale vollzog. An diesen Umzügen waren hunderte von Beamten und Soldaten beteiligt.
Bis zum „Tor der Mittagssonne“ (Zheng yang men), auch „Vorderes Tor“ genannt (Qian men), das den Zugang zur Inneren Stadt beherrschte, reihten sich entlang der breit angelegten Straße niedrige Häuser mit Ladengeschäften, Handwerksbetrieben oder Gasthäusern . Da das einfache Volk den Kaiser nicht ansehen durfte, wurde während der Kaiserlichen Prozession die Straße geräumt, die Häuser wurden verschlossen, die Bewohner in Nebenstraßen verbannt, welche man dann mit Toren versperrte. Die Bebauung reichte bis an den Wallgraben heran, der die Innere Stadt umgab. Drei aufgewölbte Brücken nebeneinander führten hinüber zum äußeren Turm des Zheng yang men . Auf dem massiv gemauerten Unterbau von der gleichen Höhe wie die Stadtmauer erhob sich eine gewaltige Kasematte mit drei Reihen quadratischer, schießschartenartiger Fenster bis zu einem umlaufenden Dach und im Dachgeschoss darüber, das mit einem Fußwalmdach gedeckt war. Eine besondere Wucht verliehen dem Gebäude die vom Boden bis zum Dach hinauf geböschten Mauern. Ein riesiger gewölbter Torbogen bildete den Durchgang. Eine ähnliche Bastion befindet sich heute noch an der Südwestecke der Stadtmauer. Es folgte ein von hohen Mauern eingefasster Innenhof. Auf der rückwärtigen Mauer, zugleich die Stadtmauer der Inneren Stadt, steht noch heute eine mächtige zweigeschossige Halle mit einem Pfeilerumgang in jedem Geschoss: der Innenturm. Im Laufe der Geschichte brannte er mehrfach ab und wurde immer wieder aufgebaut. Die gesamte Toranlage war eine eigene Festung.
Bereits wenige Schritte hinter ihr bildete das nächste Tor einen weiteren Akzent auf der fortschreitend feierlicher ausgestalteten Triumphstraße: das „Tor der Großen Ming“ (Da Ming men). Unter den Qing wurde es umbenannt in Da Qing men . Zwar war dieses Tor keine Verteidigungsanlage, seine wuchtigen, geböschten Mauern erzeugten dennoch einen festungsartigen Eindruck, zumal es einst ebenfalls mit einer Mauer verbunden war, welche die Ehrenstraße im weiteren Verlauf auf beiden Seiten einschloss. Sein schweres Fußwalmdach trug bereits die gelb glasierten Ziegel, die nur für kaiserliche Gebäude zugelassen waren. Es war das erste purpurrote Tor - der Farbe des Kaiserpalastes - und das erste Tor mit drei Durchgängen. Wiederum waren sie gewölbt, der mittlere höher und breiter: der Torweg, der allein dem Kaiser vorbehalten war.
Die langgestreckten Mauern, die sich links und rechts vom Tor der Großen Ming schnurgerade nach Norden zogen, waren die Rückseiten gleichförmiger Galerien, in denen Regierungsämter untergebracht waren. Nach etwa 600 Metern knickten die Mauern rechtwinklig nach beiden Seiten ab, und der Blick öffnete sich auf einen weiten Platz . Gegenüber überquerten fünf hochgewölbte, noch heute bestehende Marmorbrücken mit reich skulptierten Balustraden in elegantem Schwung einen kanalisierten Flusslauf, den Äußeren „Goldwasserfluss“ (Jin shui). Die mittlere Brücke hebt sich durch Größe und Breite von den anderen ab. Vier Steinlöwen und zwei marmorne Schmucksäulen (hua biao), gekrönt von einem mythischen Tier und geschmückt mit Wolkenflügeln, flankierten die Brücken . Jenseits erhebt sich das gewaltige „Tor des Himmlischen Friedens“ (Tian an men). Das weite Rechteck des Platzes davor dehnte sich quer zur Hauptachse in ost-westlicher Richtung aus. Es war von Mauern eingeschlossen, die im Osten und Westen von Toren unterbrochen wurden . Wer das Tor des Himmlischen Friedens durchschreiten wollte - den Eingang zur Kaiserstadt - musste hier Pferd, Wagen oder Sänfte zurücklassen. Heute nimmt der Tian an men-Platz das gesamte Areal von hier bis zum Zheng yang men ein. Die monumentale Wirkung des 1417 erbauten Tian an men-Tores wird nicht allein durch seine Größe verursacht, sondern auch durch die verblüffende Einfachheit seiner Struktur . Auf einem mächtigen, purpurnen Unterbau, der sonst schmucklos ist, steht eine riesenhafte neunjochige Halle mit doppeltem Fußwalmdach und einer Säulengalerie, die das untere Traufdach stützt. Darunter öffnen sich fünf Bogendurchgänge, der mittlere wiederum größer, als die seitlichen. Von der Terrasse vor der Halle wurden aus besonders wichtigen Anlässen in Anwesenheit des Kaisers Dekrete verkündet, welche die auf dem Platz versammelten Beamten im Kotau in Empfang zu nehmen hatten, während der Wortlaut auf langen Schriftrollen von der Terrasse herabgelassen wurde. Nach dem weiten Platz vor dem Tor folgt nun wieder eine räumliche Verengung: ein immer noch weitläufiger Hof, an dessen Seiten sich niedrige Pfeilergalerien hinziehen mit einer kleinen, von leichten Säulen getragenen Torhalle auf jeder Seite. Am Ende des Hofs verriegelt ein weiterer Torbau den Blick: das „Tor der Aufrichtigkeit“ (Duan men). Es gleicht in allen seinen Teilen dem Tian an men.
Hinter dem Du an men erstreckt sich der letzte Teil der Triumphstraße über mehr als 300 Meter, ehe sie in die Verbotene Stadt einmündet . Hier verlaufen die gleichen Pfeilergalerien wie im vorherigen Hof, jedoch mit zwei Toren auf jeder Seite.
Die beiden westlichen Tore führen zum Altarbezirk des Ackerboden- und des Getreidegottes (She ji tan) . Auf dem quadratischen, dreistufigen Altar waren fünf verschiedene Bodensorten ausgebreitet, deren Farben und Himmelsrichtungen das Reich der Mitte und die umliegenden Regionen symbolisierten. Im Frühjahr und Herbst brachte der Kaiser hier Bitt- und Dankopfer dar. Die östlichen Tore führen zu den drei hintereinander stehenden Hallen des Kaiserlichen Ahnentempels (Tai miao) . Die „Vordere Halle“ (Qian dian) steht auf einer dreifach gestuften Marmorterrasse. Die Halle trägt ein Doppelwalmdach mit den gelben kaiserlichen Ziegeln und zählt elf Joche in der Breite. In Dimension, Aufbau und Proportionen hat sie große Ähnlichkeit mit der Haupthalle des Kaiserpalastes. Die Grundrisse beider Sakralanlagen unterscheiden sich ihrer Funktion entsprechend. Diese Ungleichheit in der empfindlichen Balance des gesamten axialen Systems wurde dadurch wiederhergestellt, dass man die Umfriedung beider Bezirke exakt einander anglich, zwei nord-südlich ausgerichtete Rechtecke parallel zur kaiserlichen Prozessionsstraße.
Sie wird an ihrem Ende von zwei gewaltigen vorgreifenden Armen umfasst: den Seitenflügeln des 1420 errichteten „Mittagstors“ (Wu men), das im Hintergrund den Zugang zur Verbotenen Stadt sperrt . Es ist architektonisch ein letztes Verharren bevor sich das Allerheiligste öffnet, die Pforte zur höchsten Stufe der Bedeutungspyramide. Die Funktion eines übermächtigen Wächters drückt sich unmittelbar in dem Bauwerk aus. Es ist zunächst Festung, die gewaltigste auf der Triumphstraße. Die zwölf Meter hohen, geböschten Mauern sind glatt, unangreifbar, abweisend. Sie sind purpurrot wie früher alle Mauern der Verbotenen Stadt. Oben sind sie von Zinnen gekrönt. Diese Mauern bilden drei U-förmig angeordnete, massive Blöcke, deren Zangenform bewirkte, dass bei einem Sturm auf das Tor der Feind in den Flanken angegriffen werden konnte. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass allein taktische Überlegungen bei der Planung dieser Anlage eine Rolle spielten. Mehr noch als eine Festung, ist das Bauwerk Darstellung kaiserlicher Macht. Es sollte beeindrucken, überwältigen. Denn nicht nur als unüberwindliches Bollwerk sollte es wirken, sondern auch als Abglanz der unzugänglichen Pracht und Größe, die sich dahinter verbarg.
Auf den drei Mauerblöcken erhebt sich eine Gebäudegruppe von wahrhaft majestätischer Größe, sowohl was ihre Ausmaße angeht als auch den Eindruck, den sie bewirkt. Auch hier ist es wieder die Kombination relativ einfacher, sich im Grunde wiederholender Grundformen, die zu einem geschlossenen und wirkungsvollen Ergebnis führte.
Eine riesige Halle nimmt die gesamte Breite des Mittelblocks ein. Sie steht auf einer niedrigen, balustradengeschmückten Marmorterrasse. Die Frontseite dieses Mittelbaus zeigt eine neunjochige Säulenvorhalle mit einer Ausdehnung von ca. 60 Metern. Die Tiefe der Halle beträgt ca. 25 Meter. Der First des Doppelwalmdachs überragt mit 38 Metern sogar das Hauptgebäude des Palastes. Wie alle Tordächer seit dem Da Ming men ist das Wu men mit gelben Ziegeln gedeckt. Links und rechts der Halle steht ein quadratischer Pavillon, ebenfalls mit umlaufender Säulenvorhalle. Jeder Pavillon misst 5 x 5 Jochbreiten. Diese Eckgebäude sind zwar nur eingeschossig, aber das zweistufige Zeltdach gibt ihnen ein turmartiges Aussehen. Diese Wirkung wird verstärkt durch die niedrigen Säulengalerien, die auf den beiden vorspringenden Mauerflügeln entlanglaufen bis zu zwei Pavillons, die den beiden anderen gleichen und die sich am Ende der Bastion über deren Steilmauern erheben. Man nannte die Hallen die „Fünf Phönix Türme“ (Wu feng lou), was ihre majestätische Erscheinung zutreffend beschrieb . Durch den Mauerblock unterhalb der zentralen Halle führen drei Torwege, der mittlere wiederum größer. Hier sind sie nicht gewölbt, sondern mit schweren Türstürzen überdeckt. Zwei weitere Tore in den Seitenflügeln wurden bei Massenempfängen geöffnet. Die zugelassenen Personen mussten entsprechend ihrer Amtsstellung ein bestimmtes Tor benutzen.
Dem ehrfurchtgebietenden Erscheinungsbild entsprach die Bedeutung dieses Bauwerks. Es war mehr als ein befestigtes Tor. Es spielte eine wichtige Rolle im Hofzeremoniell und im Vollzug bestimmter staatlicher Akte. Bei solchen Anlässen thronte der Kaiser vor der mittleren Halle über dem Hauptportal. Von hier nahm er Siegesparaden ab, empfing die Unterwerfung besiegter Fürsten, überwachte die Riten an bestimmten hohen Festtagen, die vor dem Tor abgehalten wurden, wie bei der Verkündung des Mondkalenders. Von hier wurden auch Dekrete bekannt gegeben. Der Hof zwischen den Seitenflügeln war stets belagert mit Bittstellern und Personen, die um Audienzen nachsuchten. Selbst Gesandtschaften ließ man hier zuweilen tagelang warten.
In genauer Entsprechung zu dem ungemein aufwendigen Zeremoniell, das den Kaiser umgab, war die kaiserliche Triumphstraße mit ihren räumlichen Sperren, Öffnungen, Dehnungen, Verengungen, Erweiterungen darauf angelegt, den Eindruck einer unermesslichen Entfernung hervorzurufen. Zugleich wirken die großen Torbauten machtvoll und abweisend. Wie das Zeremoniell also, ist die triumphale Mittelachse der Stadt der architektonische Ausdruck des ungeheueren Abstands zwischen dem Sohn des Himmels und den gewöhnlichen Sterblichen.
Der Kaiserpalast
Der „Alte Palast“ (Gu gong) gehört zu den eindrucksvollsten Architektur-Ensembles der Welt. Auf dem Areal der alten Yuan-Paläste erstreckt sich das mauerumschlossene Rechteck über 1.000 Meter in nord-südlicher Richtung und über 750 Meter in ost-westlicher Richtung. Die Umfassungsmauern sind 10 Meter hoch, der ringsumführende Wassergraben ist 50 Meter breit. An den vier Ecken der Mauer erhebt sich ein Wachturm. Vier Tore bilden die Zugänge. Außer dem Wu men im Süden und dem Shen wu men im Norden, die beide auf der Zentralachse liegen, sind es das „Östliche“ und das „Westliche Blumentor“ (Dong hua men und Xi hua men). Sie liegen am Südende der Seitenmauern und führen in den offiziellen Teil des Palastes.
Der offizielle Palast
Hof des Tors der Höchsten Harmonie
Hinter dem Mittagstor öffnet sich eine andere Welt. Hier beginnt der Teil des Palastes, der einem ausgewählten Personenkreis - meist hohen Würdenträgern - noch zugänglich war, der sogenannte „Äußere Hof“ (Wai chao) , im Gegensatz zu dem dahinter liegenden Privatbereich, den „Inneren Gemächern“ (Nei ting). Ein weiter, rechteckiger Platz, ca. 140 x 200 Meter, dehnt sich nun aus, umsäumt von niedrigen Gebäuden, die nichts mehr von der abweisenden Düsternis der vorangegangenen Torfestungen haben. Durch seine hellgraue Pflasterung wirkt der Platz licht und freundlich, seine Weite verwischt den Eindruck, dass man sich in einem Hof befindet.
Bei der absoluten Vorherrschaft des rechten Winkels in den Grundrissen überrascht es um so mehr, hier im offiziellen Bereich dieses strenge Regiment durchbrochen zu finden: in der eleganten - und natürlich symmetrischen - Kurvatur des „Goldwasserflusses“ (Jin shui he) , und seiner fünf Bogenbrücken. Das Flüsschen durchquert den Platz in ganzer Breite in Form eines Schießbogens, der sich in Richtung des Eingangstores, des Wu men wölbt , eine weitere Barriere auf dem Weg zum innersten Palast. Die senkrechten Ufer des Jin shui machen ihn zu einem riesenhaften Relief, das in den Platz eingeschnitten ist, veredelt durch die filigranen Marmorbalustraden, die ihn einfassen. Die gleichen Balustraden umsäumen die Brücken, Terrassen, Treppen und Rampen. Sie bilden ein vereinheitlichendes Element, das zugleich architektonische Schwerpunkte akzentuiert. Die fünf „Goldwasserbrücken“ (Jin shui qiao) überspannen den Goldwasserfluss mit einem leicht gewölbten Schwung . Die mittlere Brücke ist etwas breiter: der Kaiserliche Weg führt über sie hinweg. Je weiter die seitlichen Brücken von der mittleren entfernt liegen, um so mehr verschmälern sie sich geringfügig. Zudem sind die äußeren etwas weiter nach außen versetzt. Durch solche minimalen Proportionsverschiebungen wurden die Rangunterschiede der Benutzer ausgedrückt. Wie der Flusslauf selbst, der sich an seinen beiden Enden leicht verjüngt, erscheinen auch die Brückenränder geschwungen, da sie sich an ihren Enden verbreitern. Die Erfindung eines solch schwingenden Formenspiels innerhalb und im Zusammenhang mit einer sonst strengen geometrischen Ordnung, die dadurch gewonnene Rhythmisierung des Raumes, ohne dabei Symmetrie und Axialität aufzugeben, kann man nur als genial bezeichnen. Der Goldwasserfluss und seine Brücken machen den besonderen Charme dieses Vorhofs aus. Sie verleihen ihm eine Atmosphäre von Leichtigkeit und Anmut, wie sie sonst nirgends in dieser Palaststadt zu finden ist
Sämtliche Gebäude stehen auf einer niedrigen, gemauerten Plattform, zu der Marmorrampen und -treppen hinaufführen. Alle Gebäude sind miteinander verbunden. Ihre Mauern und Säulen sind rot, ihre Dächer gelb, sodass ein festlicher Dreiklang von Weiß, Rot und Gelb entsteht. Vom Mittagstor aus erstreckt sich der kaiserliche Prozessionsweg, auf dem der Kaiser in seiner Sänfte getragen wurde. Es ist ein breiter, mit Marmorplatten gepflasterter Streifen der zum anderen Ende des Platzes verläuft, wo er von Treppen flankiert als Rampe zu einer Marmorterrasse hinaufführt. Hier erhebt sich das nächste Torgebäude: das „Tor der Höchsten Harmonie“ (Tai he men), eine leicht wirkende Pfeilerhalle mit neun Jochen in der Breite und drei Querschiffen im Inneren . Zwei Bronzelöwen bewachen den Zugang. Nach Süden ist die Halle offen, nach Norden ist sie geschlossen, jedoch mit einer davorliegenden Pfeilergalerie, welche die Fassade bereichert. Mittelrampe und Treppen entsprechen denen der Südseite. Die Halle ist mit einem doppelten Fußwalmdach gedeckt. Obwohl die Dachecken nicht sehr stark nach oben gekrümmt sind, vermittelt das Dach den Eindruck von Leichtigkeit. Er entsteht durch den markanten Winkel zwischen dem Giebel und dem vorspringenden Fußdach an den Schmalseiten, sowie der scharfen Einkerbung zwischen Ober- und Unterdach.
Durch niedrige Galerien mit dem großen Torbau verbunden sind zwei kleinere seitliche Torpavillons . Sie sind fünfjochig mit einem einfachen Fußwalmdach. Eine einzelne breite Rampe führt zum mittleren Durchgang. Es waren die Tore für das kaiserliche Gefolge, für Minister und hohe Beamte. Die Galerien enden an zwei quadratischen Eckpavillons mit doppeltem Fußwalmdach, was ihnen Turmcharakter verleiht. Zwar sind sie höher, als die Nebentore, nicht aber so hoch wie das Tai he men. An der Ost- und der Westseite ziehen sich wiederum niedrige Pfeilergalerien hin, unterbrochen von Seitentoren, zu denen breite Rampen hinaufführen. Während diese Galerien zum Hofplatz hin offen sind, zeigen die Galerien der Nordseite und die Ecktürme ihre Rückseiten: sie sind mit Mauern verschlossen . Dadurch entsteht ein rhythmisches Wechselspiel von offenen und geschlossenen Formen. Das Gleiche geschieht mit den Terrassen, Rampen und Treppen, die ebenfalls rhythmisch als Volumen in den Negativraum des Platzes ausgreifen. Und ebenso wirkt der Gegensatz zwischen den offenen Hallen und den geschlossenen Dachflächen darüber, deren Rhythmus von auf und ab, hoch und niedrig das Spiel von Positiv- und Negativformen aufgreift. Wie auf einer Perlenkette sind die verschiedenen Baukörper an den durchlaufenden Galerien aufgereiht, streng symmetrisch, streng geometrisch.
Dieses Spiel mit einer beschränkten Auswahl von Baukörpern und Dachformen, die sich faktisch nur durch ihre Proportionen unterscheiden sowie durch ihre Kombination untereinander, ist kennzeichnend für den Palaststil der Ming und der Qing und macht seine Einheitlichkeit aus. Im Bereich des Kaiserpalastes gibt es nur wenige Ausnahmen, die jedoch nur untergeordnete Gebäude betreffen: die vier Ecktürme der Verbotenen Stadt mit ihrem hochkomplizierten Dachaufbau aus Kreuzsattel- und Fußwalmdächern und einige extravagante Pavillons der Palastgärten, also im Privatbereich.
Hof der Halle der Höchsten Harmonie
Das Tai he men mit seinen Seitentoren und Galerien bildet den letzten Querriegel vor dem Innersten Palastbezirk. Hinter dem Tor breitet sich eine riesenhafte Fläche aus. Der Kaiserliche Weg, der sie überquert, ist hier sogar um ein Geringes kürzer, als im ersten Hof. Dennoch erscheint diese Hoffläche unendlich viel weiter, als sie tatsächlich ist: hier hemmt kein Hindernis mehr die letzte Wegstrecke zum Ziel und Höhepunkt der Prozessionsstraße.
Die Platzfläche ist wiederum von Galerien, Hallen und Toren umschlossen . An der Ost- und der Westseite unterbricht eine zweigeschossige Halle mit Walmdach und umlaufendem Traufdach die Flucht der Galerien. Hier waren Bibliotheken und Magazine untergebracht. Nördlich davon öffnet auf jeder Seite eine niedrige Torhalle den Durchgang zu den Nebenhöfen. Dem Tai he men gegenüber schließen zwei seitliche Torhallen mit etwas höheren Fußwalmdächern den Platz nach Norden ab, der damit ein Quadrat von 200 x 200 Metern bildet. Ebenso wie im Vorhof lockert der Wechsel von Dachhöhen und -formen das strenge Schema der Symmetrie, ohne es aufzuheben. Und ebenso stehen diese Gebäude auf balustradenumsäumten Plattformen, von denen aus Treppen und Rampen in die Platzfläche hineinragen.
Zwischen den beiden nördlichen Torhallen liegt eine riesige, dreifache Marmorterrasse gleich einer Stufenpyramide . Wie ein weißes Gebirge nimmt sie fast die gesamte Breite des Platzes ein und greift zugleich am weitesten in die Tiefe des Platzes aus. Sichtbar ist jedoch nur der vordere Teil der Terrasse, denn sie erstreckt sich über zwei weitere, dahinterliegende Höfe. Ihr Grundriss ist in einer geometrischen Form ausgelegt, die an eine lateinische Eins erinnert (I), allerdings mit einem Terrassenvorsprung im Süden . Man kann sie auch als das Schriftzeichen „gong“ lesen. Jede der drei Terrassenstufen und alle Treppenaufgänge sind von einer besonders reichen Marmorbalustrade umfasst . Im Unterschied zu den Balustraden der Nebengebäude sind die quadratischen Geländerpfeiler von einem zylinderförmigen Knauf bekrönt, während die der Nebenterrassen mit Lotosknospen geschmückt sind. Die Zylinder sind ringsum mit gleichförmigen, knospenähnlichen Wolkenmotiven skulptiert, die wechselweise den Phönix, Symbol der Kaiserin, und den Drachen, Symbol des Kaisers tragen. Volutenartige Wolkenmotive bilden auch den Anfang der Treppenbalustraden. Aus den Terrassengesimsen unterhalb eines jeden Balustradenpfeilers recken sich in endlosen Reihen hunderte von gleichen Drachenköpfen, die als Wasserspeier dienen . Die Drachen an den Terrassenecken sind größer und ragen diagonal hervor. Sie haben eingerollte Rüssel ähnlich den indischen Makaras - mythologischen Mischwesen - und stützen ihre Klauen so gegen die Terrasse, als wollten sie jeden Augenblick abspringen.
Die allenthalben Mittelrampe des Kaiserlichen Weges, die zwischen zwei breiten Treppenfluchten zur obersten Plattform hinaufführt, trägt Drachen in plastischem Hochrelief, die sich zwischen Wolken hindurchwinden und nach einer Glückskugel jagen . Eine allenthalben wiederkehrende, glückverheißende Allegorie. Das Wolkenornament erstreckt sich als gleichmäßig bewegtes Muster über die gesamte Rampe. Am Fuß des Reliefs ragen fünf spitze Bergkegel aus ornamentalen Wellen: die vier Berge der Weltecken und in ihrer Mitte der höchste, der Weltberg. Die Randstreifen der Rampe säumt ein Band von Ranken- und Blumenreliefs. Alle diese Motive wiederholen sich an sämtlichen Rampen des Kaiserlichen Weges. Links und rechts begleiten schmale Treppenstufen den Aufgang, die mit flachen Tierreliefs geschmückt sind. Es sind die Stufen für die kaiserlichen Sänftenträger.
Die Halle der Höchsten Harmonie
Auf der Terrasse erhebt sich der symbolische Mittelpunkt des Reiches der Mitte, das Zentrum der Welt, die Thronhalle, die „Halle der Höchsten Harmonie“ (Tai he dian), zur Ming-Zeit „Halle im Dienst des Himmels“ (Feng tian dian) genannt . Man könnte dieses Bauwerk als den „Chinesischen Parthenon“ bezeichnen, was die Balance der architektonischen Kräfte angeht, die hier zu einer vollständigen Harmonie gelangt sind. Zugleich bedeutet dies aber, dass das Spiel dynamischer Kräfte gegeneinander aufgehoben ist. Insofern spricht sich hier eine klassizistische Geisteshaltung aus, deren Regelhaftigkeit zum Muster für die gesamte Ming-Architektur geworden ist.
Die gewaltige Halle krönt wie ein Gipfelmassiv das Marmorgebirge der Stufenterrasse. Der doppelte Abschwung der Dachkanten nimmt die Staffelung des breit hingestreckten Unterbaus auf. Mit 27 Metern Firsthöhe und über 8 Metern Terrassenhöhe überragt die Halle alle Gebäude des Palastbezirks mit Ausnahme des Wu men. Dennoch herrscht die Breitenwirkung vor durch die konstante Wiederholung der Horizontalgliederung. Die einzigen Vertikalelemente sind Treppen, Balustradenpfeiler und die Kolonnade, die gerade ausreichen, einen Spannungsgegensatz zu erzeugen, der die Dominanz der Waagerechten hervorhebt. Die Hallenfront misst 64 Meter mit 11 Jochbreiten, die Tiefe etwas über 37 Meter mit 5 Jochen. Insgesamt tragen 72 Säulen das riesige Doppelwalmdach in 6 Reihen zu je 12 Säulen. Sie sind so angeordnet, dass in der Mitte der Halle ein breites Querschiff entsteht, das heißt hier sind die Säulenabstände größer. In gleicher Weise wurde in der Nord-Süd Achse ein Längsschiff geschaffen, um Raum für die Empore des Throns zu gewinnen. Im Inneren tragen 24 freistehende Säulen von über 12 Metern Höhe und über einem Meter Durchmesser die schwere Balkendecke und das Dach, während die übrigen zwischen den leichten Blendwänden stehen, die das Gebäude nach außen abschließen. Einzig die Säulen der offenen Vorhalle stehen ebenfalls frei und bilden einen vergleichsweise schmalen Korridor an der Südfront. Zwei weitere Korridore verlaufen innen an den Schmalseiten. Sie sind durch Wände von der Thronhalle abgetrennt. Da ihr Säulenabstand geringer ist, als die Zwischenräume der übrigen Säulen, bilden sie zwei schmale Seitenschiffe. Dies ergibt eine Frontansicht die typisch ist für die meisten Palastbauten: in der Mitte vor dem Haupteingang ist der Säulenabstand am größten, entsprechend den Jochbreiten des Längsschiffes (ming jian). An beiden Seiten folgen etwas kleinere Säulenzwischenräume (ci jian) - hier sind es je vier - und ganz außen ergibt sich die geringste Säulendistanz, die bestimmt wird durch die Breite der Seitenschiffe (shao jian).
Die entscheidendste Veränderung gegenüber den klassischen Konstruktionsweisen der Tang, Song und Liao betrifft die Zone unterhalb der Dachtraufen. Wo einst Konsolentrauben in lebendig wechselnden Rhythmus kraftvoll und plastisch hervortraten, wie an der Haupthalle des Fo guang si siehe auch, findet sich nun eine doppelte Reihe überschweren Horizontalgebälks, das in die Stützpfeiler eingelassen ist. Es unterstreicht die Monumentalität der Architektur, geht also auf optische Wirkung aus. Denn was ihre Tragfähigkeit angeht, besteht keine Notwendigkeit einer solchen Überdimensionierung der Balken. Anders als bei klassischen Gebäuden entspricht hier das optische Erscheinungsbild nicht mehr der tektonischen Funktion. Die Konsolen ruhen nun nicht mehr auf den Pfeilerköpfen, sondern auf dem oberen Querbalken. Sie sind variationslos und gleichförmig in einer Reihe so hoch unter die Dachtraufen zurückgezogen, dass sie praktisch nicht mehr wahrnehmbar sind. Sie verschwinden im Schatten der Traufen. Zwei flügelartige Stützen, reich ornamentiert, kragen aus den Rundsäulen hervor, um das Gewicht der Querbalken abzutragen, Ersatz der alten Konsolenkapitelle . Ebenso haben die Hebelarme (ang) ihre prominente Rolle verloren.
Vergleicht man die Aufrisse der Thronhalle mit der Halle des Fo guang si, zeigen sich weitere Unterschiede . Die Dachhöhe der Tai he dian nimmt im Verhältnis zum Unterbau zwei Drittel zu einem Drittel ein. Dennoch wird dieser nicht durch das riesige Doppeldach erdrückt. Die deutlich abgesetzten Säulen der Kolonnade bilden eine Gegenkraft. Sie halten optisch dem Gewicht des Daches stand, sie halten es in der Schwebe. Das Dach der Fo guang si-Halle wirkt leichter . Seine Höhe steht zum Unterbau im Verhältnis eins zu eins. Die Säulenabstände der Fassade sind vollkommen gleich, die gemauerten Seitenwände leicht geböscht. Das Traufdach beschreibt entlang der gesamten Front einen leichten Konkavbogen, während die Traufkanten beider Dächer der Tai he dian geradlinig verlaufen und nur an den Dachecken etwas angehoben sind. Ihre Dachfläche und die Dachkanten sind stark einwärts gekrümmt, der First verläuft wiederum starr horizontal. Dach und Dachkanten der Tang-Halle zeigen nur eine leichte Innenkrümmung, während der First von Drachen zu Drachen an seinen Enden konkav gebogen ist. Diese schwingenden Linien und das An- und Abschwellen des ausgeprägten Konsolensystems ergeben ein Zusammenspiel dynamischer Kräfte, die zwar im Gleichgewicht zueinander stehen, jedoch ihre innere Spannung nicht verlieren. Im Vergleich dazu erscheint die Thronhalle in klassizistischer Unbewegtheit. Sie wirkt durch Monumentalität und farbige Prachtentfaltung.
Das leuchtende Rot der Säulen und das Goldgelb der Dachziegel dominieren. Deutlich abgesetzt von diesen großflächigen Farbklängen ist die Zone unter den Traufen. Die Konsolenreihen, die Querbalken, der obere Säulenschaft, der in diese Zone hineinragt und die aus ihm hervortretenden Flügelstützen sind mit kleinteiligen Ornamenten bemalt, deren Motive - vorwiegend Drachen- und Rankenmuster - sich in jedem Joch wiederholen, wobei die Farben sich in jedem zweiten Joch gleichen. Es sind Zinnober, Azurblau, Malachitgrün und Gold, die in diesen schablonenhaften Mustern von ferne zu einem gelb-grünen Ton verschmelzen. Die Flügelstützen, Wandpaneele und Türfüllungen sind mit reichem Schnitzwerk versehen und ebenso farbig gefasst. Das Holzgitterwerk der Fenster ist mit dem gleichen leuchtenden Rot bemalt wie die Säulen der Vorhalle.
Im Halleninneren setzt sich dieser gleichförmige und kleinteilige Ornamentstil fort. Die Kassettendecken werden von Reihen identischer, übereinander vorkragender Konsolenarme gestützt, die mächtigen Querbalken aufliegen. In der gesamten Deckenzone herrschen Grün- und Goldmuster vor, unterbrochen von Rot und Gold. Die Länge der Deckenbalken, die auf den riesigen Säulen des inneren Saales ruhen, bestimmen die Säulenabstände, also die Jochbreiten. Da, wo sich Längsschiff und Querschiff kreuzen, tragen die vier Mittelsäulen Balken von 10 Metern in der Breite und 11 Metern in der Tiefe . Diese vier Säulen bilden damit das größte jian, also den Raum zwischen vier Säulen. Die Decke darüber ist mit dem geschnitzten Relief des sich windenden Kaiserlichen Drachens geschmückt, der nach der flammenden Glücksperle jagt . Die vier Mittelsäulen sowie zwei weitere vor dem Thron, die gemeinsam das Längsschiff bilden, sind vom Boden bis zu den Deckenbalken vergoldet. In die Oberfläche einer jeden Säule ist das Ornament des riesigen, fünfkralligen Kaiser-Drachens zwischen Wolken eingraviert, der sich über 12 Meter hoch um die Säule windet. Zwischen den Säulen steht die Thronempore mit vier siebenstufigen Treppen. Die vordere ist flankiert von schmalen Stufen für die Sänftenträger. Fußschemel, Thronsitz und Paravent dahinter sind vollständig mit ornamentalem Schnitzwerk und Gold überzogen. Treppenwangen und -balustraden, die hochbeinigen Podeste für die Weihrauchgefäße - fast alle Gegenstände in Thronnähe - erstrahlen in Gold. Im Kontrast dazu, aber gleichzeitig die Goldpracht hervorhebend, sind alle übrigen Säulen mit glänzend poliertem, roten Lack bemalt. Reichdekorierte Seidenteppiche bedecken den Boden.
Der unglaubliche, besonders handwerkliche Aufwand, der mit dem Dekor getrieben wurde, seine Kleinteiligkeit, um nicht zu sagen Kleinlichkeit, entstammt der Qing-Epoche, als die Halle zuletzt restauriert wurde. Sie brannte bereits kurz nach ihrer Fertigstellung 1421 ab, wurde in ihrer ursprünglichen Form wiedererrichtet und brannte noch dreimal. Nach allem, was von originaler Ming-Architektur bekannt ist, hielten sich die Qing weitgehend an das Ming-Vorbild, auch in Bezug auf die Schmuckelemente. Bei der Überfülle des Dekors bleibt die architektonische Gliederung gewahrt. Selbst wo das Ornament die architektonische Struktur überwuchert - wie auf Balken und Säulen - folgt es ihrem Rhythmus. Auch hierin zeigt sich die strenge hierarchische Ordnung, die jedem Element innerhalb der Architektur seinen Platz zuweist.
In dieser Ordnung, die in diesem Gebäude ihren höchsten ritualisierten Ausdruck findet, ist kein Platz für individuellen Ausdruck. Hier befindet sich kein einziges Kunstwerk. Es ist auch nicht vorstellbar, dass hier beispielsweise einmal Landschaftsrollen hingen. Kunst war dem privaten Bereich vorbehalten. Was hier verlangt wurde, war Kunsthandwerk auf höchstem Niveau, das streng reglementiert war. Die Gegenstände dieser Handwerkskunst dienten zeremoniellen Zwecken, wie Weihrauchbrenner, Becken und andere Gefäße oder sie waren Symbolträger wie Bronzekraniche oder Schildkröten, unter anderem als Zeichen der Langlebigkeit. Symboldenken durchwirkt die gesamte chinesische Architektur von kleinen Details bis zur Gesamtplanung. Dieses Bedeutungssystem verfestigte sich im Lauf der Geschichte bis zur Erstarrung. Ausgehend von kosmischen Bezügen, wurde es immer mehr auch Beleg einer sozialen Rangordnung, die man in der kosmischen Ordnung als vorgegeben ansah. So sollen beispielsweise die 24 freistehenden Säulen der Thronhalle die 24 Stunden des Tages verkörpern und 18 Weihrauchbecken die 18 Provinzen des Reiches. Die mehrarmigen, kandelaberartigen Konsolen, die in der Ming-Architektur zu einem dekorativen Muster verkümmert waren - das „Platten,- und Armsystem“ (dou gong) siehe auch - durften nur in hochrangigen Gebäuden wie Palästen, Ahnenhallen, Ehrentoren, kaiserlichen Grabanlagen oder Tempeln verwendet werden.
Ein anderes Beispiel einer solch streng geregelten Rangsymbolik sind die dämonenabwehrenden Dachreiter. Die beiden drachenartigen Wesen (chi wei), welche an den Firstenden der Tai he dian sitzen, sind die größten des Palastes . Als Regenbringer sollen sie das Gebäude vor Feuer schützen. Die Enden der acht abschwingenden Dachgrate sind jeweils von zwölf Schutzfiguren besetzt (siehe auch. Angeführt von einem Unsterblichen, der auf einem Hahn reitet, folgen neun mythologische Tiere und ein Affe, der nur auf der Tai he dian vorkommt. Den Abschluss bildet ein gehörnter Drache. Es ist die höchste Zahl eines „Unsterblichen mit Bestien“ (xian ren zou shou) auf den Graten eines Palastdachs . Außer den genannten apotropäischen Figuren sind es Drache, Phönix, Löwe, Himmelsross, Seepferd, Fisch (ya yu), Chimäre (xie zhi), Einhorn (qi lin oder su an ni) und xing shi. Diese Phantasiewesen tragen verschiedene Köpfe und Schwänze, im übrigen sind sie kaum voneinander zu unterscheiden. Wie Wachhunde sitzen sie hoch aufgerichtet da. Die Anzahl dieser Fabelwesen vermindert sich je nach der Bedeutung eines Gebäudes.
Ebenso waren die Farben der Dächer festgelegt: gelb glasierte Ziegel - stellvertretend für Gold - waren nur kaiserlichen Gebäuden vorbehalten, Grün den Prinzenpalästen, Blau bestimmten kaiserlichen Tempeln. Und nicht zuletzt sind es Gestalt und Höhe der Dächer, die auf den Rang eines Gebäudes hinweisen. Das doppelte Walmdach der „Halle der Höchsten Harmonie“ kennzeichnet deren allerhöchste Stellung.
Es war der Ort der bedeutendsten Staatszeremonien: der Thronbesteigung, der Kaisergeburtstage und -hochzeiten, des Neujahrsfests, der Wintersonnenwende, der Entlassung des Heers in den Krieg, der Ausrufung des Friedens, der Massenaudienzen und Festbankette. Bei diesen Gelegenheiten konnten sich im Hof vor der Thronhalle bis zu 20.000 Menschen versammeln. Den meisten Teilnehmern blieb der Kaiser dabei unsichtbar. Seine unerreichbare Ferne blieb auch jetzt gewahrt. Während draußen die Zeremonienmeister durch Kommandorufe und Peitschenknallen die Verehrungsgesten und Prozessionsformationen in einer Art Massenexerzieren lenkten, und die Ritenbeamten im Halleninneren die sakralen Handlungen vollzogen, blieb der Kaiser unbeweglich. Wie der Fixstern des nördlichen Himmelspols war er Mittelpunkt aller Bewegung. Er saß im Norden und wirkte durch Nichthandeln. Dadurch gewann der Sohn des Himmels Unfehlbarkeit. Allein seine Ausstrahlung war es, die den nach Norden blickenden Untertanen Teilhabe am Widerschein des himmlischen Lichts spendete, das auf den Kaiser fiel.
So überragend an inhaltlicher Bedeutung, Pracht der Ausstattung und baukünstlerischem Rang die „Halle der Höchsten Harmonie“ war, architektonisch nahm sie die Stellung eines „Primus inter pares“ ein. Die nachgeordneten Gebäude waren zwar in ihrer zeremoniellen Funktion von geringerem Gewicht, standen jedoch an Aufwand der Ausgestaltung der Thronhalle kaum nach. Auch entsprachen sie den bautechnischen und stilistischen Grundprinzipien der Haupthalle, wie auch alle übrigen Gebäude der Palaststadt.
Die Hallen der Mittleren und der Gewahrten Harmonie
Hinter der „Halle der Höchsten Harmonie“, da wo die Marmorterrasse sich verengt, steht ein quadratischer Bau mit einem Zeltdach: die „Halle der Mittleren Harmonie“ (Zhong he dian) . Der außen umlaufende Korridor hat an jeder Seite fünf Joche und zeigt die gleiche Eigenart der Säulenstellung wie die Vorhalle der Tai he dian: das mittlere Joch ist breiter als die übrigen, die äußeren Joche sind die schmalsten. Im Inneren tragen vier Pfeiler das Dachgebälk.
Sie gliedern den Raum in jeder Richtung in drei Schiffe. Schriftzeichen auf dem Balkenwerk wurden auf 1627 datiert, das Jahr der letzten Restaurierung während der Ming-Zeit. Hier bereitete sich der Kaiser auf die großen Zeremonien in der Thronhalle vor und empfing die Ritenbeamten. Auch wurden hier die Texte für die Gedächtnisfeiern in den Ahnentempeln redigiert. Schließlich begutachtete der Kaiser das Saatgut des Jahres vor der Aussaat.
Es folgt auf dem nun wieder verbreiteten nördlichen Teil der Terrasse die „Halle der Wahrung der Harmonie“ (Bao he dian), erbaut 1420 . Um ein geringes kleiner als die Tai he dian, gleicht sie dieser architektonisch mit Ausnahme des Daches: ein Doppeldach mit oberem Fußwalmdach, was auf den niedrigeren Rang des Gebäudes hinweist. In dieser Halle gewährte der Kaiser Audienzen für Fürsten, Prinzen und hochrangige Beamte. Im 18. Jahrhundert prüfte der Kaiser hier persönlich die Kandidaten für die höchsten Staatsexamen.
An der Nordseite der Halle führt eine lange, drachengeschmückte Marmorrampe, die der Aufgangsrampe gleicht, von der Terrasse hinab. Wie im Süden flankieren auch hier zwei Seitentore die Terrasse, die sogenannten „Hinteren Tore“. Zusammen mit den „Mittleren Toren“, welche die Terrasse im Süden flankieren, sind sie die Zugänge zu zwei langgestreckten Höfen, die sich westlich und östlich der großen Terrasse entlangziehen. Nach außen sind sie von Galerien abgeschlossen, Fortsetzung der Vorhofgalerien, die hinter dem Wu men beginnen. Diese riesige Flucht von Galerien, auf jeder Seite in gleichen rhythmischen Abständen unterbrochen von Turmpavillons, Toren und Seitengebäuden, umfasst den gesamten Komplex des „Außenhofs“ (Wai chao), der sich bis über die Mitte der Palaststadt erstreckt.
Mit dem Bereich des Wai chao und besonders der Thronhalle und den ihr zugeordneten Gebäuden sind die wesentlichen Motive der ming- und qingzeitlichen Palastarchitektur und deren Raumgliederung angeklungen. Sie setzen sich im privaten Bereich fort in kleineren Dimensionen und mit geringfügigen Varianten.
Der Privatpalast
Nach einem weiteren querliegenden Hof, der im Osten und Westen abgeschlossen und mit Toren versehen ist und noch einmal die volle Breite des Wai chao einnimmt, verengt sich die folgende Anlage, der Privatpalast des Kaisers. Eine ornamentierte, purpurfarbene Wand trennt den offiziellen vom privaten Bereich, den „Inneren Gemächern“ (Nei ting). Die Wand knickt in der Mitte einwärts und führt zwei schräg gestellte Mauerflügel zum „Tor der Himmlischen Reinheit“ (Qian qing men), das seit der Ming-Zeit bis auf einige Restaurierungen nicht verändert wurde . Das Tor ist hinter die Flucht der Trennmauer zurückgesetzt. Die trichterförmige Verengung, die zu ihm hinführt, bereitet auf Größenverhältnisse vor, die einem weniger zeremoniellen Bereich angemessen sind. Die zierlich wirkende Torhalle ist mit einem Fußwalmdach gedeckt und hat fünf Joche. Die drei mittleren Pfeilerzwischenräume sind offen, die beiden äußeren mit Gitterfenstern verschlossen. In Fortsetzung der zentralen Achse von Stadt und Palast führt der Kaiserliche Weg zu der Marmorterrasse hinauf, auf welcher das Tor steht. Auch hier wird die Marmorrampe mit den Drachenreliefs von schmalen Stufen für die Sänftenträger begleitet und von breiten Treppen flankiert.
Die Drei Hinteren Paläste
Das gesamte hinter dem Tor liegende Areal des kaiserlichen Privatpalastes, ein langgestrecktes Rechteck, ist von Galerien umschlossen. In Analogie zu den Zeremonialhallen des Wai chao stehen die „Drei Hinteren Palasthallen“ (Hou san gong) hintereinander auf einer hier einstufigen Plattform, die sich in der Mitte verschmälert und die einen Vorsprung im Süden hat. Und ebenso wie im „Außenhof’ ist die Folge der Gebäudegrundrisse ausgelegt: Rechteck, Quadrat, Rechteck. Wenn auch diese Anlage noch von beträchtlicher Ausdehnung ist, kann sich die räumliche Dynamik hier nicht in gleicher Weise entfalten wie in der großzügigen Weitläufigkeit des „Äußeren Hofs“.
Vom „Tor der Himmlischen Reinheit“ überquert der Kaiserliche Weg den Vorhof und mündet an der Plattform, auf welcher sich der „Palast der Himmlischen Reinheit“ (Qian qing gong) erhebt . Der dem Kaiser vorbehaltene Weg wird hier in besonderer Weise dadurch hervorgehoben, dass er von einer Marmorbalustrade eingefasst ist. Er vermittelt so den Eindruck eines Damms oder einer Brücke. Dass eine solch prächtige Akzentuierung im weniger vom Zeremoniell bestimmten Wohnbereich zu finden ist, nicht aber im offiziellen „Außenhof’, lässt sich vielleicht dadurch erklären, dass dort größere Freiflächen für Massenaudienzen und Paraden benötigt wurden. Wie die Halle der „Höchsten Harmonie“ krönt ein doppeltes Walmdach den Palast, seine Vorhalle zeigt jedoch nur neun Pfeilerabstände. Hier sind die mittleren drei Joche breiter als die äußeren, das zentrale Joch ist am breitesten.
Der Innenraum ist in drei Querschiffe aufgeteilt. An dekorativem Aufwand innen und außen steht der Palast der Thronhalle nicht nach. Nur sind die Säulen, welche unmittelbar am Thron stehen und das Hauptschiff bilden, nicht in Gold gefasst, sondern mit Rotlack überzogen. Schriftzeichen mit konfuzianischen Aussprüchen schmücken Säulen und Stellwände. Zur Ming-Zeit befand sich hier die Wohnung des Kaisers. Unter den Qing fanden hier Privataudienzen und Ministerberatungen statt. Starb ein Kaiser, wurde er zunächst hier aufgebahrt und eine Reihe von Totenritualen vollzogen. 1420 errichtet, fiel das Gebäude mehrfach Brandkatastrophen zum Opfer und wurde immer wieder nach den alten Plänen aufgebaut.
Hinter dem „Palast der Himmlischen Reinheit“ steht auf der an dieser Stelle verengten Plattform die Halle der „Kosmischen Vereinigung“ (Jiao tai dian), erbaut 1420 . Der kleine quadratische Bau trägt ein Zeltdach wie die „Halle der Mittleren Harmonie“, hat aber keinen umlaufenden Säulenkorridor. Er zählt drei Joche in der Breite und der Tiefe. Hier erscheint in reichem Dekor auf Balken, Decken, Wänden und Teppichen neben dem Kaiserlichen Drachen das Symbol der Kaiserin, der Phönix. Zunächst die Thronhalle der Kaiserin, wo sie an hohen Festtagen die weiblichen Mitglieder der kaiserlichen Familie empfing, diente die Halle unter den Qing zur Aufbewahrung der kaiserlichen Siegel.
Den Abschluss dieser Dreiergruppe bildet der „Palast der Irdischen Ruhe“ (Kun ning gong), architektonisch identisch mit dem vorderen Bau, dem “ Palast der Himmlischen Reinheit“ . Zur Ming-Zeit befanden sich hier die Wohn- und Schlafräume der Kaiserin. Unter den Qing wurde im Ostflügel ein Raum als Hochzeitsgemach eingerichtet, worin das Kaiserliche Paar die ersten vier Tage nach der Eheschließung verbrachte. Den übrigen Platz des Palastes nahmen eine Küche und ein Bankettraum ein, worin täglich rituelle Speisungen stattfanden.
Eine Mittelrampe mit seitlichen Treppen führt hinter dem Palast in einen Zwischenhof. Gegenüber bildet das „Tor der Irdischen Ruhe“ (Kun ning men) den Zugang zum „Kaiserlichen Garten“ (Yu hua yuan) .
Die Terrassen und Plattformen dieser Paläste hatten ihre wesentliche Funktion als Bedeutungsträger einer Symbolarchitektur. Zugleich nutzte man die meisten jedoch auch für praktische Zwecke: man baute Öfen ein, welche die Fußböden der Paläste beheizten. Ebenso befand sich unter den Hallenböden und der Hofpflasterung ein ausgeklügeltes Kanalsystem, das Frischwasser aus Brunnen und von außerhalb der Verbotenen Stadt zuführte und Abwasser in den Palastgraben leitete.
In genauer Entsprechung der schräggestellten Mauerflügel zu beiden Seiten des südlichen „Tores der Himmlischen Reinheit“ öffnen sich die Mauerflügel, die vom „Tor der Irdischen Ruhe“ ausgehen, trichterförmig nach Norden zum „Kaiserlichen Garten“ hin.
Der Kaiserliche Garten
Eine der bezauberndsten Erfindungen des chinesischen Geistes, war der Garten in China seit seinen Anfängen Ort der Ungezwungenheit und der Entspannung. Es war der Versuch des Stadtbewohners - und auch des Eremiten - der Natur nahe zu kommen, ohne den gewohnten Lebensbereich verlassen zu müssen. Im Garten wurde die Natur nicht elementar erlebt, das heißt man setzte sich nicht ihrer überwältigenden Schönheit, noch den Gefahren ihrer vernichtenden Kraft aus. Im Garten wurde die Natur ästhetisiert, er wurde von den Literaten als philosophisches Gleichnis aufgefasst, als ein Mikrokosmos, der Natur und Universum in nuce enthielt. Der Garten wurde als ein Gesamtkunstwerk gestaltet, dessen wesentliches Element seine Veränderlichkeit war, in dem Werden und Vergehen unmittelbar und kontinuierlich anschaubar waren. Denn in der Natur kommt ein so konzentriertes Nebeneinander verschiedenartiger Pflanzen kaum vor, die teils aus unterschiedlichen Zonen stammen und deren Lebensrhythmus in jeweils eigenen Zyklen verläuft. Berge und Täler, Seen und Wasserläufe waren ebenso wichtige Bestandteile des Gartens wie Bäume, Sträucher und Blumen, die zudem noch besondere symbolische Bedeutung hatten siehe auch. Felsen und Hochgebirge wurden mit bizarren Steingebilden dargestellt, die in jahrtausendelangem Wirken von Wasser und Wind geformt waren und ungewöhnlich hohen Sammlerwert hatten. Außer ihrer Anordnung im Garten durfte nichts an ihnen von menschlicher Hand stammen.
Aber ohne die Zutaten der menschlichen Hand war der chinesische Garten unvollständig. Wege, Trittsteine, Brücken, Mauern und Pavillons waren eingebettet in die künstlich erzeugte Natur der Gartenlandschaft. Von solchen Stellen aus, wie auch mit ihnen als Hintergrund, boten sich dem Betrachter immer neue, überraschende Ausblicke. Vor einer weißen Wand mochte sich die Silhouette einer Bambusstaude abzeichnen wie auf einem Tuschbild. Oder ein Bild entstand in einer Maueröffnung, einem Fenster oder einem kreisrunden Mondtor: der Ausschnitt eines Felsens oder einer Brücke, die sich im Wasser spiegelt. Bewegte sich der Besucher durch den Garten, erlebte er jenes Wesenselement der Veränderung in subjektiver Weise. Mit jedem Schritt wandelten sich die Aspekte: Nah- oder Fernsicht, Schließen oder Öffnen des Raums - unzählige, sich ständig erneuernde Einzelheiten. Der Beschauer erlebte das Kunstwerk Garten in einem Raum-Zeit Kontinuum, nicht anders, als wenn sein Blick ein Landschaftsbild durchwanderte oder dem Ablauf einer Querrolle folgte. Und tatsächlich bestand ein enger Zusammenhang zwischen Landschaftsmalerei und Gartengestaltung. Nicht wenige der berühmten Gärten Chinas sind von Malern entworfen worden.
Ein Idealbild der Natur im kleinen, wie es im Garten und in der Landschaftsmalerei angestrebt wurde, konnte freilich nur gelingen, wenn man den Wegen der Natur folgte, wenn man ihr nachschöpfte, ihre Harmonie im Gegensätzlichen suchte und jede Gleichförmigkeit vermied. Daher rührt die labyrinthische Unregelmäßigkeit des Landschaftsgartens, seine gekrümmten Wege und verschlungenen Pfade. Für den Literaten-Beamten, der hier Erholung und Muße suchte, bedeutete dies den Ausbruch aus der strengen Formalität des öffentlichen Lebens.
Auch die Kaiser suchten Ruhe und Entspannung im Palastgarten Yu hua yuan, der in überreichem Maße all das aufweist, was zu einem chinesischen Garten gehört: knorrige, alte Bäume, einheimische und seltene exotische Pflanzen, Blumen, die so ausgewählt sind, dass es im Garten immer irgendwo blüht, Fischteiche, grotesk durchlöcherte Felsen , Steinhügel, Mauern, Portale, Pavillons. Und dennoch, trotz seiner Pracht und Fülle: diesem Garten fehlt ein entscheidendes Element. Es ist die wild wuchernde, scheinbare Natürlichkeit des idealen chinesischen Gartens wie sie in anderen kaiserlichen Gärten durchaus zu finden ist.
Der Zwanghaftigkeit des Symmetrieprinzips, das die gesamte Palaststadt beherrscht, ist auch dieser Garten unterworfen . Die zentrale Achse von Stadt und Palast führt mitten hindurch, die seitlichen Wege sind in identischen geometrischen Mustern angelegt mit nur minimalen Abweichungen, die kaum wahrnehmbar sind, wenn man sich auf diesen Wegen bewegt. Fast genau im Zentrum der Anlage, auf der Achse des Hauptwegs, führt ein überdachtes Steintor mit Rundbogen durch eine Mauerumfriedung von annähernd quadratischem Grundriss. Am nördlichen Ende der Umfriedung erhebt sich eine Marmorterrasse, geschmückt mit einer reich dekorierten Balustrade mit den zylindrischen Pfeilerköpfen der Taihe dian, mit Reihen vorspringender Drachenköpfe, zwei seitlichen Treppen und einer kaiserlichen Treppenrampe mit dem Drachenrelief an ihrer südlichen Frontseite. Sie trägt einen in der Breite fünfjochigen, geschlossenen Pavillon mit Doppeldach, die „Halle des Kaiserlichen Seelenfriedens“ (Qin an dian), das Hauptgebäude des Gartens . Der knospenförmige Dachaufsatz, ähnlich dem buddhistischen Juwel, weist darauf hin, dass es sich um ein Sakralgebäude handelt . Die Kaiser verehrten hier daoistische Gottheiten wie den Herrn des Nordens, und manche versuchten sich in geheimer Magie und der Gewinnung des Lebenselixiers.
Am östlichen und westlichen Ende der Querachse des Gartens stehen zwei identische Pavillons . Im Osten der „Pavillon des zehntausendfachen Frühlings“ (Wan chun ting), im Westen der „Pavillon der tausend Herbste“ (Qian qiu ting). Ihre reizvoll verspielte Gestalt weicht ab vom strengen Prinzip des Rechteckgrundrisses und dennoch ist es in ihr enthalten, wie natürlich auch der Grundsatz der Symmetrie. Was auf den ersten Blick wie ein Rundbau erscheint, ist ein Gebäude in der Form eines gleichschenkligen Kreuzes, in dessen Innenwinkel vier rechtwinklige Vorsprünge eingelassen sind, sodass ein sternförmiger, zwölfeckiger Grundriss entsteht. Da das kompliziert konstruierte, weit überhängende Traufdach über jedem Joch stark einwärts gekrümmt ist, ergibt sich ein wellenförmiges Auf und Ab des Daches. In seiner Mitte wird es von einem zwölfeckigen Tambour gekrönt mit einem vorkragenden Runddach, das in konkavem Schwung zur Spitze ansteigt. Die beiden Pavillons stehen auf niedrigen Marmorterrassen mit dem gleichen Grundriss wie die Gebäude. An allen vier Seiten führen Treppen zu den Eingangstüren. Solche architektonischen Eskapaden galten nur in der privaten Sphäre des Wohnbereichs und besonders des Gartens als angemessen.
An den Rändern des Gartens sind noch andere Pavillons in konventionelleren Formen errichtet und streng symmetrisch angeordnet. So ein langgestrecktes Gebäude im Südwesten mit vorspringenden Flügelpavillons oder der quadratische Aussichtspavillon mit einem Zeltdach auf dem künstlichen, zerklüfteten Steinhügel im Nordosten . Handelt es sich im typischen Privatgarten bereits um - wenn auch unmerklich - domestizierte Natur, so ist dies im Yu hua yuan augenfällig. Die mit reichem Mosaik geschmückten und gepflasterten Wege verlaufen gradlinig und rechtwinklig, die Beete sind von Geländern eingefasst, viele Bäume von Plattenbelag umschlossen. Zwar wird der Durchblick entlang der Wegeachsen auch hier immer wieder versperrt durch Mauern, Tore oder überhängende Bäume, und es ergeben sich auch hier immer wieder reizvolle Ansichten, etwa des alten Baumbestands, aber insgesamt wirken die Versuche bemüht, die Strenge der geometrischen Anlage aufzubrechen mit Hilfe der Bepflanzung, von Steinhügeln oder verwitterter Felsbrocken. Der Widerspruch der beiden Prinzipien von geometrischer Symmetrie und organischer Natur bleibt unaufgelöst.
Hinter der „Halle der Kaiserlichen Seelenruhe“ führt der Weg aus dem Garten in einen Vorhof durch das „Tor des Fortdauernden Ruhms“ (Cheng guang men). Den nördlichen Ausgang des Hofs bildet das „Tor der Gehorsamen Treue“ (Shun zhen men) . Es liegt dem Nordtor der Palaststadt, dem Tor des Göttlichen oder Geisterkriegers (Shen wu men) gegenüber . Dahinter erhebt sich der „Kohlen – oder Aussichtshügel“ (Jing shan) siehe auch mit seinen Pavillons . Er liegt bereits außerhalb der Palastmauern und jenseits des Grabens, gehörte einst jedoch zum Komplex des Palastes. Er diente als kaiserlicher Vergnügungspark und war von einer eigenen Mauer umschlossen mit je einem Tor an der Süd-, Ost- und Westseite. Eine künstliche Aufschüttung vom Aushub des Palastgrabens, besteht der Hügel schon seit der Yuan-Zeit und wurde unter den Ming und den Qing weiter ausgestaltet, bebaut und bepflanzt.
Die seitlichen Palastachsen
Die Abfolge von Höfen und Palastgebäuden, die vom Wu men im Süden zum Shen wu men im Norden reicht, bildet die Mittelachse der „Verbotenen Stadt“. Sie wird begleitet von zwei parallel verlaufenden Achsen, einer östlichen und einer westlichen. Im Süden auf der Höhe des „Äußeren Hofes“ liegt westlich ein Komplex, der aus einer Torhalle besteht, einer Haupthalle und einer hinteren Halle, die durch einen schmalen Zwischentrakt verbunden sind und auf einer gemeinsamen Terrasse stehen. Unter den Ming Audienzhalle und zeitweise Residenz des Kaisers während des Fastens, stand im Hauptgebäude später die kaiserliche Druckpresse: die „Halle der Militärischen Tapferkeit“ (Wu ying dian) .
Im Südteil der östlichen Achse und auf der gleichen Höhe liegt ein Komplex von ähnlichem Zuschnitt. Hier ist die Terrasse zwischen den beiden Hallen verengt: die „Halle der Literarischen Blüte“ (Wen hua dian), wo an besonderen Festtagen die Klassiker verehrt wurden . Im hinteren unter Qian long errichteten Gebäude befand sich die Bibliothek des Kaisers, ein zweistöckiger Bau, der „Pavillon der Literarischen Tiefe“ (Wen yuan ge) . Zur Ming-Zeit lebten die Thronfolger im Wen hua Palast. Beide Komplexe liegen in Parkanlagen mit altem Baumbestand, durch die sich der „Goldwasserfluss“ schlängelt. Wie die Kaiserliche Bibliothek sind einige Nebengebäude spätere Hinzufügungen, deren Lage mit denen auf der gegenüberliegenden Achse nicht übereinstimmt. Solche Abweichungen von der grundsätzlichen Symmetrie ließen spätere kaiserliche Bauherrn nur in den seitlichen Nebenachsen zu. Die Symmetrie ist in den Grundrissen der ursprünglichen Anlagen enthalten, die im Übrigen denen der „Drei Großen Hallen “ (San da dian) des Wai chao gleichen. Die architektonische Ähnlichkeit und Gleichrangigkeit beider Gebäudegruppen ist Ausdruck einer Bedeutungs-Symmetrie zweier inhaltlich gegensätzlicher, jedoch einander ergänzender Kräfte. Beide Kultstätten, welche zugleich den zugehörigen Gottheiten geweiht waren, ehrten die staatstragenden Elemente, auf denen das Reich errichtet war: die zivile Beamtenschaft, also die an den Klassikern geschulten Literaten, welche das Reich verwalteten, und die Militärbeamten, die es verteidigten.
Auf beiden Seitenachsen reihen sich nach Norden zu Höfe, Gärten, Paläste, Tempel und ihre Nebengebäude hinter- und nebeneinander, wobei im großen und ganzen einer architektonischen Einheit im Westen eine andere im Osten entspricht.
Allerdings ist die symmetrische Ordnung nicht mehr mit der gleichen Strenge durchgehalten wie im offiziellen Teil. Die baulichen Veränderungen, die im Laufe der Jahrhunderte nach den Bedürfnissen der Herrscherfamilien vorgenommen wurden, betrafen vielfach auch die Lage oder die Erweiterung mancher Paläste, zumal nach den nicht seltenen Bränden. Grundsätzlich gab es keine stilistische Veränderung. Rechteckgrundriss und Symmetrie der Einzelkomplexe blieben erhalten, ebenso die Nord-Süd Ausrichtung.
Die westliche Achse
Auf der westlichen Achse folgt nördlich der „Halle der Militärischen Tapferkeit“ eine Ansammlung untergeordneter Gebäude, dahinter eine Einfriedung, die mehr Fläche einnimmt, als der kaiserliche Privatpalast. Es ist der Bezirk des „Palastes der Barmherzigen Ruhe“ (Ci ning gong). In seinen Mauern liegen drei architektonische Einheiten. Im Süden der „Garten der Barmherzigen Ruhe“ (Ci ning hua yuan) mit der Haupthalle der „Allumfassenden Übereinstimmung“ (Xian ruo guan) nebst dem Pavillon der Wohltätigen Zuflucht (Ciyin lou) . Dieser Garten war eigentlich eine lamaistische Tempelanlage mit der typischen Ausrichtung dreier Gebäude auf der Mittelachse und dem Prozessionsweg von der vorderen zur Haupt- und der hinteren Halle, sowie der symmetrisch angeordneten Seitengebäude. Der Hauptpalast der „Barmherzigen Ruhe“ ist von Galerien umschlossen mit drei Toren. Die Mitte des Areals wird von der Palasthalle eingenommen , der Norden von der Halle des „Großen Buddha“ (Da fo tang). Dahinter liegt ein riesiger Küchentrakt, der aus mehreren Gebäuden besteht und der nur für diesen Palast zuständig war. Der Ci ning gong war der Wohnsitz der Kaiserwitwen, von denen einige großen Einfluss hatten.
Westlich des Hauptpalastes liegt, etwas zurückgesetzt, der dritte Komplex dieses Palastbezirks: der „Palast des Rüstigen Alters“ (Shou kang gong), Alterssitz von Kaiserwitwen Auch er ist von Galerien umgeben und besteht aus zwei Hallen, die hintereinander auf einer Plattform stehen in der für die „Verbotene Stadt“ so typischen Form des lateinischen I, das dem Zeichen „gong“ ähnelt.
Östlich, zwischen dem Ci ning gong und dem kaiserlichen Privatpalast der „Himmlischen Reinheit“, liegt der Palast mit der „Halle der Geistigen Vervollkommnung“ (Yang xin dian). Nur ein einziges kleines Seitentor führt aus der von Mauern eingeschlossenen Gasse zwischen dem kaiserlichen Privatpalast und dem Yang xin Palast in dessen Vorhof .
Es ist sozusagen der „geheimste“ Palast der „Verbotenen Stadt“. Erst vom Vorhof aus öffnet sich das Yang xin Tor auf der Nord-Süd Achse zum Palasthof, der von zwei Seitenhallen begrenzt wird, hinter denen in einer zweiten Reihe langgestreckte Galerien die Hofseiten begrenzen. Die Palasthalle erhebt sich im Hintergrund des Hofs . Ein Korridor verbindet den Hauptbau mit einer rückwärtigen Halle, wo die Schlafräume lagen. Dieses Gebäude bildet mit zwei Seitenhallen, den Schlafgemächern der Konkubinen, einen geschlossenen Trakt, der die Anlage nach Norden abschirmt. Zunächst reiner Wohnpalast, wurde der schwer zugängliche Ort während der Qing-Zeit mehr und mehr Machtzentrum und bevorzugter Wohnsitz mehrerer Kaiser, nicht zuletzt, weil sie sich hier Anschlägen weniger ausgesetzt fühlten. Bis zum Ende der Kaiserzeit wurde hier über das Schicksal des Reichs entschieden, nie mehr in den zentralen Palasthallen. Der Kaiser empfing den Staatsrat in seinen Privatgemächern, wo sich, wie in allen Privatpalästen, auch ein Thronraum befand . Die wichtigsten Entscheidungen wurden hier getroffen. Außerhalb der Mauereinfriedung des Palastes, an die Südmauer angelehnt, erstreckt sich eine niedrige Galerie. Einst war hier der Warteraum der Minister, ehe sie zum Kaiser gerufen wurden.
An diese Palastgruppe schließt sich nördlich ein annähernd quadratisches Areal an, das wiederum eine Anzahl Paläste und Gärten enthält. Wie die meisten Paläste der Westachse waren es Frauenpaläste, Wohn- oder Alterssitze von Kaiserinnen, Prinzessinnen und Konkubinen nebst ihren Kindern. Im äußersten Westen der „Palast des Friedvollen Alters“ (Shou an gong). Innerhalb eines Außenhofs mit Nebengebäuden umfängt ein geschlossenes Quadrat von Galerien einen Innenhof. Im Süden unterbricht eine vordere Halle das Galerienquadrat, im Norden die Haupthalle des Palastes.
Nördlich davon, in der äußersten Nordwestecke der „Verbotenen Stadt“, steht die „Halle des Üppigen Blühens“ (Ying hua dian), eine Halle mit zwei seitlichen Annexen, vor der sich auf einer gemeinsamen Plattform ein kleiner quadratischer Pavillon erhebt.
An den „Palast des Friedvollen Alters“ und die „Halle des Üppigen Blühens“ grenzen östlich zwei langgestreckte Anlagen an: im Süden der „Pavillon des Blütenregens“ (Yu hua ge), ein dreigeschossiger Lamatempel, der die meisten Dächer der Palaststadt überragt . Nördlich von ihm erstreckt sich der „Westliche Blumengarten“ (Xi hua yuan). Hier stehen mehrere Palasthallen. Nach dem nach einem Brand neu errichteten „Palast der Glücksgründung“ (Jian fu gong) ist der nördliche Teil des Gartens benannt, in dem sich ein Weiher ausbreitet.
Ein schmaler Geländestreifen erstreckt sich neben dem Garten nach Norden. Seine Bebauung folgt dem klassischen Schema der Tempelanlage: ein Vorhof mit zwei Seitengebäuden, ein zweiter Hof mit einer Halle in der Mitte, es folgt eine langgezogene, heute baumbestandene Allee - der Prozessionsweg - und am Ende Vorhalle, Haupthalle und hintere Halle.
Dieses Areal trennt den „Westlichen Blumengarten“ von den „Sechs Westlichen Palästen“ (Xi liu gong). Unter den Ming als ein streng symmetrischer Komplex angelegt, erfuhr er unter den Qing eine Reihe Veränderungen dadurch, dass einige Paläste miteinander verbunden wurden. Dennoch ist das Grundschema erhalten. Entlang einem mauerbegrenzten, zentralen Korridor mit einem Haupttor am südlichen und einem Tor am nördlichen Ende, reihen sich auf jeder Seite drei Palastanlagen. Die vier nördlichen sind von der Mittelachse aus zugänglich, die beiden südlichen haben Tore im Süden. Alle sechs Paläste haben den gleichen Zuschnitt: in der Mitte eines quadratischen Grundstücks steht eine Palasthalle, hinter ihr, mit dem Rücken zur Nordmauer, eine zweite Großhalle. Östlich und westlich säumen je zwei kleine Nebengebäude in gleichem Abstand den Hof. Im südlichen Palasthof westlich des Mittelkorridors steht die „Halle des Höchsten Prinzips“ (Tai ji dian) und dahinter die „Halle des Verkörperten Ursprungs“ (Ti yuan dian). Trotz dieser Benennungen, die auf daoistische Verehrungsstätten hinweisen, wurden diese Gebäude als Wohnpaläste genutzt.
Nördlich davon liegt der „Palast des Ewigen Frühlings“ (Chang chun gong), Wohnbezirk der Kaiserlichen Konkubinen und wo die Kaiserwitwe Ci Xi siehe auch zeitweise lebte . Es folgt der „Palast des Allumfassenden Glücks“ (Xian fu gong). Die Reihe östlich des Korridors beginnt im Süden mit dem „Palast des Ewigen Alters“ (Yong shou gong). Es folgen der „Palast zur Pflege der Erde“ (Yi kun gong) mit der „Halle der Verkörperten Harmonie“ (Ti he dian) und der „Palast der Versammelten Anmut“ (Chu xiu gong).
Nördlich dieser sechs Paläste beschließen drei nebeneinander liegende Palasthöfe mit jeweils drei hintereinander liegenden Gebäuden die westliche Achse der Palaststadt. Wie alle Paläste poetische, glückverheißende oder euphemistische Namen tragen, so auch die zentrale Anlage dieser Gruppe: „Palast der Neuerlichen Blüte“ (Chong hua gong).
Die östliche Achse
Auf der östlichen Achse der „Verbotenen Stadt“ folgt nördlich der „Halle der Literarischen Blüte“ eine lange, baumbestandene Allee, die an einem einzelstehenden Gebäude endet, dem „Pfeilpavillon“ (Jian ting). Der Name scheint darauf hinzudeuten, dass dort Übungen und Wettkämpfe im Bogenschießen stattfanden. Östlich davon liegt eine ausgedehnte quadratische Anlage, die „Drei Südlichen Wohnhöfe“ (Nan san suo). Eine Allee durchquert von Süden einen Park und endet vor dem Haupttor. Vom Vorhof aus, der die gesamte Breite des Komplexes einnimmt, führt ein Tor zu jeder Wohnanlage. Alle bestehen aus drei hintereinander liegenden Höfen mit jeweils einem Gebäude im Norden und zwei sich gegenüberliegenden kleineren Nebenbauten. Hier befanden sich die südlichen Küchen der Palaststadt.
Nördlich der Wohnhöfe füllen zwei riesige Komplexe den Rest der östlichen Achse. In beiden reihen sich eine Vielzahl von Palästen aneinander. Unmittelbar an den Bezirk des „Palastes der Himmlischen Reinheit“ grenzt östlich der „Palast der Enthaltung“ (Zhai gong) an mit der rückwärtigen „Halle der Wahren Würde“ (Cheng su dian). Der Palast wurde während der Qing-Dynastie im 18. Jahrhundert errichtet. Hier verbrachte der Kaiser die rituelle Fastenzeit. Ihm benachbart ist der „Palast des Glücklichen Gedeihens“ (Yu qing gong), wo der Kaiser die Gratulationskur bei der Geburt eines Sohnes entgegennahm. Es ist eine schmale, langgestreckte Anlage mit vier hintereinander liegenden Hallen und einer umlaufenden Galerie. Die beiden Mittelgebäude sind durch einen Korridor verbunden.
Östlich folgt die „Halle der Ahnenverehrung“ (Feng xian dian), wo die Ehrentafeln der kaiserlichen Ahnen aufgestellt waren und Erinnerungsfeiern abgehalten wurden . Ein großer Vorhof greift nach Süden über die Mauerflucht aus, welche die „Inneren Höfe“ vom offiziellen Bereich trennt. Dieser Vorhof ist nur von Westen durch ein kleines Tor zugänglich. Im Süden begrenzt eine schmale Halle den Hof in ganzer Breite. Im Norden führt ein Tor in den Haupthof, dessen Nordhälfte völlig ausgefüllt ist mit den zwei durch einen Korridor verbundenen Hallen der Ahnenverehrung. Sie gehören zu den größten der gesamten Palaststadt.
Nördlich dieser drei Gebäudegruppen schließen die „Sechs östlichen Paläste“ (Dong liu gong) an. Ihr Layout entspricht dem der „Sechs Westlichen Paläste“. Westlich des Mittelkorridors liegt im Süden der „Palast der Strahlenden Menschlichkeit“ (Jing ren gong), nördlich davon der „Palast des Himmlischen Erbes“ (Cheng qian gong) und der „Palast der Gesammelten Essenz“ (Zhong sui gong). Östlich des Korridors liegt im Süden der „Palast des Andauernden Glücks“ (Yan xi gong). Es folgen nach Norden der „Palast der Ewigen Harmonie“ (Yong he gong) und der „Palast des Strahlenden Yang Prinzips“ (Jing yang gong). Auch diese waren Frauenpaläste.
Eine Reihe von drei Gebäudegruppen erstreckt sich im Osten der „Sechs östlichen Paläste“ nach Norden. Die beiden südlichen haben identische Grundrisse: eine Haupthalle, um die vier Seitengebäude arrangiert sind, und nach einem Zwischenhof zwei eng zusammengerückte hintere Hallen. Es sind Magazingehöfte. Das südliche war das „Lagerhaus für Brokate“ (Duan ku), das nördliche das „Lagerhaus für Tee“ (Cha ku). Das dritte Gehöft besteht aus einem Vor- und einem Haupthof, den zwei Seitengebäude begrenzen. Am nördlichen Ende steht die „Schatzhalle der Dunklen Himmelstiefe“ (Xuan qiong bao dian).
Zusammen mit den „Sechs östlichen Palästen“ bilden diese drei Gebäudegruppen ein quadratisches Areal, dessen Grundstruktur aus neun quadratischen Einheiten bestand. In gleicher Weise war das Areal der „Sechs Westlichen Paläste“ angelegt, was den „Westlichen Blumengarten“ und den „Pavillon des Blütenregens“ einschloss.
Im Norden des östlichen Quadrats reihen sich die „Fünf Östlichen Wohnhöfe“ (Dong wu suo) nebeneinander. Ihre Gebäude sind genauso angelegt wie die der beiden Magazingehöfte. Es war ein Küchentrakt, auch die „Fünf Nördlichen Küchen“ (Bei wu chu) genannt, von wo die Bewohner der östlichen Paläste versorgt wurden.
Den nordöstlichen Teil der Ostachse füllt eine eigene Palaststadt vollständig aus. Sie grenzt unmittelbar nördlich an die „Drei Südlichen Wohnhöfe“ und zieht sich von der Mitte der „Verbotenen Stadt“ bis zum nördlichen Ende der Bebauung.
Damit nimmt ihr Gesamtareal mehr Fläche ein als der kaiserliche Privatpalast. Es ist der „Palast der Ruhe und der Langlebigkeit“ (Ning shou gong). Eine Gründung der frühen Qing-Zeit, wurde er hauptsächlich unter Kaiser Qian long ausgebaut. Dieser Palast, für die Zeit seiner Abdankung geplant, war die Bekundung seines Willens, aus Pietät nicht länger zu regieren als sein Großvater Kangxi. Nach seinem Thronverzicht übte Qianlong jedoch weiterhin die Regierungsmacht aus, ohne sich dorthin zurückzuziehen.
Von Osten und Westen führen drei Tore in einen baumbestandenen Vorhof. Im Süden des Hofs steht eine dämonenabwehrende „Neun Drachen Mauer“ (Jiu long bi) mit Drachendarstellungen aus farbiger Keramik . Nördlich das „Tor der Kaiserlichen Allmacht“ (Huang ji men) , das in den Haupthof führt, den der von Galerien umschlossene Hauptpalast einnimmt. Das „Tor der Ruhe und der Langlebigkeit “ (Ning shou men) erhebt sich zwischen den umlaufenden Galerien . Dahinter liegt der innere Hof, den ein balustradengesäumter kaiserlicher Weg durchquert bis zur „Halle der Kaiserlichen Allmacht“ (Huang ji dian) . Hier nahm Qianlong an besonderen Festtagen, wie am Neujahrstag, Glückwünsche entgegen. Hier gab er Empfänge und Bankette für verdiente Beamte mit mehreren Tausend Personen. Hinter der Halle steht auf der gleichen Plattform der „Palast der Ruhe und der Langlebigkeit“ (Ning shou gong) . Ursprünglich zum Alterssitz Qianlongs umgebaut wurde die Palasthalle nie von ihm genutzt.
Die Pläne des Palastes und seiner beiden Großhallen beruhen auf denen des „Palastes der Himmlischen Reinheit“, sie sind etwas verkleinerte Wiederholungen des mingzeitlichen Privatpalastes mit einigen veränderten Details. Die wesentlichste Abwandlung ist das Fehlen der quadratischen Mittelhalle. Dieser offizielle Trakt wird analog zur Gesamtanlage der „Verbotenen Stadt“ von dem dahinter liegenden privaten Teil, welcher der kaiserlichen Muße diente, durch eine Mauer getrennt. Auch er besteht aus drei Achsen. Die Mittelachse beginnt mit dem „Tor der Charakterbildung“ (Yang xing men), gefolgt von der gleichnamigen Halle und der „Halle des Freudvollen Alters“ (Le shou tang), sowie dem Studio der „Erholung und der Harmonie“ (Yi he xuan). Die westliche Achse wird vom Lustgarten Qian longs (Ningshou gong hua juan) belegt , in dem eine naturgemäßere Asymmetrie herrscht als im Yu hua yuan, wenn auch hier eine Reihe der zahlreichen Pavillons und Torbauten symmetrisch angeordnet ist.
Die östliche Achse beginnt mit dem „Pavillon des Heiteren Klangs“ (Chang yin ge), einem dreistöckigen Theaterbau . Ihm gegenüber steht im Norden der „Turm der Wahrheitsbetrachtung“ (Yue shi lou), von wo die Zuschauer den Darbietungen folgten . Nördlich davon reihen sich vier gleiche Hallen hintereinander, die durch einen Steg, ähnlich dem kaiserlichen Weg, verbunden sind: der „Palast des Strahlenden Glücks“ (Jing fu gong). Die Höfe vor den Hallen werden an den Seiten von kleinen Nebengebäuden begrenzt. Den Abschluss bildet im Norden der „Turm des Blühenden Buddhismus“ (Fan hua lou).
Ein abgeschlossenes Labyrinth
Neben den erwähnten Bauwerken gibt es in der „Verbotenen Stadt“ noch eine unübersehbare Anzahl untergeordneter Gebäude und anderer baulicher Anlagen. Die Angaben schwanken zwischen 9.000 und fast 10.000 Räumen für die gesamte Palaststadt, die Paläste eingeschlossen. Die einzelnen Palastkomplexe waren weitgehend als autarke Einheiten organisiert mit eigenen Wirtschaftshöfen, Küchen, Lagerräumen und Werkstätten zum Unterhalt von schätzungsweise 15.000 bis 20.000 Menschen. Hinzu kommen kleinere Tempel und Schreine, Archive, Bibliotheken, Amtsräume, Theater, Garten- und Brunnenanlagen. Die Unterkünfte der Dienerschaft und der Beamten von fünfzehn Palastämtern sowie bestimmte Wirtschaftsräume befanden sich zumeist in den kleineren Seitenbauten der Palasthöfe. Die Funktion eines jeden Gebäudes konnte verändert werden ohne Eingriff in die architektonische Grundstruktur, dank des Ständerbau Prinzips. Man brauchte nur einige Trennwände zu entfernen, hinzuzufügen oder zu verrücken und eine Palasthalle konnte in einen Tempel verwandelt werden oder eine Torhalle in ein Malatelier.
Angeblich war der Kaiser der einzige Mann, der die „Inneren Gemächer“ betreten durfte, alle übrigen Bewohner der Privatpaläste waren Frauen, minderjährige Kinder und Eunuchen. Demzufolge mussten die kaiserlichen Prinzen nach der Pubertät außerhalb der Nei ting wohnen. Der Kronprinz residierte zur Ming-Zeit in der „Halle der Literarischen Blüte“, also im offiziellen Bereich des Palastes. Da der Kaiser die täglichen Regierungsgeschäfte in seinen Privatgemächern vornahm, wo die Sitzungen des Staatsrats stattfanden, betraten auch Minister und Beamte den verbotenen Bezirk, die keine Eunuchen waren. Zudem fanden hier aus besonderen Anlässen Empfänge für ausländische Gesandte statt und Bankette für verdiente Beamte.
Die Anzahl der ständigen Bewohner ist ungewiss: annähernd 10.000 Eunuchen, 5.000 Hofdamen verschiedener Ränge und Dienerinnen, dazu kaiserliche Prinzessinnen, Nebenfrauen mit ihren zahlreichen Nachkommen, sowie die Kaiserin und ihre Kinder. Die meisten dieser Menschen verbrachten ihr ganzes Leben in der Palaststadt, ohne sie einmal verlassen zu können. Dabei dürfte ein Großteil der Konkubinen ihren Herrn niemals gesehen haben.
War die Konzeption des „Außenhofs“ und auch noch des „Palastes der Himmlischen Reinheit“, also der Mittelachse der Palaststadt, von äußerster Klarheit und Überschaubarkeit, so gleichen die Anlagen in den Seitenachsen einem geometrischen Labyrinth, in dem der Ortsunkundige innerhalb der verwirrenden Vielfalt von Mauern, Gassen, Gängen, Toren und Winkeln sich verirren musste. Wer mit den Örtlichkeiten vertraut war, konnte geheim und unbeobachtet von einem Palast in den anderen gelangen oder sich auch innerhalb eines Komplexes bewegen. Obwohl die verschiedenen architektonischen Einheiten in sich streng geometrisch und symmetrisch angelegt sind, führt ihre Verschachtelung und Verzahnung zu dieser kalkulierten Desorientierung.
Allein das Rechteck bestimmt die Grundrisse der Palastkomplexe wie der Einzelgebäude, selten das Quadrat als eine Spielart des Rechtecks. Und selbst in den „Rundpavillons“ des „Kaiserlichen Gartens“ steckt das Rechteck als Grundform. Zwar gilt dies im Grundsatz und mit nur wenigen Ausnahmen für die gesamte chinesische Architektur, doch in der „Verbotenen Stadt“ ist dieses Prinzip mit absoluter Konsequenz durchgehalten. Es ist verblüffend welch scheinbar unbegrenzte Anzahl von Variationen dieses einfache Schema für die Planung bietet: Veränderungen von Proportionen und Dimensionen der Gebäude, ihrer Abstände und ihrer Lage, wobei eine Diagonalstellung wegen des axialen Prinzips ausgeschlossen blieb. Wiederholungen gleicher Bautypen, Breiten- oder Längsausrichtung parallel zur Nord-Südachse, Größen- und Raumverhältnisse der Gebäude zueinander - eine Fülle von Kombinationsmöglichkeiten des gleichen Grundelements wurden hier durchgespielt.
Die Pracht dieser Palaststadt überdeckt die Leistungen der Architekten siehe auch, die unter dem Zwang unverrückbarer struktureller Vorgaben, also mit architektonisch beschränkten Mitteln, dieses einmalige Ensemble der „Verbotenen Stadt“ schufen.
Tempelanlagen
Der Altar des Himmels
Von den kaiserlichen Tempeln, die ringsum Peking angelegt waren siehe auch, ist und war der „Altar des Himmels“ (Tian tan) der bedeutendste, und zwar sowohl für das kaiserliche Ritual als auch in architektonischer Hinsicht . Der Tempelbezirk, ehemals außerhalb der Stadtmauern gelegen und später in die Südstadt einbezogen, liegt östlich der Zentralachse der Stadt, gegenüber dem Ackerbaualtar im Westen, vom Palast aus gesehen also in südöstlicher Richtung. Vom symbolischen Mittelpunkt des Reiches aus ist dies die Richtung des Sonnenaufgangs zur Zeit der Wintersonnenwende.
Das Heiligtum ist von einem äußeren und einem inneren Mauergeviert umgeben. Die äußere Mauer von ca. 6,5 km Gesamtumfang grenzt ein Areal ein, das mehr als die doppelte Fläche des Kaiserpalastes einnimmt. Beide Mauereinfassungen sind dem Quadrat angenähert, wobei ihre südlichen Ecken rechtwinklig abknicken, ihre nördlichen Winkel jedoch in weitläufigen Bögen gerundet sind. Es ist eine Verschmelzung der beiden geometrischen Grundformen des Universums: die des Himmelsrunds, welches das yang-Prinzip verkörpert und die des Erdquadrats, welches das yin-Prinzip manifestiert. Die innere Einfriedung liegt nicht in der Mitte der äußeren, sondern sie ist nach Südosten verrückt, dort wo die Wintersonne einen neuen Jahreszyklus beginnt. Ebenso ist die Nord-Süd Achse nach Osten versetzt. Dies ergibt eine räumliche Verdichtung nach Südosten, was dem Grundriss eine gleichsam pulsierende Spannung verleiht, die freilich nur aus der Vogelperspektive erkennbar ist. Eine solche Anlage ist jedoch nicht für die subjektive Wahrnehmung gebaut - im Unterschied etwa zur Gartenanlage - sondern sie drückt kosmische Bezüge aus. Anders als das Layout des Kaiserpalastes, dessen unverrückbare Statik seine Position als Weltmittelpunkt ausdrückt, spricht sich im Entwurf dieses Altarbezirks die Dynamik des sich ewig in Bewegung befindlichen Gegensatzpaares von yin und yang aus, das hier als Himmel und Erde in Erscheinung tritt und aus dem alles Seiende hervorgeht.
Sind bereits die Dimensionen der Freiflächen des Kaiserpalastes eindrucksvoll, so herrscht hier eine Weite und Offenheit des Raums, welche die Weite des Himmelsraums in eine architektonische Sprache umsetzt. Der größte Teil des inneren Bezirks war mit Bäumen bepflanzt, der äußere Bezirk bestand aus einem Tierpark, worin die Opfertiere gehalten wurden. Zwei Tore in der Westmauer verbanden einst den Altarbezirk mit der Zentralachse der Stadt. Durch das nördlich gelegene „Westliche Himmelstor“ (Xi tian men) betrat der Kaiser das Heiligtum. Südlich des west-östlichen Prozessionswegs lagen innerhalb der äußeren Einfriedung Wohnhöfe für die Tempelbediensteten, für Gärtner, Tierpfleger und Musiker. Weiter östlich auf dem Prozessionsweg führt das innere Haupttor durch die Westmauer der inneren Einfriedung, die insgesamt sechs Tore besaß: je zwei im Osten und im Westen, sowie ein Tor im Norden und im Süden - die Zugänge zur Hauptachse. Eine weitere Mauer teilt den inneren Bezirk in einen nördlichen Teil, der zwei Drittel der Fläche einnimmt, und einen südlichen Teil. Zwei Tore führen durch die Mauer. Rechtwinklig sich kreuzende oder abknickende Wege durchziehen die gesamte Anlage. Alle sind unsymmetrisch zur Hauptachse angelegt, wodurch trotz ihrer geometrischen Anordnung ein weiteres Element der Auflockerung in den Grundplan einfließt.
Innerhalb der zweiten Einfriedung liegen drei Architekturkomplexe, von denen jeder einer eigenen Funktion im kaiserlichen Ritual diente: der Fastenpalast, sowie der Himmelsaltar und der Himmelstempel, die „Halle der Jahresgebete“. Diesen beiden Komplexen sind außerhalb ihrer Einfriedungen im Osten noch jeweils eine Gruppe von Wirtschaftsgebäuden, Schlachthäusern und Küchen zugeordnet. Auch hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied zum Kaiserpalast und der üblichen Anordnung von Tempelanlagen. Die drei Komplexe sind nicht in einer hierarchischen Ordnung gegliedert, sondern sie sind ihrer Funktion entsprechend eigenständige Systeme, innerhalb derer die Gebäude ihrem Rang gemäß angeordnet sind. Alle drei sind in ihrer Ausrichtung aufeinander bezogen.
Der Palast der Enthaltung
Im Westen grenzt an die innere Mauer der „Palast der Enthaltung“ (Zhai gong) . Hierher zog sich der Kaiser drei Tage vor der Wintersonnenwende zurück, um sich fastend und meditierend auf die Opferzeremonien vorzubereiten. Der Palast ist von einer quadratischen Mauer eingefasst und von einem Wassergraben umgeben. Eine inneren Mauer schließt die Terrasse mit der Thronhalle und einer hinteren Halle ein. Sie gleichen in Aufbau und Ausstattung den Haupt- und Nebenpalästen der „Verbotenen Stadt“. Kleine Nebengebäude sind im Außenhof und entlang der inneren Mauer aufgereiht. Zwei hintereinander liegende Haupttore führen durch die beiden Einfriedungen auf die Thronhalle zu und bilden so mit den beiden Palasthallen eine Achse . Diese Achse ist hier nach Osten ausgerichtet, wie auch die Fassaden der vier Gebäude, also in Richtung der nordsüdlich verlaufenden Hauptachse, welche die beiden anderen Komplexe verbindet. Auf diese Weise entsteht ein Dreiecksverhältnis, das nicht nur durch den Verlauf der Achsen einen Bezug zwischen den drei Gebäudegruppen herstellt, sondern das auch durch den annähernd gleichen räumlichen Abstand der drei Komplexe voneinander in harmonischem Gleichgewicht gehalten wird.
Der Altar des Himmelsrunds
In dem durch die Quermauer abgeteilten südlichen Bezirk erhebt sich der „Altar des Himmelrunds“ (Huan qiu tan) . Zwar wurde er erst 1530 erbaut und 1749 erweitert, er muss jedoch bereits in der ursprünglichen Planung der frühen Ming-Zeit vorgesehen gewesen sein, denn hier nahm der Kaiser das Opferritual zur Wintersonnenwende vor und sprach mit dem Himmel, von dem er seine Legitimität empfing - ein für den Bestand der Herrschaft lebenswichtiges und fundamentales Ritual. Bereits in der chinesischen Frühzeit wurde der Himmel auf einem Erdhügel (tai) verehrt. Eine solche Erdaufschüttung könnte an dieser Stelle bestanden haben, ehe dieser prächtige Altar hier errichtet wurde.
Er wird von zwei niedrigen Mauern umfasst, die rot verputzt und mit blauen Ziegeln gedeckt sind. In den Haupthimmelsrichtungen sind sie von drei Portalen aus weißem Marmor durchbrochen, von denen das mittlere jeweils etwas größer ist . Es sind Balkenkonstruktionen wie die der Ehrentore (pai lou) siehe auch siehe auch, die als Triumphpforten an kaiserlichen Prozessionsstraßen oder Grabwegen stehen. Wo die oberen Querbalken in die senkrechten von einem Knauf gekrönten Pfosten eingelassen sind, treten flügelförmige Wolkenornamente hervor, so als ragten die Portale in den Himmel. Die Wolkenornamente gleichen in ihrer Gestaltung denen der „Schmucksäulen“ (hua biao) vor dem „Tor des Himmlischen Friedens“ oder ähnlichen Säulen bei den Kaisergräbern der Ming siehe auch. Die äußere Mauer bildet ein Quadrat, die innere einen Kreis, in dessen Mitte drei Rundterrassen in konzentrischen Ringen übereinander geschichtet sind . Auch hier wird die kosmische Symbolik anschaulich: das Himmelsrund erhebt sich über dem Erdquadrat.
Zahlensymbolik
Die Terrassen sind von weißen Marmorplatten bedeckt und von den gleichen Balustraden eingefasst wie die Terrassen des Kaiserpalastes, mit den gleichen Ornamenten, den zylinderförmigen, mit Wolken und Drachen geschmückten Aufsätzen auf jedem Pfosten und den darunter aufgereihten Wasserspeiern . In den vier Kardinalrichtungen führen balustradenflankierte Treppen von Terrasse zu Terrasse, insgesamt also 12 . Diese Ziffer erscheint vielfach mit wechselnder Bedeutung in der Zahlensymbolik von Sakralbauten. So kann sie für die 12 Doppelstunden des Tages stehen oder für die Tierkreise des Jahreszyklus. Diese Zahlensymbolik, welche die gesamte Sakralarchitektur durchzieht, ist bis ins kleinste Detail durchdacht. Sie hat die Aufgabe, die Bauwerke mit dem Rhythmus der Natur und des Universums in Einklang zu bringen und damit heilbringend wirksam zu machen. In diesem System hat jede in einem Bauwerk erscheinende Zahl einen kosmischen Bezug. So hat jede der Treppen am Himmelsaltar 9 Stufen, also 12 x 9 = 108 Stufen. Die Quersumme von 108 ist wiederum 9. Die Zahl 9 aber galt als die höchste und heiligste der dem Himmel, also dem yang-Prinzip zugeordneten Zahlen 1, 3, 5, 7, 9. Nicht zufällig wurde der Altar im 9. Regierungsjahr des Jia jing-Kaisers geweiht (1530). Ebenso geheiligt waren die Vielfachen der 9 bzw. die in ihr enthaltenen Zahlen, von denen die 3 wiederum besonders bedeutsam war, wie schon aus der dreifachen Staffelung der Altarterrassen ersichtlich ist. Dagegen wurde das yin-Prinzip in geraden Zahlen dargestellt.
Am „Altar des Himmelsrunds“ zeigt sich besonders deutlich, mit weicher Konsequenz diese Zahlenordnung durchgehalten ist. Die Abschnitte zwischen den Geländerpfosten betragen von Treppe zu Treppe an der oberen Terrasse 9, an der mittleren 18 und an der unteren 27. Noch erstaunlicher ist die Präzision, mit welcher der Plattenbelag berechnet und ausgeführt ist. Um die kreisrunde Steinplatte, die den Mittelpunkt der oberen Terrasse bildet, sind in gleichmäßig sich erweiternden Ringen Marmorplatten in der Form von Kreissegmenten verlegt. Der erste Ring besteht aus 9 Platten, der zweite aus 18 bis hin zum neunten Ring, der 81 Platten zählt. Ebenso sind die mittlere und die untere Terrasse mit 9 Plattenringen bedeckt. Der siebenundzwanzigste, also der äußerste Ring besteht aus 27 x 9 = 243 Platten. Insgesamt decken 3402 Segmente den Altar, deren Quersumme ebenfalls 9 ergibt wie bei allen hier auftretenden Zahlen. Zählt man die zentrale Steinscheibe hinzu, sind es 3403 Platten. Deren Quersumme 10 durch 9 geteilt ergibt 1,11111 unendlich, eine Zahl, welche die eigentlich unmessbare Größe des Universums ausdrückt. Zugleich steht die Eins für dessen allesumfassende Einheit.
Nachdem der Kaiser die Vorbereitungszeit mit Fasten und ritueller Reinigung im „Palast der Enthaltung“ verbracht hatte, betrat er den Altar in der Morgendämmerung des Tages der Wintersonnenwende. In einem neunteiligen, uralten Ritus, wobei Speise- und Trankopfer dargebracht und später verbrannt wurden, hielt er Zwiesprache mit dem Himmel. Dies geschah vor den Tafeln, welche die Namen der kaiserlichen Vorfahren trugen, also in Anwesenheit der Ahnenseelen, und vor der Tafel des Himmels, von dem der Kaiser seine Abstammung herleitete. Zu den Opfergaben gehörten auch symbolträchtige Gegenstände wie eine gelochte Jadescheibe als Zeichen des Himmels (pi) oder zwölf blaue Seidentücher, die sich sowohl auf den Jahreszyklus als auf die Himmelsfarbe beziehen. Höhepunkt der Opferfeier war das Gebet des Kaisers zum Himmel, das in der Abfolge der neun liturgischen Handlungen in der Mitte stand. Darin bot der Kaiser die Opfer dar und bat um den Segen des Himmels. Als Sohn des Himmels sprach er mit der einzigen Autorität, die über ihm stand als Untertan und nannte seinen persönlichen Namen, der in jedem anderen Fall in Schrift und Sprache tabuisiert war. Die Stelle dieser allerheiligsten Handlung war der runde Schlussstein in der Mitte des Altars, „der Nabel der Welt“ . Von hier aus leise zum Himmel gesprochen, war das kaiserliche Gebet für die Umstehenden nicht vernehmbar. Allein der Kaiser konnte seine Stimme vernehmen, deren Echo von den Balustraden und der unmerklichen Wölbung der oberen Terrasse ins Zentrum zurückhallte.
Das Kaiserliche Himmelsgewölbe
Hinter den drei Nordtoren der quadratischen Außenmauer beginnt die Hauptachse des Heiligtums, die den „Altar des Himmelsrunds“ mit dem Nordkomplex verbindet . Nach kurzer Strecke sperren drei Torbauten den Weg . Ihre Fußwalmdächer sind mit blauen Ziegeln gedeckt. Das mittlere Tor ist etwas größer als die seitlichen. Ein weißer Marmorfries mit floralen Motiven umsäumt die Torbögen als Bordüre . Diese Portale bilden den einzigen Zugang zu einem Innenhof, der von einer Rundmauer umschlossen ist. Im Hintergrund erhebt sich ein Rundtempel auf einer ebenfalls runden, einstufigen Marmorterrasse: das „Kaiserliche Himmelsgewölbe“ (Huang qiong yu) . Die Anlage liegt genau im Schnittpunkt der Quermauer, die den inneren Bezirk des Heiligtums in einen nördlichen und einen südlichen Teil gliedert. Aber statt auf die runde Umfriedung zu stoßen, schwingt die Quermauer in weitem Bogen nach Norden und umfängt die Rundmauer des „Kaiserlichen Himmelsgewölbes“ in einem groß angelegten Halbkreis. Diese spannungsvolle und zugleich harmonische Linienführung erweckt den Eindruck, als wirke eine unsichtbare Kraft von Süden auf die Mauer ein und erzwinge den schützenden Bogen, mit dem sie das „Himmelsgewölbe“ im Norden umgreift. Damit wird diese Anlage räumlich dem Komplex des Himmelsaltars zugeordnet. Ihre einzige Öffnung durch die Tore nach Süden in Richtung des Altars verdeutlicht dies sinnfällig. Diese architektonische Anordnung entspricht der Funktion des kleinen Rundtempels: es ist der Aufbewahrungsort der Tafeln des Himmels und der kaiserlichen Ahnen vor Beginn und nach Beendigung des großen Rituals. Hier hielt sich der Kaiser auch vor dem Tag der Wintersonnenwende auf, um sich in Meditation darauf vorzubereiten.
Der 1530 errichtete Rundpavillon ist mit einem konischen Dach gedeckt, dessen Kurvatur elegant einwärts schwingt . Der goldene Knauf, der es krönt, kontrastiert mit dem Dunkelblau der Dachziegel. Die doppelten Horizontalbalken unter dem Traufdach zwischen den äußeren acht Stützpfeilern sind gebogen, sodass eine echte Rundung ohne Vor- oder Rücksprünge entsteht. Zwischen den Pfeilern sind im Süden Fensterpaneele und die Eingangstür eingelassen. Die restliche Außenwand bestand aus einer Ziegelmauer. Unmittelbar unter dem vorkragenden Traufdach, das von eng gestaffelten Konsolenreihen gestützt wird, sind die Balken reich bemalt in Gold, Blau, Grün und Rot mit den konventionellen Motiven von Drache und Phönix in einem geometrisierenden Rahmenwerk.
Innen ist das in Konsolenschichten und Kragarmen zur Spitze aufsteigende Balkenwerk und die Holztäfelung der Decke ebenfalls reich mit den gleichen Motiven bemalt . Hier herrschen Grüntöne und Gold vor, während die Ränder der Holzteile durch weiße Konturierung hervorgehoben werden. Das Rundpaneel, welches die Laterne abschließt, wird von den Windungen des fünfklauigen kaiserlichen Drachens ausgefüllt, golden auf blauem Grund. Acht innere Säulen bilden einen zweiten Ring. Sie sind ebenfalls grün und golden bemalt, da wo sie in die Zone der schweren, gebogenen Tragbalken hineinragen, mit denen sie verzapft sind. Der freistehende Schaft dieser Säulen ist mit Rotlack überzogen, in den reiche florale Muster in Gold eingelassen sind. Bei einer solchen Pracht und solch farbiger Überfülle wird die architektonische Gliederung oft verunklart. Hier jedoch wird sie hervorgehoben, indem sie als ringförmig gestaffeltes Ornament erscheint.
Die Zahlenordnung, mit welcher dieser Tempelpavillon konstruiert wurde, steht im Zeichen der yang Zahl, die nach der 9 die höchste ist, der 7. Dies weist ebenfalls auf den gegenüber dem Himmelsaltar untergeordneten Rang des Gebäudes. Die Terrasse besitzt nur drei Treppenaufgänge, ihre Rückseite stößt an die Hofmauer. Jede Treppe hat 2 x 7 = 14 Stufen. In der Mitte der Haupttreppe im Süden führt die kaiserliche Drachenrampe , wodurch die Zahl der Stufen verdoppelt wird. Zwischen den Treppen gibt es jeweils 7 Pfostenabstände des Terrassengeländers, und der zweifache Ring von 8 Säulen, die das Dachgebälk tragen, ergibt die Zahl 16, deren Quersumme wiederum die 7 ist.
Zwei Nebengebäude stehen sich auf der Ost- und der Westseite des Hofes gegenüber . Sie bilden ein Spalier zwischen dem Südtor und dem Rundtempel auf der Nordseite. Hier wurden die für die Riten benötigten Kultgegenstände aufbewahrt. Wie alle Gebäude der kaiserlichen Tempelanlagen sind sie prachtvoll dekoriert. Ihre schweren Fußwalmdächer sind ebenfalls mit tiefblauen Ziegeln gedeckt. Die feuer- und dämonenabwehrenden Dachreiter an den äußeren Dachkanten sind jeweils 7 an der Zahl.
Vermutlich spielte der berühmte Echoeffekt der „Drei Echosteine“ (San yin shi) eine Rolle im Zeremoniell. Die drei Steinplatten liegen vor dem südlichen Treppenaufgang der Terrasse. Ein Wort, ausgesprochen auf dem ersten Stein, wird von der Rundmauer des Hofs einmal zurückgeworfen, auf dem zweiten Stein zweimal und auf dem dritten Stein dreimal. Anscheinend war ein weiterer Echoeffekt eine Nebenerscheinung. Flüstert man nämlich an der Rundmauer stehend gegen die Wand, so ist dies noch an einer weit entfernten Stelle der Mauer vernehmbar, da die Mauerkurve so verläuft, dass sich die Schallwellen an ihr entlang verbreiten. Dieser Wirkung verdankt sie den Namen „Echomauer“ (Hui yin bi) .
Nördlich der Mauer setzt sich der Heilige Weg fort bis er auf einen roten, gemauerten Torbau stößt, der die gesamte Breite des Weges einnimmt. Er hat drei Bogendurchgänge und ist mit einem Fußwalmdach gedeckt. An dieser Stelle durchquert die Achse des Prozessionswegs den halbkreisförmigen Bogen der ost-westlichen Trennmauer und tritt in den nördlichen Bezirk des Tian tan ein .
Die Halle der Jahresgebete
Von hier erstreckt er sich über 360 Meter bis zum Komplex der „Halle der Gebete für die Jahresernte“, wörtlich „Halle der Jahresgebete“ (Qi nian dian). Die gesamte Strecke vom Himmelsaltar an ist mit hellgrauen Steinplatten gepflastert, annähernd 30 Meter breit und dammartig über die Umgebung erhöht. Die Länge des Wegs kennzeichnet nicht so sehr die räumliche Distanz der beiden sich ergänzenden Heiligtümer, als vielmehr die zeitliche Komponente, die sich in der Dauer der feierlichen Prozession ausdrückt, welche sich zwischen beiden Orten bewegte. Vor einer Terrasse, die östlich von der heiligen Straße abzweigt, verharrte der Zug. Hier wechselte der Kaiser in einem Zelt seine Gewänder, ehe er den heiligen Bezirk betrat.
Er ist von einem nord-südlich ausgerichteten, ziegelgedeckten Mauerrechteck umschlossen von fast 200 Metern Seitenlänge. Vier Torbauten bilden die Zugänge. Der südliche, am Ende der Prozessionsstraße, hat drei Rundbogentore, von denen das mittlere wie stets größer ist und dem Kaiser vorbehalten war . Seine Höherrangigkeit gegenüber den übrigen Außentoren wird durch ein Walmdach gekennzeichnet. Das Ost- und das Westtor der Umfriedung tragen ein Fußwalmdach. Im Norden liegt die „Halle des Erhabenen Himmels“ (Huang qian dian), eine fünfjochige Halle, Aufbewahrungsort der Tafeln, die beim Ritual der Erntegebete aufgestellt wurden .
Unmittelbar hinter dem Südtor erhebt sich auf einer Marmorterrasse mit drei Treppen eine prächtige Torhalle von der Art der Palasttorhallen: das „Tor der Jahresgebete“ (Qi nian men) . Im Unterschied zu den gemauerten Außentoren ist es eine Holzkonstruktion mit fünf Jochen. Sie trägt ein ausladendes Walmdach mit blauen Ziegeln. Links und rechts zweigt eine niedrige Mauer ab, die an beiden Enden rechtwinklig nach Norden abknickt und auf zwei langgestreckte Gebäude stößt, die in nord-südlicher Richtung die Hofseiten flankieren. Es sind identische, neunjochige Hallen, gedeckt mit tiefblauen Fußwalmdächern und reich mit Goldornament dekoriert wie Palasthallen. Sie dienten zur Aufbewahrung von Kultgefäßen und Sakralinstrumenten. Zusammen mit dem „Tor der Jahresgebete“ und der Mauer, welche die drei Gebäude verbindet, bilden sie ein U-förmiges Ensemble, das seine beiden Flügelarme hin zu dem Bauwerk öffnet, welches den Nordteil der Umfriedung einnimmt und das nicht nur diesen Komplex beherrscht, sondern das gesamte Areal des Tian tan: zur „Halle der Jahresgebete“ (Qi nian dian), die zur Ming-Zeit den Namen „Halle des Großen Opfers“ trug (Da qi dian) .
1420 in kubischer Form errichtet, 1530 als Rundbau erneuert und 1751 restauriert, brannte die Halle 1889 nach einem Blitzschlag nieder und wurde wegen ihrer eminenten Bedeutung unmittelbar darauf nach den Originalplänen wieder aufgebaut. Diese Bedeutung lag für das Kaiserhaus nicht so sehr im Architektonischen, als vielmehr im Rituellen - wenn auch dieser Symbolbau den die Weltordnung bestätigenden Rahmen dafür abgab. Denn hier hielt der Sohn des Himmels die Riten ab, von denen das unmittelbare Wohlergehen des Reiches und seiner Bevölkerung abhing. Sie fanden am 15. Tag des ersten Monats im Mondkalender statt, also zum Frühlingsanfang. Die Liturgie entsprach in fast allen Einzelheiten der Wintersonnenwend-Feier. Im Zentrum stand das Gebet des Kaisers um eine gute Jahresernte. Hier zeigte sich seine Macht, den Segen des Himmels auf das Reich zu lenken zum Wohl aller, und hier erwies sich, dass er das Mandat des Himmels besaß. Es war das Gegenstück zur Feier am Altar des Himmels, worin der Lauf der Weltordnung sozusagen bekräftigt wurde, sodass Himmel und Erde sich in harmonischem Gleichgewicht befanden. Die Wahrung der Weltordnung durch die korrekte Ausübung der Opferrituale und durch eine gute und gerechte Regierung war die vornehmste Aufgabe des Kaisers. In diesem Sinne ergänzten sich die beiden Großfeiern, so wie die Orte ihres Vollzugs zusammengehörende Pole waren: Tempel und Altar.
In der Gesamtkonzeption der „Halle der Jahresgebete“ sind beide enthalten. Die dreifache Rundterrasse als Unterbau gleicht dem „Altar des Himmelsrunds“. Auf ihm erhebt sich der Himmelstempel. Acht Treppenfluchten führen zur obersten Terrasse. Im Osten und Westen je eine, im Süden und Norden jeweils drei, wobei über die mittlere eine Drachenrampe führt. Die südlichen Treppenfluchten, der Prozessionsstraße und dem Himmelsaltar zugewandt, liegen weit auseinander. Damit wird der Abstand des Himmelssohns von seinem Gefolge betont, denn auch hier war die Mitteltreppe allein dem Kaiser vorbehalten. Die drei nördlichen, die zur „Halle des Erhabenen Himmels“ führen, liegen eng zusammen.
Das mystische Zahlenspiel des Himmelsaltars wiederholt sich hier in etwas veränderter Form. Jede Treppenflucht besteht aus 3 Treppenabsätzen zu 9 Stufen = 27 Stufen, Quersumme 9. Bei 8 x 3 = 24 Treppenabsätzen sind dies 648 Stufen, Quersumme 18, davon die Quersumme 9. Die gleichen Marmorbalustraden wie am Himmelsaltar begrenzen die Terrassen. Im Unterschied zum Altar, bleibt die Anzahl der Geländerzwischenräume bzw. der Pfosten an allen Terrassen gleich. Das heißt der Abstand der Balustradenpfeiler verringert sich nach oben zu entsprechend dem Umfang der Terrassen. Die heilige 9 erscheint hier nicht in den Berechnungen der Pfostenabstände, sondern an den Pfosten selbst. So sind es 9 auf jeder Terrasse zwischen den südlichen Treppen = 54 Pfosten, Quersumme 9, und 3 auf jeder Terrasse zwischen den nördlichen Treppen = 18, Quersumme 9. Der breit gelagerte Terrassenhügel gleicht einem weißen Kronreif, über ihm erhebt sich in Blau, Gold und Rot die Rundhalle der Erntegebete 38 Meter hoch wie eine dreifache Tiara. Und wie kein anderes Bauwerk verkörpert sie die altchinesische Vorstellung des Kosmos: die Weltachse, die den Himmelsschirm trägt, hier dreifach gegliedert durch die konkav schwingenden Dächer, in Einklang mit der heiligen Dreizahl: die Wurzel der 9 . Der Bau steht im Zentrum des Universums: um ihn als himmeltragende Achse dreht sich der Sonnenlauf. Diese Symbolik bestätigt sich geradezu sinnlich fassbar und anschaulich durch die allmähliche Veränderung von Licht und Schatten auf dem Rund des Baukörpers, durch den langsamen Wechsel der Farbwerte im Morgen-, Mittag- und Abendlicht. Stellt aber dieses Bauwerk die Weltachse dar, so die Terrasse, auf der es sich erhebt, die Erde trotz der dem Himmel zugeordneten Rundform. Hier verdichten sich zwei Symbolgedanken und fließen zusammen: Himmelsaltar und Erdscheibe.
Neben dem „Kaiserlichen Himmelsgewölbe“ ist die „Halle der Jahresgebete“ eine der wenigen in Holz errichteten, genuinen Rundkonstruktionen von Bedeutung. Die Holzpagoden Chinas sind durchweg Mehreck-Konstruktionen. Das dreigeschossige Bauwerk ruht in einer einzigartigen Balance aufsteigender und lagernder Kräfte. Zugleich verharrt es durch ein ungewöhnlich differenziertes Spiel der Proportionen in einem Zustand von Spannung. All dies verleiht ihm trotz seiner Masse eine gleichsam schwebende Leichtigkeit.
Auf den ersten Blick scheinen sich Stockwerke und Dächer nach oben gleichmäßig zu verkleinern. Jedoch ändern sich die Verhältnisse der Außenwände zu den Dächern in jedem Geschoss. Das untere, als Träger des gesamten Aufbaus, ist kraftvoll breitgelagert und am höchsten. Das zweite Geschoss ist am niedrigsten, der oberste Tambour wieder höher. Dies bewirkt bereits einen unterschiedlichen Abstand der Dachränder voneinander. Ebenso verändert sich die Neigung der drei Runddächer sowie der Überhang ihrer Traufen, der sich nach oben vergrößert. Die Unterschiede sind optisch kaum wahrnehmbar. Der Neigungswinkel der beiden unteren Dächer ist fast identisch. Perspektivisch erscheint das unterste steiler. Beide zeigen eine kaum merkliche konkave Schwingung. Die Krone des Bauwerks, das Kegeldach, das tatsächlich einer kaiserlichen Kopfbedeckung gleicht, ist an den Traufrändern am flachsten und steigt dann in einer konkaven Kurve zu dem mächtigen, goldfarbenen Knauf an, in dem es gipfelt. Der Überhang der Traufdächer wird bestimmt durch die Anzahl der übereinander gestaffelten Konsolen, welche sie stützen . Am unteren Dach sind es zwei Konsolen. Sie bilden eine Reihe von sechs Konsolengruppen zwischen den Säulen, die das Dach tragen. Das mittlere Dach stützen drei Konsolen übereinander in einer Viererreihe zwischen den Pfeilern. Das obere Dach kragt am weitesten aus durch die Staffelung von vier Konsolen in zwei Reihen zwischen den Rundsäulen. In jedem Geschoss sind zwölf tragende Säulen sichtbar. Plastisch hervorgehoben gliedern sie die Außenhaut des Gebäudes. Diese besteht im Untergeschoss aus Holzwänden, die von Gitterfenstern durchbrochen sind und von der Eingangstür im Süden. Unter den Traufzonen aller Dächer verlaufen prächtige Ornamentbänder auf den Tragbalken.
Vertikal ergibt sich so ein Rhythmus aus Ansteigen, Verharren, Ansteigen. Er entfaltet sich in den Geschosshöhen und den senkrechten Stützpfeilern, deren horizontalen Abstände nach oben zu enger werden, was die Vertikaltendenz verstärkt - und nicht zuletzt in dem krönenden Knauf. Konterkariert wird dies durch die horizontalen Elemente: die niedrigen und breiten Geschosse, das waagerechte Balkenwerk und die Dachränder mit ihren weit ausladenden Traufen, welche tiefe Einschnitte zwischen den Geschossen bilden. Die schwungvoll abgeschrägte Silhouette der Dächer vermittelt zwischen beiden Tendenzen. Die elastische Kurvatur der Dachformen trägt beide in sich: man kann sie als mächtigen Abschwung lesen, der hinstrebt zur ausgebreiteten Fläche der Erde oder als stufenweises Aufsteigen in die Tiefe des Himmels - Gestalt gewordenes Sinnbild der Vereinigung von Himmel und Erde.
In aller Deutlichkeit drückt sich dies in den Dekormotiven aus. Auch hier sind Drache und Phönix gegenwärtig als Symbol von yang und yin. Sie finden sich in den Dekorstreifen unter den Traufen, in denen Gold vorwiegt vor Blau und Grün. Klar abgesetzt davon ist das Rot des Holzwerks im Untergeschoss, durchwirkt von Gold um die Gitterfenster. Alles beherrschend ist das Tiefblau der Dächer. In der Ming-Zeit war das obere Dach blau gedeckt, das mittlere gelb und das untere grün. Die riesige, goldgerahmte Tafel mit den drei Zeichen „Qi nian dian“ unter dem obersten Dach strahlt in einem leuchtenden Himmelblau.
Was sich im Außenbereich schon andeutet und was sich in der Kuppel des „Kaiserlichen Himmelsgewölbes“ als meisterhaftes Pendant darbietet, entfaltet sich im Innern in unübertroffener Vollendung: eine Holzkonstruktion von unglaublicher Komplexität und Kompliziertheit, der Höhepunkt einer Zimmermannstechnik, die auf jahrhundertelang tradierter Erfahrung beruht . Das gewaltige Balkenwerk wird durch eine ausgewogene Verteilung der Zug- und Druckkräfte im Gleichgewicht gehalten. Es ist ohne Benutzung von Nägeln miteinander verzapft und von solcher Haltbarkeit und gleichzeitiger Elastizität, dass es auch Erdbeben widerstanden hat. Die drei Dächer ruhen auf sechsunddreißig Säulen. Ein äußerer Ring von ca. 30 Metern Durchmesser, der aus zwölf Rundpfeilern besteht, stützt das untere Dach. Sie sind von außen zwischen den Wänden vollständig sichtbar. Ein zweiter Ring von zwölf Stützen trägt das mittlere Dach. Vier mächtige innere Säulen von fast 20 Metern Höhe ragen in die Zone des oberen Dachs. Gemeinsam mit acht kürzeren Säulen, jedoch von gleichem Durchmesser, bildet sie den dritten Säulenring, der die Kuppel des Kegeldachs trägt. Die acht kurzen Säulen ruhen wiederum auf vier riesigen Vierkantbalken, die zu einem Viertelkreisbogen geformt sind. Zusammen bilden sie einen Vollkreis. Sie sind in die vier Zentralsäulen eingelassen und lagern außerdem auf vier gewaltigen Querträgern. Diese bilden ein Quadrat, dessen Kreuzungspunkte sich hinter den vier Mittelsäulen treffen. Hier liegen sie den vier Diagonalbalken auf, die einerseits in die vier zentralen Pfeiler eingelassen sind und andererseits die Verbindung herstellen zu den Kreisbogenbalken des mittleren Dachs. Auch die Pfeiler des mittleren Rings sind durch starke Querriegel verbunden. In jedem Geschoss sind je nach Höhe mehrere Bogensegmente übereinander gelagert. Dieses verwickelte System wird ergänzt durch Reihen übereinander vorkragender Konsolen, welche die Geschosse verbinden. In der Kuppel steigen sie von den Bogenbalken in Viererreihen an bis zur Kassettendecke, unterbrochen von übereinander vorragenden Hebelbalken, die von den zwölf oberen Säulen ausgehen. In der Laterne ringelt sich ein goldener Wolkendrache als stark plastisches Hochrelief auf einem riesigen Medaillon .
In ihm gipfelt der Prachtwille, der im Farbdekor zum Ausdruck kommt, welches im Detail, anders als an der Außenfront, zur Buntheit neigt. Dies mag an der Restaurierung liegen. Im großen jedoch finden die scharf kontrastierenden Farben zu einem Zusammenhang. Die Kassettendecke wirkt leicht durch helle Grüntöne, gegen die sich der dunkelblaue Rand der Laterne absetzt und ihre Tiefe betont. Die grün-blauen Konsolen stehen hell vor einem dunkelroten Hintergrund. Die verschiedenen Deckenzonen und Architekturteile sind farbig deutlich voneinander abgesetzt, wodurch die konstruktive Gliederung hervorgehoben wird. Im wesentlichen sind die Horizontalstrukturen blau und grün angelegt, die Vertikalen der Säulen in Rot. Goldornament ist allgegenwärtig. Die Blau- und Grünfelder auf dem schweren Balkenwerk sind von mehrfach konturierten Mustern eingeschlossen und mit stark hervortretenden weißen Linien umrandet. Dies führt dazu, dass die Massigkeit der Balken aufgehoben wird. Die geometrischen Motive an den Balkenenden wirken wie abstrahierte Blütenblätter, aus denen der Balken hervorwächst. Es ist ein Ornament, das in der gesamten Architekturdekoration auftritt und sich vermutlich aus dem Lotosmotiv entwickelt hat. Außer Wolkenornamenten, sinnfällig auf den oberen Säulen, oder goldenen Blumenranken, wie auf dem Rotlack der vier Zentralsäulen, finden sich hier als die einzigen figürlichen Motive Drache und Phönix, wie ja auch am „Kaiserlichen Himmelsgewölbe“. Immer in Gold gearbeitet, erscheinen sie in Medaillons oder auf größeren Blau- oder Grünflächen der Balken. Einmal beherrscht der Phönix das Mittelfeld, verdoppelt wegen der Länge des Feldes und flankiert von zwei Drachen, auf dem nächsten Balken steht der Drache im Mittelpunkt. Die unentwegte Wiederholung dieses Motivwechsels erscheint wie eine formelhafte Beschwörung des ewigen Ausgleichs von yin und yang.
Und noch einmal erscheinen die beiden Symboltiere: in der Maserung der Marmorplatte im Zentrum des Bodenbelags. Es ist der „Drachen- und Phönix-Stein“ (Long feng shi), das Gegenstück zum Schlussstein im Mittelpunkt des Himmelsaltars, dem „Nabel der Welt“. An beiden hielt der Kaiser die großen Gebetsriten ab und sprach mit dem Himmel.
Diese kosmische Symbolik, die so gut wie in jedem einzelnen Bauteil zum Ausdruck kommt, zeigt sich nicht zuletzt in den Säulen, die das ganze Himmelsgebäude tragen. Die vier Riesenpfeiler in der Hallenmitte, die „Drachenbrunnensäulen“ (Long jing zhu) gelten als die Verkörperung der vier Jahreszeiten. Der nächste Kreis von zwölf Säulen steht für die zwölf Monate und die äußeren Säulen für die nach altchinesischer Zählung zwölf Stunden des Tages.
Es ist also die 12, die hier in der Zahlensymbolik erscheint, jedoch als Vielfache der yang-Zahl 3: In Verbindung mit der yin-Zahl 4. Auch darin zeigt sich, dass beide Mächte hier gegenwärtig sind. Und ebenso ist die Himmelszahl 9 hier wirksam. Zum Beispiel in den 3 x 12 Säulen, in deren Summe 36 die Quersumme 9 enthalten ist, wie etwa auch in den 72 Kassetten der Kuppel. Das gesamte Bauwerk ist auf solche Weise von diesem kosmischen Zahlensystem durchwirkt.
So eindrucksvoll ein so vielschichtiger Beziehungsreichtum ist, so großartig das spekulative Gedankengebäude, das in der Planung steckt, so tiefgründig die Weltschau: es ist die Gestalt dieses Bauwerks, seine gesamte Erscheinung, was ihm einen außerordentlichen Rang verleiht unter den Kulturdenkmälern, einzigartig nicht nur in der chinesischen, sondern auch in der Weltarchitektur.
Der Zhihua si
Zu den bemerkenswertesten buddhistischen Tempeln der Ming-Zeit gehört der „Tempel des Erlangten Wissens“ (Zhihua si) in Peking aus dem Jahre 1443, denn er zeigt typische Züge der Ming-Architektur, sowie einige Abweichungen.
Der schmale, langgestreckte Grundriss umfasst drei hintereinander liegende Haupthöfe verschiedener Größe. Im Vergleich zu älteren buddhistischen Anlagen sind sie - ebenso wie die Tempelbauten - von bescheidenen Dimensionen. Im ersten Hof erhebt sich östlich ein Glocken-, westlich ein Trommelturm . Beide sind zweigeschossige Pavillons. Das Torhaus am nördlichen Ende des Hofes beherbergt die vier Wächterkönige mit ihren heftig drohenden und abschreckenden Gesten. Der dahinter liegende größere zweite Hof ist flankiert von zwei Seitengebäuden mit einer Reihe von Luohan- und Bodhisattvafiguren. Das westliche enthält die Klosterbibliothek mit einem hohen, sechseckigen Sutren-Schrein. Eine vordere Buddha-Halle beschließt die Rückseite des Hofs. Die Haupthalle, die „Halle des Vollendeten“ (Buddha) (Ru lai dian) ist ein freistehendes Gebäude im dritten Hof. Im dahinter liegenden Bereich befinden sich einige kleinere Verehrungshallen und die Dormitorien und Wirtschaftsgebäude der Mönche.
Die doppelgeschossige, fünfjochige Ru lai-Halle misst nur etwa 20 x 30 Meter . Wie in den Ming-Palasthallen ist das Mittelschiff weiter, als die seitlichen Pfeilerabstände. Die drei Eingangstore des Obergeschosses haben keine waagerechten Türstürze, sondern Bogenabschlüsse. Diese in der chinesischen Holzarchitektur ungewöhnliche Form ist wahrscheinlich beeinflusst vom Gewölbebau, der als Stein- oder Ziegelkonstruktion in der Ming-Zeit einen erneuten Aufschwung nahm siehe auch. Typisch für die Ming-Auffassung der Konsolen ist ihre Verkleinerung und dekorative Reihung praktisch ohne konstruktive Aufgabe, weshalb auch der Überhang der Traufen geringer ausfällt, als bei älteren Bauten. Die dachtragende und traufenstützende Funktion wird von einem schweren Balkensystem weitgehend allein übernommen.
Höhepunkt des reich geschnitzten Innenraums war eine prachtvolle Holzkuppel, heute in Kansas City, welche die paneelierte Decke abschloss . In ein äußeres Balkenquadrat ist ein Achteck aus schmäleren Balken eingelassen, in dieses wiederum ein quadratischer Rahmen, der parallel zum Außenrahmen verläuft und dessen Spitzen an vier Schenkel des Achtecks stoßen. Dieses innere Quadrat wird von einem weiteren Quadrat durchschnitten, dessen vier Ecken in der Mitte jedes Schenkels des äußeren Rahmens auftreffen und das parallel zu dem Achteck verläuft. Die beiden inneren, um 90 Grad zueinander verschobenen Quadrate bilden auf diese Weise einen achtzackigen Stern, in dessen Inneren eine achteckige Öffnung entsteht. Von hier aus steigen acht trapezförmige Felder zu einem Medaillon an, das die Kuppel schließt. Das Rundfeld ist angefüllt von einem annähernd vollplastischen Himmelsdrachen in Hochrelief, der sich schlangenartig ringelt und von Wolken umkreist wird. Die Trapezfelder der Kuppel sind von acht äußerst lebensvoll sich windenden Drachen besetzt, von denen keiner dem anderen gleicht. Außer den erhabenen Teilen des Rahmenwerks sind sämtliche Felder mit plastisch geschnitzten floralen Mustern und Wolkenornamenten überzogen. Der Gegensatz zwischen der lebendig vibrierenden Oberfläche des Dekors und der strengen Geometrie des Rahmensystems verleiht der Kuppel einen höchst spannungsvollen Reiz. Ein Beispiel, das zeigt, auf welch hohem Niveau das Zusammenspiel von Architektur und Kunsthandwerk der Epoche stand.
Der Wu ta si
Der „Fünf-Pagoden-Tempel“ (Wu ta si) in Peking ist ein Solitär in der chinesischen Tempelarchitektur, von dem es nur einige wenige Nachahmungen gibt . Seine Erscheinung ist im chinesischen Kontext vollkommen exotisch, und es ist schwieriger, darin chinesische Elemente zu erkennen, als die seines Ursprungs. Er ist eine Nachschöpfung des nordindischen Mahabodhi-Tempels von Bodhgaya siehe auch, dem Ort, wo Buddha nach der Überlieferung die Erleuchtung gewann. Vorbild war eine Votivgabe, ein Modell des Erleuchtungstempels, das der indische Mönch Pandida als Geschenk dem Yongle-Kaiser überbrachte, zusammen mit fünf goldenen Buddhabildnissen. Um diesen wertvollen Gaben, die Reliquien gleichgesetzt wurden, eine angemessene Behausung zu schaffen, ließ der Kaiser das „Kloster des Wahren Erwachens“ (Zhen jue si) errichten. 1473 wurde dann auf Befehl des Cheng hua-Kaisers im Zentrum der Anlage der Fünf-Pagoden-Tempel nach dem Miniaturmodell des Pandida in Stein erbaut. Der damalige Name „Vajra-“ oder „Diamant-Pagode“ bezieht sich auf die unzerstörbare Wahrheit der buddhistischen Lehre, die der unzerstörbaren Härte des Diamanten gleicht.
Trotz seiner indischen Grundstruktur erinnert der Steinbau nur entfernt an das Vorbild. Die Ähnlichkeit besteht darin, dass sich auf dem Dach des Tempels fünf pyramidenförmige Türme erheben, ein deutliches Sinnbild der chinesischen wie auch der indischen Weltvorstellung: die vier Berge an den Ecken der quadratischen Erde und der Weltberg im Zentrum . Dem entsprechend ist der mittlere Turm der höchste, jedoch weisen sie sonst nur wenige Gemeinsamkeiten mit den indischen Türmen auf. Während der Zentralturm des Mahabodhi-Tempels sowohl das eigentliche Tempelgebäude wie auch die Ecktürme gewaltig überragt, ist der Mittelturm des Wu ta si mit seinen 13 Geschossen kaum höher, als die Ecktürme mit ihren 11 Geschossen. Auch ist die zentrale Pagode nicht höher, als der rechteckige Block des Unterbaus mit etwas über 12 Metern Höhe. Was das chinesische Bauwerk vor allem unterscheidet von seinem indischen Vorbild, ist die geradezu rationale Klarheit seines Aufbaus und seiner Gliederung: der quadratische Grundriss der Türme, ihre kubische Basis, die eine Cella evoziert mit tiefen Nischen an allen vier Seiten, die dicht übereinander folgenden Dachgesimse, die mit Ziegelimitationen gedeckt sind und welche die leicht angehobenen Dachecken der Holzarchitektur aufweisen, der krönende Stupa-Abschluss. All dies erinnert an einen älteren, einzelstehenden Pagodentypus der Tang-Zeit, wie etwa die kleine Pagode des Yun ju si auf dem Berg Fang, Hebei. Ein weiteres chinesisches Element ist ein doppelgeschossiger Pavillon mit quadratischem Unterbau und einem runden Obergeschoss, das ein Kegeldach trägt. Er steht auf dem Tempeldach vor dem Hauptturm zum Schutz des Treppenaufgangs, der vom Inneren des Tempels auf das Flachdach führt.
Die Strenge der Horizontalgliederung, völlig unindisch, findet sich auch am Unterbau, dem eigentlichen Tempel. Die Außenwände sind in sieben, das Gebäude bandartig umlaufende Zonen aufgeteilt. Die Sockelzone, von starken, mit Lotosblättern umkränzten Wulstgesimsen eingefasst, trägt Reliefs von buddhistischen Symbolen und Sanskrit-Zeichen . Darüber folgen fünf Zonen mit Darstellungen Buddhas in verschiedenen Gesten (mudras) . Jeder Buddha sitzt in einer Nische, die von einem Mehrfachbogen überwölbt ist, der im Scheitel in einer Spitze endet. Ein solcher Spitzbogen leitet sich ursprünglich vom altindischen Kudu-Motiv her, einem hufeisenförmigen Bogen, dessen Einfassung in einer Spitze ausläuft. Zwischen den Nischen stehen Pilaster, die anstelle von Kapitellen jene dreifachen Konsolenarme der Holzarchitektur tragen. Sie stützen scheinbar die Traufdächer, welche jede der Zonen begrenzen und die selbst wieder ziegelgedeckte lmitationen von Holzarchitektur sind. Die Reihen der Pilaster und Nischen ergeben eine gleichmäßige, wenn auch weniger auffallende vertikale Gliederung, als die horizontale. Den oberen Abschluss bildet die Dachbalustrade, die mit aufrecht stehenden, geometrisch stilisierten Lotosblättern dekoriert ist, wodurch der Sockel der fünf Pagoden gleichsam in eine riesenhafte, kubische Lotosblüte verwandelt wird, das Symbol der Erleuchtung .
So wuchtig das Gebäude von außen wirkt, so blockhaft ist es gebaut. Die gewaltigen Außenmauern, in welche die Treppengänge zum Dach eingelassen sind, tragen das Hauptgewicht der Ecktürme. Ein riesenhafter quadratischer Mauerblock, der das Tempelinnere fast völlig ausfüllt, trägt die zentrale Pagode. Auf jeder Seite des Blocks ist eine tiefe Nische eingelassen zur Aufnahme von vier monumentalen Buddhastatuen . Zwischen diesem Mittelblock und den Außenmauern ist lediglich Raum gelassen für ein schmales Ambulatorium von 1,80 Meter Breite. Diese Spanne war leicht zu überbrücken, um ein stabiles Flachdach zu konstruieren. Eine solche massive Bauweise entspricht dem indischen Massenbau, der bei gewaltigen Steinvolumen nur kleine Innenräume erlaubte. In China waren es Bauwerke wie die Si men ta, Shandong siehe auch oder die Da yan ta von Xi’an siehe auch, welche nach diesem Prinzip errichtet wurden.
Die vollständige Inkrustation des Gebäudes mit Reliefs entspricht indischen Gestaltungsprinzipien, wonach erst die Fülle plastischen Schmucks die letzte Sinnerfüllung der Architektur bedeutete. Hier steht der skulpturale Reichtum einem indischen Tempelbau in nichts nach. Noch bis hinauf in die Turmspitzen sitzen Buddhafiguren in ihren Aureolen zwischen den Dachreihen. Vollplastische Buddhas sind in die Cella-Nischen der Türme eingelassen, außen bewacht von Bodhisattvas in Hochrelief . Floraler Dekor überzieht Gesimse und Pilaster. Diese Schmuck- und Gestaltfülle ist hier jedoch in eine Ordnung gebändigt, die nirgends die geometrische Struktur des Bauwerks verunklart. Das ikonographische Programm, insbesondere in der Sockelzone und auf dem Bandgesims, das um die Rundbögen der Turmnischen und der beiden Hauptportale führt, weist auf tibetischen Einfluss. Zur Zeit des Pandida war der Buddhismus aus Indien weitgehend nach Nepal und Tibet abgedrängt worden und hatte stark synkretistische Züge angenommen. Sie zeigen sich auch in diesen Reliefs. Der Sockel ist in Felder eingeteilt, die an jeder Seite von einem aufrecht stehenden Vajra eingefasst sind, welcher, einst Wurfwaffe des Hindugottes Indra - der „Donnerkeil“ - im tibetobuddhistischen Kontext zum Zeichen des unzerstörbaren Absoluten wurde . Das Mittelfeld des Sockels an den Seitenfronten trägt den Dharma-Chakra, das „Rad der Lehre“, das Buddha in Bewegung setzte, als er seine Erkenntnis verkündete. Es wird flankiert von zwei geflügelten Wesen. Zu beiden Seiten sind die Felder mit weiteren buddhistischen Symbolen besetzt, darunter solche, die zu den Ashtamangala gehören siehe auch, den „Acht Kostbarkeiten“, die einst dem Weltenherrscher zugeordnet waren, mit dem der Buddha gleichgesetzt wurde. Sie werden in chinesischen und tibetischen Tempelklöstern oft auf Stelen oder Bannern dargestellt. Außer dem Rad sind es: der königliche Ehrenschirm; zwei Fische, die einen Ring bilden als Zeichen der Beherrschung des Erdkreises; das Muschelhorn, das den Sieg verkündet; die Lotosblüte, die zum Licht emporwächst, also zu Erleuchtung und Reinheit; die Vase mit dem Nektar der Unsterblichkeit; die Fahne als Triumphzeichen des Glaubens; die endlose Schlinge, welche die Unendlichkeit manifestiert. Nicht alle diese Symbole sind hier dargestellt. Zum Teil sind sie ersetzt oder sie sind ergänzt etwa durch den Chintamani, den mystischen Wunschjuwel, den gekreuzten Doppelvajra oder andere allegorische Zeichen.
Neben diesen buddhistischen Sinnbildern finden sich hinduistische Gottheiten, Symboltiere wie Löwe, Pferd und Pfau, Wächter der Himmelsrichtungen und Mischwesen. Besonders schöne Beispiele sind die reich geschmückten Gestalten mit lächelndem Antlitz und in Gebetshaltung, welche das Rad der Lehre flankieren . Jede trägt ein Diadem, schwere Ohrringe, Armreife, Ketten und Stoffgirlanden um den nackten Oberkörper, ganz nach indischer Art. Hinter ihren Schultern wachsen Flügel hervor. Insofern gleichen sie den Apsharas, den himmlischen Nymphen der indischen Mythologie. Ihr Unterkörper jedoch ist der eines Greifvogels mit gewaltigen Klauen und weit ausschwingendem Schwanzgefieder, ähnlich den griechischen Harpyien. Gekringelte Wolken und wellenförmig geschwungene Stoffbahnen deuten ihren Flug durch die Lüfte an. Es sind Gandharvas, himmlische Sänger und Musikanten des altindischen Pantheons.
Verwandt mit diesen Gestalten ist Garuda, das Reittier des Hindugottes Vishnu. Garuda ist hier dargestellt als eigenständige Gottheit ohne seinen Herrn. Sein nackter Oberkörper, Arme und Hände sind menschlich. Im Gesicht trägt er einen Adlerschnabel, die gefiederten Beine enden in Krallen, und er ist geflügelt. In Frontalsicht gegeben, thront er mit erhobenen Armen im Scheitelpunkt des breiten Bandgesimses, das den Rundbogen der Portale umfasst . Nach beiden Seiten sucht ein Schlangenwesen zu entfliehen. Es sind menschliche Gestalten, aus denen gewundene Schlangenschwänze hervorwachsen und die Schlangenkronen tragen. Es handelt sich um Schlangenkönige (Nagarajas), die ebenfalls der indischen Mythologie entstammen, vermutlich König und Königin. Sie werden von den Klauen Garudas festgehalten: Triumph der himmlischen Mächte über die irdischen. Ein zu Voluten gedrehtes Rankenwerk mündet an beiden Seiten des oberen Bogenteils in rüsseltragende Ungeheuer: Makaras, altindische mythische Wesen, die ganz allgemein Wasser symbolisieren, ursprünglich eigentlich den Fluss Ganges. Dargestellt sind hier also Wesen, welche Grundelemente des Lebens verkörpern: Himmel, Erde, Wasser. Motive und Komposition weisen darauf hin, dass diese Reliefs auf die Yuan-Darstellungen im oberen Teil des Bogenfeldes am Tor des Ju yong-Passes (Hebei) zurückgehen siehe auch.
Die seitlichen Felder des Portalbogens tragen auf jeder Seite unten einen Elefanten, darüber einen Löwen, der eine Tatze hebt, und einen geflügelten Widder . Auch diese Symboltiere sind hier im Kontext der altindischen Mythologie zu verstehen. Der Buddha erschien entsprechend bestimmten astrologischen Vorstellungen im Tierkreiszeichen des Widders (Mesha), der Löwe stellt die unüberwindliche Kraft der Lehre dar, der Elefant galt als Träger des Kosmos.
Wenn es sich auch bei dem Skulpturenschmuck des Fünf-Pagoden-Tempels eher um gediegene Handwerkskunst handelt, die vor allem durch ihr Bildprogramm interessant ist, so stellt die gelungene Integration dieser Bauplastik in die Architektur bei der ungeheuren Figuren- und Schmuckfülle eine bedeutende Leistung dar. Auch in dieser Hinsicht ragt dieses Bauwerk als eine Besonderheit in der chinesischen Architektur hervor.
Der Kong miao von Qufu
Durchweg der rein chinesischen Tradition verpflichtet dagegen ist ein Tempelkomplex, der dem einflussreichsten Denker der chinesischen Geschichte geweiht ist: der „Konfuzius-Schrein“ (Kong miao) von Qufu, Shandong. Es ist der Geburts- und Sterbeort Kong Qius (551-479 v. Chr.), der als Kong fu zi (Meister Kong) in die Geschichte einging. Als fürstlicher Ratgeber wenig erfolgreich, wurden seine Anschauungen, die er in Gesprächen mit seinen Schülern entwickelte, im engeren Umkreis doch so sehr geschätzt, das der Herzog von Lu das Haus des Meisters ein Jahr nach dessen Tod in einen Gedächtnis-Schrein umwandeln ließ. Schrein und Grab wurden in der Folge zu einem Wallfahrtsort für Literaten und Beamte, wenn sie in ein Amt berufen wurden, oder für Fürsten vor ihrem Regierungsantritt.
Mit dem wachsenden Einfluss konfuzianischen Gedankenguts, dessen fünf Textsammlungen Grundlage für die Beamtenprüfungen wurden, bildeten sich seit der Han-Zeit Verehrungsstätten in ganz China. Die Han-Kaiser förderten den Kult nach Kräften, da sie die ordnungsbildende Wirkung dieser hierarchischen Gesellschaftslehre erkannten. Jährlich zum Geburtstag des Meisters wurden an diesen Schreinen aufwendige Feiern abgehalten, die religiösen Zeremonien glichen. Es waren jedoch Gelehrte und Beamte, keine Priester, weiche die Liturgien vollzogen, und nur Literaten und Beamte nahmen daran teil. Diese Riten entsprachen denen des Ahnenkults: Kong fu zi erschien so als geistiger Vorfahr eines jeden Intellektuellen. Seine Kultstätten wurden daher auch „Schreine der Literatur“ (Wen miao) genannt. Der Hohepriester des Kults war der Kaiser selbst.
Die bedeutendste Stätte dieser Art war der Kong miao von Qufu. Sie war nach dem Kaiserpalast die größte zusammenhängende architektonische Anlage Chinas und stand unter besonderem kaiserlichen Schutz. Kongs Nachkommen wurden in den Rang von Herzögen erhoben. Zur Kaiserzeit war die Familie von erheblichem Einfluss. Sie verwaltete den Schrein bis ins 20. Jahrhundert. Der alte Familiensitz wurde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder umgebaut und erweitert, sodass sich hier Relikte aus allen Epochen seit der Han-Zeit finden. Der überwiegende Teil der heute noch erhaltenen, mehr als hundert Gebäude - und nicht zuletzt der Gesamtplan der Anlage - stammt aus der Ming-Zeit Ende des 15. bis Anfang des 16. Jahrhunderts. Einige wichtige Gebäude sind in der Qing-Periode wieder errichtet oder restauriert worden .
Die Stadt Qufu ist um den Tempel gewachsen, er bildet - leicht nach Westen versetzt - die Zentralachse der Stadt. Die mauerumschlossene Anlage erstreckt sich in der üblichen Süd-Nord Ausrichtung über 630 Meter. Die Ähnlichkeit des Layouts mit dem Kaiserpalast in Peking ist augenfällig. Auch deuten zahlreiche Details, die sonst nur kaiserlichen Bauten vorbehalten waren, darauf hin, dass dem Tempel das Privileg verliehen wurde, bestimmte Gebäude kaiserlichen Palästen im Rang gleichzusetzen. Den zeremoniellen Funktionen entsprechend gliedert sich der Tempelbezirk in zwei Bereiche: der Südteil diente der rituellen Annäherung an den Nordkomplex, in dem die Haupthalle liegt und wo die wichtigsten Zeremonien stattfanden.
Der Prozessionsweg, der am qingzeitlichen Südtor, Tor des Weisheits-Sterns (Lingxing men) beginnt, führt durch eine Abfolge von vier großen Vorhöfen, die von zum Teil sehr alten Zypressen und Kiefern bestanden sind. Die Portalbauten zu den Höfen stammen aus der Ming-Zeit. Ihre Dächer sind mit gelb glasierten Ziegeln gedeckt, die Mauern sind purpurrot verputzt, also den Farben der „Verbotenen Stadt“. Den zweiten Vorhof durchquert ein von Marmorbrüstungen eingefasster Flusslauf, über welchen drei Bogenbrücken führen - die Entsprechung zum „Goldwasserfluss“ des Kaiserpalastes . Entlang der Mittelallee stehen Gruppen von Inschriftenstelen, getragen von phantastischen Schildkröten in Pavillons aus allen Epochen seit der Han-Zeit. Das Hauptgebäude des Südkomplexes erhebt sich am Ende des vierten Hofs. Der „Pavillon der Gelehrtenversammlung“ (Kui wen ge) diente, außer als Zeremonialhalle, hauptsächlich als Bibliothek, wo alte Handschriften aufbewahrt wurden, darunter Manuskripte verschiedener Kaiser. Eine siebenjochige Holzkonstruktion der Jin, wurde der Pavillon unter den Ming um 1500 im Obergeschoss erneuert. Aus dieser Zeit stammen die ringsum führende Säulengalerie und das dreifach gestufte Dach. Wie bei den großen kaiserlichen Palasthallen führen zwei seitliche Anbauten als Durchgänge zum fünften Hof. Hier stehen zwei Reihen von insgesamt dreizehn nur durch ihre Größe unterschiedene Pavillons mit quadratischen Grundrissen und Doppeldächern . Sie bilden eine Barriere vor dem eigentlichen Schrein. Von den Seitentoren in der Mauerumfriedung aus erstreckt sich eine Straße zwischen den beiden Pavillonzeilen. Sie stellt nicht nur ein Intervall dar im Fortschreiten der architektonischen Entwicklung nach dem Schwerpunkt der Bibliothekshalle, sie ist zugleich eine wichtige, stark belebte Querachse der Stadt, welche die enge Bindung von Stadt und Tempelanlage anschaulich macht. Trotz ihrer Gleichartigkeit entstammen die Pavillons verschiedenen Epochen. Sie beherbergen über fünfzig Inschriftenstelen seit der Tang-Dynastie, worauf die Nachbildungen von handschriftlichen Widmungen der kaiserlichen Stifter eingemeißelt sind.
Hinter der Pavillon-Allee erstreckt sich der dreiachsige Komplex des Hauptschreins, analog zum Grundplan des Kaiserpalastes. Die Abfolge der Gebäude auf den Seitenachsen, die wiederum in kleinere Höfe aufgeteilt sind, ist annähernd parallel, die Proportionen der Verehrungshallen sind ähnlich. Die westliche Achse ist dem Andenken von Kong fu zis Eltern gewidmet, die östliche seiner Lehre und seinen Vorfahren. Hier soll auch sein Elternhaus gestanden haben. Der neunte und letzte der großen Höfe nimmt die volle Breite der Umfriedung ein. Leicht verschoben zur Tempelachse, mit dem Rücken zur abgeschrägten Nordmauer, stehen hier zwei Gebäudegruppen der Qing-Zeit. Es ist der Küchentrakt, der den Küchengöttern geweiht ist.
Die zentrale Achse, der Kernbereich der Anlage, ist vollständig von Säulengalerien umschlossen, ebenso wie der Hof mit der „Halle der Höchsten Harmonie“ im Kaiserpalast . Das Haupttor, flankiert von zwei Seitentoren, wurde nur bei Kaiserbesuchen und bedeutenden Festen geöffnet. Es ist das mingzeitliche „Tor der Großen Vervollkommnung“ (Da cheng men). Hinter ihm öffnet sich ein weiter Hof, in dessen Mitte sich ein quadratischer Pavillon auf einer Terrasse erhebt: der „Aprikosenaltar“ (Xing tan) . In dem offenen Gebäude aus der Ming-Zeit befinden sich zwei kaiserliche Inschriftenstelen. Das doppelte Zeltdach ist an allen vier Seiten mit dreieckigen Schmuckgiebeln verziert, was eine komplizierte Konstruktion voraussetzt.
Dahinter steht auf einer zweistufigen Steinterrasse die Haupthalle, „die Halle der Großen Vervollkommnung“ (Da cheng dian) . Hinter dem Gebäude verengt sich die Terrasse und erweitert sich dann wieder, ganz in der Form der Palastterrassen. Auf dem hinteren Teil erhebt sich die etwas kleinere „Schlafhalle“ (Qin dian), wo man Opferfeiern für Kong fu zis Gemahlin abhielt. Die Anordnung der beiden Bauwerke ist die genaue Entsprechung zu einer offiziellen Audienzhalle und dem dahinter liegenden Privatpalast.
Das letzte Gebäude auf der Hauptachse steht am Ende einer eigenen Einfriedung, die in den Nordhof hineinragt. Die Halle aus der späten Ming-Zeit ist die „Erinnerungshalle für den Weisen“ (Sheng ji dian). Hier werden Schriftstelen und über hundert Steingravuren aufbewahrt, die Szenen aus dem Leben des Meisters in Bild und Text illustrieren.
Das Hauptheiligtum, der große Konfuzius-Schrein, die Da cheng-Halle, wurde 1018 an dieser Stelle errichtet. Die älteren Vorgänger standen etwas weiter südlich im heutigen Vorhof. 1499 wurde die Halle von sieben auf neun Joche erweitert. 1724 wurde sie nach einem Blitzschlag neu errichtet, wobei der Ming-Charakter im wesentlichen erhalten blieb. Die weite Plattform vor der Südfront diente bei den großen Zeremonien für Musik- und Tanzaufführungen. Ihre beiden Stufen sind wie die Palastterrassen mit Marmorbalustraden und Wasserspeiern in Form von Drachenköpfen geschmückt, die Haupttreppe ist in der Mitte von einer Drachenrampe geteilt. Das Bauwerk selbst gleicht in allen Einzelheiten einer kaiserlichen Palasthalle. Es ist 26 Meter hoch und 47 Meter breit und trägt ein doppeltes Fußwalmdach mit gelb glasierten Ziegeln. Die äußeren Dachkanten sind mit neun mythologischen Figuren besetzt, was den höchstrangigen Gebäuden des Kaiserpalastes entspricht. Die Konsolen sind in typischer Ming-Manier dicht gereiht. Ebenso entsprechen die Pfeilerabstände der Kolonnade, die rings um das Gebäude führt, der Ming-Bauweise: die Mitteljoche der Frontseiten sind breiter, die äußeren Seitenjoche schmaler, als die übrigen. Die Säulenstellung in der Halle ist so angeordnet, dass im Hauptschiff ein großer Freiraum bleibt. Hier ist unter einem Baldachin die Statue des Konfuzius aufgestellt, ringsum Standbilder seiner Schüler und Nachfolger, sowie zahlreiche Altäre, die ihnen geweiht sind.
Eine Besonderheit besitzt die Da cheng-Halle, die kein Gebäude des Kaiserpalastes aufzuweisen hat: es sind die zehn marmornen Frontsäulen aus dem Jahre 1500 . Höchst lebendig, fast vollplastisch, winden sich zwei Wolkendrachen um jede Säule und jagen nach der Glücksperle. Trotz des selben Motivs gleicht keine Säule der anderen. Der Legende nach wurden die Säulen bei einem Besuch des Kaisers verhängt, um seinen Neid nicht zu erwecken.
Tempelhallen in Ziegelbauweise
Wenn auch Holz der weitaus überwiegende Baustoff der chinesischen Architektur war, so wurde für bestimmte Bauaufgaben nicht selten auch Stein- und Ziegelmauerwerk verwendet, so bei Fundamenten, Terrassen, Festungsmauern, Türmen, Torbauten, Brücken, Pagoden oder Grabanlagen, und zwar nicht nur als Füllmauer zwischen dem Holzfachwerk, sondern auch als selbsttragende Konstruktion. Bereits in der Han-Zeit benutzte man gebrannte Ziegel, um Grabkammern mit Krag- oder Tonnengewölben zu errichten siehe auch. Erst in der Ming-Zeit, als Stein- und Ziegelkonstruktionen häufiger benutzt wurden, wandte man die selbsttragende Ziegelbauweise auch in der Tempelarchitektur an. Offenbar durch längere Erfahrung mit gemauerten Bauwerken, waren spezialisierte Handwerker nun in der Lage, größere Räume zu überwölben, was vor der Ming-Zeit im Hallenbau unbekannt war. Man nannte diese Bauwerke mit echter Wölbung „Halle ohne Balken“ (wu liang dian). Es gibt nur einige wenige, vermutlich weil die Baukosten zu hoch waren und darüber hinaus erfahrene und daher vergleichsweise seltene Fachleute benötigt wurden. Solche Hallen finden sich heute noch u. a. auf dem Wutaishan in Taiyuan, Suzhou und Peking.
Der Ling gu si
Im „Tempel des Geistertals“ (Ling gu si) in Nanking, der 1381 hierher verlegt wurde, da er der Grabstätte des ersten Ming-Kaisers weichen musste, ist eine solche Halle erhalten, in der keine tragende Holzkonstruktion verwendet wurde .
Von außen ähnelt die Halle einem Torbau mit Rundbogendurchgängen. Auch die Dachform unterscheidet sich nicht von den üblichen Bautypen . Die Rundbogengewölbe der Eingangsportale führen hier jedoch nicht durch das gesamte Gebäude hindurch, sondern münden in einen mächtigen, querliegenden Saal, der das Bauwerk in seiner gesamten Ausdehnung durchzieht und von einer Tonnendecke überwölbt ist . Drei solcher Querschiffe liegen in der großen Halle des Ling gu si hintereinander. Sie sind durch Rundbogendurchgänge miteinander verbunden, die den Eingängen entsprechen. Um Druck und Zug der Gewölbe standzuhalten, waren massige Ziegelmauern notwendig. Daher kommt es, dass nicht nur die Außen- sondern auch die Innenmauern, welche die Querschiffe trennen, von gewaltigen Ausmaßen sind. Die zwischen den Durchgängen verbleibenden Mauerpfeiler sind so breit wie tief. Ihre monumentale Massigkeit, zusammen mit dem besonders im mittleren Querschiff spärlich einfallenden Licht, vermittelt eher den Eindruck einer riesenhaften Krypta, als den gewohnten Anblick einer chinesischen Tempelhalle.
Der Zhen wu miao von Yanggao
Ein ebenso seltener Gebäudetyp, der erst unter den Ming entwickelt wurde, waren die „Schreine der Treuen Krieger“ (Zhen wu miao) , die man entlang der Großen Mauer errichtete als Ehrenhallen für die Gefallenen und zur Stärkung von Mut und Verteidigungsbereitschaft der Soldaten. Ebenfalls Ziegelkonstruktionen, sind sie verwandt mit den Wu liang-Hallen. Nur wenige solcher Schreine sind erhalten, einer davon bei Yanggao, Shanxi. Die 1485 erbaute „Große Halle“ (Da dian) gleicht ebenfalls von außen solchen Torbauten mit Bogendurchgängen, wie sie etwa im Bereich des Himmelstempels zu finden sind. Das fensterlose Bauwerk wirkt kraftvoll und gedrungen durch das schwere, massive Mauerwerk, das leicht geböscht und vollkommen schmucklos bis zur Traufzone ansteigt. Über einem ringsum laufenden Gesims, das dem Horizontalgebälk der Holzarchitektur entspricht, reihen sich Scheinkonsolen dicht aneinander in der vom Holzbau entlehnten Form. Dieses Konsolenrelief tritt nur wenig hervor. Entsprechend gering ist die Ausladung des Traufdaches, dessen gemauerten Tragbalken sie scheinbar stützen. Das einfache Fußwalmdach ist an allen Seiten leicht einwärts gekrümmt. Die Giebelfronten sind mit runden Ziegelköpfen dekoriert, die aneinander gereiht parallel mit den Dachrändern verlaufen, wodurch ein breites Gesimsband entsteht, welches dem Dach Schwere verleiht. Die Dachreiter an den Giebelspitzen, die den Schrein vor Feuer schützen sollen, krönen den Schmuck des Dachs, dessen Ausgestaltung das Gebäude in die Nähe von kaiserlichen Palasthallen rückt, die als Vorbild gedient haben.
Die Ziegelpavillons des Xian tong si
Der „Fünf-Terrassen-Berg“ (Wutaishan), Shanxi siehe auch war Sitz zahlreicher buddhistischer Klöster verschiedener Richtungen seit der Buddhismus in China Fuß fassen konnte. Das größte und älteste Kloster Xian tong si stammt aus der östlichen Han-Zeit Mitte des 1. Jhds. n. Chr. Die heutigen Gebäude entstanden in der Ming- und der Qing-Periode.
Am Ende einer weitläufigen Hofanlage, die von vier großen Hallen beherrscht wird und vollständig umsäumt ist von Nebenhallen, erhebt sich auf einer Terrasse ein ungewöhnliches Gebäude Ensemble, das Ende des 16. Jahrhunderts errichtet wurde. Zwei Treppen führen von den Seiten zur „Terrasse der Fünf Pagoden“, genannt nach fünf Bronzepagoden von unterschiedlicher und höchst eigenwilliger Gestalt : sie sind flaschenförmig oder bestehen aus übereinander geschichteten Polyedern oder bleistiftdünnen Stockwerktürmen. Sie sind zwischen fünf und sechs Meter hoch. Auf einem hohen gemauerten Sockel oberhalb der Fünf-Pagoden-Terrasse erhebt sich ein zierliches, zweigeschossiges Gebäude mit quadratischem Grundriss. Zwei seitliche Treppen führen hinauf . Es trägt ein Fußwalmdach mit konkav geschwungenen Traufen, das an den Kanten und am First von Dachreitern besetzt ist. Über dem in gleicher Weise geschwungenen Dach des ersten Geschosses führt eine Galerie um das zurückgesetzte obere Stockwerk. Die Stützpfeiler an den Ecken und die Zwischenpfosten sind so dünn und zartgliedrig, dass sie ihre Funktion gerade noch zu erfüllen scheinen. Dieser kleine Turmpavillon scheint mit äußerster Ökonomie den Gesetzen der Holzarchitektur gerecht zu werden. Doch er besteht aus Bronze. Die optische Leichtigkeit dieser Architektur-Skulptur, in der einige Tausend Kleinbronzen aufbewahrt werden, bildet einen reizvollen Kontrast zu den massigen, flankierenden Ziegelpavillons, die sie wie kraftvolle Wächter zu beschützen scheinen .
Ihre Proportionen gleichen sich. Nur in einigen Details gibt es geringe Unterschiede. Es sind doppelgeschossige Pavillons mit aufwendig gestalteten Fußwalmdächern. Der hochgezogene First ist mit reichem, floralen Reliefschmuck überzogen, ebenso die Giebel . Die Dachecken tragen jeweils vier Dachreiter, die Giebelspitzen kleine Akrotere.
An den Frontseiten durchbrechen in jedem Geschoss drei Rundbogenöffnungen das dicke Mauerwerk. Ein breiter Fries umläuft das Tor in der Mitte und die seitlichen Fenster. Ungewöhnlich sind die dekorativen Rundfenster zwischen den Konsolen unter dem Dach. Sie bereichern die Traufzone und tragen zum „barocken“ Aussehen des Bauwerks bei. Im Unterschied zu der monumentalen und schlichten Wandbehandlung des Zhen wu miao wurde hier alles getan, die konstruktiven Elemente des Holzbaus in das Ziegelmauerwerk zu übertragen und so deren dekorative Wirkung zu bewahren sowie den Rhythmus von Wandfläche und Säulenrelief. So treten vier halbrunde Pfosten zwischen den drei Rundbogenöffnungen und an den Gebäudeecken aus der Wand hervor und suggerieren eine dreijochige Halle in jedem Geschoss. Die scheinbar aufliegenden horizontalen Tragbalken, die Säulenköpfe, die Konsolen unter dem Traufdach sind Ziegelimitationen, ebenso das umlaufende Geländer über dem Dach des Untergeschosses.
Die Ziegelpavillons des Hui ju si
Fast zeitgleich mit dieser Tempelgruppe entstand als Teil des älteren „Klosters, wo die Weisheit wohnt“ (Hui ju si) auf dem Baohuashan, Jiangsu, ein Architektur-Ensemble, das nicht nur im Konzept, sondern in fast allen Einzelheiten eine solche Ähnlichkeit aufweist, dass hier Einflüsse von dem einen auf das andere Projekt anzunehmen sind. Der Komplex des Xian tong Klosters entstand um 1600, der im Hui ju si wurde 1605 vollendet, wobei nicht bekannt ist, welcher Plan der ursprüngliche war. Im Falle des Hui ju Klosters ist der Erbauer bekannt: der Mönch Miao Feng, ein damals berühmter Architekt und Entwerfer von Bildwerken.
Auch im Hui ju si wurden zwei doppelstöckige Backsteingebäude errichtet, zwischen denen ein zweigeschossiger Bronzepavillon stand, worin eine Statue des Bodhisattvas Guan yin verehrt wurde. Dieser Pavillon wurde während der Tai ping Aufstände siehe auch zerstört. An seiner Stelle steht heute ein gemauerter Pavillon, der jedoch keine Rückschlüsse auf das Aussehen der Bronzehalle (Tong dian) erlaubt. Es sind die beiden Seitengebäude, die sich wie Zwillingsbauten der beiden Ziegelpavillons auf dem Wutaishan ausnehmen : Fußwalmdächer, umlaufende Zierbalustraden im ersten Stock, drei Tür- und Fensteröffnungen an den Frontseiten in jedem Geschoss. Die Abweichungen sind gering: die beiden Fenster des Obergeschosses haben keine Rundbögen, sondern waagerechte Oberschwellen, und auf die aus der Wand vortretenden Scheinpfeiler wurde verzichtet. Dennoch bleibt die Gliederung der Gebäude in drei Joche deutlich gekennzeichnet. Im Untergeschoss sind dort, wo die Pfeiler enden würden, Kapitelle angebracht mit jenen seitlich ausladenden, flügelförmigen Konsolen, die typisch sind für die Palastarchitektur der Zeit. Das Gesims, das sie scheinbar stützen und welches das horizontale Tragbalkenwerk des Holzbaus ersetzt, ist mit ornamentalen Reliefs geschmückt. Die Nachahmung der Holzkonstruktion geht auch hier noch so weit, dass die vorstehenden Enden der Hebelbalken (ang) imitiert wurden . Ebenso reich ist der Architekturschmuck an den Dächern und in den Traufzonen. Die Konsolen bilden einen fortlaufenden Fries unter dem ersten Dach, dazwischen Reliefs von Wolkendrachen und Vögeln. Unter dem oberen Dach wechseln die Konsolen mit dekorativen Rundfenstern wie sie auch an den Pavillons des Xian tong Klosters zu finden sind. Das breite Bandgesims aus Terrakotta, das um die Rundbogenöffnungen führt und das im Untergeschoss noch gut erhalten ist, zeigt stark plastische Wächterfiguren, Wolken und Drachen, über denen Buddhafiguren im Scheitelpunkt thronen.
Der dekorative Stil der beiden „Hallen ohne Balken“, die den Bodhisattvas Pu xian (Samantabhadra) und Wen shu (Manjushri) geweiht sind, zeigen deutlich den Einfluss des Palaststils von Peking, der ohne Zweifel auch die drei Hallen des Xian tong si auf dem Wu tai shan inspiriert hat.
Pagoden
Einer der Gründe, weshalb die Pagode als Bauaufgabe seit der Ming-Zeit keine Herausforderung mehr darstellte, mag in der untergeordneten Stellung zu suchen sein, welche die Pagode im späteren Buddhismus einnahm siehe auch. Man griff im wesentlichen auf Formen der Liao und Song zurück, die man geringfügig variierte, hauptsächlich im Dekor.
Die Pagode von Balizhuang
Im „Tempel des Mitleids und des Langen Lebens“ (Ci shou si) von Balizhuang, einem westlichen Stadtteil Pekings, steht eine Pagode, die der liaozeitlichen Pagode des Tian ning si siehe auch zum Verwechseln ähnelt und die auch oft mit ihr verwechselt wird . Der Ziegelturm von Balizhuang besitzt den gleichen Achteckgrundriss und die Dreiteilung von Sockel, Cellageschoss und dreizehn so dicht übereinander gesetzten Stockwerken, dass lediglich die dreifachen Konsolenarme, welche die Geschossdächer scheinbar stützen, noch dazwischen Platz finden. Die Unterschiede sind kaum bemerkbar. Während die Silhouette der Tian ning Pagode in einer leichten, sich verjüngenden Kurve ansteigt, die den Eindruck eines gleichsam organischen Wachstums hervorruft, zeigt der Umriss der Ci shou Pagode einen gradlinigen Anstieg, was ihr eine gewisse Starrheit verleiht. Das buddhistische Juwel auf der Spitze der Tian ning Pagode erscheint wie eine mächtige Krone, das der Ci shou Pagode ist vergleichsweise klein und unscheinbar. Wie auch ihr Vorbild hat sie Scheintüren mit Rundbögen nach den Haupthimmelsrichtungen im Cellageschoss und Scheinfenster nach den Zwischenrichtungen, die hier im Unterschied zur Tian ning Pagode ebenfalls Rundbögen haben. Grimmige Wächter flankieren auch hier die Türen und Bodhisattvas die Fenster. Die Gliederung der Sockelzone ist fast identisch mit dem Vorbild . Sie besteht aus neun Schichten von Kranzgesimsen. Die hervorstechendsten sind die konsolengestützte Scheinbalustrade, die einen Gebetswandelgang suggeriert und die doppelte Lotosreihe unter dem Cellageschoss. In Nischen am Mittelteil des Sockels sind an der Ci shou Pagode Szenen aus dem Diamant-Sutra dargestellt. So reich ihr Vorbild verziert ist, der ornamentale und der Figurenschmuck wurde hier noch üppiger ausgestaltet. Tür- und Fensterbögen sind mit stark bewegtem Hochrelief geschmückt, über den Fenstern thronen Buddhafiguren, auf den Eckpfeilern winden sich stark plastische Drachenreliefs, die Scheinarchitrave sind mit filigranen Mustern überzogen. Der obere Querbalken des Cellageschosses, auf dem die Konsolen des untersten Dachgeschosses ruhen, ist ringsum mit einer Reihe winziger, auf Lotosthronen sitzender Buddhas versehen.
Der heute verschwundene Ci shou si wurde 1576 als Erinnerungstempel für den verstorbenen Kaiser gegründet. Auch die Pagode wird dieser Zeit zugeordnet. Der Stil und besonders der üppige Reichtum des Dekors könnten jedoch darauf hindeuten, dass die Pagode von Balizhuang bereits unter den Yuan entstand und in der Ming-Zeit lediglich Restaurierungen daran vorgenommen wurden.
Pagodenpfeiler
Wenn auch die Pagode keine architektonische Neuerung erfuhr, so wurden doch während der Ming-Zeit eine unübersehbare Zahl von Pagoden errichtet, die allerdings nicht mehr den Verehrungsmittelpunkt einer Klosteranlage bildeten. Verbreitet waren Pagodenpfeiler, die vielfach paarweise errichtet wurden, zuweilen auch in ganzen Gruppen, wobei man sich auch an phantastische Variationen wagte, die bei großen Pagoden bautechnisch nicht ausführbar waren. Solche Gebilde gehören in den Bereich der Skulptur, wenn man für sie auch architektonische Formen benutzte. Ein typisches Beispiel dieser Art sind die Bronzepfeiler auf der „Fünf-Pagoden-Terrasse“ im Xian tong Kloster auf dem Wutaishan .
Die Zwillingspagoden des Yong zuo si
Zugleich errichtete man auch Pagoden von mächtigen Ausmaßen und große Doppelpagoden, die schon unter den Song aufkamen, wie etwa die Zwillingspagoden (Shuang ta) von Suzhou siehe auch. Zwei solcher Pagodentürme erheben sich im „Kloster der Unendlichen Glückseligkeit“ (Yong zuo si) von Taiyuan, Shanxi . Sie stammen aus der Wan li Periode (1573-1620) als der Kaiser das Kloster zu Ehren seiner Mutter bauen ließ. Es sind identische Achtecktürme, die im Abstand von gut 30 Metern voneinander zu einer Höhe von ca. 60 Meter ansteigen. Nach oben verjüngt sich ihr Umriss in einer leichten Kurve. Dreizehn Geschosse sind hier übereinander getürmt mit vorspringenden Dächern, die von dem üblichen Konsolengesims gestützt werden . Nach allen acht Himmelsrichtungen öffnen sich in jedem Stockwerk Rundbogenfenster bzw. -türen. Es handelt sich um echte Öffnungen, da die Pagoden zugänglich sind und im Inneren Wendeltreppen nach oben führen. Die achtkantigen, helmförmigen obersten Dächer sind von einem großen buddhistischen Juwel gekrönt.
Auch hier wurden die Grundformen des Holzbaus weitgehend in die Ziegelbauweise übertragen. Man verzichtete jedoch auf die dekorative Nachahmung von Eckpfosten, was den Türmen eine gewisse Schlichtheit verleiht. Grundsätzlich wurde hier auf reinen Zierrat verzichtet. Alle gliedernden und schmückenden Formen wie Konsolen oder Gesimse sind der Architektur entnommene Elemente . Die Vertikale, die allein schon das Wesen des Turmes ausmacht, wird lediglich durch die Turmkanten verstärkt und durch die übereinander gereihten Fenster, die Horizontale durch die dreizehnfach vorspringenden Dächer. Auf diese Weise entsteht ein spannungsvoller Kontrast, der allein mit architektonischen Mitteln hervorgerufen wird.
In Analogie zu den Backsteinhallen „ohne Balken“ nannte man die gesamte Tempelanlage „Tempel ohne Balken“, da auch die übrigen Gebäude in Ziegelsteinen ausgeführt wurden.
Grabanlagen
Das Xiao ling
Zu den bedeutenden architektonischen Leistungen der Epoche gehören die Grabbauten der Ming-Kaiser. Vorbild für die Mausoleen in dem einzigartigen Grabbezirk Shi san ling bei Peking siehe auch war das Grab des ersten Ming-Kaisers Zhu Yuan zhang in Nanking, nach seiner Regierungsdevise Hong wu-Mausoleum genannt oder Ming xiao ling. Nach alter Tradition ließ er, wie bereits der Erste Kaiser Qin shi Huang di, sein Grabmal noch zu Lebzeiten errichten. Um ein Erinnerungsmal zu erhalten, das seiner eigenen Größe gerecht würde, orientierte er sich an den Kaisergräbern der Tang, deren gewaltige Monumentalität seinem Anspruch entsprach. Zwar erreichte seine Grabanlage nicht die Dimensionen etwa des Qian ling siehe auch, dessen „Seelenweg“ (Shen dao) sich allein schon über 2,5 Kilometer erstreckt. Dennoch gelang mit seinem Grabmal ein Monument von eindrucksvoller Größe, nicht zuletzt wegen der dramaturgisch durchdachten Gliederung des Prozessionswegs, die er von den Tang-Gräbern übernahm und die ja auch bereits bei den Song-Mausoleen Tradition geworden war. Trotz seiner geringeren Ausdehnung - der Seelenweg misst „nur“ 800 Meter - wurde durch die Abfolge von Toren, Skulpturen, Stelen und Türmen diese Wirkung erzielt und die eigentümliche Struktur der späteren Kaisergräber vorgeprägt .
Die Anlage war von einer 20 Kilometer langen Mauer umgeben. Sie wurde während der Tai ping Revolution siehe auch in den Kämpfen zwischen Rebellen und den Qing-Truppen in Teilen zerstört. Der Shendao beginnt im Süden mit einer Massivkonstruktion, dem „Großen Goldenen Tor“ (Da Jin men) . Etwas weiter erhebt sich ein Pavillon mit einer hohen Stele auf dem Rücken einer Schildkröte, dem Symbol langen, das heißt ewigen Lebens . Beide Gebäude liegen nicht auf der Süd-Nord-Achse zum Grab, sondern weiter nach Osten versetzt. Ihre Dächer sind eingestürzt. Der Stelenpavillon, Quadratpavillon, (Si fang cheng) hat an allen vier Seiten einen Torbogen, der im Scheitel in einer kaum wahrnehmbaren Spitze endet, also einem Spitzbogen angenähert ist wie die meisten Ming-Rundbögen. Offenbar traute man dem steiler gemauerten Spitzbogen größere Festigkeit zu, als dem perfekten Rundbogen. Das Kapitell der Stele zeigt an jeder Breitseite außer filigranem Wolkenornament zwei symmetrisch angeordnete Drachen mit kompliziert verschlungenen Schlangenleibern, zwischen denen eine Glücksperle schwebt, die von einer Flammenaureole gekrönt ist. An den Schmalseiten sind drei identische, dämonenhafte Köpfe von Drachen dargestellt . Sie haben breite Schnauzen, rund hervorquellende Augen und Hörner. Insgesamt sind also sechs Hörner tragende Drachen (kui) auf dem Kapitell dargestellt. Diese Form des Drachenkapitells findet sich ähnlich auf allen Schildkrötenstelen der Epoche. Auffallend ist, dass diesen Drachenköpfen der Unterkiefer fehlt. Sie haben eine erstaunliche Ähnlichkeit mit der altindischen Maske des Dämons Rahu, dem ebenfalls der Unterkiefer fehlt und der an den Giebeln indischer Tempel erscheint. Dies könnte vielleicht den Ursprung des Motivs erklären.
Nach einer Biegung in nordwestliche Richtung überquert der Seelenweg eine Brücke und führt dann durch eine dichte Baumallee zwischen monumentalen Steinskulpturen hindurch, die ein Ehrenspalier bilden, das nur etwa drei Meter breit ist. In der Wegmitte verhinderten niedrige Steinpfosten, dekoriert mit Wolkenreliefs, dass Wagen oder Karren hier passieren konnten. Auch Reiter mussten schon weit vor dem heiligen Bezirk absteigen. Die Skulpturen gehören zu den bedeutendsten Bildhauerarbeiten der Ming-Epoche siehe auch. Zunächst sind es zwölf Tierpaare . Hinter einer erneuten Wegbiegung nach Norden akzentuieren zwei Ehrensäulen ein Intervall, worauf sich das Skulpturenspalier fortsetzt mit hohen Militär- und Zivilbeamten, insgesamt acht, die sich ebenfalls paarweise gegenüber stehen. Diesen Abschnitt beschloss ein weiteres Tor, das heute verschwundene „Drachen- und Phönix-Tor“ (Long feng men), hinter dem der Weg wiederum die Richtung wechselt, nun nach Nordosten. Nach ca. 300 Meter wendet sich die Seelenstraße zum letzten Mal und erstreckt sich nun nach Norden wie bei Palast- und Tempelanlagen üblich. Diese Wegführung sollte durch ihre Krümmungen übelwollende Dämonen in die Irre führen. Sie gründete aber auch auf einer landschaftlichen Gegebenheit. Genau südlich des Mausoleums liegt ein Hügel, um den herum der Seelenweg angelegt wurde. Nach der Überlieferung ruht hier der Gründer des Wu Staates aus der Zeit der Drei Reiche, Su Quan. Als Heros der Vorzeit sollte er als Schutzgeist des Kaisergrabes wirken.
Die Achse des Prozessionswegs durchquert nun drei mauerumschlossene Vorhöfe, an deren Ende sich der Grabhügel erhebt. Hinter dem roten Torbau, der durch die Umwallung führt, öffnet sich der erste Hof. Auf einer Terrasse steht anstelle des ursprünglichen Ming-Baus ein jüngerer Pavillon, in dem Inschriftenstelen aufgestellt waren, unter anderen eine Stele des zweiten Qing-Kaisers Kang xi. Im zweiten Hof stand ehemals eine neun mal fünfjochige Halle von etwa 60 Meter Breite. Heute steht hier eine kleine Halle aus der Qing-Zeit. Aus der Ming-Epoche sind nur noch die Terrasse, zu der drei Treppenfluchten mit Drachenrampen hinaufführen, und die Säulenbasen vorhanden. Es war die „Halle der Erhabenen Gnade“ (Ling en dian), wo die Trauerzeremonien abgehalten wurden. Sie dürfte der Ling en dian in der Grabanlage des Yong le-Kaisers bei Peking siehe auch geglichen haben. Auch das letzte Tor stammt aus späterer Zeit. Es bildet den Zugang zum hintersten Hof. Er ist schmal und langgestreckt und wird von einer dichten Baumallee flankiert. Ein Kanal durchquert ihn, über den eine dreifache Bogenbrücke aus weißem Marmor führt . Am Ende erhebt sich der mächtige Block eines Quaderbaus von 64 x 36 Metern an der Grundfläche, dessen Mauern in einer starken Böschung 15 Meter ansteigen, was ihm einen wuchtigen, festungsartigen Charakter verleiht. Hier erhebt sich die Rekonstruktion des Pavillons, in dem die Grabstele des Kaisers aufgestellt wurde. Das doppelte Fußwalmdach ist mit roten Ziegeln gedeckt und trägt zwei mächtige Akrotere in Form eines Chi wei siehe auch auf den Giebeln am Ende eines waagrechten Firsts, ebenso wie die neun Dachreiter an den Dachkanten der Kaiserlichen Paläste. Das rote Mauerwerk der Südseite wird durchbrochen von drei Rundbogentoren. Im Unterschied zu späteren Grabstelen-Pavillons ist dieser Bau breitgelagert wie eine Palasthalle. Gemeinsam mit dem grauen Steinblock des Unterbaus bildet er den ersten Seelenturm (ming lou) siehe auch der Kaisergräber . Durch den massiven Baukörper führt ein tunnelartiger Gang, der mit einer Tonnendecke überwölbt ist. Er steigt so steil an, dass später anstelle einer Rampe eine Treppe angelegt wurde. Am Ende mündet er auf eine Terrasse, die unmittelbar an den Grabhügel anschließt. Von hier führt auf jeder Seite eine Treppe zu zwei seitlichen Rampen, die zu der von Zinnen umschlossenen Plattform ansteigen. Der mächtige Tumulus hinter dem Seelenturm wurde auf einem nach Süden abfallenden Sporn des „Purpur- und Gold-Berges“ (Zijinshan) aufgeschüttet, wodurch der Grabhügel an zusätzlicher Höhe gewann. Da die Umfassungsmauer des Tumulus der Geländeformation folgt, nimmt sie eine unregelmäßige Kreisform an, die an der weitesten Stelle einen Durchmesser von ca. 380 Metern hat. Der bewaldete Grabhügel wächst aus den Ausläufern des Berges empor. Er ist Teil des Berges, wie der Berg zum Teil des Grabes wird.
Obwohl diese Grabanlage ihr originales Aussehen verloren hat und ihre Wirkung durch Zerstörungen und Veränderungen sicherlich nicht mehr die ursprüngliche ist, gehört sie zu den imposantesten Chinas, nicht zuletzt dank der Art, wie sie in die Landschaft eingebettet ist.
Die Dreizehn Ming-Gräber
Die landschaftliche Komponente spielte stets eine grundlegende Rolle bei der Auslegung eines Architekturplans, insbesondere bei Palast- und Sakralanlagen. So wurde auch die Grablege des Yong le-Kaisers entsprechend den Prinzipien der Wahrsagekunst von „Wind und Wasser“ (feng shui) siehe auch angelegt, nachdem Peking Regierungssitz geworden war. Man wählte ein weites Tal ca. 45 Kilometer nordwestlich der Stadt, das später den Namen „Dreizehn Gräber“ (Shi san ling) erhielt, da hier dreizehn Ming-Kaiser bestattet wurden. Das riesige Areal von fast 40 Quadratkilometern war von Anfang an dazu bestimmt, auch die Grabstätten der Nachfolger des Yong le-Kaisers aufzunehmen. In noch größerem Umfang, als der erste Ming-Kaiser in Nanking, griff man in gewachsene Siedlungsstrukturen ein. Während Hong wu nur einen Tempel umsetzen ließ, den Ling gu si, um den idealen Platz für sein Grab zu erhalten, wurde hier die gesamte Bevölkerung des Tals umgesiedelt und die enteigneten Bauern für die Bauarbeiten herangezogen.
Das Gelände eignete sich in geradezu vollkommener Weise für den vorgesehenen Zweck . Nach Norden, Osten und Westen bildet die Bergkette des Tianshoushan einen weitläufigen Bogen und bietet so Schutz vor den nördlichen Winden und unheilbringenden Geistern. Im Süden flankieren der Tiger- und der Drachenhügel (Wohushan und Longshan) die Talsohle gleich Ehrentürmen am Beginn eines Grabwegs. Von Nordwesten herabkommend fließen zwei Wasserläufe zusammen und bilden einen kleinen Fluss, der alle Wasseradern ringsum aufnimmt, das Tal durchquert und heute in ein Wasserreservoir mündet. Solche Wasserläufe galten als positive Zeichen und wurden als glückverheißend angesehen. So halten sich nach Auffassung des feng shui an diesem Ort die dynamischen Kräfte der Natur in einem stetigen Gleichgewicht.
Im Einklang mit der Natur ist auch die Heilige Straße angelegt. Wie der Stamm eines Baumes durchquert sie die Talsohle und endet nach einigen Biegungen, die weniger abrupt sind als am Hong wu Grab, am Mausoleum des Gründers der Nekropole. Vom Hauptstamm zweigen die Grabwege zu den anderen Mausoleen ab, weit ausgreifende Äste einer Baumkrone. Da sie dem Gelände folgen, entstehen die natürlichen Krümmungen und Windungen eines organischen Wachstums. In dieser Hinsicht unterscheidet der Seelenweg sich von der streng axialen Ausrichtung der Prozessionsstraßen, die zu den Palästen führen. Anpassung an die topographischen Gegebenheiten, Harmonie mit der umgebenden Natur waren hier maßgebend für den Wegeplan. Dies ist auch der Grund, weshalb nicht alle Gräber der üblichen Süd-Nord Ausrichtung folgen. Wie Früchte an den Enden von Zweigen der sich ausbreitenden Baumkrone sind sie an die Hänge gebettet, welche das Tal gleich einem Amphitheater umschließen. Erst innerhalb der Grabanlagen - seltener bereits in ihrer Nähe - dominieren wieder Axialität, zeremonielle Strenge und Symmetrie. Das Areal wurde nach Süden hin von einer Mauer abgeriegelt, die wie die Große Mauer über Hügel und Täler führte. Die Höhen im Norden waren von Wachen besetzt. Unerlaubtes Eindringen wurde mit dem Tode bestraft. Kein Baum durfte gefällt, kein Stein entfernt werden. Außer dem Kaiser und seinem Gefolge sowie dem Heer von Aufsehern und Arbeitern durfte kein Lebewesen den Gräberbezirk betreten.
Das Marmortor
Der „Geister- oder Seelenweg“ (shen dao) beginnt mit einem Ehrenportal, dem „Marmortor“ (Shi pai fang) . Es steht noch außerhalb des eigentlichen Gräberbezirks, denn es wurde erst ein Jahrhundert nach dessen Fertigstellung errichtet, 1540. Das eigenartige Gebilde, das in dieser Form kein Vorbild hat, ruht auf sechs Monolithen mit quadratischem Querschnitt, die fünf Durchgänge bilden. Sie sind verbunden durch jeweils zwei Sturzbalken, die ebenfalls Monolithe sind. Die gewaltigen Balken sind so verlegt und miteinander verzapft wie im Holzbau. Die mittlere Toröffnung ist die höchste. In der oberen Sturzreihe lagert der obere Balken auf den beiden mittleren Stützpfeilern und den seitlich anschließenden Querbalken. Die untere Sturzreihe ist eine Balkenbreite tiefer mit den Stützen verzapft. Nach den Seiten hin werden die Durchgänge jeweils um eine Balkenbreite niedriger. Flügelförmige Konsolen, wie sie von den Palasthallen bekannt sind, stützen die untere Reihe der Querbalken. Die Felder zwischen den oberen und den unteren Querbalken sind mit ornamentierten Marmorpaneelen geschlossen. Auf jeden der fünf oberen Sturzbalken ist ein kleiner Scheinpavillon aufgesetzt mit ausgearbeitetem Dach, von Konsolen gestützt und mit Dachreitern versehen.
Auch die Rundziegel bestehen aus Marmor. Kurze und niedrige, mit solchen Ziegeln gedeckte, konsolengestützte Dächer verbinden die Pavillons und bilden auch deren seitlichen Abschluss. Der abnehmenden Höhe der Sturzbalken folgend sind Pavillons und Zwischendächer nach den Seiten hin abgestuft. Reiches Ornament, in geometrische Felder geordnet, gliedert die Flächen zwischen den Pavillonbalken, die im Relief dargestellt sind. Die würfelförmigen Basen der Pfeiler, welche auf quadratischen Plinthen stehen, tragen Plastiken von Löwen und Einhörnern (qi lin), die am Fuß der Pfeiler ruhen . Die Außenflächen der Basen zeigen Reliefs mit lebendig bewegten Drachendarstellungen.
Der im Verhältnis zu den Stützpfeilern überschwere Oberteil mit seiner Betonung der Horizontalen verleiht dem Torbau einen untersetzten Charakter. Die eigentlich funktionslosen, dekorativen Pavillons verraten hier reinen Prachtwillen. Ihr Übergewicht erzeugt die Wirkung einer schweren, ja schwerfälligen Monumentalität. Die Steinbalkenkonstruktion allein hätte einen Torbau von Kraft und Harmonie ergeben, wie etwa die marmornen Ehrentore des Himmelsaltars. Der Shi pai fang ist aus überlieferten Architekturteilen zusammengesetzt - nicht zuletzt die Dachaufbauten - und steht in der langen Tradition der Ehrentore (pai lou) siehe auch. Sie markierten wichtige Abschnitte kaiserlicher Prozessionswege, Zugänge zu besonderen Bezirken, zu Tempeln, Palästen oder Grabanlagen. Zahlreiche spätere Ehrentore scheinen auf diesen hybriden Torbau zurückzugehen, womit er eine neue Tradition des pai lou begründete.
Das Große Rote Tor
Knapp ein Kilometer weiter folgt das „Große Rote Tor“ (Da hong men), das dem Großen Goldenen Tor (Da Jin men) des Hong wu-Grabes entspricht und den massiven Torbauten des Himmelstempels ähnelt . Es ist mit einem gelben Fußwalmdach gedeckt, ist rot verputzt wie die Mauern der „Verbotenen Stadt“ und hat drei Bogendurchgänge. Einst waren sie mit Holztoren verschlossen. Der mittlere Durchgang war allein den Trägern mit dem Katafalk des toten Kaisers vorbehalten, dem regierenden Herrscher eines der Seitentore. Da kein lebendes Wesen außer den Befugten die Nekropole betreten durfte, musste sogar der Kaiser hier vom Pferd steigen. Ehemals waren zwei niedrige Torbauten an den Seiten die Zugänge für das Trauergefolge. Die Mauer des Grabbezirks schloss unmittelbar daran an.
Der Stelenpavillon
Nach einem halben Kilometer akzentuiert den Seelenweg ein weiterer Haltepunkt: der 1426 vollendete „Stelenpavillon“ (Pei ting) . Das wuchtige Bauwerk mit dem Charakter eines festungsartigen Torbaus steht auf einer flachen Terrasse. Sein quadratischer Grundriss verstärkt die blockhafte Wirkung des Baus. Er trägt ein doppeltes Fußwalmdach und ist ebenso wie das „Große Rote Tor“ mit den kaiserlichen gelben Ziegeln gedeckt. An jeder der acht Dachkanten trägt er sieben mythologische Figuren als Dachreiter, wie sie an den Dachgratenden hochrangiger Palastbauten angebracht sind siehe auch. Und wie an den Palasthallen ist die Zone unterhalb der Konsolenreihe mit reichem Ornament in lebhaften Farben bemalt. Helles Türkisgrün und dunkle Blau- und Grüntöne herrschen vor. In diesem Streifen zwischen Traufdach und Mauerwerk tritt auch die Holzkonstruktion zutage: das horizontale Balkenwerk liegt dem gemauerten Unterbau auf, je vier Stützpfeiler an jeder Seite tragen die Dächer und teilen die Fassaden in drei Joche, von denen das mittlere das breiteste ist. Der massive Unterbau steigt in einer steilen Böschung an und ist vollkommen schmucklos. Ein hohes, marmornes Wulstgesims führt am Fuß der Mauer rings um das Gebäude. Die gesamte Fläche zwischen dieser Basis und dem Marmorstreifen, der das Mauerwerk oben abschließt, ist mit Purpurrot überzogen: so wird der Pavillon von ferne zu einer gelb-rot leuchtenden Landmarke, wie ursprünglich alle Tore und Türme der Nekropole.
An allen vier Seiten durchbricht ein riesiges Rundbogentor das gewaltige Mauerwerk. Am Kreuzungspunkt der tonnengewölbten Zugänge erweitert sich der Innenraum zu einem hohen Saal. Hier erhebt sich eine ca. 6,5 Meter hohe Stele zu Ehren des Yong le-Kaisers auf dem Rücken einer Riesenschildkröte . Die Stele trägt Inschriften des vierten Ming-Kaisers Hong xi und des Qing-Kaisers Qian long. Sie wird gekrönt von einem verschlungenen Drachenrelief. Unter anderem wird der Drachen in Verbindung gebracht mit Wolken und Himmel. Im Mythos erscheint die Schildkröte als Trägerin der Erde und sie wird auch ihrer Standfestigkeit wegen der Erdscheibe gleichgesetzt. So wird die kaiserliche Stele zur Weltachse zwischen Erde und Himmel.
Vier prachtvoll gestaltete Marmorsäulen umstehen den Pavillon . Sie gleichen den „Schmucksäulen“ (hua biao) am Tian an men in Peking. Hier verstand man sie jedoch als Träger des Himmelsbaldachins über dem Stelenpavillon als „Himmelstützende Säulen“ (Jing tian zhu). Sie sind oktogonal und ruhen auf einem ebenfalls achtseitigen Lotos-Piedestal, das an jeder Seite mit Reliefs kleiner Drachen geschmückt ist. Um den Säulenschaft windet sich ein Drachen in flachem Relief bis hinauf zu dem runden Lotoskapitell. Um den schlangenförmigen Drachenleib ist die gesamte Oberfläche der Säule mit Wolkenornamenten bedeckt. Zwei aufwärts gerichtete Flügelscheiben treten unmittelbar unter dem Kapitell aus der Säule hervor. Auch sie sind mit gerundeten Wolkenreliefs geschmückt. Während der Umriss des einen Flügels wolkenartig abgerundet ist, endet der andere in einer flammenförmigen Spitze. Ein mythisches Tier krönt jede Säule. Seine geschuppte Haut und die nach hinten abstehende Mähne entspricht anderen Skulpturen des sogenannten Einhorns (qi lin), das seltsamerweise meistens mit zwei Hörnern dargestellt wird. Hier haben die Tiere ihre rüsselartige Schnauze hochgereckt. Diese Rüssel erinnern an Darstellungen der indischen Makaras, mythischer Wassertiere. Das qi lin galt als glückverheißend und war ein Symbol der Tugendhaftigkeit. Hier übernimmt es auch Schutzfunktion: die beiden Tiere auf den südlichen Säulen sind nach Süden gerichtet, die nördlichen blicken nach Norden.
Die Allee der Steinstatuen
Hinter dem Stelenpavillon beginnt die „Allee der Steinstatuen“ (Shi xiang sheng dao), die sich über einen Kilometer erstreckt . Sie wird eingeleitet von zwei Ehrensäulen (wang zhu), die den Prozessionsweg flankieren . Sie ähneln denen am Seelenweg des Hong wu-Grabes. Auf einer sechseckigen Lotosbasis erhebt sich die sechsseitige Säule, die nach oben zu schmäler wird. Das Kapitell besteht aus zwei überstehenden Wulstscheiben, mit einer kurzen Säulentrommel als Zwischenstück. Ein nach oben abgerundeter Kegelstumpf krönt das Ganze. Säulenschaft und Kapitell sind mit Wolkenornament überzogen, der krönende Knauf mit Drachen und Wolken.
Es folgen zwölf monumentale Tierpaare, im Wechsel kauernd und stehend, wobei die gleichartigen jeweils einander gegenüber aufgestellt sind . Die Abfolge ist ähnlich wie am Hong wu-Grab, nur stehen die Skulpturen hier wesentlich weiter auseinander, wodurch ein majestätisch breites Ehrenspalier entsteht. Wie die in Nanking gehören sie zum besten, was die mingzeitliche Monumentalplastik hervorgebracht hat und bilden zugleich einen Höhepunkt der chinesischen Steinbildhauerei siehe auch. Paarweise folgen aufeinander: der Löwe, einmal sitzend, einmal stehend, das mythische, übelabwehrende Tier xie zhai, Kamel, Elefant, Einhorn und Pferd. Nach einer leichten Kurve folgt das Ehrenspalier der hohen Würdenträger. Es sind sechs Paare. Zunächst zwei jüngere und dann zwei ältere Militärbeamte (wu chen), danach zwei jüngere und zwei ältere Zivilbeamte (wen chen). Am Ende der Reihe stehen die zwei Paare der Exmandarine (xun chen). Sie nehmen die höchsten Ehrenränge ein: sie sind dem Kaiser am nächsten.
Das Drachen- und Phönixtor
Die Statuenallee wird abgeschlossen durch das dreifache „Drachen- und Phönixtor“ (Long feng men) . Die Benennung bezieht sich auf die Symbole von Kaiser und Kaiserin, denn in den Mausoleen wurden auch Kaiserinnen bestattet. Das Tor besteht aus drei Marmorportalen, die durch eine rot verputzte, mit Ziegeln gedeckte Mauer miteinander verbunden sind. An beiden Seiten der Portale greift die Mauer weiter aus und sperrt symbolisch den Zugang zum innersten Bezirk der Nekropole. So sollten dämonische Mächte daran gehindert werden, weiter vorzudringen. Das Long feng men stellt ein letztes Moment des Verharrens dar in der Gliederung des Heiligen Weges. Von hier führt er ohne Aufenthalt und nach einigen Biegungen zum Grab des Yong le, dem Chang ling, und erst hinter dem Tor zweigen die Grabwege zu den andern Mausoleen ab.
Die drei Portale sind fast identisch mit denen des Himmelsaltars in Peking, welche dort die Durchgänge der quadratischen und der runden Umfassungsmauer bilden siehe auch. Sie bestehen aus der gleichen Steinbalken-Konstruktion und haben ebenfalls jene charakteristischen wolkenförmigen Flügel, die unterhalb des Kapitells auf beiden Seiten aus dem Pfeiler hervortreten. Diese Flügel scheinen anzudeuten, dass die Säulen oder Pfosten, aus denen sie herausragen, in die Wolken reichen. Außer geringen formalen Abweichungen - hauptsächlich im Ornament - finden sich hier zwei zusätzliche Elemente: auf einer Lotosblüte, die jeden Pfeiler krönt, hockt hoch aufgerichtet ein qi lin, das dem der „Himmelstützenden Säulen“ verwandt ist. Auch hier wirken diese Tiere als Schutzgeister im gleichen Sinne wie die apotropäischen Grabwächterdämonen bi xie siehe auch. Und der obere Querbalken der Portale trägt eine Aureole, deren geschlossenes Oval aus einem Lotossockel aufsteigt und in einer Flammenspitze endet. Innerhalb der Aureole befindet sich ein tropfenförmiges Gebilde, das als der daoistische Pfirsich der Unsterblichkeit interpretiert wurde, dessen Lotossockel und die Form der Aureole jedoch eher auf buddhistische Herkunft hindeutet. Es könnte sich um das Wunschjuwel Cintamani handeln, also ebenfalls um ein Glücks- und Heilszeichen .
Das Chang ling
Vom Marmortor Shi pai fang bis zur Grabstätte des Yong le-Kaisers erstreckt sich der Seelenweg über 6,5 Kilometer. Die Anlage des Chang ling gleicht dem Grundriss des Hong wu-Grabes: eine langgestreckte, rechteckige Mauereinfassung von ca. 330 mal 140 Meter, die in drei Höfe unterteilt ist, an deren Ende sich ein Tumulus erhebt, welcher von einem Mauerrund mit einem Durchmesser von 300 Metern umgeben ist. Im Süden führt ein massiver roter Torbau mit drei Bogendurchgängen in den ersten lnnenhof. Hier befanden sich früher Küchen- und Lagerräume für die Speiseopfer. Ein Pavillon mit einer qingzeitlichen Stele ist in der Südostecke des Hofs erhalten.
Die Halle der Erhabenen Gnade
An seinem Ende erhebt sich auf einer Marmorterrasse das „Tor der Erhabenen Gnade“ (Ling en men), eine Holzhalle mit gelbem Fußwalmdach. Im zweiten Hof steht, von mächtigen Kiefern umsäumt, die große Opferhalle, die „Halle der Erhabenen Gnade“ (Ling en dian), wo die Bestattungsfeiern für den Kaiser stattfanden . Dieses Bauwerk hat große Ähnlichkeit mit der Audienzhalle im Kaiserpalast, der Tai he dian. Und tatsächlich entspricht die Funktion der Ling en dian als Zeremonialhalle der Audienzhalle des Palastes, denn hier machten die hohen Würdenträger des Reichs dem Kaiser die letzte Aufwartung.
Wie die „Halle der Höchsten Harmonie“ steht die „Halle der Erhabenen Gnade“ auf einer, allerdings etwas niedrigeren, dreistufigen Marmorterrasse mit den gleichen Balustraden wie im Kaiserpalast. Und auch hier greift ein Terrassenvorsprung nach Süden aus. Eine dreifache Treppenflucht führt von hier zur Terrasse hinauf und hinter dem Gebäude an der Nordseite hinab. Die Treppen sind in der Mitte von einer Marmorrampe unterbrochen, über die der Sarg getragen wurde, wie die kaiserliche Sänfte über die Drachenrampe im Kaiserpalast . Hier ist sie außer mit dem Drachenrelief auch mit dem Phönix geschmückt, da das Chang ling auch als Grabstätte der Kaiserin diente. Vor den Treppenaufgängen stehen vier Porzellanöfen, in denen die Speiseopfer verbrannt wurden . Im Osten und Westen führen Seitentreppen auf die Terrasse.
Die Ähnlichkeit der Halle mit der Tai he dian besteht nicht nur in dem doppelten Walmdach, den gelben Ziegeln und dem farbigen Dekor in den Traufzonen, sondern auch in den Dimensionen. Die „Halle der Höchsten Harmonie“ misst 64 Meter in der Breite und etwas über 37 Meter in der Tiefe, die „Halle der Erhabenen Gnade“ knapp 67 zu etwa 30 Meter. Das Hauptdach wird von 32 mächtigen Säulen getragen, deren Durchmesser annähernd ein Meter beträgt, die vier mittleren messen fast 1,20 Meter. Alle Säulen sind im Schnitt 10 Meter hoch und bestehen aus einem einzigen Baumstamm. Vier Reihen zu acht Säulen bilden sieben Joche in der Breite und drei in der Tiefe. Mit den 28 schmäleren Pfeilern, die um den Kernbau herumführen und das untere Dach tragen, sind es neun zu fünf Joche. Die schwere Holzkonstruktion des Dachstuhls ist innen von einer reich bemalten Kassettendecke in den vorherrschenden Farben Gold, Blau und Grün verdeckt. Wie bei den Ming-Bauten üblich, ist der mittlere Pfeilerabstand der breiteste. Auf diese Weise entsteht ein breiteres Mittelschiff im Innenraum. An dessen Schnittstelle mit dem mittleren Querschiff, wo die vier stärksten Stützpfeiler stehen, ist der Platz des Altars auf dem die Tafel mit den Namen des verstorbenen Kaisers aufgestellt ist. Vor diesem Altar wurden die wichtigsten Verehrungs- und Opferzeremonien abgehalten. In der „Halle der Höchsten Harmonie“ steht an dieser Stelle der Kaiserthron.
Ein weiterer Torbau mit drei Bogendurchgängen, das Tor zum Schlafgemach (Ling qin men), gewährt den Zugang zum letzten, ebenfalls baumbestandenen Hof. Hinter dem Tor folgen auf der Achse des Prozessionswegs ein freistehendes Ehrenportal und etwas weiter ein steinerner Altartisch auf dem fünf massive Marmor-Ritualgefäße platziert sind . Vor diesem Altar wurden Opferhandlungen vollzogen für eine der beiden Seelen des Kaisers.
Nach sehr alten chinesischen Vorstellungen besitzt jeder Mensch zwei Seelen siehe auch. Die eine, Hun-Seele genannt, eine Art Geist-Seele, entstammt dem Lebensatem (qi) und kehrt in ihn zurück, indem sie sich im Äther auflöst. Die andere, die Po-Seele, entstammt der Erde (tu). Diese irdische Seele bleibt dem Körper auch nach dem Tod verhaftet und verweilt im Umfeld des Grabes. Ihr gelten die mit größter Sorgfalt auszuführenden Riten, um die Erinnerung an den Toten wachzuhalten und sein Wohlwollen zu bewahren, denn eine unversorgte Seele kann großes Unheil anrichten. Wenn sie erst beginnt, ziellos umherzuirren, wird sie zum Dämon. Der unbefriedigte Ahnengeist eines Kaisers konnte das ganze Reich in Mitleidenschaft ziehen, so wie der Geist eines einfachen Mannes seine Familie. Darüber hinaus war es unabdingbar, die kaiserlichen Ahnen schon deshalb durch Opfer, Zeremonien und einen würdigen Grabpalast zu ehren, weil die Lebenden nur über sie in Verbindung mit dem Himmel treten konnten.
Der Turm der Verklärung
Dem Gedächtnis des Kaisers und sozusagen als Wohnsitz der Po-Seele ist das mächtige Bauwerk errichtet, das am Ende des Hofes aufragt: der „Seelenturm“ oder „Turm der Verklärung“ (ming lou) . Er besteht aus einem Unterbau mit quadratischem Grundriss, dessen dicke Steinmauern geböscht sind, und einem wuchtigen Pavillon, der sich auf seiner Terrasse erhebt. Wie bei dem Seelenturm des Hong wu Kaisers führt auch hier ein gewölbter Korridor durch den quadratischen Turm (fang cheng) schräg nach oben. Die Bogenöffnung des Korridors wird von einem wuchtigen, breiten Fries von Keilsteinen umfasst. Es ist die einzige Unterbrechung in dem abweisenden, festungsartigen Mauerwerk. Unten läuft ein hohes Marmor-Wulstgesims um den Bau. Oben schmücken Stufenzinnen die Mauerkrone, was den Festungscharakter des Turmes verstärkt: Abwehr unheilbringender Kräfte und Schutz des Pavillons kommen so zum Ausdruck. Denn der Pavillon enthält die Grabstele des Kaisers, welche die Inschriften trägt „Der große Ming“ und „Grabmal des Kaisers Cheng zu“, der postume Tempelname des Yong le. Bis auf die Proportionen gleicht dieser Stelenpavillon in fast allen Einzelheiten dem des Seelenwegs. Er trägt ein doppeltes Fußwalmdach mit gelb glasierten Ziegeln und hat die gleichen offenen Bogenportale an allen vier Seiten, die den Blick frei geben auf die Stele. Schlanker und weniger breit gelagert als der Stelenpavillon des Grabwegs, gleicht er mehr einem Turm, ohne an monumentaler Wucht zu verlieren.
Die Terrasse hinter dem Seelenturm ist mit der „Schatzhütenden Mauer’ (bao cheng) verbunden, die den mit Zypressen und Kiefern bewachsenen Grabhügel umschließt . Diese Ringmauer ist an ihrem Fuß breiter als an ihrer Krone, welche ca. drei Meter breit und mit Zinnen bewehrt ist. Sie gleicht dem Wehrgang einer Verteidigungsanlage.
Das Mausoleum wurde 1409 fertiggestellt, der Kaiser starb 1424 und wurde im gleichen Jahr bestattet. Bis heute wurde der Tumulus, welcher das eigentliche Grab enthält, nicht geöffnet.
Das Ding ling
Das erste und einzige Kaisergrab, das bisher geöffnet wurde, ist das Ding ling, die letzte Ruhestätte des Wan li Kaisers Zhu Yijun siehe auch und seiner beiden Gemahlinnen. Er starb 1620. Das Grab wurde 1584 begonnen, als der Kaiser 22 Jahre alt war, und 1590 vollendet.
Von der Hauptachse des Shen dao zweigt ein Weg ab zu dem westlich gelegenen Kaisergrab . Vor dem „Großen Roten Tor“, das noch besteht, erhob sich ehemals ein Pavillon. Nur noch die Stele, die er barg, ist erhalten. Auch sie steht auf dem Rücken einer Schildkröte und trägt das Kapitell mit den verschlungenen Himmelsdrachen. Der Schaft der Stele trägt keine Inschrift.
Die oberirdische Anlage des Wan li Grabes ähnelt bis in die Einzelheiten dem Chang ling, nur sind die Dimensionen etwas geringer . Der Querschnitt des Tumulus beträgt 220 Meter. In den drei Vorhöfen stehen nur noch die Terrassen, wo sich einst das Tor und die „Halle der Erhabenen Gnade“ erhoben. Das Grabgut, das im Mausoleum aufgefunden wurde, ist größtenteils in den modernen Seitengebäuden des dritten Hofs ausgestellt. Der von Zerstörung verschonte Seelenturm gleicht vollkommen dem des Chang ling .
Ein unterirdischer Palast
Das Grab fand sich über 20 Meter unter dem Scheitel des Tumulus, als im Jahre 1956 ein Zugang entdeckt wurde. Eine moderne Rampe führt heute steil in den Grabhügel hinein zu einem Tor, von wo Treppen in die Tiefe führen . Der ursprüngliche Korridor war mit Erde aufgefüllt. Die Grablege, deren Eingang nach der letzten Bestattung sorgfältig vermauert wurde, nimmt ein Grundfläche von annähernd 1.200 Quadratmetern ein. In Fortführung der zentralen Achse, die durch die Vorhöfe führt, erstrecken sich die unterirdischen Vorhallen des Sarkophag Saals über ca. 78 Meter . Sie sind in drei Sektionen geteilt, die durch verengte, kurze Korridore zusammenhängen, zugleich aber von gewaltigen Portalen versperrt wurden . Sie haben tonnenschwere Flügeltüren, die, nachdem sie zugefallen waren, von innen durch einen schweren steinernen Fallriegel verschlossen wurden. Jeder dieser Flügel besteht aus einer einzigen Marmorplatte, die mit Bossen besetzt ist, wie sie auch an schweren Holztoren zu finden sind. Das Relief einer Tierdämonenmaske sollte böse Kräfte abwehren. Über den Portalen sind wuchtige, konsolengestützte Vordächer aus Marmor angebracht wie bei Torbauten im Außenbereich. Alle Säle sind aus Kalksteinquadern errichtet und tonnengewölbt. Auf ein quadratisches Vestibül folgt eine langgestreckte Halle, die leer war. Dahinter liegt ein 6 Meter breiter und 32 Meter langer Saal, an dessen Ende drei marmorne Thronsitze stehen, zwei an den Längswänden einander gegenüber, der dritte etwas zurückgesetzt in der Mitte mit dem Rücken zum hintersten Portal. Er trägt Reliefs von Drachen und Wolken: der Thron des Kaisers. Die den Kaiserinnen geweihten Sitze sind mit Phönixmotiven geschmückt . Die Keramikgefäße und Leuchter, die vor den Thronen stehen, sind Ritualgegenstände, wie sie an Altären üblich waren. Auch hier sollten die Seelen der Abgeschiedenen wie vor einem Altar verehrt werden. Eine voluminöse, blau-weiße Porzellanvase, die als Lampe diente, sollte für ewiges Licht sorgen. Sie enthielt noch verfestigtes Öl und einen Docht.
In der Mitte des Saals ist an jeder Seitenwand eine Tür eingefügt, hinter der ein enger Gang zu einem Nebengelass führt. Diese beiden Räume sind etwas breiter als der Mittelsaal und etwa gleich lang. Sie liegen parallel zur Zentralachse des Grabes. An den Außenwänden ist jeweils ein längliches Podest aufgemauert. Hier sollten die Särge der Kaiserinnen Aufstellung finden, falls sie nach Wan li sterben würden. Auf diese Weise sollte vermieden werden, das Grab des Kaisers noch einmal zu öffnen. Dafür waren zwei weitere Korridore von der Oberfläche zu den Nebengräbern vorgesehen. Beide Kaiserinnen starben jedoch vorher und wurden im Hauptsaal aufgebahrt. Die zweite Gemahlin Wan lis hatte als Nebenfrau keinen Anspruch auf ein kaiserliches Begräbnis. Da ihr Sohn jedoch Nachfolger wurde, ließ er sie postum zur Kaiserinwitwe erklären mit dem Anrecht, in der Kaisergruft bestattet zu werden. Die Annexe am Rande der Nebensäle waren vermutlich als Schatzkammern geplant. Alle diese Räume fand man leer vor.
Das letzte Gewölbe der zentralen Achse ist der Hauptsaal . Er schließt an den Mittelsaal an und liegt quer zu ihm. Es ist der größte Raum des unterirdischen Komplexes mit 20 x 9 Metern Grundfläche und fast 10 Metern Höhe. Seiner Lage, Größe und Funktion nach ist er eine genaue Entsprechung des Thronsaals im Kaiserpalast. Auf dem langgestreckten Podest entlang der Rückwand waren drei Särge mit roter Lackierung aufgebahrt, die jeweils einen inneren Sarg bargen. Im mittleren lag der Wan li Kaiser, zu beiden Seiten die Kaiserinnen. Man fand sie mit Kronen und Festgewändern bestattet, dazu kostbare Toilettengegenstände, Gold- und Juwelenschmuck. In blau-weißen Porzellangefäßen, Rotlackkästchen und Holztruhen fand sich ein Grabgut von annähernd 3.000 Objekten.
Die Parallelität der Ming-Kaisergräber zu ihren Palastanlagen zeigt sich in den grundsätzlichen architektonischen Elementen und Baugliedern, in der Abfolge von Höfen, Toren und Räumen, an deren Ende sich der letzte kaiserliche Wohnsitz befindet. Zwar unterliegt dieser Gedanke bereits früheren Großgräbern, was schon die Anordnung ihrer Prozessionswege mit den Toren und Ehrenspalieren deutlich macht, jedoch erst die Ming übertrugen die wesentlichen Bestandteile eines Palastkomplexes fast wörtlich in die kaiserlichen Mausoleen und machten sie zu wirklichen Palästen der Ewigkeit.
Türme und Festungsanlagen
Im Prinzip gleichen sich die Strukturen der Turmbauten, ob sie nun sakralen Zwecken dienten wie die Seelentürme, ob zivilen oder militärischen. Immer ist es ein Unterbau aus sehr starkem Mauerwerk, auf den ein zweites Gebäude gesetzt wird, das in allen üblichen Konstruktionsweisen und Dachformen variieren kann. So entsteht trotz der beschränkten Zahl von Grundelementen eine Vielfalt an Baugestalten, wie zum Beispiel die zahlreichen Tortürme Pekings siehe auch. Und wie die Stadttore wirken auch die Trommel- und Glockentürme, die sich im Zentrum der nordchinesischen Städte erheben, als seien es Festungstürme. Tatsächlich hatten sie auch Schutzfunktionen. Da sie die niedrigen Wohngebäude überragten, konnte von diesen Türmen der Ausbruch von Feuer beobachtet und die Bevölkerung alarmiert werden. Ihre alltägliche Aufgabe bestand jedoch in der Zeitangabe. Der Glockenschlag zeigte den Beginn des Tages an, die Pauken des Trommelturms kündeten den Beginn der Nachtwache.
Der Glockenturm von Xi’an
Der Glockenturm (Zhong lou) von Xi’an, Shaanxi, 1384 erstmals errichtet, wurde 1582 an den Kreuzungspunkt der neuen Hauptachsen der Stadt versetzt, nachdem man das nördliche und das südliche Stadttor und damit die Zentralachse weiter nach Osten verlegt hatte . Der massive Unterbau ist quadratisch und hat an allen vier Seiten eine Bogenöffnung zu den gewölbten Passagen, die sich in der Mitte kreuzen. Eine weite, balustradengeschmückte Terrasse lässt viel Raum um den würfelförmigen Baukörper des Pavillons, der sich in der Mitte erhebt. Es handelt sich jedoch nicht um einen geschlossenen Block, sondern um eine stark gegliederte Ständerkonstruktion, dreigeschossig und mit Säulenumgängen in den beiden unteren Geschossen. Sie sind von weit vorspringenden, umlaufenden Dächern überdacht.
Ungewöhnlich bedeutsam ist hier die Rolle der Konsolen, die ja in der Ming-Architektur weitgehend zum Fries reduziert wurden . Es scheint, als wirkte der Genius loci der alten Tang Hauptstadt fort, als sei die Bautradition der Tang hier noch weitgehend erhalten geblieben. Die Konsolen, welche die ausladenden Dächer und die Galerien stützen, sind hier kein konventioneller Zierrat, sondern kraftvoll ausgeprägt stellen sie sich in ihrer eigentlichen Funktion dar: als Stützelemente, welche den Massendruck der Dächer und Galerien auf die Pfeiler ableiten. Ungewöhnlich ist auch die Anwendung der zweistufigen Konsolen unter den Vordächern der Galerien. Während zum Beispiel die Dächer der Säulenvorhallen des Kaiserpalastes unmittelbar von einem Horizontalbalken-System getragen werden und die Reihen kleiner Konsolen kaum noch zum Abstützen des Dachs beitragen, sind hier zwischen die dachtragenden Pfetten und die unteren Horizontalbalken die Konsolen freistehend eingefügt. Sie ruhen auf einem schmalen oberen Querbalken, der über die Stützpfeiler gelegt ist und der zugleich den breiten unteren Balken aufliegt, welche in die Pfeiler eingezapft sind. Über jedem dieser Pfeiler ist eine Konsole angebracht, während die übrigen Konsolen allein von den übereinander liegenden Querbalken getragen werden.
Diese Hauptpfeiler sind an jeder Seite des Turms in fünf Pfeilerabstände angeordnet und zwar nach Ming-Art in der Weise, dass der mittlere Abstand der weiteste ist und die Abstände nach den Seiten abnehmen, sodass an den Galerieenden die Pfeiler am engsten zusammenstehen und so die Gebäudeecken stabilisieren. Dadurch beträgt die Anzahl der frei auf den Querbalken ruhenden Konsolen zwischen den Stützen in der Mitte vier, an den Seiten zwei und außen eine Konsole. Offenbar wurde während der Bauarbeiten oder bereits bei der Planung klar, dass das übliche System der Pfeilerabstände hier nicht angewendet werden konnte. Denn wegen der Überbreite des Mitteljochs hätten die Querbalken dem gewaltigen Gewicht der auf ihnen lagernden Konsolen, Dachbalken und Ziegeln kaum standgehalten. Vermutlich um dem zuvorzukommen und dennoch nicht von den stilistischen Gepflogenheiten abzuweichen, wurden unter den Querbalken des Mitteljochs zwei weitere Pfeiler eingezogen, deren Flügelkonsolen der Palastarchitektur entstammen. Auf diese Weise erhalten die Säulenumgänge einen neuen und eigenartigen Rhythmus ihrer Pfeilerordnung.
Das niedrigere Obergeschoss ist von einem Zeltdach gekrönt, dessen Spitze mit einem goldglänzenden Knauf geschmückt ist, den alle Spitzdächer tragen und der seiner Form nach von dem buddhistischen Juwel der Pagoden abgeleitet scheint. Die Dachgrate sind einwärts geschwungen, an ihren Enden tragen sie neun Dachreiter. Sie zeigen an, dass es sich bei dem Glockenturm um ein höchstrangiges Gebäude handelte. Auch die Anwendung von Goldornament und die reiche Bemalung von Konsolen und Balkenwerk in den Traufzonen, sowie die roten Säulen, rücken das Bauwerk in die Nähe des Palaststils. Mit seinen gut 20 Metern Höhe überragte es einst die Wohnviertel. Dennoch ist nicht die Vertikale betont, sondern dank seiner Proportionen und seines Aufbaus erscheint der Glockenturm wuchtig und breit gelagert - nicht himmelstürmend, sondern der Erde verbunden. Der relativ flache und ausgedehnte Block des Unterbaus von ca. 32 x 32 Meter gleicht einer Plinthe auf welcher der stark gegliederte Pavillon steht, dessen Galerien und überstehenden Dächer zu horizontalen Schichten gestaffelt sind.
Der Trommelturm von Xi’an
Etwas weiter westlich erhebt sich im Zentrum des alten Changan der Tang-Zeit der Trommelturm (Gu lou) von 1370 . Er wirkt noch schwerer und monumentaler als der Glockenturm. Er ist fast 30 Meter hoch und sein Unterbau misst ca. 52 x 37 Meter. Er hat nur eine Mittelpassage, die ebenfalls gewölbt ist. Dem breiten Rechteckgrundriss des Unterbaus folgend ist auch der Turmpavillon rechteckig und daher mit einem Fußwalmdach gedeckt. Da die beiden unteren Stockwerke wie der Glockenturm mit umlaufenden Galerien und ausladenden Dächern versehen sind, hat auch dieses Bauwerk einen dreistufigen Dachaufbau. Und es hat das gleiche eigenartige Pfeilersystem, bei dem das breite Mitteljoch durch zwei zusätzliche Pfeiler abgestützt wird, auch an den Schmalseiten. Der Reichtum der Bemalung sowie der Farben entspricht dem des Glockenturms.
Die Festung Jiayuguan
Die Festung Jiayuguan, Gansu, am Rande der Wüste Gobi, beherrschte zur Ming-Zeit das westliche Ende der Großen Mauer . Das Fort wurde 1372 auf einer Passhöhe errichtet, die schon unter den Han von strategischer Bedeutung war für die Abwehr zentralasiatischer Nomadenvölker. Die 12 Meter hohen Mauern, auf deren Krone Wehrgänge entlang führen, wurden von vier zinnenbewehrten Ecktürmen verstärkt . Sie stehen auf vorspringenden Bastionen, deren Mauern stark geböscht sind. Das Mauerwerk besteht aus Lehmziegelschichten, zwischen denen Stampferde aufgefüllt ist.
Das östliche und das westliche Tor besaß jeweils einen vorderen und einen hinteren Turm von ca. 17 Metern Höhe, wodurch jede Toranlage zu einer eigenen kleinen Festung wurde wie die sechzehn Tore in den Außenmauern Pekings . Die oberen Turmaufbauten, die aus dem Jahre 1506 stammen, sind mit Fußwalmdächern gedeckt. Die Höhe ihrer drei Geschosse ist gleich, da im oberen Stockwerk betretbare Wachräume untergebracht sind. Die Dächer mit ihren aufgebogenen Kanten verjüngen sich nach oben. Um die beiden unteren Geschosse führen Galerien, deren Pfeilerabstände in 5 zu 4 Joche eingeteilt sind. Die rotlackierten, schmalen Pfeiler stützen mit den typischen Flügelkapitellen die Horizontalbalken. Die Feingliedrigkeit und der Schmuck dieser Turmaufbauten erinnert eher an Vergnügungspavillons, als an Festungstürme. Der Vorderturm des Westtors ist nicht erhalten.
Neben Kasernen und Magazinen gibt es im Inneren der Festung eine Theaterbühne, ein kleines, dreijochiges Gebäude mit Fußwalmdach, das nach der Frontseite offen ist. Die Zuschauer versammelten sich auf dem Platz davor im Freien. Eine Außenmauer umschloss die Festung und eine äußere Verteidigungsanlage verstärkte den Schutz der Westseite, die am stärksten gefährdet war.
Die Stadtmauern von Peking
Bei den Mauern der blockhaften Turmunterbauten handelte es sich nicht selten um Füllmauerwerk, das heißt die massiven Außenseiten aus mehreren Stein- oder Ziegelschichten wurden mit Erde oder losem Steinmaterial aufgefüllt. Das Gleiche gilt für einen Großteil der Stadtmauern. Die frühsten Umwallungen der Städte bestanden aus Stampferde. Zur Ming-Zeit begann man mehr und mehr, die Erdwälle der großen Städte mit Ziegelsteinen zu verkleiden. Die neue Nordmauer Pekings wurde in massivem Ziegelmauerwerk ausgeführt, während die übrigen Mauern an den Außenseiten bis zu acht Ziegelschichten aufwiesen. Das doppelte Rechteck der Stadt war seit Mitte des 16. Jahrhunderts von einem geschlossenen System von Festungsmauern umgeben, die sich kilometerlang hinzogen . In regelmäßigem Abstand sprangen Bastionen vor, von wo aus jeder Angriff auf die Mauer an jeder beliebigen Stelle in den Flanken bekämpft werden konnte. An der Mauer im Norden betrug ihr Abstand ca. 200 Meter, an den übrigen Seiten weniger als die Hälfte. Mauern und Bastionen waren geböscht. Ihr Neigungswinkel variierte, ebenso wie die Höhe der Mauern und ihre Stärke. Sie waren zwischen 11 und 12 Meter hoch und an der Krone an manchen Stellen fast 18 Meter breit. Nach der Stadt zu waren Brüstungen aufgemauert, nach außen Zinnen, zwischen denen schmale Schießscharten für die Bogenschützen frei blieben. Unterhalb der Zinnen waren Drainagelöcher angebracht zur Entwässerung der gepflasterten Mauerkrone. Die Ziegelschichten waren auf massiven Steinfundamenten aufgemauert, welche wie ein Bandgesims unter der gesamten Mauer entlang liefen.
Dieses gewaltige Bollwerk gehörte zu den großartigsten Befestigungsanlagen Chinas. Heute ist es bis auf wenige Reste einer modernen Verkehrsplanung zum Opfer gefallen .
Die Große Mauer
Das Bauwerk jedoch, das im Westen einen legendären Ruf gewann, ja geradezu sprichwörtlich wurde, ist die „10.000 li lange Mauer“ (Wan li chang cheng), die „Große Mauer“. Zur Ming-Zeit endete sie im Westen an der Festung Jiayuguan, Gansu, also tief in Zentralasien, im Osten reichte sie bis ans Gelbe Meer. Dieses Ende wurde beherrscht von der Festung Shan huai guan, Hebei. Weiter östlich führte als letztes Teilstück ein Erdwall bis zum Yalu-Fluss an der Grenze zu Korea. Neun Militärkommandanturen kontrollierten das gesamte Gebiet entlang der Mauer. In der Luftlinie beträgt die Entfernung zwischen den beiden Enden der Mauer ca. 3.000 km. Jedoch ist die gesamte Ausdehnung dieses Befestigungswerks noch wesentlich größer. Selbst die „10.000 li“ (5.760 km) sind noch untertrieben. Denn die Mauer erstreckt sich in unzähligen Windungen und war an strategisch wichtigen Stellen bis zu neunfach gestaffelt. Nach neueren Angaben beträgt die Länge der mingzeitlichen Anlage 12.700 li = 7.315 km. Da aber an diesem Festungswerk seit dem 5. Jh. v. Chr. gebaut wurde, gibt es noch andere Streckenführungen und ungezählte kleinere Abschnitte, die zusammengenommen nach manchen Schätzungen 50.000 km ergeben sollen. Allerdings erscheint diese Zahl recht phantastisch, ebenso wie die Behauptung, dass die Mauer das einzige Bauwerk sei, das man vom Mond aus sehen könne.
Zur Zeit der „Streitenden Reiche“ (Zhan guo), 5. - 3. Jh. v. Chr., errichteten die damals herrschenden sieben Königreiche Grenzbefestigungen, um sich vor Invasionen der Nachbarstaaten zu schützen sowie vor Überfällen der Nomadenstämme im Norden. Es waren vor allem diese nördlichen Verteidigungsanlagen, die im Laufe der Geschichte eine bedeutende Rolle spielen sollten. Sie bestanden aus Erdwällen, deren Technik vermutlich beim Dammbau entwickelt wurde. Da es oft Flussläufe waren, welche die Staatsgrenzen bestimmten, lag es nahe, Dämme, die gegen Überschwemmungen errichtet worden waren, auch für Verteidigungszwecke zu nutzen. Die Dämme, bzw. Wälle, bestanden zu dieser Zeit gewöhnlich nicht mehr aus einfach aufgeschütteter Erde, sondern wie die Plattformen, auf denen man Häuser errichtete, aus Schichten gestampften Lössbodens, einem Gemisch aus Lehm, Kalk, Sand und Glimmer - oder aus Lagen gestampften Lehms. Andere Bodenarten mussten mit Kalk und Wasser vermischt werden, um Festigkeit zu erlangen. Am meisten wurde Löss verwendet, da er in praktisch unbegrenzten Mengen zur Verfügung stand. Mit Hilfe von Rammen, die von mehreren Männern gleichzeitig angehoben und fallen gelassen wurden, verfestigte man die Erdschichten. In manchen dieser Erdwälle fanden sich noch Zwischenlagen von Schilf, Schnittholz oder Kies zur Stabilisierung. In späterer Zeit verkleidete man sie mit Ziegeln oder Steinen.
Nachdem der Reichseiniger Qin shi huang di der Qin-Dynastie die konkurrierenden Staaten unterworfen hatte, ließ er die gegen die nördlichen Völker gerichteten Mauerteile zu einer einzigen zusammenhängenden Mauerkette verbinden. Mit der Vorherrschaft des Han-Reichs in Zentralasien wurde die Mauer weiter nach Westen verlängert. Damals erreichte sie ihre größte Ausdehnung: von der heutigen Provinz Liaoning bis in die Provinz Xinjiang, also fast über die gesamte ost-westliche Ausdehnung des modernen China. Sie schützte nicht allein das Reich, sondern auch die Pisten der Seidenstraße, die südlich der Mauer verliefen. Unter nachfolgenden Dynastien wurden weitere Mauerabschnitte nördlich und südlich der Hauptlinie gebaut, so unter den Nord-Wei, den Nord-Qi, den Sui und den Jin. Während der Tang- und der Yuan-Zeit spielten diese Verteidigungsanlagen keine Rolle, da Angriffe von außen nicht zu fürchten waren und die Reichsgrenzen tief nach Asien hinein verschoben waren.
Nach der Vertreibung der Yuan gehörte es zu den vordringlichsten Aufgaben der Ming-Kaiser, die zerfallenen Befestigungsanlagen zu restaurieren und neue Streckenführungen entsprechend den strategischen Gegebenheiten zu errichten, denn die Mongolen blieben eine ständige Bedrohung. Diese Arbeiten begannen 1368 und waren um 1598 im wesentlichen abgeschlossen, als das letzte Teilstück bei Lanzhou, Gansu, vollendet wurde.
Die Schwierigkeiten beim Bau der Mauer sind kaum vorstellbar. Sie führt über 3.000 Meter hohe Gebirge, durch Tiefebenen und unbewohnte Wüsten. Schluchten waren zu überwinden und Flussläufe. Auf der gesamten Strecke mussten vierzehn Pässe gesichert werden, die zu Festungen ausgebaut wurden. Heere von Soldaten, Zwangsarbeitern und Strafgefangenen hatten unter verschiedensten und härtesten klimatischen Bedingungen Kriegs- oder Frondienst zu leisten. Die Toten, die es unweigerlich bei einer solchen Unternehmung gab, sollen in der Mauer begraben worden sein. Dies ist denkbar, wenn die Bodenbeschaffenheit keine andere Bestattungsart zuließ. Die Lösung der logistischen Probleme stellte die Militärbehörden, die damit betraut waren, vor gewaltige Aufgaben. Zwar konnte das Baumaterial meistens in der jeweiligen Umgebung gewonnen werden, doch mussten Menschen, Zugtiere, Lebensmittel, Werkzeug und anderes Material herangeschafft werden, besonders im Westen, wo die Mauer durch riesige menschenleere Räume führte. Selbst im Kernreich gab es kein Straßen- oder Wegenetz, das ausgereicht hätte, die benötigten Massen von Menschen, Tieren und Material heranzuführen. Daher baute man die Große Mauer zu einer gewaltigen Überlandstraße aus. Die Mauerkrone wurde so breit angelegt, dass sie auf weiten Strecken für Pferdegespanne passierbar war . An diesen Stellen hatte sie eine durchschnittliche Breite von sechs Metern, sodass sich Fahrzeuge in beiden Richtungen aneinander vorbei bewegen konnten. An steilen Abschnitten setzte man Lasttiere ein. Wie beim Eisenbahnbau im amerikanischen Westen wurde die Mauer auf diese Weise vorangetrieben bzw. fehlende Teilstücke ergänzt. Auf ihr wurden Truppen und Nachschub bewegt und Nachrichten übermittelt. Und sie erleichterte die Ansiedlung von Militärkolonien entlang der gesamten Strecke. Neben den Flüssen und Kanälen wurde die Mauer zur größten Verkehrsader des Reichs. Sie führte nicht immer entlang der Reichsgrenzen, sondern auf weiten Strecken als zurückgezogene Verteidigungslinie innerhalb des Landes. Es ist also denkbar und war möglich, sie in Friedenszeiten auch für den zivilen Güterverkehr zu nutzen. An den Durchgangsstellen der Mauer konnte der Handel überwacht und Zölle erhoben werden.
Der heute am leichtesten zugängliche Teil der Ming-Mauer liegt bei Badaling, ca. 90 km nordöstlich von Peking. Dieser Abschnitt wurde in jüngerer Zeit restauriert und gibt ein gutes Bild des ursprünglichen Zustands wieder. Zwischen 7 und 8 Meter hoch, an der Sohle 6,50 Meter, an der Krone 5,80 Meter breit, windet sich die Mauer über Höhen und durch Talsenken und zwar so, dass sie auf dem Kamm der Gebirgszüge verläuft, wobei kein Abgrund zu tief und kein Berghang zu steil scheint. Ihr Bild legt den bekannten Vergleich mit einem gewundenen Drachenleib nahe . Auf der gesamten Strecke östlich der Provinz Shanxi ändern sich ihre Maße kaum. Auch ihre Grundstruktur bleibt unverändert: ca. 1,50 bis 1,80 Meter hohe Zinnen nach außen, Brustwehren nach innen, Wachtürme im Abstand von 70 bis 100 Metern, Treppenaufgänge im Innern der Mauer und Zugangsrampen an der Rückseite. Dieser östliche Teil der Mauer besteht aus zum Teil mit Geröll vermischter Stampferde, vorwiegend Löss, die mit Ziegeln und teilweise mit Steinen verkleidet ist. Die Mauerkrone ist mit einer dreifachen Ziegelschicht gepflastert, damit kein Wasser eindringen kann. Die Türme sind geböscht und oberhalb der Mauer mit Ziegeln aufgemauert . Der untere Teil ist mit Steinquadern verkleidet. Sie überragen die Mauer um annähernd 4 Meter, sind im Schnitt also 12 Meter hoch. Mit ca. 8 Meter Durchmesser sind sie breiter als die Mauer und springen an manchen Stellen bastionsartig vor. Die Dachterrasse ist von Zinnen umgeben, die einen aufrecht stehenden Mann schützen konnten. Wie an den Zinnen der Mauer sind in ihrer Mitte Schießscharten in Form kleiner Fensteröffnungen frei gelassen sowie Drainageöffnungen am Terrassenboden. Unter den Zinnen verläuft ein schmückendes Kranzgesims aus schräg eingemauerten Ziegeln. Im Untergeschoss befanden sich die Wachlokale. Sie sind von der Mauerkrone aus unmittelbar zugänglich durch eine Rundbogentür. Ihre Wölbung wird von einem Fries aus Ziegelsteinen umfasst, deren Reihen im Wechsel aufrecht und waagerecht eingemauert sind. Mit äußerst einfachen Mitteln wird so eine dekorative Wirkung erzielt. Auch die Fensteröffnungen sind in solchen Rundbögen ausgeführt. Diese besonders sorgfältige Bauweise und die starke Befestigung des Ostteils der Mauer ist darauf zurückzuführen, dass sie unmittelbar das Kernreich zu schützen hatte. Nur der am weitesten östlich verlaufende Abschnitt bestand aus einem Erdwall.
Westlich von Shanxi wurde die Mauer ebenfalls aus Stampferde - Löss oder Lehm - aufgeführt und war ehemals offenbar nur an einigen Abschnitten mit Ziegeln verkleidet. Ihre durchschnittliche Höhe erreicht hier etwas über 5 Meter, am Boden ist sie etwa 4 Meter breit, am Scheitel 1,60 Meter. Auch die Zinnen sind niedriger als am Ostteil. Die Wachtürme entsprechen den östlichen mit ca. 12 Meter Höhe. Sie waren nicht immer mit der Mauer verbunden. Zum Teil stehen sie einzeln auf Anhöhen vor oder hinter der Mauer, wenn sich von dort ein weiteres Blickfeld ergab. Insgesamt schätzt man die Zahl dieser Türme auf 20.000.
Sie dienten nicht nur der Beobachtung und der Verteidigung, sondern vor allem auch als Signaltürme. Durch ein genau festgelegtes System von Rauchzeichen bei Tage und Feuerzeichen bei Nacht konnten Ort, Bewegung und Truppenstärke eines herannahenden Feindes in kürzester Zeit von Turm zu Turm über große Entfernungen übermittelt werden.
Obwohl die Große Mauer im Laufe der Geschichte mehrfach von Angreifern überwunden wurde - nicht zuletzt auch durch Verrat - bildete sie doch einen äußerst wirksamen Schutz. So konnten Nomadenstämme nicht unkontrolliert in das Reichsgebiet einsickern und Weideland besetzen. Im Gegensatz zu sesshaften Bauern oder Stadtbewohnern waren sie schwer dazu zu bewegen, Steuern zu zahlen oder Kriegsdienst zu leisten. Umgekehrt verhinderte die Mauer Abwanderungen chinesischer Untertanen. Für die hauptsächlich mit Pfeil und Bogen bewaffneten Reiterheere der Steppenvölker war die Mauer über Jahrhunderte ein kaum zu überwindendes Hindernis, zumal die mit Armbrüsten ausgerüsteten Verteidiger ihnen an „Feuerkraft“ überlegen waren. Es hätte schon einer aufwendigen Belagerungstechnik bedurft, um die Mauer zu erstürmen. Selbst das Mongolenheer unter Dschingis Khan, die schrecklichste und erfolgreichste Militärmacht ihrer Zeit, wurde zwei Jahre lang von den Jin an der Mauer aufgehalten.
Architektonisch von vergleichsweise einfacher Struktur, gehört die Große Mauer wegen ihrer riesigen Dimension und ihren vielfältigen Funktionen zu den bedeutendsten Leistungen der chinesischen Kultur, die allerdings mit gewaltigen Opfern erkauft wurde.